Die Kunst, es gewesen zu sein
Fehler einzugestehen ist in unserer Kultur eine äußerst rare Tugend. Warum fällt es vielen so schwer, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen? Und wie kann man über den Automatismus der Selbstrechtfertigung hinauswachsen?
Der Satz ist kurz, kompakt und offenbar so tonnenschwer, dass er nur mühsam den Weg über die Lippen findet: „Ich war’s.“ Oder: Ich bin schuld, ich habe einen Fehler gemacht, ich hab’s vermasselt, ich habe das getan, ich bin verantwortlich. Ob FIFA-Skandal oder der Betrug um die Dieselabgaswerte: Wo immer sich die Scherbenhaufen türmen, findet sich selten jemand, der die Verantwortung für sein Tun übernimmt. Wer war das und muss deshalb die Konsequenzen daraus ziehen? Jeder Beteiligte weist jede Schuld von sich und behauptet wie der ertappte Dreijährige, dem noch die Schokolade an den Mundwinkeln klebt: „Ich war’s nicht.“
Scheitern und Fehler zeigen in unserer Kultur selten ein Gesicht. Viele Menschen leugnen die eigene Täterschaft. Und wenn das nicht möglich ist, dann werden die Ursachen für das eigene Fehlverhalten eben den Umständen, der Überforderung oder dem System zugeschrieben. Man kann doch gar nicht anders als zugreifen, wenn die Gelegenheit so günstig ist. Wer könnte diesem Selbstbedienungsangebot die kalte Schulter zeigen? Und so dürfen sich sogar die Täter ein bisschen wie Opfer fühlen – und mit Oscar Wilde sagen: „Ich kann allem widerstehen, außer der Versuchung.“
Der verstorbene Philosoph Odo Marquard (1928 bis 2015) beschrieb „den Ausbruch des Menschen in die Unbelangbarkeit“ 1973 in seinem Aufsatz Die Kunst, es nicht gewesen zu sein: „Die Menschen haben sich von der Vorstellung verabschiedet, dass Gott die Menschen durch Sünde, Schuld und Leid…
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