Das scheint mir noch rätselhaft

Psychologie nach Zahlen: 5 Nachfragen, die uns zum Kern der Dinge bringen.

Fragen sind wie Schlüssel. Die richtige Frage zur richtigen Zeit öffnet einem die Tür zu etwas, das man bislang nicht erkannt hat oder noch nicht einmal im Entferntesten in Erwägung gezogen hätte – sowohl im Hinblick auf sich selbst als auch auf andere. Den folgenden fünf Fragen sollten Sie sich regelmäßig stellen, auch wenn es Ihnen spontan widerstrebt. Sie sind so einfach und essenziell, dass sie in die alltäglichsten Gespräche einfließen können. Sie sind ebenso dazu geeignet, dass man sich mit ihnen über Grundlegendes im Leben Klarheit verschafft.

1 Wie jetzt?!

Diese Frage kann je nach Situation ganz unterschiedlich gehandhabt werden. Mit einem unaufgeregten „Entschuldige, wie jetzt?“ fordert man seinen Gesprächspartner auf, etwas gerade Gesagtes zu wiederholen und vielleicht kurz zu erläutern, entweder weil man es akustisch nicht richtig verstanden hat, oder weil es einem unwahrscheinlich oder schwer begreiflich erscheint. Wenn, wie es häufig geschieht, das „Wie jetzt?!“ noch mit einem vorangestellten „Warte mal“ verbunden wird, so handelt es sich keineswegs bloß um eine redundante Floskel. Diese Signale erinnern daran, das Tempo rauszunehmen, das Gespräch zu verlangsamen und sich die Zeit zu nehmen, die man für ein tieferes Verständnis braucht.

Ein offensives „Wie jetzt?!“ kann hingegen zum Ausdruck bringen, dass man das Gesagte für unwahr und empörend hält. Dann entspricht es einem (gröber formulierten) „Sind Sie sicher?“ oder „Soll das ein Witz sein?“. Dieses „Wie jetzt?!“, mit dem sich praktisch alles infrage stellen lässt, steht deswegen auch auf der Liste ganz oben, weil es einen einfachen Weg der Klärung eröffnet – und Klarstellung, Erklärung und Aufklärung sind nun einmal erste Schritte zu einem grundlegenden Verständnis.

2 Mich wundert, warum ...

Vielleicht möchten Sie die Anregung aufgreifen, sich ab und zu umzuschauen, die Menschen um Sie herum und Ihre unmittelbare Umgebung zu betrachten und sich dabei zu überlegen: „Mich wundert, warum …“ „Ich frage mich, ob …“ Man stößt auf eine Fülle interessanter Hintergrundgeschichten. Genau diese Einstellung steht am Anfang jeder Entdeckung, jeder Expedition, jedes Forschungsprojekts, und fast immer führt sie zu erstaunlichen Einsichten und bahnbrechenden Ergebnissen. Es ist die Haltung, die vor allem Naturwissenschaftler einnehmen, wenn sie die sie umgebende Welt betrachten – von Madame Curie bis Stephen Hawking. Allzu leicht nehmen wir die Welt in dem statischen, quasi geronnenen Zustand wahr, wie sie sich uns im Augenblick darbietet. Dabei übersehen wir vollkommen, dass es sich dabei nur um eine Momentaufnahme handelt. Überall verbergen sich Botschaften und Informationen, die zu entdecken und zu verstehen sind. „Mich wundert, warum“ steht für den innersten Kern der Neugier. Die Frage ist der Schlüssel zu einem besseren Verständnis Ihrer Umgebung, während „Ich frage mich, ob“ ein lebendiges, spannungsreiches Verhältnis zur Welt herstellt. Wer solchen Fragen ausweicht, läuft leicht Gefahr, die Möglichkeiten und wunderbaren Erfahrungen, die das Leben zu bieten hat, erst gar nicht wahrzunehmen.

3 Könnten wir zumindest ...

Wie „Mich wundert, warum“ leitet auch die Formulierung „Könnten wir zumindest“ eine Reihe von anschließenden und tiefergehenden Fragen ein, doch im Kern weist sie einen Ausweg aus einer verfahrenen Situation. Es ist das entscheidende Signal, um eine Meinungsverschiedenheit zu überwinden und zu einer Lösung oder einem Kompromiss zu finden. In diesem Sinne ausbuchstabiert, lautet die Frage dann: „Könnten wir bitte zu einer Einigung kommen?“ Wer diese Frage stellt, ergreift die Initiative, um einen Einigungsprozess in Gang zu setzen, ohne dass man gleich sagen könnte, wie das Ergebnis aussieht – im Sinne von: „Könnten wir zumindest einen Anfang machen?“ Der Schlüssel zu einer gedeihlichen Partnerschaft ist der Konsens, sei es in der Politik, im Geschäftsleben, in der Ehe oder in einer Freundschaft. Vor allem wenn man sich gerade mit konträren Argumenten fetzt, ist der Vorschlag „Könnten wir zumindest“ ein Auslöser, zeitweilig innezuhalten, einen Schritt zurückzutreten und hinzuschauen, wo es Gemeinsamkeiten gibt. Und nachdem man diesen Schritt zurück getan hat, findet sich womöglich genau das, was man braucht, um zwei Schritte vorwärts zu machen.

4 Wie kann ich helfen?

Zu unserem großen Glück sind viele Menschen wirklich hilfsbereit. Evolutionsbiologen oder Psychologen neigen zu der Ansicht, dass unsere Hilfsbereitschaft auch dazu da ist, unser Gewissen zu beruhigen und damit wir uns selbst stark fühlen. Aber unabhängig davon, aus welchen Motiven wir anderen Gutes tun: Es ist eine Tatsache, dass die meisten Menschen ihren Kollegen, Freunden, Familienangehörigen und selbst völlig Fremden helfen. Es kommt aber nicht nur darauf an, dass, sondern auch wie geholfen wird. Deswegen ist es wichtig, zunächst zu fragen: „Wie kann ich helfen?“ Wenn Sie die Sache auf diese Weise angehen, nähern Sie sich Ihrem Gegenüber tatsächlich selbstlos und überlassen es ihm oder ihr, zu bestimmen, wie die Hilfe aussehen soll. Implizit bringen Sie damit Ihren Respekt zum Ausdruck und erkennen an, dass der andere am besten weiß, was gut für ihn ist. Sie lassen ihm die Entscheidungsgewalt über seine Handlungen, auch wenn Sie helfend eingreifen wollen.

5 Was zählt wirklich?

Vor allem in Stresssituationen kann man leicht den Blick für das Wesentliche verlieren. Dann verheddern wir uns in unseren Alltagsroutinen. Wenn wir verunsichert sind, verlieren wir leicht unsere Selbstsicherheit, mit der wir normalerweise das Wesentliche problemlos vom Unwesentlichen unterscheiden können. Wir suchen Halt, indem wir uns auf in diesem Moment weitgehend irrelevante, aber eingeübte Alltagsroutinen konzentrieren, statt auf die krisenhafte Situation, die wir meistern sollten. Gerade in solchen Ausnahmesituationen ist es wichtig, sich sofort zu fragen, was wirklich zählt. Wenn Sie sich darauf fokussieren, fällt es leichter, sich zu lösen; so gewinnen Sie die nötige innere Ruhe, um den Überblick zu erhalten und die richtigen Prioritäten zu setzen.

James E. Ryan ist Dekan an der Harvard Graduate School of Education. Dieser Text ist ein Auszug aus seinem Buch Wie jetzt?! Und andere entscheidende Fragen des Lebens, das jüngst im Beltz-Verlag erschienen ist.

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