Keine Frage, die Frau auf dem Foto sah traurig aus. Doch wie sollte man sie nennen? Real existierende Namen schieden aus, das hatten die Versuchsleiter untersagt. Wie wäre es mit Odola? Oder Jomelane? Und der freundliche lächelnde Typ auf dem nachfolgenden Bild? Vielleicht Edigadin? Oder gar ein extra langes Tririsinidadamini? Den 65 Probanden am Psychologie-Lehrstuhl der Universität Erfurt waren bei der Länge ihrer Namenserfindungen keine Grenzen gesetzt. Genauso wenig wie bei der Zusammensetzung der…
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Grenzen gesetzt. Genauso wenig wie bei der Zusammensetzung der Buchstaben. Und doch zeigten sie eine klare Tendenz: Bei den positiv gestimmten Gesichtern wählten sie als Vokal deutlich öfter das „i“ und bei den traurigen und wütenden deutlich öfter das „o“.
Heißt das also, dass Iris und Lisa schon allein wegen ihres Namens positivere Emotionen bei ihren Mitmenschen hervorrufen als Roland und Mona? Dazu später mehr. Die beiden Leiter der Studie, Ralf Rummer, inzwischen an der Universität Kassel, und Judith Schweppe von der Universität Erfurt, interessiert bei ihrer psychologischen Spracherkundung etwas Grundsätzlicheres. „Es geht uns um die Frage, warum Menschen die Dinge so nennen, wie sie es tun“, erläutert Rummer. Es dreht sich also um den Kreißsaal der Sprache: warum Objekte wie „Sonne“, „Tisch“ und „Ozean“ genau so und nicht anders heißen und was bei der Entstehung dieser Begriffe eine entscheidende Rolle spielte.
Es sind Fragen, die schon die Philosophen des antiken Griechenlands faszinierten. Platon verfasste sogar eigens ein Werk dazu: Kratylos. Darin debattieren drei Männer – Kratylos, Hermogenes und Sokrates – über den Ursprung der Wörter. Die Eingangsthese lautet, dass jedem Benennbaren eine einzige objektive Benennung zukommt, die nicht kulturell bedingt, sondern für alle Menschen gültig ist. Und zwar unabhängig von deren Sprache, weil es eine „natürliche Richtigkeit der Wörter“ gibt, die man auch überprüfen könne. So trügen Sokrates und Kratylos ihre Namen zurecht, doch der von Hermogenes sei nicht wirklich der seinige, auch wenn alle ihn so nennen. Das könne man, wie Sokrates süffisant-ironisch anmerkt, schon allein daran sehen, dass Hermogenes ziemlich pleite sei, obwohl er doch aufgrund seines Namens – abgeleitet von Hermes, dem Gott des Gewinns – genau das Gegenteil davon sein sollte.
Der solchermaßen auf die Schippe Genommene kontert mit der These, wonach jeder Mensch seine Privatsprache schaffen könnte, in der das Wort „Pferd“ genauso den Menschen bezeichnen könnte wie umgekehrt der Begriff „Mensch“ das Pferd. Sämtliche Wortbedeutungen seien, so Hermogenes, rein willkürlich festgelegt. Sie entsprängen lediglich einer Zuordnung, auf die man sich im Rahmen von Konventionen geeinigt habe. Was im Endeffekt bedeutet: Man muss nicht weiter danach suchen, was hinter den Wörtern steckt – denn da ist eigentlich nichts außer dem zufälligen Konsens, der zwischen den Menschen eines Sprachraums geschlossen wurde. „Die Linguistik hat sich später mehr oder weniger diesem Argument angeschlossen“, sagt Rummer.
Vibrierendes „r“, durchdringendes „i“
Dabei machte Sokrates seinerzeit schon auf einen interessanten Aspekt menschlicher Laute aufmerksam: dass sie nämlich bestimmte Wesenszüge der Dinge betonen. So vibriere beim „r“ die Zunge besonders stark, weswegen dieser Konsonant die unterschiedlichsten Bewegungen zum Ausdruck bringen könne. Sokrates gab als Beispiel das griechische rheín (fließen). Auf heutige deutsche Verben wie „rollen“ und „rutschen“ trifft das ebenfalls zu. Das „i“ hingegen, so Sokrates weiter, sei der Laut, der alles durchdringe, weswegen er besonders das Feine ausdrücken könne. Beim „d“ und „t“ werde hingegen die Zunge extrem zusammengedrückt und angepresst, so dass man mit ihnen das Unbewegte und Erstarrende aussprechen könne. Sokrates nennt in diesem Zusammenhang das griechische stasis (Stillstand). Wiederum trifft die Regel auch auf zeitgenössische deutsche Wörter wie „sitzen“ oder „Tod“ zu. Allerdings nicht auf „steigen“ oder „tanzen“.
Aber Sokrates hatte ja selbst den hypothetischen Charakter seiner Überlegungen betont. Nichtsdestoweniger inspirierten sie über zwei Jahrtausende später – Ende der 1920er – Wolfgang Köhler zu einem Experiment, das zu einem Meilenstein der modernen Sprachforschung werden sollte.
Takete und Maluma
Der deutsche Gestaltpsychologe legte seinen Probanden zwei Figuren vor: eine eckige, die an einen Stern erinnerte, und eine mit weich-runden Formen, die wie eine Wolke anmutete. Dann wurden die Testpersonen aufgefordert, sich aus zwei Fantasienamen – nämlich „Takete“ und „Baluba“, das in späteren Testreihen zu „Maluma“ wurde – denjenigen auszusuchen, der ihrer Meinung nach jeweils am besten zu einer der Formen passen würde. Dem eckig-sternenförmigen Gebilde wurde zu rund 90 Prozent „Takete“, dem rundlich-wolkenförmigen das Kunstwort „Maluma“ beziehungsweise „Baluba“ zugewiesen.
2001 wiederholte ein Team um den indischstämmigen Neurowissenschaftler Vilayanur Ramachandran das Köhler-Experiment. Allerdings ersetzte man dessen Kunstwörter durch „Kiki“ und „Bouba“, und man führte die Studie an US-Amerikanern und indischen Tamilen durch, also Probanden mit zwei völlig unterschiedlichen Muttersprachen. Trotzdem war das Ergebnis am Ende noch eindeutiger als bei Köhler: 95 bis 98 Prozent wählten für die kurvige Form das weiche „Bouba“ und für die eckig-sternige Form das härter und durchdringender klingende „Kiki“. Was Ramachandran zu dem Resümee veranlasste: „Das menschliche Gehirn ordnet offenbar den Formen und Klängen abstrakte Bedeutungen zu.“ Er sah in dieser Assoziierungsleistung einen wesentlichen Motor für die Evolution der Sprache, verfolgte dies aber nicht weiter. International bekannt wurde Ramachandran durch Arbeiten auf ganz anderen Feldern.
Doch er hatte einen Boom losgetreten. Immer mehr Wissenschaftler griffen den Forschungsfaden auf. So wurde der Kiki-Bouba-Effekt auch bei anderen Sprachen nachgewiesen, und kanadische Forscher entdeckten ihn bei Kleinkindern, die gerade mal zweieinhalb Jahre alt waren. Man braucht also kein höheres Abstraktionsvermögen, um „Kiki“ mit etwas Spitzem und „Bouba“ mit etwas Rundem zu verbinden.
Internationale Gemeinsamkeiten
Was jeder auch an sich selbst überprüfen kann. Denn für ein „Bouba“ formen wir den Mund zu einem runden Loch, während wir ihn für „Kiki“ eher zu einem vertikalen Schlitz verziehen. So etwas merkt und begreift auch ein Kind. Vorausgesetzt, dass es die Reize aus unterschiedlichen Kanälen wie Wortklang, Form und Mundmuskulatur verarbeiten kann. Autisten können das meistens nicht – und deswegen gibt es bei ihnen in der Regel auch keinen Kiki-Bouba-Effekt.
Weitere Studien zeigen überdies, dass der Mensch i-Wörter häufiger für Dinge benutzt, die kleiner, heller und enger sind, während „a“ und „o“ eher in Begriffen für etwas Großes, Dunkles und Weites auftauchen. Und wieder zeigten sich diese Zusammenhänge nicht nur für europäische und angloamerikanische Sprachen, sondern auch für Mandarin, Maori und sogar die afrikanischen Klicklaut-Systeme.
Selbst soziale Eigenschaften verbinden wir mit bestimmten Wortklängen. So denken wir bei weichen Namen wie „Molly“, „Lena“ und „Samuel“ eher an umgängliche Menschen als bei „Klara“, „Max“ und „Richard“, die wir mit kantigen und durchsetzungsstarken Typen in Verbindung bringen. Oldenburger Forscher erregten vor knapp zehn Jahren Aufsehen mit einer Studie, wonach Schülerinnen mit dem Namen „Celina“ schlechtere Noten bekommen als Schülerinnen mit dem Namen „Charlotte“. Als Erklärung vermutete man, dass Lehrer hinter „Celina“ ein Mädchen aus einer bildungsschwachen Familie wähnten. Betrachtet man jedoch den Klang der beiden Namen, könnte es auch sein, dass Pädagogen eine „Charlotte“ als durchsetzungsstark einschätzen und ihr deshalb bessere Noten geben, um keinen Ärger mit ihr zu bekommen.
Warum ein „ii“ glücklich stimmt
Doch so interessant all diese Studien auch sind: Geben sie wirklich Einblick in die Entstehungsgeschichte von Sprachen? Ralf Rummer bemängelt, dass man in den meisten Arbeiten entweder – mit uneindeutigen Befunden – bereits existierende Sprachen untersucht oder eben – wie bei Takete-Maluma und Kiki-Bouba – den Probanden zwei Kunstwörter vorschlägt, die dann zumeist zwei Objekten zugewiesen werden sollen. Von einer „natürlichen Benennungs- oder Verstehenssituation“, die halbwegs den Bedingungen zum Anfang der menschlichen Sprachentwicklung entspricht, könne da keine Rede sein, argumentiert der Psychologe.
Rummer und sein Team verfolgen daher den Ansatz, den Studienteilnehmern beim Benennen von Gegenständen mehr sprachlichen Freiraum zu lassen, während man bei ihnen bestimmte emotionale Zustände hervorzulocken versucht. Zum Beispiel zeigte man den Probanden fröhliche oder traurige Filmausschnitte, und dann bat man sie darum, sich zehn Kunstwörter auszudenken und sie laut auszusprechen. Auch hier fielen ihnen mehr Begriffe mit langem „ii“ ein, wenn sie positiv gestimmt waren, während ihnen bei negativer Erregung öfter das lange „oo“ in den Sinn und über die Lippen kam. Interessanterweise funktionierte dieser Mechanismus auch in umgekehrter Richtung: Als man die Probanden einen Comic lesen ließ, kam ihnen dieser viel komischer vor, wenn sie dabei sekündlich ein langes „ii“ ausriefen, als wenn sie ein langes „oo“ intonierten.
Wörter mit langem „ii“ oder langem „oo“ entspringen also nicht nur positiven oder negativen Emotionen, sie tragen auch ihrerseits zur Verstärkung eben dieser Emotionen bei. Doch wie kommt diese wechselseitige und dadurch besonders innige Verbindung zustande? Die Antwort darauf liegt laut Rummer vermutlich im Gesicht: in zwei Einheiten unserer mimischen Muskulatur.
Gesichtsmuskeln machen Gefühle
Demnach wird bei dem Artikulieren des i-Lautes der Musculus zygomaticus major aktiv, und das ist der gleiche Muskel, der uns zum Lächeln bringt. Nicht umsonst bitten Fotografen bei Personenaufnahmen um ein „Cheese“. Beim langen „oo“ dominiert hingegen ein Gegenspieler des Zygomaticus, der Musculus orbicularis oris. Werden nur dessen äußere Anteile kontrahiert, formen sich die Lippen zum Kussmund, was ja nichts Schlechtes sein muss. Doch seine entscheidende Funktion im Hinblick auf die Sprache ist: Er hemmt den Zygomaticus major und damit genau jenen Muskel, der das Lächeln über unsere Gesichter zaubert – und das hat Konsequenzen für unser Gefühlsleben.
Denn schon William James postulierte Ende des 19. Jahrhunderts, dass Emotionen wesentlich durch körperliche Veränderungen ausgelöst würden. Sein Satz „Wir sind traurig, weil wir weinen; wütend, weil wir zuschlagen; und haben Angst, weil wir zittern“ gehört zum historischen Zitatenschatz der Psychologie. Ein Jahrhundert später entdeckte der deutsche Sozialpsychologe Fritz Strack, dass seine Probanden einen Comic witziger fanden, wenn sie dabei einen Bleistift zwischen den Zähnen festhielten, so dass ihr Zygomaticus major angespannt war. Hielten sie hingegen den Stift nur mit den Lippen, waren sie weniger fröhlich, weil sie dazu ihren Orbicularis oris aktivieren mussten. Was bedeutet, dass selbst künstlich erzeugte Gesichtsausdrücke eine Rückkopplung auf das Gefühlsleben haben – und das sollte dann wohl auch auf die Mimik beim Sprechen zutreffen.
Obwohl Stracks Befunde inzwischen kontrovers diskutiert werden, weil sie sich in manchen Wiederholungsstudien nicht bestätigten, spricht vieles dafür, dass Emotionen eine große Rolle in der Evolution der menschlichen Sprache hatten und immer noch haben. Doch sicherlich gibt es auch Wörter, die auf eine ganz andere Entstehungsgeschichte zurückgehen, etwa die Lautmalereien: Ein Kuckuck verdankt seinen Namen wohl keinem Gefühl, sondern seinem typischen Gesang, und wenn ein Frosch quakt oder eine Diele knarrt, nennen wir das so, weil es sich eben genauso anhört. Und wenn die Großmutter ihrem Enkel von der „Muh“ im Bilderbuch erzählt, weiß man auch, woher die Kuh ihren Namen hat. Beim Erfinden dieser Wörter verhielt sich der Mensch nicht anders als ein Papagei: Er plapperte einfach nur nach, was er hörte.
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