Die Last der Alleinerziehenden

Auf den ersten Blick funktionieren Alleinerziehende. Doch sie haben erhöhte Suizid-, Raucher- und Depressionsraten. Wie kommt es so weit?

Eine alleinerziehende Mutter sitzt vor ihrem Computer im Homeoffice, daneben ihre kleine Tochter, die sich an die Mutter lehnt, die ihr fürsorglich den Kopf küsst
Meist unfreiwillig geschehen ist Alleinerziehung ein fragiles Konstrukt – für Elternteil und Kind. © przemekklos/photocase.de

Als Eva Brühl schwanger ist und Frauen mit Kindern auf der Straße sieht, denkt sie, dass ihr Leben mit Kind so unbeschwert weitergehen wird wie bisher, nur eben mit Kind. Ehe ihre Tochter zur Welt kommt, kann sie sich sogar vorstellen, alleinerziehend zu sein. Sie studiert. Die Beziehung zu dem Freund ist von Anfang an fragil. Zwei Urlaubssemester später ist die angehende Kulturwissenschaftlerin auf sich allein gestellt. Der Anfang von „vielen grauenvollen Jahren“, sagt sie rückblickend.

Vor allem ihre…

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rückblickend.

Vor allem ihre finanzielle Lage ist prekär. Der Vater des Kindes zahlt keinen Unterhalt. Sie hat kein eigenes Einkommen. Deshalb beginnt sie, Praktika für rund 800 Euro im Monat anzunehmen, in Vollzeit. Das Geld reicht nicht. Brühl, die eigentlich anders heißt, muss zusätzlich Sozialhilfe beantragen. Sieben Jahre später lebt sie in einer neuen Beziehung, dieses Mal in der festen Hoffnung, dass diese hält. Doch kurz nach der Geburt ihrer zweiten Tochter trennt sich der Partner. Nun steht sie allein mit zwei Töchtern da. „Ich war vollauf damit beschäftigt, arbeiten zu gehen, mich um die beiden Kinder zu kümmern, wegen der Jobwechsel umzuziehen und vor allem dauernd Anträge auszufüllen.“ – Unterhaltsvorschuss, Wohngeld, Sozialhilfe und immer wieder bangen, ob die Beschäftigung endet.

Von Anfang an ist sie an jedem Tag die Letzte, die ihre Kinder aus der Kita abholt. Sie erinnert keine Krankheiten, nicht von ihr selbst und nicht von ihren Töchtern. „Sie durften nicht krank werden – und ich erst recht nicht.“ Aber Brühl erinnert sich an ihre Nervenzusammenbrüche, wenn ihr Fahrrad platt war, weil sie das Geld für ein Ticket mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht hatte. Sie habe geschrien, am Ende ihrer Kraft.

Ein-Eltern-Familien werden immer häufiger

Heute ist ihre jüngere Tochter 16 Jahre alt. Und Eva Brühl engagiert sich als Mitglied des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter für andere Alleinerziehende. Deren Häufigkeit steigt in ganz Europa und ist hierzulande in den vergangenen Jahren „überproportional gewachsen“, so der Monitor Familienforschung, eine Publikation des Familienministeriums. Knapp 20 Prozent der Familien mit minderjährigen Kindern sind demnach Ein-Eltern-Familien. Überwiegend sind die Alleinerziehenden Frauen.

Die Erhebungen der Familienministerien haben sich bisher darauf konzentriert, die ökonomische Verwundbarkeit der Ein-Eltern-Familien herauszustellen. „Sie sind international gesehen unter der armen und armutsgefährdeten Bevölkerung die hervorstechende Gruppe“, sagt der Soziologe Wolfgang Erler vom Ulmer Forschungsinstitut Anakonde. Fast die Hälfte ist auf staatliche Unterstützung angewiesen. Ein Drittel hat weniger als 1100 Euro monatlich zur Verfügung. Das liegt auch daran, dass der andere, nicht alleinerziehende Elternteil häufig keinen Unterhalt zahlt. Das Geld einzuklagen ist in Deutschland kompliziert und dauert oft jahrelang.

Studien zur psychischen Gesundheit der Alleinerziehenden gebe es in Deutschland kaum, schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI)– übrigens anders als zu anderen benachteiligten Gruppen wie Zugewanderten oder Senioren. Die Familienforschung fokussiert sich seit langem auf das Wohl der Kinder nach der Trennung, was seine Berechtigung hat. Aber die Vernachlässigung der Eltern entschuldigt es nicht.

Radarausschläge

Dem RKI fiel die Gruppe der Alleinerziehenden jedoch im Gesundheitsradar auf. In einer Befragung von knapp 12000 Personen beklagten Alleinerziehende mit 26,3 Prozent innerhalb eines Jahres deutlich häufiger Rückenschmerzen als in Partnerschaft lebende Mütter. Das nährte einen Verdacht: Rückenschmerzen haben oft seelische Ursachen oder sind zumindest psychisch mitbedingt. Liegt es am Stress der Alleinerziehenden?

Das RKI befragte also nochmals knapp 10000 Frauen und gut 6000 Männer, die mit mindestens einem minderjährigen Kind im eigenen Haushalt lebten. Nur ein kleiner Teil der Befragten war alleinerziehend. Die Epidemiologen erkundigten sich nach der Häufigkeit von Depressionen, des Rauchens, nach Rückenschmerzen, Übergewicht und Sport. Und sie fragten, ob die Alleinerziehenden regelmäßig zu den Zahnarztvorsorgeuntersuchungen gingen. Das Bild war eindeutig: Alleinerziehende Mütter litten viel häufiger unter Depressionen, sie rauchten wesentlich mehr. Sie machten weniger Sport. Sie plagten mehr Rückenschmerzen. Und sie gingen seltener zwecks Vorsorge zum Zahnarzt. Die Gruppe alleinerziehender Väter war im Vergleich dazu klein, fiel jedoch auch mit mehr Depressionen auf. Alleinerziehende Väter ließen ebenfalls seltener die Zähne untersuchen und rauchten viel mehr als Väter in einer Partnerschaft. In dieser Erhebung wurde zudem erstmals klar: Der sozioökonomische Status allein erklärte die Last für die Gesundheit nicht. Die angespannte finanzielle Lage, obwohl oft im Zentrum der öffentlichen Diskussion, ist beileibe nicht der einzige Stressor.

Empathie und Tatkraft fehlen

Der Arzt Matthias Franz vom Klinischen Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsklinik Düsseldorf ist einer der wenigen Forscher hierzulande, die die seelische Lage von Ein-Eltern-Familien in den Blick genommen haben. 2003 warnte er zum ersten Mal vor deren psychischer Belastung. Er hatte 531 Mütter interviewt. Diese waren umso gestresster, je geringer die soziale Unterstützung ausfiel. „Mangelnde Empathie und Tatkraft des sozialen Umfelds sind ein Kernproblem“, sagt Franz. Erhöhten Nikotin- und Alkoholkonsum sieht er als vermeintliche Ventile dagegen. Sie aktivieren das Belohnungssystem im Gehirn, „ein trügerischer Ersatz für fehlende Zuwendung aus Beziehungen“, so Franz. Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie leiden alleinerziehende Eltern zwei- bis dreimal so häufig unter Depressionen wie andere Eltern. „Das Problem ist, dass wir mit diesen Erkenntnissen bei den Ministerien kein Gehör finden“, klagt Franz. „Es ist politisch nicht opportun, weil man suggerieren möchte, dass man in diesem Land glücklich in jeder erdenklichen Form leben kann.“ Und weiter: „Aber wenn die Kleinfamilie als kleinstes soziales Atom zerfällt, müssen andere Strukturen geschaffen werden, um Kinder in psychischer Gesundheit großziehen zu können.“

In Schweden erforscht die Gesundheitswissenschaftlerin Sara Fritzell seit fast zwanzig Jahren die seelische Verfasstheit der Alleinerziehenden. Sie bedauert: „Auch in unserem modernen Land sehen wir diese massive seelische Belastung bei Alleinerziehenden – von den Suizid- bis zu den Depressionsraten.“ Aber: Bei Alleinerziehenden, die sowohl in Arbeit sind als auch gut sozial unterstützt werden, verschwinden diese beiden „Lebensgefahren“ statistisch vollständig.

„Arbeitslosigkeit allein erklärt nur einen kleinen Teil der Benachteiligung“, sagt Sara Fritzell. Sie beruft sich dabei auf ihre Studie an rund 6500 Alleinerziehenden im Vergleich zu in Partnerschaft Lebenden in Italien, Großbritannien und Schweden. In allen drei Ländern wies sie einen starken statistischen Zusammenhang zwischen Alleinerziehendsein und Arbeitslosigkeit nach. Die Belastungen potenzieren sich und sind deshalb gleichsam ein schwarzes Loch für die psychische Gesundheit.

Fritzell hat viel unternommen, um die Zusammen­hänge genauer auszuleuchten: Warum sind Alleinerziehende so exponiert? Und wann wird es erträglich? „Auf den ersten Blick kann man fast immer den Eindruck haben, dass Ein-Eltern-Familien gut mit der Situation zurechtkommen“, sagt sie. Die Erwachsenen klagen nach außen kaum, bringen ihre Kinder zur Kita, scheinen zu funktionieren. Der Grund ist aber nicht selten, dass sie keine andere Wahl haben: „Dieses funktionale Bewältigen der Situation“ dürfe nicht über die enormen Belastungen hinwegtäuschen, die deutlich ihre psychische Gesundheit verschlechterten, so drückt es ihr deutscher Kollege Matthias Franz aus.

Ich bin eine Kämpfernatur

Der Ulmer Professor und Psychotherapeut Harald Gündel, der viele Alleinerziehende behandelt, berichtet aus seiner Erfahrung: „Oft erlebe ich Personen, die aufgrund der immensen Aufgaben rund um die Uhr automatisch laufen. Fragt man dann, wie es ihnen geht und ob Raum für eigene Bedürfnisse da ist, kommen diese nicht vor. Es gibt keinerlei Inseln der Regeneration. Sie landen völlig erschöpft bei uns.“ Alles allein zu schultern, nie und nicht einmal eine halbe Stunde Pause zu haben zehrt an ihren Kräften. Permanent fremdbestimmt zu sein, sich eben um die Bedürfnisse und Nöte der Kinder kümmern und Geld verdienen zu müssen belastet sie zusätzlich. Kommt es zu längeren Krankheiten, Schulproblemen oder Konflikten mit den Kindern, haben Alleinerziehende keinen Partner, mit dem sie ihre Sorgen und das Vorgehen besprechen könnten. Die Verantwortung bei Schwierigkeiten allein übernehmen zu müssen kann psychisch stark belasten. Sobald Familienmitglieder, meist die Großmütter, bei der Erziehung und Betreuung mithelfen – seltener Freunde oder Nachbarn –, schwindet die Belastung. Soziale Unterstützung bedeutet „miterziehen“.

So wird verständlich, dass die Schwedin Sara Fritzell in einer ihrer Studien herausfand, dass Alleinerziehende nicht unbedingt weniger Freunde haben – aber sie haben zu wenig Freunde, die ihnen unter die Arme greifen. „Es gibt ein unangemessenes ,Auf-Abstand-Gehen‘ hierzulande gegenüber Menschen, denen es nicht so gut geht“, sagt Franz. „Man sagt: ,Hallo! Und wie geht‘s?‘ Aber helfen? Das dann doch nicht.“

Peter Riester, sein Name ist geändert, hat wenigstens in dieser Hinsicht Glück: Seine Eltern stehen ihm momentan bei, seine Tochter großzuziehen, nachdem seine Frau von einem Tag auf den anderen in den Kaukasus, ihre Heimat, aufgebrochen war. Ihr Kind ließ sie zurück. Sie litt unter einer psychischen Krankheit, berichtet Riester. Der Print- und TV-Journalist bezieht nun HartzIV und wohnt seit Monaten bei seinen Eltern. Riester hofft auf einen Wiedereinstieg in den Beruf, nachdem er – nach vielen Behördengängen – endlich einen Platz in einer Kita an seinem Wohnort in Berlin gefunden hat. Aber Drehtermine über mehrere Tage wie vor der Geburt der Tochter werde er auf absehbare Zeit nicht mehr bewerkstelligen können. Deshalb sucht er nach einer Halbtagsstelle.

„Ich bin eine Kämpfernatur“, sagt er. Das Verschwinden seiner Frau habe allerdings einen Burnout mit sich gebracht. Er verlor zehn Kilogramm, ohne es zu merken, und ist nun deutlich untergewichtig.

Der Einfluss des Ex-Partners

Unterstützung kann natürlich auch vom ehemaligen Partner kommen. Bringt dieser sich kooperativ und verlässlich ein, ist der Stress für Alleinerziehende wesentlich geringer und die seelische Gesundheit erheblich besser, konnte Sara Fritzell nachweisen.

Unter 755 Müttern hatten jene in intakten Partnerschaften im Schnitt die beste Gesundheit. Frauen, die mit einem neuen Partner eine Stieffamilie bildeten, waren in vergleichbarer Verfassung. Mütter, die ihr Kind im Wechselmodell mit dem Kindsvater versorgten, lagen zwar nicht gleichauf, schnitten aber deutlich besser ab als Mütter, die die Erziehung fast allein schulterten. Bei einem Wechselmodell waren die Frauen häufiger berufstätig. Eine kooperative Beziehung mit dem ehemaligen Partner federte die Bürden zusätzlich deutlich ab.

Wenn der Trennungskonflikt indes weiterschwelt, Absprachen nicht möglich sind oder nicht eingehalten werden, mitunter auch Streit und Rachefeldzüge andauern, kann das sogar noch belastender sein als ein abwesender Partner, warnt Therapeut Gündel. „Das kostet Energie und löst negative Gefühle aus. Die verursachen Stress und chronischer Stress ist ja die Ursache für mehr Krankheit und eine schlechtere Gemütslage bei Alleinerziehenden.“

Fiona Gehrmann, auch sie heißt in Wirklichkeit anders, ist eine jener Alleinerziehenden, die sogar sagen: „Wenn der Konflikt mit meinem Ex nicht wäre, wäre es eigentlich okay.“ Ihr Sohn komme von den Besuchen beim Vater oft völlig übermüdet und ohne Rucksack zurück, da sich ihr Ex-Mann nicht um diese Dinge kümmere. „Ich muss alles doppelt kaufen und die nächsten Tage sind so anstrengend, dass die kindfreie Auszeit mich zusätzlich schlaucht. Und das, obwohl meine Mutter mir sehr hilft.“ Über Anwälte streiten sich die beiden Elternteile um den Umgang mit dem Kind. Das kostet nicht nur Nerven, sondern auch viel Geld. Gehrmann muss deshalb phasenweise zusätzlich zu ihrer Teilzeitstelle jobben. Beruflich kann sie sich sowieso nicht mehr so verwirklichen wie vor der Geburt. Wenn ihre Tochter krank ist, ist sie allein verantwortlich; Dienstreisen sind deshalb kaum noch möglich. Nun plant sie, ihren Traumberuf in der Kulturbranche aufzugeben und Lehrerin zu werden – weil sie alleinerziehend ist. „Wir sehen, wie groß der Einfluss von Kooperation und Konflikt zwischen den Eltern ist. An diesem Punkt müsste der Staat wirklich Mediation anbieten, um mehr tragfähige Modelle zu etablieren“, fordert Fritzell, die schwedische Forscherin.

Die Berichte von Eva Brühl, Peter Riester und Fiona Gehrmann verweisen auf ein anderes, bisher nie untersuchtes Problem: Alle drei wechselten den Beruf oder die Stelle infolge des Alleinerziehendseins. Beruf und Familie lassen sich nicht unter einen Hut bekommen. Wenn bei Paaren schon manchmal Urlaube getrennt nötig sind, um bei Krankheiten und zwölf Wochen Schulferien für die Kinder da zu sein, ist der alltägliche Salto für Mütter und Väter, die ganz allein erziehen, kaum noch zu schlagen.

Der Staat: zurückhaltend

Zwar bietet der Staat einige Hilfen, aber Erfahrungsberichten zufolge sind die Hürden dafür hoch. Eva Brühl wurde mehrfach der Unterhaltsvorschuss ad hoc verweigert, da das Jugendamt pauschal unterstellte, dass das Alleinerziehendsein vorgetäuscht sein könnte. „Der ewige Krieg mit den Behörden ist meine schlimms­te Erinnerung“, sagt sie. Auch der alleinerziehende Vater Peter Riester erzählt von zahllosen Behördengängen und Telefonaten, ehe er mithilfe des Jugendamtes aus der Ferne einen Kitaplatz für seine Tochter in Berlin bekam. Laut Franz kein Einzelfall: „Man wirft den Alleinerziehenden hierzulande noch Knüppel zwischen die Beine, statt ihnen zu helfen. Sie müssen auch genauso hohe Steuern zahlen wie in Partnerschaft lebende Personen. Das ist nicht gerecht und in den Nachbarländern anders geregelt.“ Die Einforderung von Unterhalt sei in Deutschland, verglichen mit anderen Ländern, besonders langwierig und nicht selten langfristig erfolglos.

Gibt es in all dem Schlechten auch Gutes am Alleinerziehendsein? In der Forschung dominiert der defizitäre Blick. Obwohl Brühl eine besonders hohe Last des Alleinerziehendseins trug, bringt sie von allen drei Protagonisten als Einzige mehrere Vorzüge vor. „Wenn die Väter die Kinder tatsächlich nahmen, hatte ich manchmal wirklich kindfrei. Das war toll, von Freitag- bis Sonntagabend ganz frei zu sein.“ Auch schloss sie sich früh über Vereine und Institutionen mit anderen Alleinerziehenden zusammen. „Wir verreisten mehrere Male mit einer Gruppe Alleinerziehender. Sich alles von der Seele reden zu können, Erfahrungen auszutauschen und viele toughe Frauen kennenzulernen, war eine Bereicherung.“ Und sie konnte, betont sie, obwohl sie gefühlt für ihre Kin­der zu wenig da war, ihre eigenen Werte weitergeben – Zwist in Erziehungsfragen, wie in Partnerschaften durchaus üblich, gab es nicht.

Allein erziehen im Lockdown

Die Erfahrung unserer Autorin Susanne Donner

Ich bin vollständig alleinerziehend und umsorgte von März bis Juni also vorrangig meine Töchter, die vier und fünf Jahre alt sind. Natürlich musste ich aber auch arbeiten, überwiegend als freie Journalistin. Kurze Mails konnte ich im Beisein meiner Kinder erledigen, auch mal ein Telefonat – sorgsame Recherchen, lange Interviews und das Schreiben von Texten jedoch nicht. Ich hatte drei Kinderbetreuerinnen, allerdings sagte die Jüngste darunter nach zwei Wochen aus Angst vor einer Coronainfektion ab. Eine andere, hauptberuflich Kitaerzieherin, erschien an einem Vormittag alkoholisiert. Für Recherchereisen und Tanzunterricht (in kleinem Umfang arbeite ich auch als Tänzerin) bin ich schon länger auf Kinderbetreuerinnen angewiesen und Denkwürdiges dieser Art gewöhnt. Es ist das Schwierigste an meiner Lebenslage, auch ohne Corona.

Wunderbarerweise hat mich eine enge Freundin sehr couragiert unterstützt. Sie kümmerte sich jeden Freitag vier, fünf Stunden um meine Töchter. Trotzdem war all das ein Notbehelf: Es kann nicht lange gutgehen, nur 10 bis 15 Stunden pro Woche und nachts zu arbeiten – mit entsprechender Einkommenseinbuße und zusätzlichen Ausgaben für die Kinderbetreuung, etwa 500 Euro im Monat.

Die Einkäufe, die ich vorher teils auch mit den Kindern erledigt hatte, machte ich nun allein: Im Supermarkt hatte uns eine Kundin beschimpft, weil meine Töchter angeblich den Abstand nicht eingehalten hätten. In anderen Läden sollten sie vor der Tür warten, nahe der Straße. Die Drogeriemarktkette dm hängte sogar ein Schild an die Eingangstüren, dass nur ein Mitglied je Familie eintreten dürfe.

Dass ich mich hätte dreiteilen können und vom Aufstehen bis zum Zubettgehen immer noch viel zu tun gehabt hätte, war mit weitem Abstand der größte Stressor in dieser Zeit. Belastend war auch, dass das Ende dieser Phase lange unabsehbar war. Ich hatte vom Stress bereits beidseits entzündete Ellbogen. Erleichternd war dann die plötzliche Nachricht, dass Alleinerziehende ihre Kinder wieder in die Kita geben durften.

Manchmal wurde ich gefragt, ob die gesperrten Spielplätze uns belastet hätten. Das war für uns eher marginal. Wir haben Gänseblümchenketten geflochten, zwei bis drei Kilometer lange Stadtspaziergänge gemacht, die Gehwege mit Kreide angemalt. Meine Mutter hat angefangen, Videos für uns zu machen. Das war etwas Schönes in dieser Zeit.

Quellen:

Bo Burström, Sara Fritzell: Health inequalities between lone and couple mothers and policy under different welfare regimes - the example of Italy, Sweden and Britain. Social Science and Medicine, 70/6, 2010, 912-20. DOI: 10.1016/j.socscimed.2009.11.014.

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Sara Fritzell u.a.: Child living arrangements following separation and mental health of parents in Sweden. SSM Population Health, 10/100511, 2020. DOI: 10.1016/j.ssmph.2019.100511

Sara Fritzell, Michael Gähler: Family Structure, Child Living Arrangement and Mothers' Self-rated Health in Sweden-A Cross-Sectional Study. International Journal of Health, 47/2, 2017, 298-311. DOI: 10.1177/0020731416685493

Sara Fritzell, Francesca Vannoni : Does non-employment contribute to the health disadvantage among lone mothers in Britain, Italy and Sweden? Synergy effects and the meaning of family policy. Health Place, 18/2, 2012, 199-208. DOI: 10.1016/j.healthplace.2011.09.007

Sara Fritzell, Gunilla Ringbäck Weitoft: From macro to micro: the health of Swedish lone mothers during changing economic and social circumstances. Social Science & Medicine, 65/12, 2007, 2474-88.

Petra Rattay u.a.: Gesundheit von alleinerziehenden Müttern und Vätern in Deutschland. Journal of Health Monitoring, 2/4, 2017, 24-44. DOI: 10.17886/RKI-GBE-2017-112

Gunilla Ringbäck Weitoft: Mortality among lone mothers in Sweden: a population study. Lancet, 355/9211, 2000, 1215-9.

Zum Weiterlesen

Matthias Franz u.a.: Psychological distress and socioeconomic status in single mothers and their children in a German city. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology, 38/2, 2003, 59–68

Petra Rattay u.a.: Gesundheit von alleinerziehenden Müttern und Vätern in Deutschland. Journal of Health Monitoring, 2/4, 2017, 24–44. DOI: 10.17886/RKI-GBE-2017-112

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2020: So gelingt Entspannung