Frau Wawrzinek, Sie beraten Menschen, die bei der Arbeit mit anderen aneinandergeraten sind. Was unterscheidet private von beruflichen Konflikten?
Der Hauptunterschied ist sicher, dass Konflikte in Firmen Arbeitskraft binden und damit Geld kosten. Es gibt Studien, die zeigen, dass Führungskräfte jeden Tag bis zu 30 Prozent ihrer Zeit mit Konfliktklärung verbringen und dass etwa 15 Prozent der Gesamtarbeit eines Unternehmens mit Konfliktbewältigung zu tun hat. Genaue Summen sind schwer zu beziffern. Die…
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zu tun hat. Genaue Summen sind schwer zu beziffern. Die Kosten für die Neubesetzung einer Stelle, wenn jemand im Zank geht, liegen etwa bei einem halben Jahresgehalt. Wenn ganze Projekte scheitern, sind die Verluste vielfach höher.
Erstaunlich, dass so viel Arbeitszeit für Reibereien draufgeht. Warum gibt es gerade im Beruf so viele Konflikte?
Ich glaube nicht, dass es bei der Arbeit mehr Spannungen gibt als im Privatleben. Aber sie sind anders. Im Privatleben sind Trennungen möglich, Distanz ist immer eine Option, wenn es unüberbrückbare Probleme gibt. Das geht im Job nicht. Wir können uns Kollegen nicht aussuchen, ihnen oft nicht ausweichen, müssen mit ihnen arbeiten. Wenn dann unterschiedliche Interessen, Weltanschauungen, Arbeitshaltungen kontrovers aufeinandertreffen, entstehen negative Emotionen, die sich rasch verfestigen.
Aber woran liegt es, dass wir uns so verbeißen?
Die meisten Menschen mögen keine Konflikte. Gerade am Arbeitsplatz glauben viele, dass sie nicht in Differenzen verwickelt werden können, wenn sie sich freundlich und kooperativ verhalten. Doch das ist eine Fehleinschätzung, denn jeder hat blinde Flecken, eckt irgendwo unmerklich an. Außerdem gibt es in fast jedem Team streitfreudige Typen, die gern Kritik üben, sich häufig im Recht fühlen. Wenn sich dann Probleme mit einem Kollegen oder dem Chef entwickeln, entstehen ganz schnell Wut und Ärger. In solchen aufgebrachten Momenten ist das Denkvermögen eingeschränkt. Auch umgängliche Menschen sind dann verletzender als sonst.
Kann ein klärendes Gewitter nicht manchmal sogar guttun?
Das ist ein weiteres grundlegendes Missverständnis: Wir machen uns nicht klar, dass ein heftiger Streit, der im privaten Umfeld tatsächlich erleichternd und klärend sein kann, im Arbeitssetting komplett unpassend ist und das Zerwürfnis schlimmer macht. Denn in Liebesbeziehungen oder Freundschaften spielt Sympathie eine Rolle, beide Streitpartner sind schnell bereit, sich zu verzeihen, haben Versöhnungsrituale oder Wege kultiviert, sich auszusprechen. Mit einem Kollegen, mit dem man eh nicht gut „kann“, einen solchen Modus zu finden ist extrem schwierig. Manchmal ist das Verhältnis nach so einem Zusammenstoß jahrelang gestört. Hier sollte sich unser Verhalten im Beruf und im Privatleben also deutlich unterscheiden.
Fehlt uns also vor allem ein adäquater Umgang mit unseren negativen Emotionen bei der Arbeit?
Das ist der springende Punkt: Konfliktmanagement ist immer auch Emotionsmanagement. Darüber spreche ich in meinen Beratungen häufig. Mir geht es darum, dass Klienten verstehen, dass wir uns im Beruf zwar nicht von unseren negativen Gefühlen mitreißen lassen sollten, dass wir diese Gefühle aber trotzdem haben und auch nicht einfach ignorieren können. Das ist herausfordernd: Wir entwickeln auch im Beruf Sympathien und Antipathien, sind begeistert oder genervt, und dennoch verlangt man in der Regel von uns, dass wir unsere persönlichen Befindlichkeiten im Griff haben und dem Arbeitsprozess unterordnen. Ein Ausagieren von starken negativen Emotionen passt da fast nie.
Aber was ist zu tun, wenn man im Beruf plötzlich sehr aufgebracht ist? Einfach bis zehn zählen und sich abregen reicht ja sicher nicht?
Erst mal sollten wir uns klarmachen, dass wir im aufgebrachten Zustand nichts lösen können. Es gilt zu versuchen, nicht blind auf die Aufregung zu reagieren, sondern ruhig wahrzunehmen, was passiert, das Gefühl von Wut und Aufregung ernst zu nehmen. Selbstgespräche im Sinne von „„Warum ist das Gefühl denn gerade so stark?“ oder sogar von Trost: „„Ja, das ist kränkend, wenn die Kollegin so stichelt“, helfen da sehr. Wenn wir uns der Wut und Verletzung zuwenden, dann beruhigen sich die Emotionen schnell. Erst dann sollten wir uns bemühen, den Konflikt wirklich zu verstehen.
Sie betonen den Punkt der Analyse in Ihren Büchern immer wieder. Warum ist es so wichtig, sich Zeit zu nehmen, den Konflikt bis ins Detail zu verstehen?
Oft bekommt man ja den Eindruck, eine gute Konfliktlösung sei vor allem eine Frage von guter Kommunikation, also indem man etwa Ich-Botschaften an den anderen sendet oder höflich bleibt. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass die wichtigste Vorarbeit ist, die eigenen Emotionen zu verstehen, zu sortieren, den Tunnelblick der Schuldzuweisungen zu verlassen – und dann auch die andere Seite zu sehen. Es nützt nichts, freundlich zu reden, wenn man mit der Haltung ins Gespräch geht, dass der andere im Unrecht ist und man selbst im Recht. Starre Positionen können wir erst aufgeben, wenn wir klar sehen, was für eine Situation da eigentlich vorliegt und um welchen wunden Punkt es geht.
Das klingt simpel, aber oft eskalieren Konflikte doch so schnell, dass man gar nicht mehr weiß, um welche konkreten Punkte es eigentlich geht.
Das stimmt. Umso wichtiger ist, dass jeder die Warnzeichen für einen eskalierenden Konflikt kennt und danach handelt. Der Organisationspsychologe Friedrich Glasl beschreibt acht Eskalationsstufen. Auf den ersten beiden Stufen sind Probleme noch leicht zu klären, danach wird es immer verfahrener. Am Anfang gehen wir auf Abstand, können den anderen nicht mehr leiden. Auf Stufe zwei gibt es kleine, aber stetige Streitereien. Das ist der Punkt, an dem man einem Konflikt am Arbeitsplatz ins Auge sehen sollte. Es geht gar nicht immer darum, den Konflikt anzusprechen.
Sollte man seine Emotionen lieber unter den Tisch kehren?
Nein, aber es gibt ganz unterschiedliche Arten, mit Konflikten umzugehen. Wir können zum Beispiel entscheiden, dass die Sache den Streit nicht wert ist, und uns bewusst anpassen. Oder wir können gemeinsam einen schnellen Kompromiss finden, ohne in die Tiefe des Konfliktes vorzudringen (siehe Kasten). Die Faustregel besagt, dass es vor allem dann, wenn mir etwas wichtig ist oder wenn ein Problem nachweislich meine Arbeit behindert, angezeigt ist, deutlich zu werden und auf eine Lösung zu drängen. Das kann ein Dauerthema mit einem Vorgesetzten sein, der einem ständig zu viel Arbeit aufbürdet. Oder Ärger mit einem Kollegen, der Zeitung liest, statt zu arbeiten, obwohl die ganze Abteilung überlastet ist.
Ist es im Konflikt mit einem wenig engagierten Kollegen denn nicht auch irgendwann Zeit, die Führungskraft einzuschalten?
Das erste Gespräch mit einem Kollegen, der notorisch im Netz surft oder Zeitung liest, sollte man selbst führen. Das ist kollegial. Hier gilt wieder: Auch wenn einen das Verhalten mordswütend macht, sollte man Gefühle nicht ungefiltert zeigen. Eine kurze sachliche und konkrete Anfrage reicht, etwa: „Ich habe gerade viel zu tun, du hast anscheinend einige Freiräume, könntest du vielleicht die Arbeit X übernehmen?“ Erst wenn der andere sich weigert, gar nicht mit sich reden lässt, sollte man ankündigen, dass man ein Gespräch zu dritt mit der Führungskraft möchte. Wenn der Chef oder die Chefin das Gespräch dann zwar führt, aber letztlich nicht dafür sorgt, dass der Kollege mehr Engagement zeigt, entsteht eine Führungslücke. Ich rate meinen Klienten in solchen Fällen: Springt nicht in diese Lücke! Auch wenn es verlockend ist, damit übersteigt man seine Befugnisse, macht sich quasi zum Chef des Kollegen. Das gibt später oft riesigen Ärger.
Das klingt ernüchternd. Kann man denn gar nichts tun, wenn der Kollege und der Chef einen derart im Stich lassen?
Meiner Meinung nach sollte man sich in solchen Momenten fragen: „Liegt dieser Ball in meinem Spielfeld oder nicht?“ Dann sieht man schnell, ob man die Verantwortung hat, einen Konflikt zu lösen, oder nicht. Es ist eine wichtige Konfliktkompetenz, Probleme loslassen zu können, akzeptieren zu können. Menschen erleben am Arbeitsplatz oft Situationen, in denen sie gekränkt oder enttäuscht werden und daran nichts ändern können. Etwa wenn das Knowhow eines Mitarbeiters nicht mehr gebraucht wird, und er stattdessen Dinge tun muss, die ihm schwerfallen. Die Idee vom „Spielfeld“ birgt hier Chancen – man kann anfangen, sich zu fragen, was man selbst gerade tun kann. Sobald wir Handlungsmöglichkeiten erkennen und das Gefühl von Ohnmacht hinter uns lassen, wird es einfacher.
Immer wieder erlebt man, dass Angestellte auf ihr Unternehmen und ihre Vorgesetzten und deren Ungerechtigkeit schimpfen. Sind solche Konflikte in Ihren Beratungen Thema?
Beinahe jeder Konflikt, der sich in Teams oder mit einer Führungskraft entwickelt, hat auch damit zu tun, dass Menschen sich in ihrem Gerechtigkeitsempfinden verletzt fühlen. An dieser Stelle versuche ich oft das Bild, das meine Klientinnen und Klienten von den Aufgaben einer Firma im Kopf haben, mit ihnen zu überdenken: Unternehmen sind nicht gerecht. Wir wollen das oft nicht wahrhaben. Wir vermenschlichen Firmen und wünschen, dass sie gerecht und herzlich sind und sich merken, was wir schon für sie getan haben. Aber das ist oft nicht so. Wir gehen mit ihnen keine emotionale, sondern eine Geschäftsbeziehung ein. Auch hier sind es wieder Emotionen, die uns in große und in dem Fall unlösbare Konflikte verstricken.
Können Sie ein typisches Beispiel für einen solchen unlösbaren Konflikt geben?
Unlösbare Probleme treten etwa auf, wenn es um begehrte Positionen und Beförderungen geht. Nehmen Sie beispielsweise eine psychosomatische Klinik, in der etwa zehn langjährige Mitarbeiter beschäftigt sind. Ein paar wollen mittelfristig eine leitende Position. Irgendwann kommt ein neuer Kollege ins Team, ein bisschen jünger als die anderen, kompetent, das Lieblingskind des Chefs. Wenn dieser zuletzt dazugekommene Mitarbeiter drei Jahre später den nächsten leitenden Posten bekommt, fühlen sich andere ungerecht behandelt, gehen in den Konflikt. Die Frage ist nur: Haben sie wirklich ein Recht auf die Beförderung, nur weil sie länger dabei sind? Und: Wer ist schuld? Der Vorgesetzte? Der neue Kollege? Das System? Wann immer es in Konflikten letztlich niemanden gibt, mit dem man etwas lösen könnte, rate ich oft, mit der Situation Frieden zu machen.
Aber gibt es nicht auch Führungskräfte, die ungeschickt agieren und Auseinandersetzungen verschärfen?
Natürlich. Das Verhalten von Führungskräften ist tatsächlich eine der häufigsten Konfliktursachen. Oft sind sie im eigenen Team wenig präsent, weil sie viele andere Aufgaben haben. Dann kann es schnell passieren, dass sie Konflikte nicht mitbekommen, ihre Mitarbeiter und deren Leistung zu wenig wertschätzen. Das sind Versäumnisse, die Ärger im Team oder auf den Chef verfestigen. Mein Eindruck ist allerdings, dass Mitarbeiter oft zu hart über Chefs urteilen, sie quasi als „komplett unfähig“ wahrnehmen. Ich habe tatsächlich Führungskräfte erlebt, die auf ihrem Posten komplett falsch waren – aber es waren wenige.
Sie haben ein Selbstlerntraining für Führungskräfte entwickelt, in dem Sie aufzeigen, was diese tun können, wenn sie mit ihrem Team in einen ernsten Konflikt kommen. Was müssen sie lernen?
Ich habe häufig Führungskräfte erlebt, die unter der Kritik ihrer Mitarbeiter beinahe zusammengebrochen sind. Ich erinnere mich an eine grundsätzlich versierte Chefin, die nach so einem Konflikt sagte: „Mein Selbstvertrauen ist komplett am Boden, ich traue mich nicht mehr zu führen.“ Ein anderer entwickelte eine Depression. Ich möchte mit dem Lernprogramm die Emotionen, die eine Führungskraft in so einem speziellen Konflikt durchlebt, verständlich machen – und so die Konfliktlösefähigkeit stärken.
Das alles klingt so, als würden langanhaltende Konflikte generell großen psychischen Schaden bei Betroffenen anrichten?
Ungelöste Konflikte im Job sind jedenfalls nicht nur ein kleiner Lapsus oder unschön. Ich erlebe immer wieder Leute, die nicht mehr schlafen, sich nichts mehr zutrauen, weil sie so lange in einem Konflikt im Team oder mit einem Vorgesetzten feststecken. In einer kürzlich veröffentlichten Stressstudie des Psychologieprofessors Sheldon Cohen zeigt sich ebenfalls: Nichts belastet Menschen so sehr wie zwischenmenschliche Konflikte und macht sie anfälliger für stressbedingte Erkrankungen.
Die vier wichtigsten Arten der Konfliktlösung
Es gibt verschiedene Strategien, Differenzen und Konflikte zu lösen. Nicht alle taugen für jede Situation. Hier die wichtigsten Lösungsansätze
Durchsetzen
Sich klar für seine Interessen einsetzen, diese deutlich, wenn auch freundlich vertreten und nicht sofort einlenken, wenn andere das Problem vom Tisch haben wollen.
PASST
• wenn es um wichtige persönliche Interessen und Karrierefragen geht
• wenn man an der Ausführung der Arbeit gehindert wird, zum Beispiel durch ständig redende Kollegen oder zu viele Aufgaben
• wenn man fachliches Know-how hat, das andere nicht haben, und man Fehler oder Fehlentscheidungen abwenden will
PASST NICHT
• wenn es um persönliche Abneigungen einem Teammitglied und seinem Arbeitsstil gegenüber geht
• wenn die Streitpunkte letztlich unwichtig sind
• wenn das Thema sensibel ist (zum Beispiel Absprache mit erkranktem Kollegen) oder die Stimmung schon sehr schlecht ist
Anpassen
Das Problem sehen, sich auch ärgern oder genervt fühlen, aber sich bewusst dafür entscheiden, einzulenken
PASST
• bei Lappalien, auch wenn sie einen stören
• bei ausgewiesenen „schwierigen Kollegen“
• wenn keine Zeit ist, Projekte fertig werden müssen
• bei Problemen, die so komplex sind, dass sie sich nicht durch Gespräche lösen lassen
PASST NICHT
• wenn das Thema für einen wichtig ist und der Konflikt die Ausübung der Arbeit verhindert
Kompromiss schließen
Jeder legt seine Wünsche auf den Tisch, und man sucht den kleinsten gemeinsamen Nenner. Vorsicht: Pragmatiker sind oft Kompromissler. Manchmal haben sie damit recht, manchmal übersehen sie, dass es eine passendere Lösung gäbe.
PASST
• bei Zeitabsprachen, Terminabsprachen, Urlaubsregelungen und anderen kleinen, organisatorischen Dingen
• bei Reibereien, die man leicht beilegen kann, wenn jeder eine kleine Sache ändert
• bei Lappalien wie „Fenster auf oder zu“ oder Ähnlichem
• bei Geldverhandlungen, bei denen man sich in der Mitte trifft
PASST NICHT
• wenn es um emotionale Prozesse geht, zum Beispiel wenn zwei Geschäftspartner sich trennen
• wenn man Zeit hat und um ein wichtiges Projekt verhandelt
Kooperation
Zwei Leute, die einen Konflikt haben, verhandeln so lange miteinander, bis eine Lösung gefunden ist, die sich für beide nach einem Gewinn anfühlt. Gilt als Königsdisziplin, kostet aber Zeit.
PASST
• wenn es um langfristige Planungen und emotionale Prozesse geht, zum Beispiel Trennung eines Teams, Verkauf eines Geschäfts
• wenn zwei unterschiedliche Typen, beide hochqualifiziert, sich in ihrer unterschiedlichen Persönlichkeit blockieren, obwohl sie sich eigentlich bereichern könnten
PASST NICHT
• wenn Führungskräfte die Aufgabenverteilung diktiert haben
• Wenn wenig Zeit ist
• Wenn es um kleine Probleme geht