„Ich stehe am Schreibtisch, mein Blick fällt auf ein Zimmer im Haus gegenüber. Durch das matt erleuchtete Fenster, durch transparente Vorhänge sehe ich auf einem Bett zwei Männer sitzen, wie Aquarelle.
Sie sind bekleidet, nur die Schuhe fehlen. Beide sind jung, aber ganz unterschiedliche Typen. Der eine Mann blickt mir geradezu in die Augen. Im Schneidersitz hockt er da mit gefalteten Händen. Dunkelhaarig ist er, fester Bart, die Socken in knalligem Lila. Seine Mimik ist wach und konzentriert. Ein Denker. Der andere Mann blickt zur Seite, sichtlich entspannt, die Augen geschlossen. Blond gelockt ist er, in einem Pulli, gelbpastell. Ein Träumer.
Die Spannung des Bildes schafft die Gardine. Aus meiner Perspektive wirft sie Falten wie ein Gitter; einer der Stäbe trennt die beiden Männer, fast chirurgisch präzise. Das Paar wird zerschnitten, das Ich siegt über das Wir. Aus Unterschieden werden Gegensätze, unüberwindliche. Etwas Unversöhnliches steht im Raum, ein Schweigen nach dem letzten Akt, dem letzten Gespräch. Eine gemeinsame Zukunft ist nicht in Sicht. Der Denker blickt nach vorn, gefasst, aber freudlos. Der Träumer blickt zurück, erinnert vergangene Freuden.
Ein Windstoß. Der Vorhang schwingt und verschiebt das Gitter. Jetzt sehe ich, dass sich die beiden berühren, der Träumer sich dem Denker zuneigt und an ihn anlehnt. Auch das Licht scheint nun anders, hebt die Mundwinkel der beiden ein wenig, formt ein kleines Lächeln. Die Spannung weicht zufriedener Ruhe. Es war nicht das Ende. Es geht weiter. Über alle Unterschiede hinweg.“
Was könnte Ihre Bildbeschreibung mit Ihnen persönlich zu tun haben?
„Diese Fragilität vermeintlicher Sicherheiten kenne ich auch persönlich: eine neue Information, ein neues Ereignis – und schon ist alles anders. Das ist eigentlich ganz gut. Das ist das Leben.“
Jutta Allmendinger ist Soziologieprofessorin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).