Keine Angst von der Psychotherapie zu erzählen

Jahrelang hatte Psychotherapeutin Klara Hanstein Angst, über ihre Panikattacken zu sprechen. Was passiert, wenn Profis selbst Hilfe brauchen?

Klara Hanstein erzählt:

„Als Psychotherapeutin kannte ich mich mit Angst und Panik aus. Was es aber bedeutet, weiß ich erst seit einer Weisheitszahn-OP: Halb über mir hängend sagte der Zahnarzt, es könne Komplikationen ge­ben. Ich verstand das Wort ‚Beatmung‘ und sah die Assistentin ein riesiges Gerät hereinfahren. Zum Glück brauchten wir es nicht. Später hielt mir der Arzt für einen Test die Nase zu.

Benebelt von der Narkose empfand ich das erst als nicht so schlimm, aber kurz nach der OP erlitt ich die erste Panikattacke: Ich bekam keine Luft und fühlte mich handlungsunfähig der Situation ausgeliefert.

Auch während meiner Therapiesitzungen traten Attacken auf. Nach vorn gab ich die gefasste Psychologin, im Kopf hatte ich Todesangst. Ich bat meine Supervisorin, mit der ich ohnehin in Kontakt war, um eine Psychotherapie.

Allen anderen erzählte ich von ‚gesundheitlichen Problemen aufgrund einer Zahn-OP‘, weshalb ich die Sprech­stunde reduzieren würde.

Mitfühlende Reaktionen aus dem kollegialen Umfeld

Erst nach zwei Jahren, als aus dem beruflichen Umfeld immer mehr Fragen kamen und ich trotz Therapien kaum noch zum Supermarkt konnte, sah ich mich gezwungen, von meiner Erkrankung zu erzählen.

Ich lud Kolleginnen und Kollegen zu einer Videokonferenz ein. Die verständnisvollen Reaktionen erleichterten mich.

Ich schloss meine Praxis. Durch weitere Therapien und viel Arbeit an mir selbst geht es mir seit kurzem besser. Mein Wissen gebe ich nun über Social Media weiter. Das ersetzt für die Nutzerinnen und Nutzer keine Psychotherapie, aber ich bekomme von ihnen die Rückmeldung, dass es ihnen leichter fällt, Hilfe zu suchen, wenn sogar Therapeutinnen das tun.“

Klara Hanstein ist klinische Psychologin und Psychothera­peutin. Sie schreibt über Angst und Panik.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2023: Alles fühlen, was da ist
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