Die Lizenz zur Sünde
Wir tun Gutes. Damit, so glauben wir, haben wir uns die Erlaubnis zu unmoralischem Handeln erkauft
Der Bürgerkrieg in der Region Darfur im Westen Sudans zählt zu den größten Katastrophen der vergangenen Jahre. Mehrere Hunderttausend Menschen sind bei den Kämpfen gestorben, mehrere Millionen wurden aus ihren Dörfern vertrieben. Das rüttelte auch über eine Million Nutzer des riesigen sozialen Netzwerks Facebook auf – jedenfalls ein bisschen. Sie traten einer Darfur gewidmeten Onlinegruppe bei, wo Mitglieder spenden und neue Mitglieder werben konnten. Doch 72 Prozent gewannen keinen einzigen neuen Anhänger, und weit über 99 Prozent spendeten
keinen Cent. Diese traurige Bilanz zog ein Team um den Soziologen Kevin Lewis von der University of California in San Diego, als die Forscher 2014 die gesammelten Daten auswerteten. „Facebook hat eine Illusion von Aktivismus hervorgezaubert, aber keinen wirklichen“, kommentieren die Untersucher bitter. Andere Wissenschaftler tauften solches rein symbolische Helfertum „Faulenzerismus“ (slacktivism).
Hilfsorganisationen können ein Lied singen von billig zu habender Hilfsbereitschaft dieser Sorte. So startete UNICEF Schweden 2013 eine sarkastische Kampagne. „Liked uns auf Facebook, und wir werden null Kinder gegen Polio impfen“, höhnt eine Anzeige. Ein Video zeigt einen dunkelhäutigen Jungen in einer armseligen Behausung. Er macht sich Sorgen, so krank zu werden wie seine Mutter, sodass sich niemand mehr um seinen kleinen Bruder kümmern könnte. Doch er hat Hoffnung: „Heute hat UNICEF Schweden 177 00 Likes auf Facebook. Vielleicht haben sie im Sommer 200 00 geschafft. Dann sollten wir keine Sorgen mehr haben.“
Zwar lässt sich nicht ausschließen, dass die Maushelden woanders tatsächlich aktiv werden. Aber psychologische Experimente im Labor und im echten Leben belegen, dass es viele gern bei rein symbolischem Engagement belassen. Kirk Kristofferson von der Arizona State University ließ am Eingang...
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