„Die Psychologisierung der Gesellschaft ist nicht aufzuhalten.“ Diese Prophezeiung wagte 1976 der Psychotherapeut Helmut Enke in einem Interview mit Psychologie Heute. Nun, vier Jahrzehnte später, wird deutlich, wie richtig er lag. Schon wenige Fakten belegen dies eindrucksvoll:
- Im Jahr 2007 studierten etwa 3000 junge Menschen das Fach Psychologie. 2016 waren es bereits mehr als doppelt so viele – über 6000. „Die Attraktivität des Psychologiestudiums ist ungebrochen“, schreibt Andrea Abele-Brehm,…
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- – über 6000. „Die Attraktivität des Psychologiestudiums ist ungebrochen“, schreibt Andrea Abele-Brehm, Psychologieprofessorin an der Universität Erlangen-Nürnberg, im Fachblatt Psychologische Rundschau (1/2017). Und ihr Kollege Kurt Pawlik, emeritierter Psychologieprofessor und Anfang der 1970er Jahre Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, bestätigt im Psychologie Heute-Interview: „Die Psychologie ist heute völlig etabliert, nicht nur am Markt der Berufe und in den Hochschulen, sondern auch in den Akademien der Wissenschaften, in den USA und in Europa. Es ist ein Aufstieg, um den uns andere Wissenschaften gleichen Lebensalters nur beneiden können.“
- 1975 berichtete Psychologie Heute über die 25. Lindauer Psychotherapiewochen, die unter dem Leitthema „Ziele der Psychotherapie“ standen. Regte sich damals unser Autor Bodo Schrink noch darüber auf, dass sich in Lindau eine „Elite“ psychotherapeutisch arbeitender Mediziner treffe, sind die Lindauer Therapiewochen, die 2017 zum 67. Mal stattfinden, längst zu einer multidisziplinären Veranstaltung geworden, die mehr Zulauf denn je hat: Über 4000 Experten und interessierte Laien aus den Bereichen Psychologie, Psychotherapie, Sozialarbeit und Medizin kommen an den Bodensee, um sich über die neuesten Entwicklungen zu informieren.
- In den 1970er Jahren schwappte aus den USA eine Welle therapeutischer Verfahren nach Europa, die von Erfahrungs- und Sinnsuchenden begeistert aufgegriffen und ausprobiert wurden, deren Wirkung aber kaum belegt war. Seither haben intensive Psychotherapieforschung, Qualitätssicherungsmaßnahmen und nicht zuletzt das 1999 in Kraft getretene Psychotherapeutengesetz die Psychotherapie zu einer wichtigen Säule des Gesundheitssystems gemacht. Psychotherapie und Beratung sind zu selbstverständlichen Instanzen der Lebensführung geworden.
- Die Berührungsängste zwischen der akademischen Psychologie und der Öffentlichkeit, speziell den Medien, sind gesunken. Als im September 1974 die erste Ausgabe von Psychologie Heute erschien, beäugten wissenschaftlich arbeitende Psychologen dieses Unterfangen eher misstrauisch bis extrem kritisch („Bildzeitung der Psychologen“). Heute erkennen akademische Psychologen, dass sie sich nicht nur auf Forschung und Lehre konzentrieren dürfen, sondern dass ihre Aufgabe auch darin besteht, „kulturell, sozial oder ökonomisch nutzbares Wissen“ der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, wie Abele-Brehm schreibt. Um dieser als third mission bezeichneten Aufgabe gerecht zu werden, hat zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Psychologie ihre Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verstärkt: Die Medien sollen bei der Suche nach geeigneten Experten und Expertinnen unterstützt werden.
- Dass Psychologie in der Gesellschaft angekommen ist, zeigt nicht zuletzt die Vielzahl an Publikationen, die sich heute dem Thema Psychologie im weitesten Sinne widmen. Als im September 1974 die erste Ausgabe dieser Zeitschrift erschien, war das Magazin mit seiner Thematik noch allein auf weiter Flur. Psychologie wurde damals von der Mehrheit der Bevölkerung vor allem mit „Problem“ und „Krankheit“ assoziiert und war für die Publikumspresse alles andere als „sexy“. Heute gibt es ein wachsendes Segment an Zeitschriften, die sich mit Psychologie befassen; selbst gesellschaftspolitische Magazine und Zeitungen, deren Geschäft eigentlich Berichte aus Politik und Wirtschaft sind, sehen in „weichen“ Themen ein bewährtes Mittel für höhere Auflagen.
„Give psychology away“, bringt die Psychologie unter die Leute, forderte 1969 der damalige Präsident der American Psychological Association, George A. Miller. Dies ist erfolgreich geschehen. Psychologie Heute hat diese Entwicklung mit angestoßen und kritisch begleitet. Die kontinuierliche Berichterstattung über die Erkenntnisse der Sozialwissenschaften und das anhaltend hohe Niveau, für das unsere Autorinnen und Autoren stehen, haben Psychologie Heute zu einem Leitmedium. 500 Ausgaben belegen dies eindrucksvoll.
Also: Mission erfüllt? Keineswegs. Das Bedürfnis vieler Menschen nach Orientierung und seriöser und unabhängiger Information wird weiter wachsen. Nicht nur im Privatleben und im Beruf, sondern auch zur Einschätzung und Erklärung aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen brauchen wir die Stimme der Psychologie. Sie ist die Disziplin, die uns hilft, das moderne Leben zu verstehen. Psychologisches Wissen ist unverzichtbar geworden.
Lesen Sie ergänzend zu diesem Beitrag auch das Interview mit Psychologieprofessor Kurt Pawlik zur Entwicklung des Faches Psychologie, das ebenfalls in der 500. Ausgabe von Psychologie Heute erschienen ist.