Sie haben zusammen mit Ihrer Kollegin Cornelia Koppetsch eine Studie zu Frauen als Familienernährerinnen gemacht. Wie kamen Sie darauf?
Uns hat das Thema interessiert, weil die Zahl der Frauen in heterosexuellen Partnerschaften, die mehr Geld verdienen als ihre Männer, stark zunimmt. In den USA haben bereits in rund 40 Prozent der Familien die Frauen die Ernährerinnenrolle inne. In Deutschland gilt das mittlerweile für etwa jede zehnte Partnerschaft, in anderen europäischen Ländern wie England und Spanien…
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mittlerweile für etwa jede zehnte Partnerschaft, in anderen europäischen Ländern wie England und Spanien liegt die Zahl weit höher als hierzulande.
Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?
In den meisten Fällen werden Frauen unfreiwillig zur Familienernährerin. Männer geraten vielfach in Erwerbskrisen, da die traditionellen männlichen Arbeitswelten tendenziell wegbrechen oder im Zuge der Finanzkrise unsicher wurden. Es betrifft besonders die Industriearbeit und das Fachhandwerk. Für die Arbeitswelten der Frauen gilt dagegen das Umgekehrte: Die traditionell weiblichen Berufe, Tätigkeiten der Pflege und Fürsorge sind verstärkt gefragt, und der Dienstleistungssektor wächst.
Bei einem Arbeitsplatzverlust hängt es auch von der Flexibilität des einzelnen Menschen ab, ob dieser sich ein neues Arbeitsfeld erschließen kann: Ist jemand bereit, sich umzuorientieren? Ist er dazu in der Lage? Es spricht einiges dafür, dass Frauen sich schneller umorientieren. Es gibt also verschiedene Gründe für diese häufigere Konstellation der Ernährerinnen. Uns hat interessiert: Was verändert sich damit?
Was haben Sie genau geforscht?
Wir haben als Ausgangslage definiert: Wenn die Frau 60 Prozent des Einkommens oder mehr beisteuert, gilt sie als Familienernährerin. Für unsere Forschung suchten wir zuerst einmal zusammenwohnende Paare, auf die dies zutraf. Manche der Paare hatten Kinder, aber nicht alle. Dann führten wir jeweils drei ausführliche Interviews durch: Wir befragten die Frau und den Mann getrennt voneinander und führten außerdem ein Gespräch mit beiden gemeinsam. Diese Gespräche orientierten sich an unseren Forschungsfragen: Ändert sich die Arbeitsteilung, übernehmen die Männer mehr Hausarbeit, wenn die Frau das Geld verdient? Was passiert, wenn die Erwerbsrolle für den Mann wegbricht, die schließlich eine zentrale Säule der traditionellen Männlichkeit darstellt? Finden die Paare neue Männlichkeitsbilder?
Sie unterscheiden in der Studie drei Milieus. Wie kamen Sie dazu?
Ausgangslage dazu war die Erkenntnis, dass Geschlechtervorstellungen sich nicht in allen Milieus gleichen. Es gibt fundamentale Unterschiede, welche Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen jeweils herrschen. Aber auch andere Werte unterscheiden sich stark. Diese Leitbilder haben einen Einfluss darauf, wie Paare damit umgehen, wenn der Mann nicht mehr das meiste Geld verdient.
Wir haben deshalb aus einer Gesamterhebung mit Paaren aus unterschiedlichen Berufsgruppen und Einkommenshöhen drei Milieus gebildet: das individualisierte Milieu, das familistische und das traditionale Milieu. Diese drei Milieus stehen idealtypisch für gesellschaftliche Schichten mit unterschiedlichen Wertvorstellungen. Sie bergen auch unterschiedliche Konfliktkonstellationen, und sie zeigen verschiedene Umgangsweisen mit der Erwerbskrise des Mannes.
Wie gehen die Menschen aus den drei Milieus nun damit um, wenn die Frau erzwungenermaßen Hauptverdienerin ist?
Schauen wir zuerst auf das traditionale Milieu. Hier sind die Frauen meist in einfachen Dienstleistungsberufen beschäftigt. Sie arbeiten als Frisörin, als Krankenschwester oder in einem Hotel. In diesem Milieu wird es tatsächlich als Krise erlebt, wenn der Mann erwerbslos wird. Denn das stört die normale Ordnung, die darin besteht, dass der Mann das meiste Geld verdient. Hier wird das Ernährermodell angestrebt. Die Frau soll lediglich etwas zuverdienen. Das Paar bemüht sich daher, die „richtige“ Ordnung möglichst schnell wieder herzustellen. Das heißt: Die Frau erlebt zwar einen Machtzugewinn durch ihre Ernährerinnenposition, sie übt aber vor allem Druck auf ihren Mann aus, die alte Ordnung wieder herzustellen. Er soll sich einen neuen Job suchen. Diese Frauen werden darin meist auch von ihren Herkunftsfamilien unterstützt.
Heißt das, an der Rolle des Mannes als Ernährer ändert sich nichts?
Da die Frau durch das Geld, das sie verdient, in eine Machtposition gerät, ist es in diesem Milieu auch legitim, dass sie etwas fordert: beispielsweise dass der Mann die Spülmaschine ausräumt. Diese Arbeiten, die er manchmal verweigert, manchmal erledigt, werden aber nicht als ein Rollentausch gesehen. Sie führen auch nicht zu einem Überdenken von Männlichkeit und Weiblichkeit. Sie gelten als Ausnahme in einer befristeten Situation. Faktisch verändert sich also eine Menge bei diesen Paaren, aber die Leitbilder ändern sich in diesem Milieu nicht: Dass der Mann der Ernährer sein soll und die Frau nur Zuverdienerin – daran halten diese Paare fest.
Was verändert sich im familistischen Milieu, wenn die Frau das Geld verdient?
Die Menschen in diesem Milieu arbeiten meist in Berufen mit einer sozialen Orientierung. Neben Sozialarbeiterinnen sind darunter etwa auch Lehrer oder Beamte. Oft finden wir hier auch eine christliche Werteorientierung. Vom Einkommen her ordnen wir die Menschen einer mittleren sozialen Lage zu. Im familistischen Milieu zeigt sich der innovativste Umgang mit der Erwerbskrise des Mannes. Hier findet tatsächlich ein Rollentausch statt, wenn die Frau Familienernährerin ist. Wir haben hier Männer, die Hausmänner sind und sich auch als solche bezeichnen. Die Frauen verdienen das Geld, und die Männer machen die Haus- und Familienarbeit. Das geschieht allerdings nicht ganz konfliktfrei. Man merkt, dass Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen angekratzt sind. Das wird versucht aufzufangen, indem man etwa die Hausarbeit ein bisschen vermännlicht: Der Mann wird eher als eine Art Familienmanager gesehen. Es kommt auch öfter vor, dass dann im Haus viel renoviert und umgebaut wird. Gleichzeitig entdeckten wir, dass die Frauen hier trotz Vollzeitarbeit oft einen Teil der Hausfrauenarbeit behalten wie bügeln, Bad putzen, Betten machen, Wäsche waschen. Aber wir sehen bei diesen Paaren dennoch eine Veränderung der Geschlechterrollen.
Wie schaffen diese Paare den Rollentausch? Liegt es an ihren Leitbildern?
Einen Grund sehen wir darin, dass dieses Milieu sehr stark dem Leitbild von Familie und Gemeinschaft folgt. Die Familie zählt hier mehr als die Verwirklichung des Einzelnen in einem Beruf, und die Haus- und Familienarbeit genießt ein sehr hohes Ansehen. Sie gilt als gleichwertig oder sogar höherwertig als die Erwerbsarbeit. Daher bedeutet es keinen Verlust von Männlichkeit, wenn der Mann sich der Familie widmet. Diese Hausarbeit und Kindererziehung repräsentiert die gemeinsame Idee. Hier verstehen sich die Partner als Fürsorgegemeinschaft. Solidarität und Zusammenhalt sind hier ein Leitbild.
Kommen wir zum dritten, dem individualisierten Milieu. Man sollte meinen, dass diese Menschen wegen ihrer hohen Reflektionsfähigkeit auch am meisten die Egalität umsetzen.
Wir haben aber ein anderes Ergebnis. Bei diesen Paaren aus dem individualisierten Milieu schleicht sich hinterrücks eine traditionelle Arbeitsteilung ein. In manchen dieser Beziehungen findet sogar ein regelrechter Machtverlust der Frau statt, obwohl sie das Geld verdient.
Wie ist das zu erklären?
Dazu müssen wir die Werte in diesem Milieu betrachten. Das zentrale Leitbild ist das einer gleichberechtigten Partnerschaft. Hier herrscht ein Fifty-fifty-Idealbild, sowohl was das Geld angeht, als auch was die Arbeit im Haushalt und mit den Kindern betrifft. Gleichzeitig gibt es bei diesen Paaren eine starke Norm der Selbstverwirklichung: Beide sehen es als sehr wichtig an, dass der Mensch sich in seinem Beruf entfaltet. Diese Partner begegnen sich vor allem als vermeintlich unabhängige Individuen. Sie verstehen sich nicht in erster Linie als solidarische Gemeinschaft, wie die Paare der anderen Milieus. Diese Normen führen dazu, dass die Paare in eine Krise geraten, wenn die Frau die Haupternährerin ist. Der Grund: Es widerspricht dem Leitbild, dass beide sich alles gerecht teilen, das angestrebte Fifty-fifty-Gefüge gerät in eine Dysbalance, die nicht sein darf.
Und wie gehen diese Paare damit um?
Sie kaschieren dies zunächst. Sie geben an, damit kein Problem zu haben. Es sei egal, wer mehr verdient. Fragt man aber genauer nach, stellt man fest: Es herrschen latente und unterschwellige Konflikte. Und es gibt eine Reihe von umständlichen Umverteilungsmaßnahmen beim Geld. Da lädt die Frau beispielsweise den Mann auswärts zum Essen ein oder bezahlt den gemeinsamen Urlaub. Oft handelt es sich offiziell um Leihgaben, das Geld wird aber oft nie zurückgezahlt. Diese Maßnahmen dienen der Verschleierung: Sie sollen darüber hinwegtäuschen, dass die Frau die Familienernährerin ist. Ähnliche Mechanismen zeigen sich in der Arbeitsteilung. Die Frauen übernehmen nämlich auch noch den deutlich größeren Teil der Haus- und Sorgearbeit.
Sie verdient das Geld und macht auch noch mehr Hausarbeit? Warum tut eine Frau das?
Da gibt es verschiedene Gründe. Schauen wir zunächst auf die berufliche Situation: Während die Frauen in diesem Milieu gut bezahlte Berufe ausüben, sind die Männer hier typischerweise Kreative oder Künstler mit prekärem Einkommen oder Geisteswissenschaftler ohne feste Anstellung, manche schreiben seit Jahren an ihrer Dissertation. Weil bei diesen Paaren die Selbstverwirklichung im Beruf eine so große Rolle spielt, sind hier nun beide bestrebt, den Mann eben nicht in die Hausmannrolle kommen zu lassen. Denn wäre er vor allem mit Hausarbeit beschäftigt, würde er sich nicht mehr beruflich verwirklichen und auch noch gegen dieses Leitbild verstoßen. Er wäre dann „nur noch“ ein Hausmann – diesen Statusverlust möchten beide abwehren.
Der Mann soll lieber der chronisch prekäre Akademiker oder kaum verdienende Künstler sein, als „nur“ der Mann, der die Kinder betreut und die Wohnung putzt?
Genau. Im individualisierten Milieu finden wir den „Künstler“ als alternatives Männlichkeitsbild zum „Familienernährer“. Das bedeutet auch: Der Mann hat einen Lebensschwerpunkt außerhalb der Familie oder Paarbeziehung. Man kann nach unseren Studienergebnissen fast sagen: Je prekärer diese Männer beschäftigt sind, desto mehr müssen sie diesen Status abwehren, desto mehr suchen sie sich eine Bestätigung außerhalb der Familie. Und die Frauen unterstützen sie tatsächlich dabei, indem sie ihnen den Großteil der Haus- und Sorgearbeit abnehmen.
Damit ziehen sie an einem Strang mit den Männern, weil sie ihre Beziehung als gleichberechtigt erscheinen lassen wollen, und das heißt für sie: Beide sind beruflich engagiert.
Eine böse Falle! Aber die Frau erlebt doch auch einen Machtgewinn, wenn sie mehr Geld verdient. Wie gehen beide Partner damit um?
Dass die Frau mehr verdient, wird vordergründig von beiden geleugnet. Es wird die Illusion genährt, er könne für sich selbst sorgen. Oder es wird betont, Geld sei nicht so wichtig. Vor allem Männer postulieren, man brauche gar nicht so viel Geld. Es ist in gewisser Weise „unsexy“, Geldfragen in den Mittelpunkt zu stellen. Ähnliches gilt für die Hausarbeit. Vor allem ist das Saubermachen kein legitimes Streitthema. Aufräumen und Putzen macht man halt so nebenher. Ein lässiger Lebensstil gehört fast schon zum guten Ton. Die beiden würden eher eine Putzfrau anstellen, als sich über Hausarbeit zu streiten.
Die Frauen aus diesem Milieu wollen einen Mann, der beruflich sein Ding macht, weil sie das als attraktiv erleben. Sie würden daher nicht zu ihrem Künstlermann sagen: „Lass mal die Kunst bleiben, und kümmere dich um die Kinder!“ Denn dann hätte sie nicht mehr so einen attraktiven, unabhängigen Mann, der sich selbst verwirklicht. Genau dies scheinen die Männer als Gegengewicht zur Finanzmacht der Frau in die Waagschale zu werfen: Sie zeigen sich als cooler Künstler oder Kreativer, der emotional wenig auf die Beziehung angewiesen ist. Gerade bei drohenden Konflikten geben sich diese Männer unabhängig, ziehen sich in ihr Atelier oder ihr Büro zurück. Nur in einigen Fällen, in denen diese Inszenierung scheitert, gerät die Frau durch ihre Verdienerrolle in eine sehr starke Position.
Kann man also aus Ihrer Studie schlussfolgern: Das individualisierte Milieu ist der Verlierer, wenn Frauen Karriere machen?
Für dieses Milieu gilt: Hier hatte die Frauenbewegung mit der Abwertung der Haus- und Sorgearbeit eher negative Folgen. Mit der Hausfrauenrolle wurden auch alle damit einhergehenden Tätigkeiten abgewertet. Sie erscheinen in diesem Milieu so unattraktiv, dass man übers Putzen und Aufräumen am liebsten gar nicht spricht.
Sarah Speck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung in Frankfurt und an der Universität Osnabrück. Zusammen mit Cornelia Koppetsch, Professorin an der TU Darmstadt, führte Sarah Speck die hier vorgestellte Studie durch. Die Ergebnisse sind veröffentlicht in: Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist. Edition Suhrkamp, Berlin 2015.