„Putzen gibt uns ein Höchstmaß an Kontrolle“

Saubermachen ist eine oft verkannte Tätigkeit und mehr als eine lästige Notwendigkeit. Es verdient mehr Wertschätzung, sagt Psychologin Annegret Wolf.

Die Illustration zeigt ein Paar, das auf einem grünen Sofa sitzt, während ein Mann das Sofa hochhebt und es darunter unordentlich ist.
Was als sauber erlebt wird, ist bei jedem etwas anders. © Shenja Tatschke

Frau Wolf, Putzen soll möglichst wenig Zeit einnehmen. ­Warum hat Saubermachen immer noch ein so schlechtes Image?

Ob man Putzen als lästig empfindet oder nicht, ist Einstellungssache. Dennoch: Wir müssen den ganzen Tag über Leistungen erbringen – und auch die Wohnung sauber zu halten empfinden wir als Aufgabe, als eine Art Leistung. Wegen des üblichen Alltagsstresses haben wir den Kopf dafür nicht richtig frei und fühlen uns vom Saubermachenmüssen unter Druck gesetzt. Viele von uns haben dafür auch keine…

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frei und fühlen uns vom Saubermachenmüssen unter Druck gesetzt. Viele von uns haben dafür auch keine feste Zeit in ihrem Alltag eingeplant, so dass das Putzen keine Routine ist.

In früheren Zeiten war es üblich, die Hausarbeit auf einen bestimmten Wochentag zu legen, heutzutage ist das kaum noch der Fall. Ich denke, dass man sich beim Putzen auch damit auseinandersetzen muss, dass man selbst die Unordnung und den Schmutz verursacht hat. Das ist nicht gerade angenehm. Außerdem: Richtig putzen will gelernt sein, damit es effektiv über die Bühne geht und es nach dem Wischen und Saugen einen Unterschied zum Vorher gibt.

Dabei tut Saubermachen uns gut?

Ja, Putzen, Aufräumen, Ausmisten haben nachweislich positive Auswirkungen auf unsere Psyche. Nicht nur weil es danach sauber und ordentlich ist, sondern weil wir ein Ziel erreicht haben. Dadurch werden Glücksbotenstoffe wie Dopamin und Serotonin freigesetzt. Ähnliches passiert auch beim Sport. Richtig durchwischen ist ja so etwas wie eine sportliche Aktivität.

Dann befinden wir uns beim Putzen und Aufräumen in einem Setting, das uns ein Höchstmaß an Kontrolle gibt. Die immer gleichen Abläufe und Handbewegungen haben etwas Entspannendes. Zudem gibt uns ein aufgeräumtes Zuhause das Gefühl von Sicherheit. Und wenn man sich nach getaner Arbeit erschöpft auf die Couch fallenlässt und zufrieden die blitzblanke Wohnung betrachtet, ist das ein schönes Gefühl.

Eine gewisse Routine kann dabei helfen, den Kopf freizubekommen?

Ja, denn Routinen und automatisierte Handlungsabläufe geben uns Struktur und entlasten unseren Kopf vom Denken. Besonders diese gewohnten gleichförmigen Bewegungen beim Putzen hel­fen, die Gehirnaktivität zu reduzieren. Somit lenkt Putzen von Sorgen, Grübeleien und manchen Ängsten ab. Vielleicht kennt das der eine oder die andere: Manchmal wischt man gedankenverloren ein paar Minuten über dieselbe Stelle des Tisches und denkt dabei an gar nichts. Es gibt übrigens eine Untersuchung, die zeigt, dass Menschen, die Angst vor einer öffentlichen Rede hatten, öfter mit einem Putzlappen über ein Objekt wischten als die weniger Aufgeregten.

Sollten wir also solche Putzroutinen entwickeln?

Gewohnheiten sind tief in unserem Gehirn in den sogenannten Basalganglien abgespeichert und können, einmal etabliert, auch nicht so einfach gelöscht werden. Die Basalganglien sind vor allem für unsere Bewegungsabläufe relevant und nehmen einen wichtigen Teil des Handlungsgedächtnisses ein. Mit ihrer Unterstützung werden Tätigkeiten wie Zähneputzen automatisiert – oder sie ermöglichen zum Beispiel das Fahrradfahren oder den Weg zur Arbeit, ohne groß darüber nachdenken zu müssen.

Solche Selbstläufer sind nützlich und wichtig im Alltag, denn das Gehirn kann dann seine Aktivität reduzieren. Und jedes Mal, wenn wir „wie gewohnt“ handeln, schüttet das limbische System körpereigene Endorphine aus, die signalisieren, es ist richtig und gut so, was wir gerade machen.

Öfter mal saugen und durchwischen kann Stress abbauen und wirkt somit positiv auf unser Allgemeinbefinden?

Im gewissen Maße schon. Der wichtigste Faktor ist sicherlich die damit verbundene körperliche Aktivität, wenn man durch die Wohnung wuselt. Das Risiko, einmal im Leben kardiovaskulär zu erkranken, verringert sich bereits nach 30 Minuten wöchentlichem intensivem, durchgängigem Putzen um ein Fünftel. Schon 20 Minuten intensive Hausarbeit pro Woche verringern das Risiko für Stress und Ängste spürbar. Dabei ist es aber wichtig, ins Schwitzen zu kommen.

Saubermachen und Ordnung halten haben außerdem viel mit Achtsamkeit zu tun. Wenn ich putze, bin ich gezwungen, die Gegenstände anzufassen, die ich besitze. Das schärft das Bewusstsein dafür, was man hat, und auch dafür, was man wirklich benötigt. Eine saubere, aufgeräumte Umgebung fördert, dass wir uns besser auf unsere eigentlichen Aufgaben konzentrieren können, wir werden nicht ständig an Unerledigtes erinnert und davon abgelenkt.

Außerdem zeigen Experimente, dass uns zum Beispiel ein ordentlicher Schreibtisch eher zu gesünderen Snacks greifen lässt. Aber: Wenn Putzen zum Zwang wird und jeder noch so kleine Krümel auf dem Boden stört, ist das natürlich nicht mehr gesundheitsförderlich.

Umfragen ergaben, dass Frauen inmitten eines unaufgeräumten Haushalts ein höheres Level des Stresshormons Kortisol aufweisen, ähnlich hoch wie bei chronischer Übermüdung. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Die University of California, Los Angeles führte dazu eine Studie durch. Drei Tage lang wurden 60 Ehepartner mit der Kamera auf einer selbstgeführten home tour begleitet. Sie sollten ihr Zuhause beschreiben und Angaben zu Erschöpfungserleben, Stimmung und depressiven Symptomen machen. Außerdem wurde der Kortisolgehalt aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemessen. In der Auswertung zeigte sich, dass Frauen, die ihre Wohnungen und Häuser als nicht sauber bezeichneten, negativer gestimmt und erschöpfter waren als jene, die ihr Heim als wohligen Rückzugsort beschrieben.

Bei der ersten Gruppe stieg zudem der Kortisolspiegel über den Tagesverlauf an. Man muss berücksichtigen, dass es hier um die subjektive Wahrnehmung ging. Die Schwelle, was als sauber oder schmutzig empfunden wird, ist bei jedem etwas anders ausgeprägt. Die Studie zeigte jedoch, wie viel Stress eine als unordentlich angesehene Umgebung auslösen kann. Alarmierend finde ich das Ergebnis, dass es nur die Frauen betraf, keine Männer.

Wie sang Johanna von Koczian in ihrem Lied?: „Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann.“ Das war 1977. Bis heute hat sich manches verändert und auch viele Männer putzen, doch sind immer noch überwiegend Frauen stark in die Hausarbeit eingebunden. Leider herrscht noch recht häufig ein implizites traditionelles Rollenverständnis davon vor, wer für den Haushalt und die Ordnung zuständig ist.

Gehen Männer an die Hausarbeit anders heran als Frauen?

Hierzu gibt es meines Wissens nach kaum Untersuchungen, aber: Wenn wir uns das Big-Five-Modell der Persönlichkeit ansehen, dann wissen wir, dass Frauen in puncto Gewissenhaftigkeit höhere Werte aufweisen. Frauen sind meistens sorgfältiger und gründlicher beim Saubermachen als Männer, nicht selten auch pedantischer.

Männer haben eher eine Affinität zu technischen Geräten, was bedeutet, dass sie lieber mit schweren Maschinen arbeiten, also eher Bohrer oder Rasenmäher zur Hand nehmen als Staublappen oder Harke. Männer gehen auch analytischer an das Putzen heran. Sie sehen zum Beispiel die schmutzige Badewanne als ein Problem, das es mit System zu lösen gilt. Allerdings: Wie viel Reinigungsmittel sie dabei verwenden, ist nebensächlich. Manche Männer sind diesbezüglich recht verschwenderisch.

Fördert die technische Entwicklung zum Beispiel bei Staubsaugern die Freude am Saubermachen?

Ich würde eher sagen, dass die technischen Innovationen das Saubermachen vor allem erleichtern. Vermutlich werden durch die Hightech-Innovationen im Putzbereich vor allem diejenigen angesprochen oder motiviert, die sich für das Putzen weniger begeistern, aber ein Faible für technische Geräte haben. Ich kenne einige Leute, die einen Staubsauger vielleicht einmal im Monat in die Hand nahmen, nun aber öfter und recht begeistert dem Saugroboter bei der Arbeit zusehen.

Wie kann man sich ansonsten motivieren, wenn man ein echter Putzmuffel ist?

Zunächst ist es empfehlenswert, bereits zwischendurch zu Wischmopp und Co zu greifen und nicht erst, wenn man schon fluchend am Boden festklebt. Wer wartet, bis alles verdammt schmutzig und unordentlich ist, weicht der Aufgabe des Saubermachens eher aus, als wenn es sich lediglich um ein paar Flusen und Flecken handelt. Der Aufwand ist ja dann noch überschaubar.

Was hilft, wenn man so gar keine Lust hat: Da sollte man das Lästige mit dem Angenehmen verbinden. Zum Beispiel seine Lieblingsmusik anmachen, sich mit einem spannenden Hörbuch ablenken oder sich nach getaner Arbeit mit etwas Schönem belohnen. Es ist hilfreich, das Putzen als regelmäßigen und festen Bestandteil in den Alltag zu integrieren. Kleine Gewohnheiten helfen bereits.

Welche?

Zum Beispiel nach dem Essen das Geschirr gleich in die Spülmaschine einzusortieren und nicht erst in der Spüle zu stapeln. Oder im Bad zwischendurch mal das Waschbecken zu säubern und nicht erst, wenn es stark verschmutzt ist. Durch eine gewisse Grundordnung spart man Zeit, da muss man sich nicht erst mühsam aufraffen und mehrere Stunden einplanen, um das gewünschte Level an Sauberkeit wiederherzustellen.

Einen wohltuenden Effekt kann man übrigens durch den Geruch von Putzmitteln oder frisch gewaschener Wäsche erreichen, das aktiviert unser olfaktorisches Gedächtnis, also unser Geruchsgedächtnis. Vielleicht gibt es einen Reiniger mit dem Geruch aus Kindheitstagen, wie Lavendel oder Zitrone, der positive Gefühle und Erinnerungen auslöst.

Hilfreich ist auch ein Wochenplan, der klar anzeigt, wann wer im Haus für welche Hausarbeit verantwortlich ist. Die Aufgaben sollten klar und fair in der Familie oder unter den Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern verteilt sein, damit es nicht ständig zu Streitereien kommt und gar die Beziehungsqualität leidet.

Ab welchem Alter sollten Kinder mitmachen, was Ordnung und Sauberkeit in ihrem Zimmer angeht?

Meiner Meinung nach kann es nicht schaden, Kinder frühzeitig, aber unbedingt altersgerecht in die Hausarbeit einzubeziehen. So lernen sie, Verantwortung zu übernehmen und sich in den Familienalltag zu integrieren. Kleine Kinder mögen es, in den Alltag mit eingebunden zu werden, den eigenen Teller wegzuräumen oder Bausteine in eine Kiste zu stapeln. Das alles natürlich unter Aufsicht.

Wichtig sind dabei klare Ansagen wie: „Stell das Bilderbuch in das Regal.“ Oder: „Feg die Krümel zusammen.“ Wenn das alles erledigt ist, sollte man den Einsatz loben. Wer bereits in jungen Jahren im Haushalt mithilft und Verantwortung übernimmt, fördert auch die Informationsverarbeitung im Gehirn.

Und Erwachsene haben auch hier eine Vorbildwirkung?

Ja, sie bestimmen, in welcher Ordnung, in welch sauberer Umgebung ein Kind aufwächst. Eltern leben es vor. Sie leben nicht nur das Was, sondern auch das Wie vor. Wenn Mama stets genervt ist, wenn sie saugt, und Papa ausrastet, wenn er die Fenster putzt, verinnerlicht ein Kind die Verbindung von Saubermachen und negativen Emotionen.

Das kann sich bis in das Erwachsenenalter hinein verfestigen. Allerdings: Ein gewisses Chaos ist für die kindliche Kreativität auch wichtig. Kinder sollen sich austoben und Kind sein dürfen, ohne dass man gleich mit dem Wischlappen hinter ihnen herrennt.

Was haben Sie eigentlich in Ihrem Putzschrank?

Ich bin diesbezüglich eine Puristin: Ich habe vorrätig einen Sodaneutralreiniger, Spüli und qualitativ hochwertige und waschbare Vliesreinigungstücher, die einiges aushalten und nicht fusseln. Ansonsten einen klassischen Staubsauger und einen Wischmopp. Ich habe wenige Putz- und Hilfsmittel, aber dafür solche, die auch was aushalten.

Ich hasse nichts mehr, als wenn der Stiel vom Wischmopp schnell kaputtgeht oder in sich zusammenrutscht und ich gekrümmt durch die Wohnung wischen muss. Außerdem achte ich beim Einkauf auf ökologisch nachhaltige Reinigungsmittel und vermeide so gut es geht chemische Produkte.

Annegret Wolf lehrt und forscht am Institut für Psychologie der Martin-­Luther-Universität Halle-Wittenberg in der psychologischen Diagnostik, Persönlichkeitspsychologie und Methodenlehre.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2021: Egoisten