Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden im Jahr 2013 170 00 Ehen geschieden. Die durchschnittliche Ehedauer betrug bei der Scheidung 14 Jahre. Die Hälfte der geschiedenen Ehepaare hatte Kinder unter 18 Jahren. Insgesamt waren 136 00 minderjährige Kinder betroffen. Scheidung ist somit eine alltägliche Erfahrung. Viele haben sie selbst erlebt. Trotzdem tun Trennungen weh, und eine Scheidung zählt zu den schwierigeren Problemen, die manche im Laufe ihres Lebens lösen müssen. Da sie so vieles betrifft…
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Problemen, die manche im Laufe ihres Lebens lösen müssen. Da sie so vieles betrifft – die Gefühle, das Denken, die Lebensgewohnheiten, den Umgang mit dem Partner in einer länger andauernden Konfliktsituation sowie die möglichen finanziellen und rechtlichen Folgen –, fordert sie die Betroffenen auf mehreren Gebieten gleichzeitig heraus. Deshalb kann sie auf den ersten Blick überwältigend und einschüchternd wirken. Auf der anderen Seite kann eine Trennung aber auch zu einem Crashkurs in Sachen Persönlichkeitsentwicklung werden, wenn man bereit ist, die Herausforderung anzunehmen und dazuzulernen, besonders was das Lösen von komplexen Problemen sowie den Umgang mit schwierigen Gefühlen angeht.
Es ist kein Wunder, dass man nach einer Trennung die verschiedensten Gefühle erlebt. Es gehen einem alle möglichen Szenarien durch den Kopf. So kann es nicht ausbleiben, dass das Gefühlsleben in dieser Phase scheinbar verrücktspielt. Alles ist dabei: Wut, Trauer, Depression, Angst, Freude, Gelassenheit, Liebe. Das ist normal. Je nachdem ob jemand mehr zu Pessimismus oder Optimismus neigt, empfindet er stärker Sorge oder Zuversicht. Typisch ist jedoch, dass man beides erlebt: sowohl Zukunftsangst als auch Hoffnung.
Auch das Verhältnis zum Expartner ist in dieser Phase (oder auch später noch) ambivalent. Mal steht der Verlust im Vordergrund, mit der Folge, dass man Trauer, Kummer und Leid spürt. Dann überwiegen wieder Vorstellungen, dass man mit so einer Person nichts mehr zu tun haben will, und dazu begleiten einen Emotionen wie Zorn, Verbitterung, Empörung oder Groll.
Das normale Leben geht weiter
Die gemischten Gefühle können schnell vorübergehen oder längere Zeit anhalten. Es ist jedoch nicht die Zeit allein, die hier Wunden heilt. Die Betroffenen können sehr viel dazu beitragen, beispielsweise dadurch, dass sie die Gedanken nicht zu sehr in die Vergangenheit oder Zukunft abschweifen lassen, sondern sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Es ist leichter, den gegenwärtigen Moment zu bewältigen als die wilden Fantasien über die kommenden Jahre.
Es ist okay, über negative Dinge nachzudenken – aber nicht den ganzen Tag. Es ist normal, sich schlecht zu fühlen – aber nicht die ganze Zeit. Die Scheidung kann das Leben beherrschen – aber nur vorübergehend. Was in Erörterungen von Scheidungen und ihren Folgen regelmäßig zu kurz kommt, ist die Tatsache, dass es neben dem Trennungsschmerz, egal wie gering oder groß er ist, ein normales Leben gibt.
Was ist mit „normalem Leben“ gemeint? Es geht um so einfache Dinge wie dafür zu sorgen, dass man genug Ruhe und Schlaf bekommt – falls man mal eine Nacht nicht schlafen kann, macht das aber auch nichts –, dass man regelmäßig isst und trinkt und sich ausreichend bewegt. Dies sind alles Dinge, die die Gesundheit fördern und die jeder sowieso tun sollte. Leider vernachlässigen einige diese Grundlagen, wenn sie gestresst sind. Sie essen dann zu viel oder zu wenig, gehen nicht mehr spazieren oder treiben keinen Sport mehr und wälzen im Kopf immer wieder dieselben Probleme, statt abzuschalten und zu schlafen. Was noch macht dieses „normale Leben“ aus? Zum Beispiel die Familie und Freunde zu treffen, ins Kino und zum Friseur zu gehen, einen Roman zu lesen, lange Spaziergänge mit dem Hund zu unternehmen, mit den Katzen zu spielen, aber natürlich auch den Beruf weiter auszuüben und die Kinder zu betreuen. Gerade vom Beruf und den Kindern sagen viele, dass sie ihnen geholfen hätten, über die Trennung hinwegzukommen. Das liegt daran, dass die Arbeit, die Kinder, aber auch der Hund uns „zwingen“, relativ normal weiterzumachen, also einzukaufen, zu kochen und die Aufgaben im Beruf zu erledigen. Das lenkt ab. Ablenkung steht zu Unrecht in einem schlechten Ruf. Es wird, geleitet von einseitigen psychologischen Theorien, so getan, als wolle man sich vor dem Problem drücken. Aber das ist hier nicht gemeint. Vielmehr geht es um die Aufrechterhaltung der Lebensrhythmen und die Beibehaltung der alltäglichen Rituale. Sie geben dem Körper und der Seele die notwendige Stabilität, gerade auch in Krisenzeiten. Deshalb gilt es, sie zu pflegen, statt sie zu vernachlässigen.
Eine neue Einstellung zur Scheidung finden
Eine neue Einstellung lässt sich nicht von einer Sekunde auf die andere entwickeln. In so kurzer Zeit ist es zwar möglich, einen einzigen stressauslösenden Gedanken zu entschärfen, aber man muss darauf gefasst sein, dass der nächste gleich um die Ecke lauert. Und das sieht so aus: „Ich komme einfach nicht darüber hinweg, was X mir angetan hat.“ Wenn man merkt, dass diese Überlegung einem nicht guttut, gilt es gedanklich umzuschalten: „Doch, ich komme darüber hinweg. Es dauert nur länger, als mir lieb ist.“ Dieser Gedanke dürfte sich für die meisten besser anfühlen als die deprimierende erste Idee.
Aber schon taucht der nächste Stressgedanke auf: „Ich werde mit meinem Geld nicht mehr auskommen und alles verlieren.“ So kann man kontern: „Tatsache ist, dass ich weniger Geld haben werde. Das heißt aber nicht, dass ich alles verliere. Ich werde mich nur etwas einschränken müssen.“
Es ist erstaunlich, wie viele beunruhigende Vorstellungen man in kürzester Zeit produzieren kann. Man sollte sich nicht davon irremachen lassen, sondern Ruhe bewahren, indem man jedem dramatisierenden Gedanken einen realistischen entgegensetzt.
Mit der Zeit lässt der Irrsinn nach. Man kann diesen Prozess unterstützen und vertiefen, indem man die übertrieben negativen Überlegungen aufschreibt, zum Beispiel auf der linken Seite eines Notizbuchs, und sie, auf der rechten Seite, durch vernünftige, auf Tatsachen und Wahrscheinlichkeiten basierende Ansichten ersetzt. Man wird schnell feststellen, dass sich unter den Stressvorstellungen ein paar „Klassiker“ befinden, die sich ständig wiederholen.
Stressgedanken und ihre Alternativen
Man könnte glauben, dass Menschen unendlich erfinderisch darin sind, sich mit ihrem Denken das Leben schwerzumachen. Dem ist aber nicht so. Tatsächlich existieren nur ein bis zwei Dutzend irrationale Sichtweisen:
Alles oder nichts: Dieses Schwarz-Weiß-Denken verzerrt die Realität – und macht unglücklich. „Er/Sie hat mich nie geliebt.“ – „Immer geht mir alles daneben.“ – „Keiner versteht meinen Schmerz.“ Mit Begriffen wie nie, immer, alles, keiner übertreibt man. Die Alternative dazu ist ein Sowohl-als-auch. „Er/Sie hat mich sowohl liebevoll als auch lieblos behandelt.“ – „Manchmal geht mir etwas daneben.“ – „Einige verstehen mich, andere nicht.“
Das Gute abwerten: Der Expartner macht bei der Regelung des Zugewinns (des während der Ehe erworbenen gemeinsamen Vermögens) Zugeständnisse, die er aufgrund der Rechtslage nicht machen müsste. Dennoch lässt man kein gutes Haar an ihm. Das Erfreuliche nicht gelten zu lassen, es herunterzuspielen, ist eine weitere Möglichkeit, sich unnötigerweise unglücklich zu machen.
Ungünstige Vergleiche ziehen: Überall sieht man glückliche Paare. Man selbst scheint die einzige geschiedene Person zu sein. Doch: Einerseits weiß man nicht genau, ob die Paare, die man für glücklich hält, es wirklich sind. Andererseits geht es vielen mit Sicherheit schlechter als einem selbst. Deshalb: Sich möglichst nicht mit anderen vergleichen!
Viele Betroffene betrachten Trennung und Scheidung als eine Katastrophe. Aber ist sie das wirklich? Unter einer Katastrophe versteht man unvorhergesehene Geschehnisse mit verheerenden Folgen, beispielsweise Erdbeben oder Tsunamis mit Tausenden von Toten. Eine Scheidung erfüllt keines dieser Kriterien. Die Folgen sind nicht verheerend, sondern allenfalls vorübergehend belastend. Während man bei Naturkatastrophen oft noch Jahrzehnte später sehen kann, was sie angerichtet haben, lassen sich die Folgen einer Scheidung begrenzen und neutralisieren. Nicht selten sind die Konsequenzen sogar positiv. Von einer Katastrophe kann man dergleichen nicht behaupten.
Eine der sinnvollsten Möglichkeiten, das Beste aus einer Trennung zu machen, ist diese: sich zu überlegen, wie man in Zukunft gerne leben möchte, was man aus der zu Ende gegangenen Partnerschaft lernen kann, und dann nach vorne zu schauen und diese Zukunft Schritt für Schritt zu erschaffen. Aus der Vorstellung eines guten Lebens können Sie die Kraft ziehen, eine unbefriedigende Gegenwart besser zu ertragen. Das Schlechte geht vorüber. Sie sind auf dem Weg in eine bessere Zukunft.
Thomas Hohensee hat in bisher 16 Büchern auf Grundlage der rational-emotiven Verhaltenstherapie gezeigt, wie ein stressfreies Leben gelingt. Er lebt als Autor, Seminarleiter und Coach für Persönlichkeitsentwicklung in Berlin. www.thomashohensee.de
Renate Georgy ist Autorin, Coach und Seminarleiterin in Berlin. Sie war als Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht über 25 Jahre lang erfolgreich in eigener Praxis tätig.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem aktuellen Buch der beiden Autoren, das soeben unter dem Titel Zufrieden geschieden. So machen Sie das Beste aus Ihrer Trennung im Scorpio-Verlag, München erschienen ist. Lesen Sie zu diesem Thema auch den Beitrag „Späte Scheidung“ in Heft 4/2016.