Sprachlos am Sterbebett

Drei Bücher widmen sich dem tabuisierten Thema der Sterbebegleitung.

Es ist ein alter Menschheitstraum, den Tod zu überwinden. Immer wieder machen Forscher von sich reden, die behaupten, dass es nur mehr eine Frage der Zeit sei, bis der Code des Alterns geknackt sei und wir unsterblich werden könnten. Auf welch tönernen Füßen solche Allmachtsfantasien stehen, demonstriert eindrücklich die gegenwärtige Coronapandemie. Der Tod, erklärtermaßen unser Feind und längst zum Tabu geworden, ist plötzlich wieder sehr nah, er ist mitten unter uns.

Deshalb ist es an der Zeit, über den Tod zu reden. Das ist das Anliegen dreier Bücher, die sich dem Thema auf sehr unterschiedliche Weise nähern. Der Palliativmediziner Matthias Gockel (mit Oliver Kobold) legt mit Sterben. Warum wir einen neuen Umgang mit dem Tod brauchen. Ein Palliativmediziner erzählt ein sehr persönliches Buch vor. Er berichtet lebensnah aus seinem beruflichen Alltag und gibt einen guten Überblick über das Wirkungsfeld der Palliativmedizin.

Der Begriff kommt vom lateinischen palliare, „mit einem Mantel umhüllen“. Ziel der Palliativmedizin ist, die Lebensqualität von schwerkranken Patienten, in der Mehrzahl Krebs­patienten, zu verbessern, Schmerzen zu lindern, seelische Unterstützung zu geben und die Würde der Patienten bis zum Lebensende zu erhalten.

Der Tod als etwas Reales

Das ist im Zeitalter von Hightechmedizin und medizinischer Überversorgung von Schwerstkranken – von Lebensverlängerung um jeden Preis – keine Selbstverständlichkeit mehr. „Die klassische Medizin kann einem das Lebensende richtig versauen!“, schreibt Matthias Gockel unumwunden. Deshalb sei die Palliativmedizin hier die bessere Alternative. Wie friedliches Sterben und gutes Abschiednehmen möglich ist, führt er anschaulich an zahlreichen Fallgeschichten vor.

Das Buch gibt viele Orientierungshilfen für Patienten und Angehörige, es behandelt Fragen wie: Ab wann sollen Palliativmediziner bei Schwerstkranken einbezogen werden? Wie sieht gute Schmerztherapie aus? Was hat es mit Opiaten und ihren Wirkungen auf sich? Wie läuft der Sterbeprozess ab? Wie sieht gute Sterbebegleitung aus? Welche Entscheidungen sollten im Vorfeld getroffen werden? Was können Angehörige dabei tun?

Auf der Palliativstation sei der Tod etwas sehr Reales, spätestens dann sollte in aller Offenheit und Ehrlichkeit, vor allem auch auf Augenhöhe mit Patienten und Angehörigen kommuniziert werden. Das Gespräch hat in der palliativen Versorgung einen besonderen Stellenwert.

Es braucht Mut

Ein von großer Erfahrung und Kompetenz getragenes Buch, das auch mit seiner klaren Haltung nicht hinter dem Berg hält. „Möglicherweise wäre die Humanmedizin ein besserer Ort, läge allen die Kommunikation so am Herzen wie mir“, räumt Gockel freimütig ein. Neben der ungenügenden Kommunikation gebe es oft auch handfeste Interessenskonflikte. Als Beispiel führt er die Onkologie an, die auch noch an sinnlosen Chemotherapien verdiene. Es brauche Mut, sich in einem solchen System gegen weitere Behandlungen zu entscheiden und eine palliative Versorgung aktiv einzufordern. Dazu ermuntert dies engagierte und glänzend geschriebene Buch.

Während das Thema Kommunikation bei Matthias Gockel ein Aspekt unter anderen ist, widmet sich Sven Gottschling (mit Katja Welsch) in Übers Sterben reden. Wie Kommunikation in schwierigen Situationen gelingt ausschließlich diesem Thema. Der Palliativmediziner will „Wege aus der Sprachlosigkeit“ aufzeigen, denn niemand sei auf das Sprechen über Sterben und Tod vorbereitet, es herrsche eine oft „lähmende Angst, das Falsche zu sagen“. Das Buch plädiert für eine bessere, insbesondere offenere und ehrlichere Gesprächskultur am Lebensende.

Wie können solche Gespräche konkret aussehen? Auf der Basis bekannter Kommunikationsmodelle, zum Beispiel jenes von Schultz von Thun, werden Regeln und Tipps der Gesprächsführung systematisch dargestellt, bis hin zu Details wie dem Umgang mit Pausen oder Emotionen.

Unsichtbarer Leichnam

Biografiearbeit, Techniken des Lebensrückblicks und des Patientengesprächs über belastende Themen wie Schuldgefühle oder ungelöste Konflikte, dies alles sind wichtige Kompetenzen, insbesondere fürs Fachpersonal. Dass mit der Arzt-Patient-Kommunikation im normalen Klinikalltag vieles im Argen liegt, ist hinlänglich bekannt. Hier bietet das Buch wertvolle Handreichungen für Patienten wie auch für Angehörige, um für das Arztgespräch gut gerüstet zu sein.

Wenn der Tod ein Tabuthema ist, dann ist es erst recht die Begegnung mit dem Leichnam. Um den Tod aus nächster Nähe geht es in Martins Preins Letzte-Hilfe-Kurs. Weil der Tod ein Thema ist. Der ehemalige Bestatter, Notfallpsychologe und Thanatologe bietet mit seinem Buch einiges an kulturhistorischem Wissen sowie Hilfe zum Umgang mit Verstorbenen.

Der Leichnam sei in unserer Kultur „quasi unsichtbar“, doch er sei „der sichtbar gewordene Tod“, „die verkörperte Macht des Todes“. Er löse für viele Menschen Angst oder Ekel aus, er könne aber auch „etwas Heiliges“ ausstrahlen.

Ein herausfordernder Rat

„Was macht der tote Körper mit uns Lebenden?“, ist eine der Fragen des Autors. In seiner wissenschaftlichen Untersuchung unter Bestattern zeigt er: Trotz aller Rationalität sind Angst und Aberglaube noch enorm verbreitet. Das Realisieren des Todes sei ein langer Prozess, deshalb sei es so wichtig, sich auch leiblich von einem geliebten Menschen zu verabschieden. Nicht im Krankenhaus, sondern erst beim Anblick eines toten Angehörigen in der Aufbahrungshalle beginnen viele zu erfassen, dass dieser wirklich tot ist, so der Autor.

Um den Tod zu begreifen, helfe es, den Verstorbenen zu berühren, etwa seine kalten Hände zu fühlen, „um diese Kälte geht es“. – Sicher für viele Menschen ein herausfordernder Rat, der nicht für jeden ohne weiteres umzusetzen sein wird.

Im letzten Teil widmet Prein sich den Hinterbliebenen. Es sei für trauernde Angehörige „oft unerträglich, ein zusätzlicher Schmerz, wie Aussätzige gemieden zu werden“. Hier ist ihm Aufklärung und Sensibilisierung ein wichtiges Anliegen. Mit diesem ungewöhnlichen, doch lesenswerten Buch – das mit der Schilderung von so manchen Details Lesern auch einiges abfordert –, möchte Martin Prein einen Beitrag dazu leisten.

Matthias Gockel (mit Oliver Kobold): Sterben. Warum wir einen neuen Umgang mit dem Tod brauchen. Ein Palliativmediziner erzählt. Berlin, München 2019, 267 S., € 22,–

Sven Gottschling mit Katja Welsch: Übers Sterben reden. Wie Kommunikation in schwierigen Situationen gelingt. S. Fischer, Frankfurt a.M. 2019, 303 S., € 16,99

Martin Prein (mit Anita Gross): Letzte-Hilfe-Kurs. Weil der Tod ein Thema ist. Styria, Wien 2019, 176 S., € 22,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2020: Persönlichkeit: Histrionisch
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