So viel gute Laune habe ich nicht erwartet, nicht hier, in einer Klinik für junge Suchtkranke. Jan (der eigentlich anders heißt) ist 19 Jahre alt, wirkt aber ein bisschen jünger: schmal, blonder Seitenscheitel, Hipsterbrille und ein freches Grinsen im Gesicht. Ein ziemlich aufgeweckter junger Mann, mit dem man viel lachen kann. Erst wenn man länger mit Jan redet, merkt man, dass etwas nicht stimmt. Dass dieses Grinsen vieles überspielen soll, was gar nicht lustig ist. Denn in den letzten vier Jahren drehte…
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drehte sich in seinem Leben alles um Cannabis. Jan hat diese wichtige Zeit, in der man sich und die Welt entdeckt, bisweilen schon Weichen für den beruflichen Werdegang stellt und prägende Erfahrungen macht, eigentlich nur mit einem verbracht: mit Kiffen.
Mit 14 fängt es mit Zigaretten an. Jan gehört plötzlich dazu. Die Pausen verbringt er mit den „coolen Typen“ auf dem Raucherhof. Nach der Schule trifft man sich, um zusammen Gras zu rauchen. Zunehmend wird das zum zentralen Inhalt seines Tages. Andere Interessen sind abgemeldet. Frühere Freundschaften ebenso. „Ich wusste gar nicht, worüber ich mit anderen Leuten noch reden sollte.“
Der Stoff wird immer wichtiger; wenn er kein Gras hat, wird er nervös. „Ich bin morgens aufgestanden, habe meine Brille gesucht und mir direkt einen gebaut.“ In der Schule muss er auch während des Unterrichts immer öfter zur Toilette, um schnell einen Joint zu rauchen. Seine Lehrer tun so, als würden sie nichts merken. Auch Jans Mutter schaut weg. Erst als Jan zum zweiten Mal die Berufsschule abbrechen muss, schafft sie es, ihren Sohn von einem Entzug zu überzeugen.
Als Rauschmittel verboten
Während ich mit Jan spreche, kommen in mir eigene Erinnerungen hoch. Ich habe als Jugendliche und als Studentin selbst ab und zu Gras geraucht. Mir fallen ausgelassene, alberne Abende ein, an denen wir viel Spaß hatten. Aber auch stumpfsinniges Rumhängen mit Dauerkiffern, die sich nichts mehr zu sagen hatten. Zwei Freunde haben eine Schizophrenie entwickelt. Inzwischen ist meine eigene Tochter 14 Jahre alt. Was soll ich ihr sagen, wie gefährlich ist Cannabis wirklich?
Seit März 2017 ist Cannabis in Deutschland für medizinische Zwecke erlaubt, doch als Rauschmittel bleibt es weiterhin verboten. Anbau, Handel, Erwerb und Besitz sind strafbar – allerdings nicht der Konsum.
Die Zahlen aus den Umfragen zeigen: Jugendliche lassen sich von Verboten nicht abhalten. Der Schwarzmarkt blüht. Kritiker sprechen deswegen von einem Scheitern der bisherigen Drogenpolitik und fordern eine kontrollierte Abgabe, unter anderem für einen besseren Jugendschutz. Auch politisch stehen die Zeichen auf Legalisierung: Im Bundestag setzen sich die Oppositionsparteien Grüne, FDP und Linke für ein Ende des Verbots ein. Auch in der SPD gibt es viele Befürworter.
Und selbst in der Union zeigt man sich inzwischen offener für eine liberale Drogenpolitik. Vorreiter könnten die Stadtstaaten Berlin und Bremen werden. Sie wollen die kontrollierte Abgabe in Modellprojekten ausprobieren. Dagegen steht die Befürchtung, dass mit der Legalisierung eine Verharmlosung einhergehen könnte. Denn auch wenn Cannabis als „weiche Droge“ gilt: Harmlos ist sie für Jugendliche nicht.
Sogar der IQ schlafft ab
Jan hat nach ein paar Wochen in der Entzugsklinik das erste Mal nach vielen Jahren wieder einen klaren Kopf. Geblieben sind aber die Gedächtnisprobleme. An viele Sachen in seinem Leben kann er sich nicht mehr erinnern. Viele Tage seien einfach weg, erzählt er. Dabei sei es schon besser geworden: „Als ich jeden Tag gekifft habe, wusste ich nicht mal mehr, was gestern passiert war.“ Damit verbunden sind seine Konzentrationsschwierigkeiten. „Wenn ich ein Buch lese, weiß ich am Ende der Seite nicht mehr, was am Anfang stand. Das ist schon krass.“ Geblieben ist auch die Lustlosigkeit. Es fällt ihm schwer, aktiv zu werden, etwas anzugehen.
Jetzt muss Jan ganz von vorn anfangen und vieles nachholen. „Ich würde allein nicht klarkommen. Einkaufen, Zugfahren, einen Termin beim Arzt machen – damit bin ich komplett überfordert. Ich weiß überhaupt nicht, wie das geht.“ Er muss sich daran gewöhnen, morgens aufzustehen, einem geregelten Tagesablauf nachzugehen. „Unsere Arbeit läuft unter Rehabilitation“, sagt Gunter Burgemeister, der Leiter der Dietrich-Bonhoeffer-Klinik im niedersächsischen Ahlhorn, „doch was wir wirklich machen, ist vielfach ‚Habilitation‘: Die jungen Leute müssen viele Dinge zum ersten Mal lernen, die sie für ein selbständiges Leben brauchen.“
Eine bedenkliche Korrelation
Wie repräsentativ sind Jans Erfahrungen? Die Psychologin Eva Hoch von der Universität München hat mit Kollegen im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums einen Überblick über den derzeitigen Stand der Cannabisforschung erstellt. Die meisten Studien kamen zu dem Ergebnis, dass die Droge zu Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen führen kann. Hat der Konsum erst im Erwachsenenalter begonnen, bilden sich diese möglicherweise wieder zurück. Doch trifft das auch für Jugendliche zu?
Die umfangreichste Untersuchung zu dieser Frage gibt Grund zur Sorge: In einer Langzeitstudie untersuchten die Psychologin Madeline Meier und ihre Kollegen den Intelligenzquotienten von neuseeländischen Cannabiskonsumenten. Während sich der IQ der Kontrollgruppe ohne Konsum zwischen dem 13. und dem 38. Lebensjahr verbesserte, verschlechterte er sich bei den regelmäßigen Kiffern im gleichen Zeitraum um bis zu acht Punkte, und zwar umso stärker, je mehr sie konsumierten. Bei Erwachsenen, die mit dem Konsum aufhörten, normalisierte sich zwar der IQ – aber nur dann, wenn sie nicht schon als Teenager angefangen hatten. Offenbar kann Cannabis bei Jugendlichen also bleibende Schäden hinterlassen.
Das Psychoserisiko
Ich kann mich erinnern, wie unzerstörbar wir uns als Jugendliche gefühlt haben. Sorge um die Gesundheit? Darüber haben wir nur gelacht. Das einzige, wovor wir wirklich Angst hatten, war „hängenzubleiben“, vom Haschisch in eine Psychose abzurutschen. War diese Angst berechtigt? In den vergangenen zehn Jahren ist viel über den Zusammenhang zwischen Cannabis und Psychose geforscht worden. Unbestritten ist, dass Cannabis in hoher Konzentration eine kurzzeitige Psychose auslösen kann, die höchstens wenige Tage andauert: ein furchtbares Erlebnis, aber ohne langfristige Folgen. Unbestritten ist auch, dass bei Menschen, die Cannabis konsumieren, häufiger psychotische Störungen auftreten als bei Nichtkonsumenten: Wer regelmäßig oder sogar täglich einen Joint raucht, hat ein drei- bis fünffach erhöhtes Risiko zu erkranken. Tatsächlich konsumiert rund ein Drittel der Psychosepatienten zum Zeitpunkt der Ersterkrankung Cannabis.
Der Cannabiskonsum galt dabei lange als Auslöser der Erkrankung. Allerdings geht man inzwischen davon aus, dass bei psychotischen Störungen mehrere Faktoren eine Rolle spielen: eine genetische Veranlagung ebenso wie soziale und psychische Belastungen. Das bedeutet, dass es von vornherein eine individuelle Anfälligkeit geben muss. Cannabis könnte ein zusätzlicher Stressfaktor sein, „der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“, wie Eva Hoch es ausdrückt. Doch es bleiben Zweifel: Warum etwa ist die Zahl der Psychosefälle insgesamt nicht deutlich gestiegen, obwohl immer mehr Menschen kiffen?
Was zuerst da war, ist unklar
Neue Erkenntnisse kommen aus der Genetik. „Man hat inzwischen viele Gene identifiziert, die zu dem Risiko beitragen, eine Psychose zu entwickeln. Dadurch lässt sich nun das Verhalten der Menschen mit dieser genetischen Prädisposition betrachten. Und tatsächlich: Wer ein angeborenes Psychoserisiko hat, konsumiert mehr Cannabis und häufiger“, erklärt Derik Hermann, Psychiater und Chefarzt im Therapieverbund Ludwigsmühle in Landau. Mit anderen Worten: Möglicherweise gibt es gemeinsame Risikogene.
Zu diesem Ergebnis kam auch ein internationales Forscherteam um die niederländische Psychologin Joëlle Pasman. Die DNA von über 180000 Cannabiskonsumenten wurde mit der von Nichtkonsumenten verglichen. Dabei konnten acht genetische Variationen bestimmt werden, die den Autoren zufolge zu elf Prozent den Konsum erklären. Einige dieser „Cannabismarker“ stimmten mit genetischen Variationen überein, die auch mit einem Schizophrenierisiko in Verbindung gebracht werden. Mit einem speziellen statistischen Verfahren untersuchte das Team die genetischen Daten auf Kausalität. Tatsächlich zeigte sich dabei vor allem eine Wirkungsrichtung: das genetische Schizophrenierisiko als Ursache, der Cannabiskonsum als Wirkung.
Henne oder Ei? Vielleicht muss man von einem Dreiecksmodell ausgehen, wie es die britische Psychiaterin Suzanne Gage vorschlägt. Das heißt: Betroffen sind vor allem Menschen mit einer genetischen Veranlagung; wegen ihrer psychischen Labilität sind sie anfälliger für einen übermäßigen Konsum. In einer Art Selbstmedikation behandeln sie frühe Symptome mit Cannabis, doch der Drogenkonsum verursacht zusätzlichen seelischen Stress. Er kann möglicherweise eine psychotische Störung auslösen und anschließend die Genesung erschweren. Cannabis ist also für manche Menschen hochgefährlich.
Der lange Weg aus der Sucht
Man geht davon aus, dass das Gehirn gerade in der Entwicklungsphase während der Pubertät besonders empfindlich auf Cannabis reagiert. Grund sind körpereigene Botenstoffe, die ähnlich wie die Substanzen im Cannabis wirken. Diese sogenannten Endocannabinoide steuern während der Pubertät die Bildung und Reifung neuer Nervenzellen. Außerdem sorgen sie wahrscheinlich dafür, dass die neuen Nervenzellen in das richtige Netzwerk eingebaut werden, erklärt Derik Hermann. Doch „wenn man von außen THC oder andere Cannabinoide dazugibt, dann kommt es zu einer Störung dieser Entwicklung. Die Netzwerke werden falsch verdrahtet.“
Im Garten der Ahlhorner Suchtklinik komme ich mit Nelson ins Gespräch (auch sein Name wurde geändert). Er ist 22, in der Gruppe behandeln ihn die anderen wie einen großen Bruder. Er ist hellwach und redet schnell, denn Nelson hat viel zu erzählen. Mit 13 hat er angefangen. „Ich konnte den Hals einfach nicht vollkriegen.“ Er habe Unmengen Hasch geraucht, bis zu zehn Gramm pro Tag. Um sich das leisten zu können, dealte er selbst damit. Immer weniger habe er es ertragen, nüchtern zu sein. „Wenn ich einen Joint brauchte, aber gerade nichts hatte, bin ich sehr dünnhäutig und aggressiv geworden.“ Alles Unangenehme, alle Pflichten und Probleme rauchte Nelson einfach weg. Viele Freundschaften seien kaputtgegangen, weil er ständig bekifft war. Vom Gymnasium ist er in der 11. Klasse abgegangen. Und noch nie hatte Nelson eine längere Partnerschaft. „Eine Beziehung kann gar nicht funktionieren, wenn man alles verdrängt, was einem nahegeht.“
Was Nelson beschreibt, sind die klassischen Symptome einer Sucht. Dass Sucht selbst eine schwere psychische Krankheit ist, geht in der Diskussion über die Nebenwirkungen von Cannabis leicht unter. Dabei waren 2017 mehr als 8000 Minderjährige bundesweit wegen einer Cannabisabhängigkeit in Behandlung, davon fast ein Drittel stationär in einer Klinik. Die Sucht zu überwinden ist bei Cannabis wie bei allen Rauschmitteln, etwa Alkohol, ein langer, weiter Weg.
Therapie, nicht um clean zu werden
Immer wieder werden die Betroffenen rückfällig. „Das ist ein Teil der Krankheit, genauso wie man bei einer Staphylokokkensepsis 40 Grad Fieber bekommt“, sagt Klinikleiter Gunter Burgemeister. Früher habe ein Rückfall bedeutet, dass der Patient aus der Therapie fliegt. In Ahlhorn ist man dagegen darauf vorbereitet. Die Motivation, ein Leben ohne Drogen zu führen, ist hier nicht Voraussetzung der Therapie, sondern deren Ziel. „Keiner kommt hierher, weil er clean werden will. Grund ist eher, dass nichts im Leben mehr klappt“, so Burgemeister.
Fast die Hälfte der Ahlhorner Patienten ist nach dem Betäubungsmittelgesetz straffällig geworden, vor allem wegen Dealens, aber auch wegen Raubes, Diebstahls und Körperverletzung. Manche haben einen Teil ihrer Strafe abgesessen. Andere konnten sich gleich für eine Therapie statt Strafe entscheiden. Auch Nelson wurde verurteilt: über zwei Jahre Haft wegen Körperverletzung. Da war er 18 Jahre alt. Damals hatte er neben Cannabis immer häufiger auch Alkohol, Ecstasy und Kokain zu sich genommen. Oft war er in Schlägereien verwickelt. Einmal kam er mitten in der Nacht nach Hause und geriet in einen heftigen Streit mit seiner Mutter. Nelson rastete aus, zerschlug Möbel und Türen und verprügelte seinen besten Freund und seine Mutter. Neun Monate saß er in Haft. Das habe ihm die Augen geöffnet, meint er heute. Nie wieder wolle er da hin.
Legalisieren statt kriminalisieren?
Doch vielleicht hätte es gar nicht so weit kommen müssen. Nelson wünschte, er hätte früher Hilfe bekommen: „Es gab genügend Warnzeichen. Ich fehlte ständig in der Schule, ich wurde mit Waffen und mit Drogen erwischt. Aber bei der Suchthilfe meinten die nur: Alles nicht so schlimm.“ Klinikleiter Burgemeister kennt Geschichten wie die von Nelson zur Genüge. Als illegale Droge werde Cannabis gerne totgeschwiegen, meint er. „Ein Lehrer, der merkt, dass sein Schüler kifft, gerät in die Zwickmühle: Soll ich den Jungen kriminalisieren? Und dann wird lieber nichts unternommen.“ Ob Schulleiter, Lehrer oder Eltern – keiner wolle das Drogenproblem eines Jugendlichen gerne wahrhaben.
Burgemeister sieht daher in einer möglichen Legalisierung eine Chance, weil damit auch eine Enttabuisierung des Konsums einhergehen könnte. Ein effektiver Jugendschutz sei bei einer streng kontrollierten und regulierten Abgabe eher möglich als derzeit mit einem unkontrollierbaren Schwarzmarkt. Ein gutes Beispiel dafür sei Uruguay, wo registrierte Kunden seit 2017 staatlich angebautes Cannabis in der Apotheke kaufen können – zu einem Dumpingpreis, der den Schwarzmarkt langfristig austrocknen soll.
Legalität senkt die Konsumrate
In Europa zeigen die Beispiele Niederlande und Portugal, dass mit einer Liberalisierung nicht zwangsläufig mehr Drogen genommen werden. In Portugal ist der Besitz kleinerer Mengen Cannabis seit 2001 nicht länger eine Straftat. Die Zahl der Konsumenten – auch der jungen – ist dennoch unter dem europäischen Durchschnitt geblieben. In den Niederlanden wird der Cannabisverkauf in den sogenannten Coffeeshops toleriert. Dennoch ist der Anteil der Kiffer bei den 15- bis 34-Jährigen laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht mit 17,5 Prozent niedriger als beispielsweise in Frankreich, wo Cannabis streng verboten ist.
In den USA haben die Bundesstaaten Colorado und Washington im Jahr 2014 Cannabis legalisiert, inzwischen sind neun weitere Bundesstaaten hinzugekommen. Für seriöse Daten ist der Zeitraum noch zu kurz. Doch eine Tendenz zeichnet sich bereits ab: In den sogenannten legal states sank die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teenager regelmäßig Gras rauchte, offenbar um neun Prozent.
Zu diesem Ergebnis kommt eine im Fachmagazin JAMA Pediatrics veröffentlichte Studie, in der das Konsumverhalten von mehr als 1,4 Millionen Jugendlichen über einen Zeitraum von 15 Jahren beobachtet wurde. Hauptautor Mark Anderson geht davon aus, dass es für Jugendliche mit der Legalisierung schwieriger geworden ist, an die Droge heranzukommen – weil sie legal nur an Erwachsene ausgegeben wird. Ein weiterer Grund könnte sein, dass die neuen Gesetze die Aufmerksamkeit der Eltern erhöht haben, so dass sie mehr mit ihren Kindern über Drogen sprechen.
„Jugendliche wollen gefragt werden“
Eine Erklärung, die auch Katrin Petermann, Psychologin an der Berliner Fachstelle für Suchtprävention, für plausibel hält. Denn viele Eltern fühlen sich überfordert und schauen lieber weg. Die einen scheuen den Konflikt. Die anderen haben keine klare Haltung zu Cannabis, weil sie selbst schon den einen oder anderen Joint geraucht haben und sich lieber als „coole Kiffer“ denn als „spießige Trinker“ sehen wollen. Doch Eltern müssten Verantwortung übernehmen, mahnt Petermann: „Jugendliche brauchen klare Ansagen.“
Laut einer Umfrage der Fachstelle für Suchtprävention liegt in Berlin das Einstiegsalter für Cannabis bei durchschnittlich14 bis 15 Jahren. Das ist auch das Alter, in dem man das Gespräch mit den eigenen Kindern suchen sollte, meint Petermann. Eltern sollten deutlich die Gefahren ansprechen und Leitplanken setzen, etwa: Kein Cannabis vor 18. „Das heißt zwar nicht, dass die Jugendlichen das nicht ausprobieren werden. Doch sie haben dann im Hinterkopf, dass ihre Eltern das nicht wollen, und werden vorsichtiger sein“, sagt Petermann.
Aber nicht nur seine eigene Haltung sollte man deutlich machen, sondern auch Fragen stellen, um zu erfahren, in was für einer Lebensphase das eigene Kind gerade steckt, ergänzt ihre Kollegin Tina Hofmann. „Eltern fragen viel zu wenig nach. Vielleicht weil sie sich nicht trauen und denken, das sei Privatsphäre. Aber Jugendliche wollen gefragt werden. Sie wollen über ihre Erfahrungen sprechen. Dann entsteht automatisch ein Vertrauensverhältnis.“
Unangenehme aber wichtige Kommunikation
Beim Gespräch mit den beiden Präventionsexpertinnen fühle ich mich ertappt. Ich habe mich auch bisher davor gedrückt, mit meiner Tochter das Thema Cannabis anzusprechen. Jetzt erzähle ich ihr eines Abends von den Studien, die ich gelesen habe, und von den Risiken vor allem für Jugendliche. Ein paar Tage später frage ich sie betont entspannt nach ihren eigenen Erfahrungen. Ich bin überrascht, wie freimütig sie mir von ihren Bekannten in den höheren Jahrgängen erzählt, von denen manche kiffen. Sie selbst scheint bisher wenig Interesse zu haben. Am Ende bitte ich sie nachdrücklich, bis 18 die Finger vom Cannabis zu lassen.
Denn davon loszukommen ist schwer. Jan und Nelson haben die Therapie in Ahlhorn schon einmal erfolgreich abgeschlossen. Beide wollten ein neues Leben beginnen, wieder zur Schule gehen und einen Abschluss nachmachen. Nelson erzählt, wie es dann aber anders kam und er draußen wieder in seine alten Muster gerutscht ist: „Ich dachte, ich kiff einfach mal einen am Wochenende. Und dann dachte ich, vielleicht auch mal unter der Woche, wenn ich früher Schluss habe. Ach komm, vor der Schule geht auch einer. Gut, dann auch in der Pause. Und irgendwann war Schluss mit der Schule.“
Nelson hat daraus gelernt. Wenn er mit der Therapie fertig ist, wird er es noch einmal probieren. In einer neuen Stadt, wo er niemanden kennt – keine Kiffer, keine Dealer. „Ich will mir endlich mal eine Chance geben“, sagt er.
Cannabis
Anteil der jungen Konsumenten (18–25 Jahre) in Deutschland: 40 Prozent
Anteil der Konsumenten bei Minderjährigen: 10 Prozent
Sichergestelltes Cannabis in Deutschland (2017): 9 Tonnen
Wert des in der EU verkauften Cannabis (2017): 11,6 Milliarden Euro
Anteil von Cannabis am europäischen Drogenmarkt: 39 Prozent
Wichtigste Anbauländer für den EU-Bedarf: EU, Albanien, Marokko
Zunahme des THC-Gehalts im EU-Durchschnitt: von 5 Prozent (2007) auf 10 Prozent (2017)
Quellen: Bundesamt für gesundheitliche Aufklärung, Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, Bundeskriminalamt
HILFEN
Das Programm quit-the-shit.net der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unterstützt beim Ausstieg aus dem Cannabiskonsum.
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen bietet eine sehr praxisnahe Broschüre für Eltern:
dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Broschueren/Rauschmittelkonsum_im_Jugendalter.pdf