Die Großartigkeit des anderen

Anerkennung im Beruf kann beflügeln – vorausgesetzt, Führungskräfte nehmen die Erwartungen ihrer Mitarbeitenden ernst.

Die Illustration zeigt eine Frau mit Aktenordner im Scheinwerferlicht, hinter der die Schattenhände eines Mannes sind, der ihr Beifall klatscht
Mitarbeiter brauchen aufrichtige Anerkennung. Nicht als Luxus, nicht als Bonus, sondern um gesund und arbeitsfähig zu bleiben. © Luisa Jung

In der US-Serie Mad Men, die im Werbeagentur-Umfeld der sechziger Jahre spielt, gibt es einen berühmt gewordenen Dialog. Als sich die junge Mitarbeiterin Peggy bei ihrem genialischen, aber unnahbaren Chef Don beklagt, er sage nie danke für ihren engagierten Arbeitseinsatz, entgegnet dieser nur herrisch: „But that’s what the money is for!“ Zu Deutsch: „Aber dafür ist doch das Geld da!“

Man könnte das als Beispiel für einen unsensiblen Führungsstil aus einer längst vergangenen Zeit abtun, doch noch heute gibt…

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doch noch heute gibt es viele Chefinnen und Chefs, deren Anerkennungsmanagement irgendwo zwischen jenem „Dafür ist doch das Geld da!“ und einem spartanischen „Nicht geschimpft ist gelobt genug!“ rangiert. Dabei brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine aufrichtige Anerkennung. Nicht als Luxus, nicht als Bonus, sondern um gesund und arbeitsfähig zu bleiben. Und diese Anerkennung kann vielfältige Formen annehmen – Geld ist da beileibe nicht die einzige Möglichkeit.

Hinter die Kulissen schauen

Boris von der Linde und Anke von der Heyde warnen in ihrem Einführungswerk Psychologie für Führungskräfte denn auch explizit davor, die Kraft finanzieller Anreize zu überschätzen: „Geld wird zum äußerst kurzfristigen Motivator“, schreiben sie. Dies treffe vorrangig dann zu, wenn die existenziellen Bedürfnisse der Mitarbeiter ohnehin schon weitgehend befriedigt seien, wenn ein Mehr an Geld also nicht mit einem Mehr an fundamentaler Lebenssicherheit einhergehe. Die Autoren raten deshalb dazu, hinter die Kulissen zu schauen und sich mit den Werten und tieferliegenden Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen zu beschäftigen.

Auch die österreichische Organisationspsychologin Brigitta Gruber ist skeptisch, was den Versuch betrifft, Wertschätzung ausschließlich über Prämien oder Gratifikationen auszudrücken. Gruber hat sich ausführlich mit dem Thema Anerkennung im Berufsleben auseinandergesetzt, die „gesundheitsfördernde Führung mit anerkennendem Erfahrungsaustausch“ ist einer der Schwerpunkte ihrer Arbeit. Dieser Führungsstil setzt, wie Gruber betont, ein gewisses Maß an Humanismus voraus – die Bereitschaft, teilnehmend und kooperativ auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuzugehen.

Brigitta Gruber weiß, was es heißt, wenn all das fehlt; sie führt als Beispiele Erfahrungsberichte an, die sie im Rahmen ihrer Studien gehört hat. Eine offenbar frustrierte Mitarbeiterin sagte zum Beispiel mit einer ordentlichen Prise Sarkasmus: „Ich bin seit zehn Jahren im Unternehmen. Ich bewerbe mich jetzt innerbetrieblich, aber die werden mich nicht kennen, weil … ich war jeden Tag da.“

Das gebrochene Versprechen

Was lässt sich gegen solche Frustrationen ausrichten? Es sind oft die alltäglichen Gesten, die die innere Verbitterung verhindern: das verbale Schulterklopfen für eine gelungene Präsentation, der Dank einer Kollegin, der man geholfen hat, ein guter Kundenkontakt. „Sinn finden Menschen oft im ganz Kleinen“, sagte kürzlich der Wirtschaftspsychologe Ingo Hamm in der Welt – und wandte sich damit gegen die immer beliebter werdende Vorstellung, zur Mitarbeiterzufriedenheit bräuchte es so etwas wie eine große Firmenphilosophie, also die Vorstellung, als Arbeitnehmende Teil von etwas Größerem zu sein.

Für Hamm geht es eher um die Mikro-Interaktionen des operativen Geschäfts, nicht um die visionären Sonntagsreden des Geschäftsführers: „Ein unklarer purpose treibt kaum jemanden in die Kündigung, fehlende Anerkennung dagegen schon“, sie sei im schlimmsten Falle sogar der Grund für ein Burn-out, das durch eine Gratifikationskrise entstehe.

Gratifikationskrise: Der Begriff stammt von dem Schweizer Medizinsoziologen Johannes Siegrist. Er bezeichnet eine Situation, in der sich das einstellt, was Psychologinnen effort-reward imbalance nennen, ein Ungleichgewicht zwischen Aufwand und Belohnung.

Gratifikationskrisen sind laut Siegrist gerade dann in besonderem Maße gefährlich, wenn Mitarbeitende sich für ihren Beruf restlos verausgaben und dabei Erwartungen an Gegenleistungen durch den Arbeitgeber entstehen, die nicht eingehalten werden. Ein solches Ungleichgewicht von Aufwand und Belohnung sind im Übrigen vor allem jene bereit, länger zu ertragen, die glauben, auf dem Arbeitsmarkt geringere Chancen zu haben.

Der psychologische Arbeitsvertrag

Mit der Schieflage von Erwartung und Realität gehen gesundheitliche Risiken einher. Siegrist zitiert in seinem Buch Anerkennung und Gesundheit ein Beispiel, das schon einige Jahrzehnte alt ist und ihn seit Beginn seiner Forschungsarbeit begleitet. Es ist die Geschichte eines Mannes, der in verhältnismäßig jungem Alter einen Herzinfarkt erlitt; Ausgangspunkt war eine tiefe Kränkung: „Mein Chef hatte mir versprochen, mich zum Leiter eines Betriebs zu machen, einer Druckerei. Das war immer mein Traum gewesen. Er hat sein Versprechen gebrochen, ganz plötzlich, von einem Tag auf den anderen. Es hat mich ins Mark getroffen.“ Von da an sei es bergab gegangen: „Die Qualmerei fing an. 80 Zigaretten pro Tag.“

Jenseits solch bedrückender Anekdoten sind die Gesundheitsgefahren von Anerkennungsdefiziten im Beruf breitflächig belegt. So zeigt eine Reihe von Studien, dass sich die Wahrscheinlichkeit, eine depressive Störung infolge von Gratifikationskrisen und damit einhergehendem Stress zu erleiden, fast verdoppelt. Auch die Rolle solcher Krisen als Risikofaktor für die koronare Herzkrankheit ist mittlerweile bestätigt.

In der Organisationspsychologie ist in diesem Zusammenhang gerne vom „psychologischen Arbeitsvertrag“ die Rede (siehe Definition unten). Damit wird die Tatsache beschrieben, dass zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch jenseits des schriftlichen Arbeitsvertrages gewisse Erwartungen an das Verhalten des anderen bestehen.

Innerlich kündigen

Hat die Arbeitnehmerin den Eindruck, dass die Gegenseite diesen impliziten Vertrag bricht, kann im schlimmsten Fall eine ­„innere Kündigung“ die Folge sein: Die Mitarbeiterin senkt ihre Arbeitsleistung und verhält sich so, als arbeite sie gar nicht mehr in der Firma. Manche beginnen sogar, Kollegen und Kolleginnen zu mobben, oder sie kündigen wirklich. ­Enttäuschungen tun weh, das gilt im Privaten genauso wie im Beruf.

Es gibt ein Gegengift: Die Zutaten lauten Fairness und Menschlichkeit. Doch das ist im Angesicht der heutigen Logik des Wirtschaftens einfacher gesagt als getan, wie der Blick in die Sozialwissenschaften zeigt. Axel Honneth hat eine ganze Sozialphilosophie um den Anerkennungsbegriff errichtet. Ihm zufolge gibt es in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft drei Formen der Anerkennung.

Erstens die Liebe, die ein Mensch in Familie und engen Freundschaften erfährt; diese Form der Anerkennung ist nicht vom Staat geregelt. Anders verhält es sich mit der zweiten Form, dem Recht: Bürgerinnen und Bürger finden Anerkennung, indem sie als vor dem Gesetz gleiche Rechtspersonen anerkannt werden, denen man zutraut, dass sie autonom Entscheidungen über Richtig und Falsch treffen können. Während im Angesicht des Rechts jeder gleich ist, geht es bei der dritten Form der Anerkennung darum, das zu betonen, was einen Menschen besonders macht und von anderen unterscheidet: die soziale Wertschätzung.

Das Leben als Wettlauf

Auf dem Weg zur Wertschätzung folgen die Menschen im Kapitalismus dem Leistungsprinzip. Dieses Prinzip erhebt den Anspruch, „in Form einer wechselseitigen Wertschätzung fair und angemessen die individuelle Leistung aller Gesellschaftsmitglieder zu berücksichtigen“, wie Honneth schreibt. Anders gesagt: Das Leben ist ein Wettlauf. Wer als Erster ins Ziel kommt, hat demnach mehr Anerkennung in Form einer sozialen Wertschätzung verdient als derjenige, der länger braucht. Fair ist das Prinzip allerdings nur dann, wenn alle mit denselben Voraussetzungen ins Rennen gehen.

Das ist nicht nur eine philosophische Überlegung, ­sondern hat konkrete Auswirkungen auf den Arbeitsalltag: ­Betriebe, in denen bloß diejenigen Anerkennung erfahren, die im ­Vergleich der nackten Leistungsdaten ganz oben landen – die etwa die höchstdotierten Kundenverträge abschließen, Aufgaben am schnellsten erledigen, die leckersten ­Brötchen ­backen, am seltensten krank zu Hause bleiben –, schwächen sich selbst.

Man muss kein Humanist sein, um das so zu ­sehen: Wenn ein großer Teil der Belegschaft von den ­motivierenden Effekten der Anerkennung abgeschnitten ist, weil schon rein statistisch nicht jede oder jeder eine Überfliegerin oder ein Überflieger sein kann, bleiben betriebswirtschaftliche Potenziale ungenutzt. Die Top-Performer bekommen einen Orden nach dem anderen angeheftet, alle anderen grummeln im Verborgenen vor sich hin.

Komplexe Persönlichkeiten

Ein nur an Resultaten orientiertes Leistungsprinzip allein ist also kein guter Ratgeber für Führungskräfte, wenn es um die Anerkennung für Mitarbeitende geht. Was aber dann? Wenn man das oben erwähnte Modell der effort-reward imbalance näher betrachtet, fällt auf, dass Anerkennung in diesem Modell nicht mit einer Belohnung für eine objektiv messbare Leistung, sondern für die auf dem Weg zum Endresultat aufgewandte Anstrengung verbunden ist. Und die kann bei Menschen, die schlechtere Voraussetzungen haben, beim selben Ergebnis höher sein.

Im Umkehrschluss heißt das für Führungskräfte, dass sie die individuelle Anstrengung mitbewerten müssen. Und ­dazu sollten sie die Voraussetzungen der Menschen erst einmal kennen. Das mag banal klingen, ist aber ein relativ neues Gegenmodell zur Rationalisierungslogik des 20. Jahrhunderts, laut der Mitarbeitende oftmals als gleichförmige Rädchen im Getriebe einer großen Firmenmaschine gesehen wurden – vom Fließband bis zum Großraumbüro.

Die Sozialwissenschaftler Manfred Moldaschl und Gerd-Günter Voß sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Subjektivierung der Arbeit“ – ein Trend jüngerer Zeit, der beinhaltet, dass Menschen stärker als komplexe Persönlichkeiten im beruflichen Umfeld wahrgenommen werden. Zum Ausdruck kommen kann eine solche Subjektivierung etwa in individualisierten Leistungsvereinbarungen: Wo stehen Sie? Wo wollen Sie in einem Jahr sein?

Sinne schärfen

Das deckt sich auch mit den Erkenntnissen der kanadischen Organisationspsychologinnen Brenda Zalter-Minden und Sarah McVanel, die sich in ihrem Buch Forever Recognize Others’ Greatness mit dem Thema Anerkennung beschäftigen. Sie betonen, wie wichtig es ist, die persönlichen Voraussetzungen von allen Mitarbeiterinnen mitzubedenken, anstatt nur einige vermeintliche Superstars in den Himmel zu heben.

Ins Englische übersetzt man „Anerkennung“ ja entweder mit appreciation, was so viel wie „dankbare Würdigung“ bedeutet, oder ein wenig nüchterner mit recognition. Letzteres bedeutet erst einmal nur, dass jemand etwas „bemerkt“ hat: Das, was du tust, kannst und bist, wird gesehen. Brenda Zalter-Minden und Sarah McVanel konzentrieren sich auf die zweite Bedeutungsebene: auf das Sehen, aufs Bemerken.

Ihnen ist wichtig, dass Führungskräfte ihre Sinne dafür schärfen, worin der einzigartige Beitrag einer Mitarbeiterin, eines Mitarbeiters fürs Unternehmensganze besteht – und diese zugleich dadurch zu motivieren, dass ihnen vermittelt wird, dass sie nicht einfach beliebig ersetzbar sind, selbst wenn sie nicht zur Leistungselite gehören.

Man solle, finden McVanel und Zalter-Minden, einfach mal von der Überzeugung ausgehen, dass Menschen ohnehin ein ernsthaftes Interesse daran haben, Lösungen für die Probleme des Arbeitsalltags zu finden, wenn man ihnen nur die Möglichkeit dazu gibt. „Jeder Mensch ist fähig, Großartiges zu vollbringen“, heißt es in dem Buch ein wenig blumig. Die dahinterstehende Erkenntnis ist dennoch bestechend: dass man manchen Menschen – gerade jenen, die eine bislang eher erfolglose Bildungs- und Berufsbiografie hinter sich haben – über anerkennende Worte erst vermitteln muss, dass sie überhaupt Fähigkeiten und Talente haben.

Treibstoff für die Leistungsstarken

Der motivationspsychologische Spagat, den Führungskräfte hinlegen müssen, besteht nun darin, den Schwächeren zu zeigen, dass sie gebraucht werden; zugleich ist es aber auch wichtig, die Leistungsorientierten nicht außer Acht zu lassen. So ergab eine Befragung, die das Team des Wiener Wirtschaftspsychologen Ralph Sichler an 130 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unterschiedlicher Branchen durchgeführt hat: Gerade leistungsmotivierte Menschen empfinden die Rolle ihrer Führungskräfte als Feedbackgeber besonders häufig als unzureichend. Sie brauchen die Anerkennung ihrer Chefinnen und Chefs als Treibstoff.

Die Frage ist, wie sich all das konkret umsetzen lässt, ohne dass man an Glaubwürdigkeit einbüßt, weil man einfach alles und jeden pauschal toll findet und mit Lob überzieht. Hier kommt Sebastian Klein ins Spiel. Klein ist Psychologe und hat die Beratungsorganisation „Neue Narrative“ gegründet, die Firmen dabei helfen soll, den Übergang in die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts zu schaffen.

Anerkennung kommt für Klein im Arbeitsalltag vor allem durch das Konzept „Wertschätzung“ zum Ausdruck. Bei den „Neuen Narrativen“ hat man sich deshalb die Regel gegeben: Wertschätzendes Feedback muss aussagekräftig sein. Es zeigt, dass sich derjenige, der es äußert, wirklich mit den Handlungen der anderen Person auseinandergesetzt hat.

Das unterscheidet die Wertschätzung vom bloßen Lob. Ein lobender Satz könnte etwa lauten: „Deine Designskills waren mal wieder stark!“ Das bringt zwar die Freude der oder des Lobenden zum Ausdruck, aber für die gelobte Person ist nicht klar ersichtlich, was genau aus welchen Gründen wertvoll ist. Eine wertschätzende Formulierung ist da schon deutlich ausführlicher. Im Stil der „gewaltfreien Kommunikation“ nach Marshall B. Rosenberg könnte man etwa zunächst eine Beobachtung zum Ausdruck bringen: „Du hast mir bei der neuen Website Designhilfe geleistet.

Als Mensch gesehen werden

Dadurch konnte ich mich auf die Dokumentation und den Prozess konzentrieren.“ Es folgt ein Gefühl: „Ich habe mich entlastet, erleichtert und unterstützt gefühlt.“ Den Abschluss bildet eine Erläuterung dazu, woher die positiven Gefühle kommen, gerne auch kombiniert mit einer Dankesformulierung: „Danke, dass du meine Bedürfnisse nach Unterstützung und Mitgestaltung erfüllt hast.“

Daran zeigt sich: Auf individuelle Bedürfnisse einzugehen bedeutet mehr, als nur eine Leistung mit einem dahingemurmelten „Gut so“ zu bedenken. Anerkennung im Beruf zu er­fahren heißt letztlich auch, als Mensch anerkannt zu werden.

Das deckt sich mit der Einschätzung des Wirtschaftspsychologen Sichler. Für ihn ist Anerkennung im Beruf nicht zuletzt deshalb wichtig, weil diese einen Prozess der Identitätsbildung in Gang bringen könne, und dies gehe „mit der Ausbildung von Professionalität, beruflicher Identität und organisatorischer Rollenidentität einher“.

Sichler zufolge kann auch Kritik Teil der beruflichen Anerkennung sein – immerhin ist sie nur möglich, indem man zunächst einmal sieht, dass da etwas vorhanden ist, mit dem man sich kritisch auseinandersetzt. Anders gesagt: Wer Widerspruch äußert, zeigt wahrscheinlich mehr Anerkennung als jemand, der eine Person und ihre Handlungen schlicht ignoriert. Denn es gibt wenig, was kränkender und frustrierender ist, als keinen Unterschied zu machen.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 6/2022: Die Zeit, als alles neu war