Keine Angst vor ... dem Stottern

Als Kind hat Physikprofessorin Concettina Sfienti gestottert. Wie sich das angefühlt hat - und warum sie heute vor vielen Menschen sprechen kann.

Concettina Sfienti erzählt: „An den Tag, an dem ich mir geschworen habe, das Stottern zu überwinden, kann ich mich noch genau erinnern: Ich war 13 und sollte mein naturwissenschaftliches Projekt vorstellen. Stolz ging ich im apricotfarbenen Seidenshirt meiner Mama in die Schule. Aber dann kamen die Worte einfach nicht aus meinem Mund und ich schwitzte so sehr, dass wir das Seidenshirt später wegwerfen mussten. Meine Lehrer redeten mir gut zu, aber das machte es nur schlimmer. Die Prüfung habe ich als Beste bestanden. Trotzdem war mir danach klar: Das Stottern soll nicht mehr das sein, was meine Person für andere ausmacht!

Angefangen hatte alles in der ersten Klasse. Eine Lehramtspraktikantin hat mir die linke Hand am Stuhl festgebunden, weil ich damit geschrieben hat­te. Und danach begann ich zu stottern. Nach einigen Wochen ging meine Mutter in die Schule, ich durfte wieder mit links schreiben. Aber das Stottern blieb und die anderen Kinder machten mich nach. Das war furchtbar.

Bei einem Logopäden war ich nie, weil ein stotternder Freund meines Vaters damit schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Also habe ich selbst meine Atmung analysiert und schwierige Wör­ter durch andere ersetzt. Im Studium habe ich Gesangsunterricht genommen.

Ehrlicherweise muss ich sagen: Ich stottere bis heute. Vor vielen Leuten zu sprechen ist für mich anstrengend wie ein Marathon. Aber inzwischen weiß ich, dass ich in 96 Prozent der Fälle so reden kann, dass niemand etwas bemerkt. Und der Rest ist mir inzwischen wurscht. Ich bin Physikprofessorin geworden. Ich weiß, dass ich etwas zu sagen habe und das auch sagen kann.“

Concettina Sfienti ist Professorin für Physik an der Universität Mainz.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 1/2021: Sehnsucht nach Verbundenheit
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