Mehrere aufeinanderfolgende Tage im Monat fühlt sich Nina Busch, als sei sie jemand anderes. Eine Frau, die sie nicht wiedererkennt. Eine, die schnell wütend wird und traurig, die sich und das Leben infrage stellt, daran fast verzweifelt. „Eigentlich bin ich ein besonnener Mensch“, sagt Busch. „Aber in diesen Tagen habe ich das Gefühl, ich bin wie ausgewechselt, als wäre ich ein Zombie.“
In diesen Tagen fragt sich Busch, ob ihre langjährige Beziehung, in der sie eigentlich glücklich ist, noch Sinn macht.…
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Sie zieht sich zurück, sagt Treffen mit Freundinnen und Freunden ab. Gegen diese Teilnahmslosigkeit – sie nennt sie „emotionale Armut“ – kommt sie nicht an. Gleichzeitig reagiert Busch extrem sensibel auf ihr Umfeld: „Wegen Nichtigkeiten könnte ich anfangen zu weinen.“
Busch will sich aus diesem emotionalen Sumpf herausziehen, aber sie schafft es nicht. Stattdessen macht sie sich Vorwürfe, entwickelt selbstzerstörerische Gedanken: Ich halte mich nicht mehr aus. Ich werde meinen Kindern nicht gerecht. Ich falle allen nur noch zur Last.
Hoher Leidensdruck
Die 36-Jährige leidet an einer PMDS. Die prämenstruelle dysphorische Störung ist die schwerste Form des prämenstruellen Syndroms (PMS, siehe Definitionskasten), dabei stehen die psychischen Beschwerden im Vordergrund, die den Alltag der Betroffenen enorm beeinträchtigen. Doch im Gegensatz zum PMS ist sie kaum jemandem ein Begriff, auch den meisten Medizinern nicht. Und das, obwohl rund fünf Prozent aller Frauen im reproduktiven Alter darunter leiden könnten. Allein in Deutschland wären das über 750000 Menschen.
Von Wut und Angst bis Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit – bei vielen Betroffenen ist der Leidensdruck enorm. Nina Busch spricht von „ungeahnten Tiefen“, in die sie während ihrer Zyklen stürzt, von einem „generellen Weltschmerz“, der sie überkommt. Manchmal hält diese Phase zwei Tage an, manchmal eine ganze Woche. Bei Einsetzen der Blutung verschwinden die Symptome schlagartig.
Das ist typisch bei einer PMDS. Die Beschwerden treten nur in der zweiten Zyklushälfte auf, also zwischen Eisprung und Einsetzen der Menstruation. In diesen durchschnittlich zwei Wochen steigt das Hormon Progesteron an, die Östrogenkonzentration sackt hingegen erst einmal ab und macht dann noch einmal einen Ausschlag nach oben. Diese starken Hormonschwankungen sind natürlich und ganz normal, doch Frauen mit einer PMDS reagieren besonders sensibel darauf.
"Ich habe Angst vor mir selber bekommen"
Manche Experten erklären dies mit einer Störung im zentralen Serotoninstoffwechsel. Denn Östrogen und Progesteron können im Gehirn die Übertragung von Serotonin beeinflussen, und Untersuchungen haben gezeigt, dass bei PMDS-Patientinnen in der zweiten Zyklusphase bestimmte Serotoninrezeptoren nicht wie üblicherweise zunehmen.
Nina Busch fühlt sich in diesen Tagen vor dem Einsetzen der Menstruation zum einen depressiv und antriebslos. „Die Müdigkeit wird so heftig, dass ich nicht dagegen ankommen kann“, sagt sie. Arbeiten funktioniert nur noch mit großem Kraftaufwand. Zum anderen steigt eine empfindliche Gereiztheit in ihr auf. Ihrem Partner schleudert sie vor Wut die Post entgegen.
Als ihre kleine Tochter im Kinderwagen Faxen macht, fasst Busch sie gröber an als sonst, fährt sie an: „Du hörst jetzt auf!“ Einmal schwillt die Aggression so stark an, dass Busch in ein Zimmer geht, die Tür zuwirft und eine Packung Windeln auf den Boden wirft, um sich abzureagieren. Dabei ist sie normalerweise ein ruhiger, friedliebender Mensch. „Ich habe Angst vor mir selbst bekommen“, erzählt sie.
Fehldiagnosen durch mangelndes Wissen
Reizbarkeit, Wut und Kontrollverlust machen PMDS-Betroffenen am meisten zu schaffen, weiß Almut Dorn, Spezialistin für gynäkologische Psychosomatik. Sie ist eine von wenigen Psychologinnen in Deutschland, die mit PMDS vertraut sind. „Diese Symptome sind besonders zerstörerisch, weil sie Arbeit und Familie beeinflussen.
Es gibt Frauen, die plötzlich ihre Kinder schlagen, was sie sonst niemals tun.“ Woche für Woche bekommt Dorn in ihrer Hamburger Privatpraxis Anfragen aus ganz Deutschland. Frauen, die zu ihr finden, haben teils einen jahrelangen Leidensweg hinter sich. Einige wurden wegen Bipolarität oder psychotischer Zustände behandelt, haben mehrere Psychotherapien, teils auch Psychiatrieaufenthalte hinter sich.
Der Grund für die Fehldiagnosen oder das Übersehen der Problematik: Kaum ein Gynäkologe, eine Psychotherapeutin oder ein Psychiater in Deutschland kennt sich mit diesem Krankheitsbild aus. In der Ausbildung kommt es nicht vor, denn die Forschung zur PMDS ist noch relativ jung.
Aufnahme ins Diagnosesystem
Erst 2013 wurde sie als psychische Störung in das US-amerikanische Diagnosesystem DSM-5 aufgenommen. Demnach muss eine Reihe von Kriterien erfüllt sein, damit die Diagnose zutrifft. Im Kern müssen während der zweiten Zyklushälfte mindestens fünf von elf Symptomen vorliegen, die den Alltag der Betroffenen stark beeinträchtigen – diese reichen von körperlichen Beschwerden wie Gewichtszunahme bis hin zu psychischen wie Depressivität oder Angst. Mindestens eines der fünf Symptome muss psychisch sein.
Um herauszufinden, ob das zutrifft, führen Patientinnen über mindestens zwei Monate ein Zyklustagebuch. Nur so kann ausgeschlossen werden, dass es sich um eine andere psychische Erkrankung handelt. Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass sich eine Depression durch die Hormonbewegungen in der zweiten Zyklushälfte verschlimmert. Ist das der Fall, handelt es sich nicht um eine PMDS, sondern um eine prämenstruelle Exazerbation.
Während also in den USA die Diagnose PMDS offiziell anerkannt ist, taucht sie nicht auf in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten, die die Weltgesundheitsorganisation herausgibt und an der sich die meisten Länder bei Diagnosen orientieren – so auch Deutschland. Das wird sich jedoch bald ändern. In ihrer elften Auflage (ICD-11) wird die WHO die PMDS als gynäkologische Störung aufnehmen. Die ICD-11 soll 2022 in Kraft treten.
„Da müssen Sie halt durch“
Almut Dorn, die Hamburger Spezialistin für gynäkologische Psychosomatik, erhofft sich davon, dass das Krankheitsbild langsam Einzug in die Ausbildung der Mediziner-innen und Psychotherapeuten finden und damit mehr Menschen bekannt werden wird. „Es ist schwer, die Erkrankung abzugrenzen, wenn man zu wenig darüber weiß“, sagt Dorn, die fächerübergreifend mit Gynäkologinnen und Psychiatern zusammenarbeitet. Bislang bekämen viele Betroffene von ihren Frauenärzten noch zu hören: „PMS, da müssen Frauen halt durch.“
Laura Dietz, die in Wirklichkeit anders heißt, erging es bei ihrem Besuch beim Gynäkologen ähnlich: Sie erzählt ihm von extremen Stimmungsschwankungen, seitdem sie die Pille nach 15 Jahren abgesetzt hat. Davon, dass sie an manchem Morgen aufwacht und nicht weiß, wie sie den Tag überstehen soll. Dass sie sich nicht konzentrieren kann, in Selbstzweifel stürzt, komplett neben sich steht, wo sie doch sonst ein aktiver, sozialer Mensch ist.
Und sie schildert ihre Beobachtung, dass diese Tiefs nur in der zweiten Zyklushälfte auftreten, alles in einem Stimmungstagebuch dokumentiert. „Er hat mir die Pille oder Antidepressiva angeboten und mich recht schnell wieder aus dem Behandlungszimmer gekegelt“, sagt die 32-Jährige. „Ich wusste, ich komme hier nicht weiter, ich muss selbst weitersuchen.“ Sie findet schließlich eine Gynäkologin, die sich mit prämenstruellen Leiden auskennt und sie an Spezialistinnen weitervermittelt. Bald erfährt Dietz: Sie leidet an einer PMDS.
Affektiven Störungen und Hormonschwankungen
„Diese Diagnose war eine Erleichterung“, sagt sie. Denn von da an wusste sie: Die Phasen gehen jedes Mal vorüber. Diese Gewissheit macht es ihr leichter, damit umzugehen. In den zwei Wochen schaltet Dietz ein paar Gänge zurück, ist geduldig mit sich, achtet darauf, sich selbst Gutes zu tun.
Generell sind Frauen von affektiven Störungen, also solchen, die die Stimmung beeinflussen, stärker betroffen als Männer. Es ist doppelt so wahrscheinlich, dass sie in ihrem Leben eine Depression entwickeln, und dreimal so wahrscheinlich, dass sie einen Suizid versuchen. Das Risiko für beides steigt mit der ersten Periode und nimmt mit der Menopause wieder ab. Wissenschaftler sehen deshalb einen Zusammenhang mit den Hormonschwankungen in der reproduktiven Zeit, die bis zu vier Jahrzehnte andauert. Addiert man die Tage und Wochen der PMDS-Leiden, ergeben sich Jahre, in denen Betroffene enorm an Lebensqualität einbüßen, teils auch an Lebenswillen.
Viele entwickeln in diesen Phasen Suizidgedanken. Das seien meist keine konkreten Vorhaben, meint Psychologin Dorn, sondern vor allem Gedanken großer Hoffnungslosigkeit. Diese seien für die Betroffenen deshalb so verstörend, weil sie sich sonst als lebensfroh empfinden. Nach Angaben der Internationalen Vereinigung für Prämenstruelle Störungen (IAPMD) mit Sitz in den USA unternimmt fast ein Drittel der Frauen, die an PMDS leiden, in ihrem Leben tatsächlich einen Suizidversuch während der kritischen Zyklusphase.
Heftige Diskussionen
Zudem sind Frauen mit einer PMDS offenbar anfälliger dafür, im Lauf ihres Lebens andere psychische Erkrankungen zu entwickeln. Besonders nach einer Geburt oder während der Wechseljahre ist das Risiko dafür erhöht. Gleichzeitig haben Frauen, die bereits an einer psychischen Störung leiden, eine höhere Wahrscheinlichkeit, an einer PMDS zu erkranken.
Dass eine Störung, die auf dem weiblichen Zyklus beruht, als eigenständige Krankheit anerkannt wird, wurde in den USA heftig diskutiert. Kritikerinnen befürchteten, dass Frauen Nachteile davon haben könnten, etwa wenn es um den Beruf oder juristische Streitigkeiten wie das Sorgerecht geht. „Es ist gut, dass es die PMDS-Diagnose gibt“, meint Psychologin Katja Schmalenberger, die an der Universität Heidelberg zum Krankheitsbild forscht. „Denn ohne offizielle Diagnose wird das Leid dieser Frauen nicht anerkannt.“ Doch sie weiß auch, dass sich eigentlich viel mehr Frauen während ihres Zyklus quälen.
13 bis 18 Prozent der Frauen im reproduktiven Alter könnten unter schwerer prämenstrueller Dysphorie leiden, ohne alle Kriterien der DSM-5-Diagnose zu erfüllen, schreibt ein Team rund um Uriel Halbreich von der University at Buffalo. „Den Frauen, die durch das Raster fallen, könnte eine wichtige Diagnose vorenthalten werden“, meint die Wissenschaftlerin Schmalenberger. „Es reichen weniger als die vorgegebenen fünf Symptome, um großes Leid auszulösen.“
"Wie sehr man leidet, ist sehr subjektiv"
Hinter der Not dieser Frauen steckt mehr als Stimmungsschwankungen und Launenhaftigkeit, als welche prämenstruelle Symptome häufig abgetan werden. „Wie sehr man leidet, ist sehr subjektiv“, sagt Psychotherapeutin Dorn. Deshalb sei es wichtig, für jede Betroffene die passende Behandlung zu finden. Dabei sollten auch äußere Umstände berücksichtigt werden: Wie sehr beeinflussen die Symptome das soziale oder berufliche Umfeld? Kann sich die Patientin in den schwierigen Phasen zurückziehen oder ist das – etwa bei Frauen mit Kindern – nur schwer möglich?
Um eine PMDS zu behandeln, verfolgt Dorn die drei gängigsten Ansätze, die auch miteinander kombinierbar sind. Manchen Frauen hilft bereits eine psychotherapeutische Behandlung. Sie lindert zwar nicht die Symptome, unterstützt aber dabei, besser mit ihnen umzugehen. Eine weitere Möglichkeit ist, durch die Antibabypille Einfluss auf den Hormonhaushalt zu nehmen.
Die natürlichen Hormonausschläge werden abgemildert, so dass das psychische System nicht mehr auf starke Schwankungen reagieren muss. Möchte eine Frau die Pille nicht nehmen, etwa weil sie einen Kinderwunsch hat oder sie nicht verträgt, kann man direkt am psychischen System ansetzen. Hierzu werden Antidepressiva wie Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) eingesetzt.
Rasche Erfolge bei geringer Dosis
Studien haben gezeigt, dass SSRI die Symptome bei rund 60 Prozent der Betroffenen lindern. Während sie im Fall von Depressionen oder Angstzuständen einige Wochen brauchen, bis sie anschlagen, wirken sie bei PMDS meist schon nach einem Tag. Für die Forschenden unterstreicht das, dass es sich bei der PMDS und der Depression um unterschiedliche Erkrankungen handelt.
„Bei den SSRI erleben wir teils rasche Erfolge, und das mit sehr geringen Dosierungen“, sagt Dorn. Bei manchen Patientinnen verhindere das Antidepressivum die großen Ausschläge, bei anderen verschwänden die Beschwerden komplett. Doch die Skepsis sei groß, meint Dorn. „Viele haben Angst, dass diese Antidepressiva abhängig machen oder die Persönlichkeit verändern. Das tun sie nicht. Oft ist es einen Versuch wert, man kann sie auch wieder absetzen.“
Nina Busch hat gute Erfahrungen mit den SSRI gemacht. Durch die Tropfenform kann sie das Medikament so dosieren, wie es gerade nötig ist. Mittlerweile ist Busch so sensibilisiert, dass sie es erst einnimmt, wenn sie etwas aufkommen spürt. „Die Symptome werden stark gedämpft“, sagt sie.
Bei manchen Frauen schlagen die drei gängigen Methoden nicht an. Ihnen kann eine Hormonbehandlung helfen, die eine künstliche Menopause erzeugt. Damit der weibliche Organismus jedoch weiter funktioniert, müssen die Geschlechtshormone wieder künstlich zugeführt werden – was erneut Symptome verursachen kann. In einigen Fällen entscheiden sich Patientinnen deshalb dafür, die Gebärmutter samt beider Eierstöcke entfernen zu lassen und somit den Zyklus biologisch komplett zu unterbinden.
Grund zur Hoffnung
Warum manche Frauen eine PMDS entwickeln und manche nicht, darauf gibt es bislang keine Antwort. „Wir sind immer noch auf der Suche nach Gründen für die Hormonsensibilität“, sagt Wissenschaftlerin Schmalenberger. Traumatische Erlebnisse können die Anfälligkeit für eine PMDS erhöhen. So zeigen Studien, dass Frauen, die körperlichen oder sexuellen Missbrauch erlebt haben, mit Stimmungsschwankungen und Angstsymptomen auf Hormonveränderungen reagieren. „Wir nehmen an, dass der Organismus durch die Erlebnisse so erschüttert wurde, dass er die starken zyklischen Hormonschwankungen nicht abpuffern kann, sondern übermäßig sensibel auf sie reagiert“, sagt Schmalenberger.
Auch eine genetische Veranlagung ist nicht auszuschließen. Im Fall von Nina Busch ist das wahrscheinlich. Ihrer Mutter und Großmutter war es ähnlich ergangen – doch damals gab es weder einen Namen für diese extreme Form der Zyklusbeschwerden, noch wurden sie ernst genommen. Erst durch Buschs PMDS-Diagnose lässt sich annehmen, dass die Frauen der vorherigen Generationen ebenso sensibel auf Hormonbewegungen reagiert haben wie sie selbst.
Während der Blick zurück ernüchtert, gibt der nach vorne Grund zur Hoffnung. Die internationale Anerkennung als eigenständiges Krankheitsbild dürfte die PMDS unter Medizinern und Psychologinnen bekannter machen, eine Diagnose erleichtern, vielleicht auch der Forschung einen Schub verleihen. Und damit vielen Frauen der kommenden Generationen unnötiges Leid ersparen.
Prämenstruelles Syndrom
Schlaf- oder Verdauungsprobleme, Veränderungen des Appetits, Stimmungslabilität, Depressivität oder Ängste: Das sind nur einige der vielen verschiedenen Symptome, die beim prämenstruellen Syndrom auftreten können. Dieses trifft viele Frauen in der zweiten Zyklushälfte und kann sich wenige Tage oder die kompletten durchschnittlich zwei Wochen vor Einsetzen der Periode bemerkbar machen. Die prämenstruelle dysphorische Störung ist eine besonders schwere Form davon, sie wirkt sich vor allem auf die Psyche aus
Literatur
Tory Eisenlohr-Moul: Premenstrual disorders: a primer and research agenda for psychologists. The Clinical Psychologist, 72/1, 2019. DOI: 10.31234/osf.io/tw4bd
Informationsseite der International Association for Premenstrual Disorders: iapmd.org