Ein Paar jenseits der Konvention

Was passiert, wenn ein Mann eine ältere Frau liebt? Wie im Fall von Emmanuel Macron und seiner Frau. Warum bewegt das immer noch die Gemüter?

Seit dem 14. Mai 2017 hat Frankreich einen neuen Staatspräsidenten, einen glühenden Verfechter Europas. Abseits der großen Politik staunt die Welt über ein Ehepaar jenseits bisheriger Konventionen: Der 39-jährige Präsident Emmanuel Macron ist mit einer 64-jährigen Frau verheiratet. Dieser Altersunterschied war während der Kampagne um die Präsidentschaft ein großes Thema in den sozialen Netzwerken.

Gehört nicht eine jüngere Frau zum Mann? Wie bei Frankreichs bisherigem Präsidenten François Hollande, 63 Jahre…

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Wie bei Frankreichs bisherigem Präsidenten François Hollande, 63 Jahre alt, der elf Jahre älter war als seine Lebensgefährtin Valérie Trierweiler (die er schliesslich für eine noch jüngere Frau, die 45-jährige Schauspielerin Julie Gayet verlassen hat). Denken wir an Joschka Fischer, den ehemaligen Außenminister Deutschlands, mit seiner 27 Jahre jüngeren Ehefrau. Oder an Melania Trump, die 24 Jahre jüngere Ehefrau des derzeitigen US-Präsidenten Donald Trump (71 Jahre alt).

Wir sind an Paare wie diese seit jeher gewohnt, der Altersunterschied zwischen ihnen erstaunt uns nicht. Denn diese Paare entsprechen der Konvention hinsichtlich der Alterszusammensetzung von Frau-Mann-Beziehungen in unserem westlichen Kulturkreis. Die Macrons dagegen sind ein Paar, das die geltende Norm auf den Kopf stellt.

Frau Macron ist schlank, braungebrannt und blickt uns mit breitem Lächeln an. Sie trägt zu kurze Röcke, zu hohe Absätze, zu blonde Haare, gibt sich zu lässig-jugendlich – das sind die wesentlichen Kritikpunkte an ihr in den Medien. Das alles ziemt sich nicht in ihrem Alter, ist der Vorwurf. Emmanuel Macron hält ihre Hand, er steht selbstverständlich zu ihr: „Sie wird nicht versteckt“, hat er angekündigt, „sie wird an meiner Seite sein, weil sie immer an meiner Seite war.“ Die pure Liebe ließen die Kritiker bei ihm, dem deutlich jüngeren Mann, als Grundvoraussetzung für seine Beziehung zu Brigitte jedoch nicht gelten. Es wurde versucht, Gründe zu finden, die für dieses Altersmuster „typisch“ sein sollen. Gerüchte machten die Runde, wonach Emmanuel Macron in Wirklichkeit schwul sei. Er bezog Stellung, zum Beispiel in einem Interview mit der Zeitschrift Têtu: „Wenn ein Mann mit einer älteren Frau zusammenlebt, wird ihm unterstellt, er sei ein versteckter Homosexueller oder ein versteckter Gigolo. Das ist frauenfeindlich.“

Lieber unsichtbar bleiben?

Einen jüngeren Mann lieben – das war in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts (1989) der Titel meines Buches, das Aufsehen erregte, weil es ein Tabu berührte. Es betraf die Altersverteilung „Frau älter als Mann“ innerhalb einer heterosexuellen Beziehung – eine Altersverteilung entgegen der Norm. Denn als „normal“ bezeichnen wir ein Paar, bei dem der Mann der Ältere ist, die Frau soll jünger sein als er, sie darf sogar ein, zwei Generationen jünger sein. Der umgekehrte Fall wird abgelehnt, mit Vorurteilen belegt, belächelt, unlautere Motive werden unterstellt, Liebe als Begründung der Beziehung wird in Abrede gestellt, zumindest angezweifelt. Als im Juni 1976 Carl Gustaf XVI. von Schweden die deutschstämmige Silvia Sommerlath heiratete, wurde die Tatsache, dass Silvia eine Bürgerliche war, als weniger skandalös betrachtet als die zweieinhalb Jahre, die sie älter als ihr königlicher Gatte ist.

Mitte der 1980er Jahre, als ich in Wien lebte, führte ich Gespräche mit Paaren, bei denen der Mann mindestens fünf Jahre jünger war als seine Partnerin. Es gab natürlich diese „altersverkehrten“ Paare. Das bewies auch die Statistik: Bei etwa 20 Prozent aller Ehen in Österreich war im Jahr 1988 die Frau mindestens ein Jahr älter als der Mann. Sie waren nicht alle verheiratet, sondern lebten auch in nichtehelicher Gemeinschaft. Aber das Paar blieb vorzugsweise unsichtbar – wegen der Norm. Es war gleichsam als Phantom vorhanden, das sich unauffällig in die Schar der normalen Paare einreihte. Es war daher damals schwierig, Frauen und Männer zu finden, die bereit waren, über ihre „andere“ Partnerschaft offen zu sprechen. Dabei bestand die Abweichung von der Norm nur darin, dass der Mann der Jüngere, die Frau somit die Ältere in der Beziehung war. Allein die Umkehrung dieses Altersverhältnisses in ihrer Beziehung sorgte für Zurückhaltung und Scheu davor, über ihr gemeinsames Leben zu sprechen.

Warum sie unsichtbar, unauffällig, wenig öffentlich bleiben wollten? Sie fürchteten den Druck, die Macht der Vorurteile. Wie jene 40-jährige Frau, die ihrem Partner ihr wahres Alter lange verschwiegen hatte, weil sie befürchtete, der elf Jahre Jüngere werde sie dann verlassen. Sie war nicht sicher, ob sie mit vierzig für einen 29-jährigen Mann begehrenswert sein würde. Oder der 25-jährige Mann, der lieber allein auf Firmenfeste ging, um sich den anzüglichen Kommentaren über seine 34-jährige Partnerin im Kollegenkreis nicht stellen zu müssen. Und wenn sich der Jüngere mit der älteren Frau trauen ließ, glaubten die anderen nur an ein Glück auf Zeit.

Im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts lösten Paare, bei denen der Mann der Jüngere war – wie John Lennon und Yoko Ono oder Salvador und Gala Dalí –, zwar keinen Skandal mehr aus, aber eine Frau von nebenan, die eine Liaison mit einem jüngeren Mann einging, wurde auch moralisch verteufelt. Sie habe Angst vor dem Altwerden, hieß es, vergreife sich an der Jugend, hindere den Jüngeren an einem „natürlichen“ Lebensverlauf. Wobei letzteres Argument erklären könnte, weshalb die Verurteilung der älteren Frau, die einen jungen Mann liebt, sich hartnäckig und vehement zu halten scheint. Es gehöre zu den grundsätzlichen Aufgaben der Geschlechter, die Menschheit zu erhalten, sich also fortzupflanzen, das sei der natürliche Zweck einer Frau-Mann-Verbindung, heißt es. Ein Mann kann nur mit einer gebärfähigen Frau Kinder zeugen. Eine Frau jenseits des gebärfähigen Alters falle somit als „natürliche“ Partnerin aus. Es ist der Groll der Menschheit, der die ältere Frau verfolgt, die ihr die Garantie des Weiterbestehens rauben will, wenn sie den jungen Mann in Besitz nimmt und ihn dadurch an seiner Pflichterfüllung hindert.

Doch auch die Motivation des jüngeren Mannes, der eine alte Frau liebt, wird skeptisch hinterfragt. Er findet sich in der Schublade der „unmännlichen“ und „schwachen“ Personen seines Geschlechts wieder. In Wirklichkeit ist er in recht illustrer Gesellschaft. Sie reicht vom König bis zum Punk: Männer, die – entgegen dem Vorurteil – Erfolg haben, vielleicht reich sind, unabhängig, selbstbewusst. Weder weil sie ihr Geld brauchten noch ihren Status – sie haben sich freiwillig für die Frau entschieden, die sie lieben. Frauen, die sich gleichfalls nicht verstecken müssen, wie das Vorurteil es will. Sie sind geistreich, fantasievoll, interessant und eigenständig. Ihre frauliche Schönheit hat die Glätte der Jugend ersetzt. Als Partnerin fordern sie Gleichwertigkeit. Nicht, was sie selbst zu bieten haben: Lebenserfahrung, Orientierungshilfe, Identität.

Ein politischer Akt – die Verbindung mit einer älteren Frau

Wenn auch das Beziehungsmuster „Mann älter als Frau“ als die häufigste und am meisten verbreitete gegengeschlechtliche Verbindung gelten kann, traten doch die Verbindungen mit der älteren Frau in bestimmten historischen Konstellationen nachweislich vermehrt in Erscheinung.

In der höfischen Gesellschaft des hohen Mittelalters war beispielsweise die Liebesbeziehung zwischen dem jungen Mann und der älteren verheirateten Frau die typische Beziehung, die ihren Ausdruck auch im Minnesang fand. Der Minnedienst war mit einer engen räumlichen Nähe zur geliebten Herrin verbunden. Daher kann angenommen werden, dass die Zuneigung des jungen angehenden Ritters durchaus nicht immer unerwidert blieb, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass der Rittergatte häufig unterwegs war. Doch aufgrund ihrer Unerfüllbarkeit – die angebetete „hohe“ Frau war verheiratet und eine Scheidung so gut wie ausgeschlossen – geriet diese Liebe nicht mit der öffentlichen Moral in Konflikt und konnte deshalb allgemein akzeptiert und zugelassen werden.

Bis in die Neuzeit hinein ist auch die Bedeutung der politischen Heirat für die Erweiterung territorialen Besitzes und die Aneignung von Macht augenfällig. Die Heiratsbündnisse wurden sorgfältig geplant, ermöglichten oft bedeutende Aufstiegsmöglichkeiten für Adelsgeschlechter und knüpften Freundschaften zwischen befeindeten Völkern. Kindliche Thronfolger, Fürsten und Herzöge wurden daher ohne Zögern mit oft erheblich älteren Erbtöchtern vermählt, um politische Bündnisse zu gründen oder zu festigen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Katharina von Aragon war fast sechs Jahre älter als ihr Gemahl König Heinrich VIII. von England. Die Ehe (die 24 Jahre dauerte) sollte Englands Wiedereintritt in Europa sichern. Katharinas Tochter, Maria Tudor, heiratete 38-jährig als Königin von England den elf Jahre jüngeren Philipp II., um das Königreich Spanien mit England zu verbinden.

Die Verbindung mit einer älteren Frau diente auch als Möglichkeit, Besitz zu sichern. Um die wirtschaftliche Basis einer Adelsfamilie nicht zu gefährden, wurde bei zu vielen männlichen Nachkommen nicht selten einigen Söhnen die Eheschließung und Zeugung legitimer Nachkommen verwehrt. Als „Ausweg“ konnte die Ehe mit der älteren Frau jenseits des gebärfähigen Alters eingegangen werden.

Im Mittelalter des Zunfthandwerks ermöglichte das Witwenrecht einer Meisterswitwe, den Betrieb ihres verstorbenen Mannes weiterzuführen, wenn sie innerhalb eines bestimmten Zeitraums dem Betrieb durch Wiederverheiratung einen Meister gab. Die Witwe heiratete zweckmäßigerweise oft ihren jungen Gesellen, der ja bereits mit der Arbeit im Betrieb vertraut war. Dem Gesellen wurde dadurch ermöglicht, Meister zu werden, denn üblicherweise konnte nur derjenige Meister werden, der einen Betrieb vorzuweisen hatte.

Auch auf dem Bauernhof waren Verbindungen zwischen der älteren Frau und dem jüngeren Mann nicht ungewöhnlich. Wenn die verwitwete Bäuerin Ersatz für ihren verstorbenen Mann suchte, war die Jugend des Auserwählten kein Hindernis. Entscheidend war vielmehr die Eignung des Mannes zur Führung des Bauernhofes, die an körperliche Merkmale gebunden war: Er musste kräftig und gesund sein.

Als die Liebe ins Spiel kam

Alle diese Verbindungen kamen jedoch kaum aufgrund einer freien Entscheidung der Partner zustande. Sie waren vielmehr Resultat gesellschaftlicher Umstände, die die Umkehrung der Altershierarchie in einer Beziehung auslösten oder erforderlich machten und sie somit legitimierten.

Die Verhältnisse stellten sich im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts verändert dar. Der Aufbau der bürgerlichen Gesellschaft ging unaufhaltsam voran. Sie schuf ihre eigenen Werte, aufgrund derer die Tradition der „Mann älter als Frau“-Beziehung zur allgemeinverbindlichen Norm erhoben wurde. Diese Norm war Ausdruck des erwünschten Verhältnisses der Geschlechter zueinander. Eine Frau war im Prinzip dem Mann untertan. Vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Wertung der Geschlechter trat um die Jahrhundertwende, in der Zeit der deutschen Romantik, eine Generation von ungewöhnlichen Frauen und Männern auf, die die bürgerliche Gesellschaft infrage stellten und das von ihr vertretene „ideale“ Frauen- und Ehebild ablehnten.

Sie nahmen sich die Freiheit

Als die einzig mögliche Voraussetzung für eine Ehe wurde nun die Liebe betrachtet. Liebe und Ehe hatten als Ziel, die Vollendung der Individualität der Partner zu bewirken: Frau und Mann gehen nur deshalb eine Beziehung ein, weil sie sich lieben, und diese Liebesbeziehung ist gleichzeitig das selbstverständliche Bedürfnis, sich gegenseitig bei der Verwirklichung der „inneren Person“, der Individualität beizustehen. Im Rahmen dieser aufklärerisch-romantischen Bewegung schien eine „Frau älter als Mann“-Beziehung nichts Unmögliches zu sein, solange das Motiv die Liebe war. Neben Caroline Schlegel-Schelling ist eine Reihe von Frauen bekannt, wie Charlotte von Stein oder Annette von Droste-Hülshoff, die sich die Freiheit nahmen, Männer zu lieben, die jünger waren als sie selbst. Gemessen an den bürgerlichen Maßstäben, war eine solche Verbindung eine Herausforderung der geltenden Werthaltungen. Sich als Frau und Mann zur geistig-körperlichen Liebe als Basis und Zweck der Ehe zu bekennen und diese nicht vorrangig als Dienst der Frau am Mann und an den Kindern zu verstehen, das war für viele skandalös.

Laut Auskunft des Statistischen Bundesamts wurden im Jahr 2015 in Deutschland 17 Prozent der Ehen mit der umgekehrten Altersteilung – die Frau ist älter als der Mann – registriert. Bei sechs Prozent aller Ehen trennt ein Altersunterschied von mehr als zehn Jahren die Paare. Die Wahrscheinlichkeit ist heute also groß, dass man ein Paar kennt, bei dem die Frau älter ist als der Mann.

Für viele Menschen gilt allerdings noch immer die althergebrachte Vorstellung von der Frau als Partnerin: Sie darf keine Konkurrenz für den Mann sein, darf nicht größer und nicht angesehener sein, keine höhere Bildung, keine bessere berufliche Position haben als er. Und sie darf nicht älter sein. Aber alle glauben an die Liebe. Auch wenn sie nur dann „richtig“ zu sein scheint, wenn auch die anderen Bedingungen passen.

Schaut man bei einer „Mann jünger als Frau“- Verbindung genauer hin, dann ist es meist der jüngere Mann, der die ältere Frau davon überzeugt, dass das Alter für ihre Liebesbeziehung keine Rolle spielt. Immer noch plagen sich Frauen mit Selbstzweifeln herum, wenn es darum geht, einen jüngeren Mann zu lieben. Vor dem Hintergrund der allzeit propagierten Jugendlichkeit bangen sie um ihre Attraktivität als Ältere, zweifeln, dass sie für den Jüngeren über seine erste Verliebtheit hinaus langfristig begehrenswert erscheinen werden. Es ist tatsächlich der jüngere Mann, der diese Bedenken zerstreut, wenn er sich verliebt und sich entschieden hat. Nicht erst seit die Welt nach Frankreich auf den 39-jährigen Präsidenten Emmanuel Macron und seine 64-jährige Frau Brigitte schaut.

Aufgrund ihrer bedeutenden öffentlichen Stellung sind Brigitte und Emmanuel Macron maßgeblicher als die Paare aus der Regenbogenpresse geeignet, als Vorbilder zu wirken. Denn ist das Private nicht auch politisch? Das kennen wir bereits aus der Frauenbewegung der letzten Jahrzehnte in Anlehnung oder Fortführung des alten Sponti-Spruchs, um das damals notwendige Kämpferische zu verdeutlichen, als es um die Demokratisierung der gesellschaftlichen Schichtung und die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ging.

Das französische Ehepaar Macron schafft es nun, von einer gesellschaftspolitischen Plattform aus Akzente zu setzen entgegen der Norm: die Neubewertung der Altershierarchie in einer Frau-Mann-Beziehung vorzuleben, wenn die Frau die Ältere und der Mann der Jüngere des Paares ist. Auf die Fortsetzung können wir gespannt sein.

Dr. Ursula Richter ist Soziologin. Als Standardwerke zum Thema gelten ihre Bücher Einen jüngeren Mann lieben. Neue Beziehungschancen für Frauen (Kreuz 1989) und Frauen lieben jüngere Männer. Ein anderer Weg zum Glück (Kreuz 2010).

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2017: Selbstsabotage