In Wirklichkeit aber ist kein Ich, auch nicht das naivste, eine Einheit, sondern eine höchst vielfältige Welt, ein kleiner Sternenhimmel, ein Chaos von Formen, von Stufen und Zuständen, von Erbschaften und Möglichkeiten. […] der Mensch ist eine aus hundert Schalen bestehende Zwiebel, ein aus vielen Fäden bestehendes Gewebe.
So beschrieb Hermann Hesse im Steppenwolf das Spannungsfeld, in dem wir uns befinden. Einerseits brauchen wir eine gewisse Klarheit darüber, wer wir sind und was uns ausmacht: Wer bin ich? Was sind meine Wurzeln? Was hat mich geprägt? Worauf kann ich mich verlassen? Wir brauchen Antworten auf diese Grundsatzfragen, sonst taumeln wir richtungslos durch unseren Alltag.
Andererseits kann ein zu enges Identitätskorsett uns so sehr einschnüren, dass das Leben öde wird und sich wie eine Sackgasse anfühlt, die uns zuruft: „Hier geht’s nicht weiter. Bitte wenden.“ „Identität ist permanent in Entwicklung“, schreibt die Psychoanalytikerin Verena Kast in ihrem Buch Immer wieder mit sich selber eins werden. Immer wieder werkeln und basteln wir an unserem Lebensentwurf und am Selbstbild, misten aus, reißen ab, bauen an, entscheiden uns für einen neuen Anstrich. Wir tun gut daran, uns nicht über die Dauerbaustelle zu ärgern, sondern sie als Atelier zu betrachten, in dem Altes wieder lebendig werden und Neues entstehen kann, sobald die Zeit dafür reif ist.
„Wenn sich nichts mehr bewegt und wir innerlich stillstehen, reagiert unsere Psyche meist mit einer milden Depression“, sagt Verena Kast. Alles wird langweilig, freudlos und banal. Wir stehen morgens auf, funktionieren, spulen unser Programm ab, aber die Neugier, die wir normalerweise auf…
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