Beim letzten Weihnachtsfest waren es vor allem die Haustiere: „Da hat der mir doch tatsächlich eine Katze geschenkt, obwohl der doch weiß, dass ich eine Tierhaarallergie habe“, oder: „Ich kann Hunde nicht leiden, das war doch eigentlich klar“ – solche Sätze hat Peter Kaiser, Familientherapeut und Professor im Ruhestand im Arbeitsbereich Psychologie und Pädagogik der Uni Vechta, Anfang dieses Jahres oft gehört.
„Geschenke sind ständig Thema in den Therapiegesprächen“, sagt er. „Teilweise beklagen sich die…
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er. „Teilweise beklagen sich die Leute noch Jahre später, wenn jemand etwas in ihren Augen völlig Unpassendes geschenkt oder sich nicht ausreichend bedankt hat.“
Selbst über nichtverschenkte Geschenke gibt es immer wieder Gesprächsbedarf in Kaisers Praxis, zum Beispiel wenn Geschwister zwar vereinbaren, dass diesmal niemand etwas mitbringt, der Bruder aber insgeheim doch ein Geschenk erwartet. Oder sich nicht an die Vereinbarung hält, etwas mitbringt und die Schwester dann ertragen muss, mit leeren Händen dazustehen.
Sich Geschenkfragen zu entziehen ist also so gut wie unmöglich, sofern man irgendwelche sozialen Kontakte pflegt. Aber was genau passiert beim Schenken, dass solche Situationen so heikel werden?
Starker Reiz für das Gehirn
Ob wir uns über ein Geschenk freuen oder deshalb tief enttäuscht sind, entscheidet unser Gehirn innerhalb von Millisekunden. Geschenke nehmen wir ähnlich wie eine Belohnung wahr – für unser Gehirn ein starker Reiz. Allerdings wird er schon beim Blick auf die Verpackung ins Verhältnis zu unseren Erwartungen gesetzt. „Das Gehirn codiert relativ, nicht absolut. Wir freuen uns also nicht über jedes Geschenk nur aufgrund der Tatsache, dass wir etwas erhalten haben“, sagt Louisa Kulke, Professorin für neurokognitive Entwicklungspsychologie an der Uni Erlangen-Nürnberg.
Wenn uns der Partner mit einem tollen Reisegutschein überrascht, sind unsere Gehirnzellen also heftig am Feuern. Entsprechend der Bewertung des Reizes werden wir überschwemmt von positiven Emotionen. Umgekehrt funktioniert das allerdings ähnlich: Wenn wir eine Reise erwartet haben, aber einen Weihnachtsstern von der Tankstelle bekommen, feuern unsere Zellen schon, bevor wir den Blumentopf überhaupt entgegengenommen haben – entsprechend dem Abgleich mit der Erwartung löst der Reiz aber dieses Mal Wut oder Enttäuschung aus. „Im schlimmsten Fall bewertet unser Gehirn das Geschenk sogar als Bestrafung“, sagt Kulke.
Fast schon tröstlich klingt da die Erkenntnis, dass die Enttäuschung weniger stark ist, wenn uns der Partner jedes Jahr einen Weihnachtsstern von der Tankstelle überreicht. „Wenn wir bekommen, was wir erwarten, sind die Reaktionen weniger stark“, sagt Kulke. „Allerdings kann es natürlich immer sein, dass man insgeheim hofft, doch etwas anderes zu bekommen.“ Ebenso gilt das allerdings auch, wenn man jedes Jahr den anfangs überraschenden Reisegutschein bekommt: Irgendwann ist er Standard.
Soziale Regeln beim Schenken
Überraschungen haben also das größte Potenzial zum Ausnahmegeschenk – im Guten wie im Schlechten. Das erklärt auch, warum wir uns über Kleinigkeiten im Alltag manchmal mehr freuen als über Geschenke an Festtagen, zum Beispiel wenn jemand unverhofft Schokolade auf den Schreibtisch gelegt hat oder man eine Urlaubspostkarte im Briefkasten findet.
„In solchen Situationen haben wir meistens keine Erwartungen“, sagt Louisa Kulke, deshalb erzielten diese kleinen Überraschungen oft große Wirkung.
Richtig kompliziert ist Schenken vor allem bei den Personen, die uns nahestehen. „Es gibt eine Vielzahl an sozialen Regeln beim Schenken. Das Problem ist, dass die meisten dieser Regeln nirgendwo niedergeschrieben sind“, sagt Peter Kaiser.
Eine lautet zum Beispiel, dass Geschenke zwar theoretisch eine freiwillige Gabe sind, die keine Gegenleistung erfordert, es in der Praxis aber ganz anders aussieht. „In den meisten Fällen gibt es eine Pflicht zum Schenken und Annehmen, weil beides nicht ohne Sanktionen vernachlässigt werden kann“, sagt Kaiser.
Kulturunterschiede
Nur – woher weiß man, wann man diese Pflicht erfüllen sollte und wie? Einige Regeln geben gesellschaftlich-kulturelle Gegebenheiten und der Anlass vor: Sektflasche zur Beerdigung überreichen? In Deutschland ein Tabubruch. Sektflasche zum Geburtstag verschenken geht hingegen sehr gut – es sei denn die Beschenkten trinken keinen Alkohol, zum Beispiel aus religiösen Gründen. Auch Beziehung, Geschlecht, Alter und Rolle sind von Bedeutung: Der Freundin Ohrringe zu Weihnachten schenken, könnte funktionieren. Als Chefin einem Azubi Ohrringe zum Einstand überreichen, würde wahrscheinlich zu Irritationen führen.
Bedeutet das in der Folge, dass man am besten offen nach Wünschen fragen sollte, um einen Fauxpas zu vermeiden? „Auch das kann negativ sein, wenn beim Gegenüber die soziale Regel gilt, dass Geschenke eine Überraschung sein müssen“, sagt Peter Kaiser.
Wer die Codes der Community kennt, ist also klar im Vorteil, übrigens auch als die Person, die das Geschenk bekommt: In individualistischen Gesellschaften wie der deutschen ist es eher akzeptiert, Emotionen wie Freude oder Enttäuschung über ein Geschenk zu zeigen. In manch anderen Ländern sollte man damit lieber hinter dem Berg halten.
So gilt es in asiatischen Gesellschaften als Affront, Geschenke vor den Augen der Schenkenden zu öffnen. Der Gesichtsausdruck könnte Enttäuschung verraten und die schenkende Person brüskieren. Wird das Geschenk erst später geöffnet, können hingegen beide ihr Gesicht wahren. Schließlich schaut man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul, man will ja nicht als undankbar erscheinen.
An den Vorlieben orientieren
Denn auch darum geht es beim Schenken: „Dankbarkeit ist Teil der Abfolge von Gegenseitigkeit und stiftet als solche ,Überlebenswert‘: Sie erhält den Kreislauf von Geschenk und Gegengeschenk und trägt deshalb essenziell zur Bildung von sozialem Zusammenhalt und Gemeinschaft bei“, schreibt Aafke Komter von der Universität Rotterdam in ihrem Text Gratitude and Gift Exchange.
Im besten Fall können Geschenke also dazu beitragen, Beziehungen zu erhalten oder sogar zu intensivieren. Mit welchen Geschenken das besonders gut gelingt, haben Lara Aknin von der Fraser University und Lauren Human von der McGill University in Kanada erforscht. In ihrer Studie Give a piece of you: Gifts that reflect givers promote closeness schreiben sie, dass die meisten von uns etwas schenken oder bekommen möchten, das sich an den Vorlieben der zu beschenkenden Person orientiert.
In einer ihrer Untersuchungen drehten die Autorinnen den Spieß deshalb um: Sie baten Freiwillige, ein Lied für ihren Liebsten oder eine andere nahestehende Person auszuwählen und zu verschicken. Die Hälfte der Freiwilligen sollte sich dabei wie gewohnt am Geschmack des Empfängers oder der Empfängerin des Geschenks orientieren, die andere Hälfte sollte das Lied jedoch nach eigenen Vorlieben auswählen. Überraschenderweise bewerteten am Ende die Probandinnen und Probanden die Beziehung positiver, deren Lied auf den Musikgeschmack des Gebenden abgestimmt war.
Eine Erklärung dafür könnte sein: Orientiert man sich bei der Geschenkauswahl an der Empfängerin, gibt man damit auch preis, was man über sein Gegenüber denkt. Wenn das Fremdbild, das wir von ihr haben, mit ihrem Selbstbild übereinstimmt, wächst die Beziehung durch das Geschenk.
Offenbarung etwas Persönlichem
Geschenke zu finden, die passgenau das Selbstbild des Gegenübers bestätigen, ist allerdings schwierig. Wenn das Vorhaben scheitert und die Beschenkte die Gabe so interpretiert: „Mein Freund will mir mit dem Beauty-Set wohl sagen, ich sollte mich mehr stylen – ich finde mich ungeschminkt aber viel hübscher“, oder: „Mein Sohn schenkt mir einen Ratgeber über betreutes Wohnen. Dabei bin ich doch noch gar nicht so alt“, dann kann das Geschenk sogar kontraproduktiv für die Beziehung sein.
Orientiert man sich dagegen am eigenen Geschmack und offenbart mit dem Geschenk etwas Persönliches, wird das Selbstbild des oder der anderen nicht so leicht irritiert. Die Beziehung leidet nicht und wird im besten Fall sogar gefördert.
Man kann beim Schenken also auf volles Risiko setzen, sich an dem Empfänger oder der Empfängerin orientieren und viel gewinnen oder krachend scheitern. Oder man schenkt etwas, mit dem man Persönliches offenbart, und erhöht damit die Chance, dass das Geschenk zumindest keinen Schaden verursacht.
Vermutlich gilt das allerdings nur für Geschenke, die keine weiteren Verpflichtungen nach sich ziehen: Einen Hund zu verschenken kann eine sehr persönliche Botschaft bedeuten. Am Ende muss sich aber jemand um den Hund kümmern und das birgt – anders als die verschenkten Songs in der Untersuchung von Aknin und Human – weiteres Konfliktpotenzial.
Boshafte Geschenke
Aber vielleicht will man ja auch gar nichts „Passendes“ schenken und die Beziehung verbessern – die Motive fürs Schenken sind schließlich vielfältig. Ein Geschenk kann ausdrücken, dass man jemanden mag. Genauso gut kann es aber bloße Pflichterfüllung sein, „erzieherische Maßnahme“, Mitleid, der Versuch der Beeinflussung oder sogar Korruption.
Wie boshaft Geschenke gemeint sein können, zeigt ein Blick in die Sprachgeschichte: Die Wörter „Gabe“ und „Gift“ sind sprachlich verwandt. Anfangs bedeuteten beide „Geschenk“, später verlagerte sich die Bedeutung von „Gift“ im Deutschen zu „negativer Gabe“, weil im Mittelalter Feinde mit vergifteten Gaben – zum Beispiel in Form eines Trunks – aus dem Weg geschafft wurden. Der „eingeschenkte Trunk“ wurde irgendwann zum Wort „Geschenk“.
Aber auch ohne Angst vor Gift im Glas kann es sein, dass man lieber nichts geschenkt bekommen möchte. Ob es jemandem leichtfällt zu schenken oder beschenkt zu werden, hängt letztlich auch von der Persönlichkeit ab: Schon die Studie von Aknin und Human mit den verschenkten Songs hat gezeigt, dass Geschenke schlechter ankommen, wenn sie nicht zum Selbstbild des oder der Beschenkten passen.
Schenken lernen
Und zu dem gehört natürlich auch der Selbstwert: „Menschen mit niedrigem Selbstwert tun sich schwer, sich von anderen etwas schenken zu lassen. Sie halten sich nicht für wert, belohnt zu werden. Wenn die Fremdeinschätzung dann anders ist als die Selbsteinschätzung, kann ein Geschenk eine Verweigerungshaltung auslösen“, sagt Peter Kaiser.
Patentlösungen für solche Situationen gibt es nicht. Es lässt sich aber auf jeden Fall ein Weg finden, davon ist Kaiser überzeugt: „Man kann Schenken lernen, indem man Achtsamkeit und soziale Empathiefähigkeit trainiert“, sagt er.
Vielleicht hilft es also am meisten, das konkrete „Geschenkthema“ mal beiseitezulassen und allgemein etwas für seine Persönlichkeitsentwicklung zu tun, gewissermaßen als Präventionsmaßnahme für Geschenksituationen, zum Beispiel bei der örtlichen Volkshochschule, bei einer kleinen Auszeit oder bei einem Coach. Das sollte man sich selbst gönnen und auf einen Gutschein für den Partner verzichten. Die Termine für paar- und familientherapeutische Gespräche sind schließlich rar nach Weihnachten.
Literatur
Aafke Komter: Gratitude and Gift Exchange. In: Robert A. Emmons, Michael McCullough (Hg.): The Psychology of Gratitude. Oxford University Press, New York 2004 (S. 195–212)
Mario Stephan: Geschenkt! Vom Schenken und seinen gesellschaftlichen Zwängen in der Konsumgesellschaft. Tectum, Marburg 2010