In welcher Welt wollen wir leben?

Wir alle wissen, dass unser Konsumverhalten Menschen ausbeutet. Warum ändern wir es dann nicht? Ein Gespräch mit BWL-Professorin Evi Hartmann.

Asiatische Näherinnen bei der Arbeit in einer Fabrik.
Näherinnen in einer Fabrik in Asien: Ein T-Shirt für drei Euro? © plainpicture

Frau Hartmann, in Ihrem Buch Wie viele Sklaven halten Sie?  konfrontieren Sie Ihre Leser damit, dass jeder durchschnittliche Konsument im Schnitt 60 Arbeitssklaven beschäftigt, die unter unwürdigsten Bedingungen für seinen Lebensstandard schuften. Wie kamen Sie darauf, sich mit Moral zu befassen?

Mich treibt schon lange die Frage um, warum wir uns so wenig dafür interessieren, unter welchen skandalösen Bedingungen die Lebensmittel, Kleider und Smartphones produziert werden, die wir so gerne einkaufen. Die Mineralien für unsere Smartphones kommen aus Blutminen im Kongo, in denen Sklaven mit vorgehaltener Waffe zur Arbeit gezwungen werden. Für unsere T-Shirts arbeiten Näherinnen für gerade einmal 50 Cent am Tag in einer Höllenhitze. Der Einsturz der Textilfabrik in Bangladesch 2013, bei dem über tausend Menschen gestorben sind, war für mich der Auslöser, das Buch zu schreiben. In meinem privaten Umfeld waren alle kurz schockiert, aber niemand hat sein Einkaufsverhalten deswegen verändert, ich damals auch nicht. Man diskutiert oberflächlich darüber hinweg und geht wieder zur Tagesordnung über. Ich bin erschrocken über meine eigene Lethargie und Inkonsequenz und habe angefangen zu recherchieren.

Ist es nicht auch ein natürlicher Schutzmechanismus, Kinderarbeit und andere skandalöse Verhältnisse auszublenden? Wir müssten sonst ständig mit Schuldgefühlen leben.

Es ist sicher ganz normal, Dinge zu verdrängen, die nicht schön sind und uns belasten oder Angst machen. Das tun wir ja auch bei den Bildern von ertrinkenden Flüchtlingen und schmelzenden Eisbergen. Das Problem ist, dass wir uns dann in Ausreden flüchten: Was kann ich allein schon tun? Was bringt es, wenn ich ein fair produziertes T-Shirt kaufe oder mein altes Smartphone behalte und auf das neueste Modell verzichte? Wir delegieren das Problem gerne ganz schnell an andere und zeigen mit dem Finger auf die bösen Manager, die nur nach Profit gieren, oder auf die Regierung, die dringend etwas tun müsste. Es sind immer die anderen. Wir sind jedoch auch nicht besser als die Einkäufer, die Preise drücken. Wir kneifen, wenn es darauf ankommt. Ich bin überzeugt davon, dass die Verantwortung beim Konsumenten beginnt und viele kleine Schritte am Ende eine größere Bewegung in Gang bringen.

Man muss nicht BWL studiert haben, um zu verstehen, dass bei einem T-Shirt für drei Euro etwas nicht stimmen kann, und trotzdem ist Schnäppchenjagd ein Volkssport. Was macht es so schwer, das Einkaufsverhalten wirklich zu verändern?

Wir lähmen uns oft mit der Entweder-oder-Logik. Entweder ich verhalte mich moralisch einwandfrei, oder ich tue gar nichts. Aber irgendwo müssen wir ja mal anfangen. Je öfter wir uns fragen: „Will ich wirklich diesen Fummel für 4,99 Euro mitnehmen?“, und uns dagegen entscheiden, desto schwieriger wird es für Firmen, weiterhin moralisch angreifbare Umsätze zu machen. In den Medien stehen vor allem die Unternehmen am Pranger, natürlich oft zu Recht, aber mich ärgert, dass nicht über die Konsumenten gesprochen wird. Wir können die moralische Verantwortung für unser eigenes Handeln nicht wegdelegieren. Niemand zwingt uns, Produkte von unmoralischen Unternehmen zu kaufen.

Das vollständige Interview mit Evi Hartmann finden Sie in unserem aktuellen Themenheft der Reihe Psychologie Heute compact: Vom Glück des Weniger: Zu viel Leistungsdruck, zu viel Konsum, zu viel im Internet: Wie wir runterschalten und erfüllter leben 

Artikel zum Thema
Leben
Wir konsumieren zu viel, es ist klimaschädlich und sinnlos. Stimmen diese Vorwürfe? Eine Studie zeigt auf, wann Konsum vorteilhaft sein kann.
Leben
Wie wahrscheinlich ist es, bei einem Terroranschlag zu sterben? Bislang ist die Gefahr nicht außerordentlich hoch, sagt der Risikoforscher Ortwin Renn
Beziehung
Kim Ritter erforscht die Herausforderungen und Konflikte, denen Bisexuelle im Ringen um Anerkennung ausgesetzt sind.
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute Compact 58: Vom Glück des Weniger
Anzeige
Psychologie Heute Compact 76: Menschen lesen