Die Achse der Angst

Angst ist ein psychischer Begleiter. Aber sie wirkt auch auf Hirn, Herz, Blut und Darm – und verändert, wie wir fühlen, denken und leben

Die Illustration zeigt Organe, wie zum Beispiel Darm, Gehirn oder Herz, die Menschen Angst machen und sie unter anderem in den Schwitzkasten nehmen und bedrohen und dabei böse schauen
Angst ist auch ein körperlicher Zustand, der sich in unserem Gehirn, Blut, Herz und Darm austobt. © Till Hafenbrak für Psychologie Heute

Alexandra Shaker kennt sich mit der Angst aus. Als Psychologin hat sie dazu in New York geforscht und promoviert, und sie hat Menschen mit Angststörungen behandelt. Doch Alexandra Shaker kennt Angst, und zwar überdauernde klinische Angst, auch aus eigener Anschauung. Seit sie sich ­erinnern kann, ist diese ihr Begleiter. „Aber Angst“, so ihr Trost, „ist auch ein Bestandteil dessen, am Leben zu sein.“ Sie ist ein vitaler Zustand des Körpers. Wie sich die Angst in Hirn, Blut, Herz und Darm austobt, stellt Alexandra Shaker in ihrem neuen Buch The Narrowing anhand aktueller Forschung dar.

1 Gehirn

Dass Angststörungen, wie oft kolportiert, schlicht von einer Überaktivität bestimmter Botenstoffe oder von „Angstzentralen“ wie der Amygdala verursacht werden, ist zu kurz gegriffen. Im Gehirn wirken nicht anatomisch streng abgegrenzte Zentren zusammen, sondern weitverzweigte Netzwerke.

In einer aktuellen Studie ist es einer Forschungsgruppe gelungen, Menschen mit Angstsymptomen allein anhand der Aktivität von Hirnnetzwerken zu identifizieren, die mit Emotionsregulation zu tun haben – eines von ihnen steuert auch unsere Aufmerksamkeit. Menschen mit einer Angststörung, das zeigte eine andere Metaanalyse, richten ihre Aufmerksamkeit oft tunnelblickartig auf Umweltreize, die genau jene Bedrohung signalisieren, die sie in Angst versetzt, etwa auf Spinnen, Brücken oder den ärgerlichen Gesichtsausdruck des Partners.

In anderen Studien wurde die Gehirnaktivität von gesunden Versuchspersonen, die man experimentell in Angst versetzt hatte, mit der von Menschen mit unterschiedlichen Angststörungen verglichen. Interessanterweise ähnelte das neuronale Muster bei Phobien, also spezifischen Ängsten etwa vor Schlangen oder Höhen, demjenigen der Menschen, die man nur akut in Angst versetzt hatte. Generalisierte Angst (ein Hang zu Grübeleien und Sorgenschleifen) produzierte hingegen ein anderes Aktivitätsmuster im Hirn. Shakers Erklärung: Phobien beruhen auf evolutionären Angstreflexen, die bloß aus dem Ruder gelaufen sind. Andere Ängste hingegen haben eine kompliziertere Grundlage.

2 Blut

„Jeden Tag“, schreibt Alexandra Shaker, „interagiert unser Blut mit den Lebensumständen.“ Das Grundschema dieses Wechselspiels zwischen Blut und Welt ist der uralte Kampf-oder-Flucht-Reflex. Wenn uns etwas in Angst versetzt, ziehen sich die Blutgefäße zusammen. Die Folge: Der Blutdruck steigt, das Herz pumpt, das Blut fließt schneller zu Muskeln und Hirn. Derselbe evolutionäre Reflex sorgt ferner dafür, dass das Blut schneller gerinnt – Kampf könnte schließlich Blutverlust bedeuten, der Körper baut vor. Doch die abgesenkte Gerinnungsschwelle birgt eine Gefahr: Thrombose, lebensgefährliche Blutgerinnsel. Dieses Risiko ist umso größer, als die Gefahr sich in unserer heutigen Lebenswelt selten in einem angreifenden Raubtier, häufiger hingegen in einer fiesen Kollegin oder einem Drängler auf der Autobahn manifestiert. Je häufiger während solcher Stresswellen etwas Blut an den Wänden der Adern gerinnt und Ablagerungen bildet, desto größer wird die Gefahr für einen Infarkt oder Schlaganfall.

Auch Entzündungsreaktionen, ablesbar an bestimmten Markern im Blut, stehen mit der Angst in Verbindung. Manche (nicht alle) Studien deuten darauf hin, dass solche Entzündungsmarker in Lebensphasen von Angst und Depression ansteigen. In dieses Bild passt, dass Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer – Medikamente gegen Angst und Depression – auch eine anti­entzündliche Wirkung zu haben scheinen.

3 Herz

Der Herzschlag ist ein vernehmliches Sprachrohr unseres Körpers. Anders als bei anderen Organen (wer weiß denn schon, was die Leber gerade treibt?) ist die Tätigkeit des Herzens uns sinnlich zugänglich: Wir fühlen, tasten, hören, wie es schlägt und insbesondere Alarm schlägt. Entsteht Angst überhaupt erst aus einer solchen körperlichen Rückkopplung? Genau dies behauptet eine alte, noch immer diskutierte Emotionslehre, die James-Lange-Theorie: Ich spüre meinen galoppierenden Herzschlag und interpretiere diesen Erregungszustand als Angst.

Bei einer Panikstörung ist es aber eher umgekehrt: Die Betroffenen werden schlagartig von heftigen Angstzuständen mit Herzrasen und Atemnot aufgesucht – und manche befürchten dann verständlicherweise einen Herzinfarkt. Was wiederum die Panik weiter eskalieren lässt. Nehmen Menschen mit einer Angststörung die Signale ­ihres Herzens womöglich übergenau wahr? Laut einer Metastudie ist dies nicht der Fall: Die Betreffenden schnitten etwa bei der Aufgabe, ihren Puls zu schätzen, weder besonders gut noch schlecht ab. Es ist also nicht die Sensibilität, sondern die Aufmerksamkeit für den Körper, die ihre Angst schürt: Wer besorgt in sich hineinlauscht, findet unweigerlich Beunruhigendes.

4 Darm

Dass Angst ein flaues Gefühl im Bauch hinterlässt, ist bloß eine Empfindung. Doch wie sich herausgestellt hat, existiert tatsächlich eine starke wechselseitige Verbindung ­zwischen dem Darm samt seinen Bakteriengemeinschaften und dem Gehirn, die „Mikrobiom-Darm-Gehirn-Achse“. Der Darm verfügt über ein eigenes kleines Nervensystem, und wie das ­Gehirn nutzt (und produziert) er neuronale Botenstoffe wie Serotonin und Dopamin.

Die unüberschaubaren Bakterienpopulationen im Darm haben Einfluss auf Krankheiten wie Rheuma, Alzheimer – und wahrscheinlich auch auf Angststörungen. Studien legen nahe, dass sich das Mikrobiom von Menschen mit und ohne Angstsymptome unterscheidet. Bei den Angsterkrankten scheint die Bakteriengemeinschaft weniger vielfältig zu sein und es überwiegen Bakterien, die an Entzündungsvorgängen beteiligt sind. Tatsächlich gibt es statistische Verbindungen von Angst und Depression mit entzündlichen Darmerkrankungen.

Können wir womöglich über eine Ernährungsumstellung – etwa: weniger Zucker, mehr Probiotika – erstens das Mikrobiom und damit zweitens die Psyche sanieren? „Das sind offene Fragen“, schreibt Alexandra Shaker, „begleitet von heftigen Debatten mit den Gläubigen auf beiden Seiten.“

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Quelle

Alexandra Shaker: Die Kraft der Angst. Wie wir die Signale unseres Körpers richtig deuten – und unsere Ängste in Stärke verwandeln. Erscheint am 14. Oktober 2025 bei Hoffmann und Campe

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