Ansteckende Korruption

In einem wissenschaftlichen Experiment wurde gezeigt, dass sich ehrliche Menschen durch Unehrliche anstecken lassen können.

Die Illustration zeigt schwarze Hände, die in einer Domino-Reihe stehen, wobei die ersten Hände umfallen und die dahinterstehenden mitreißen
© Joni Majer

Korruption nimmt nach der Einschätzung von Transparency International weltweit zu. Auch in Deutschland, so zeigt der 2018er Report, steigen Korruption und Bestechung in Wirtschaft und öffentlichen Institutionen an. Ein Mitarbeiter einer Ausländerbehörde hatte gegen Geld Anträge zugunsten von Asylbewerbern ausgestellt. Mehrere Angestellte eines großen Industrieunternehmens wurden freigestellt: Bei einer Revision hatte sich gezeigt, dass sie über längere Zeit hinweg nicht geleistete Arbeitsstunden von…

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hatte sich gezeigt, dass sie über längere Zeit hinweg nicht geleistete Arbeitsstunden von externen Firmen abgerechnet hatten.

Es passiert noch nicht oft, aber im Privaten führen neuerdings Notlagen zu Bestechung, wie Medienberichte zeigen. Eltern bieten etwa auf eBay Geld, oft diskret als Spende, für die erfolgreiche Vermittlung von Kitaplätzen an. Wohnungssuchende wollen es potenziellen Vermietern mit Geld leichtmachen, ihnen die Wohnung zu geben. 

Wie kommt es dazu? Eine neue Studie des bekannten Psychologen Dan Ariely von der Duke University und seiner Kollegin Ximena Garcia-Rada (Harvard University) kommt zu einem beunruhigenden Ergebnis: Korruption ist ansteckend. Offenbar kann es die Moral eines Menschen schwächen, wenn er mitbekommt, wie andere korrumpieren und sich so Vorteile sichern; oder auch wenn jemand versucht hat, uns zu bestechen.

Lügen für den Gewinn

In der raffiniert konstruierten Studie von Ariely erhielten die Teilnehmer zunächst Instruktionen für ein virtuelles Glücksspiel: Sie sollten 30-mal würfeln und würden für jedes Auge einen fixen Geldbetrag erhalten, den sie behalten dürften, erklärte ihnen ein wissenschaftlicher Assistent. Vor jedem Wurf sollten sie sich im Geiste für die Ober- oder Unterseite des Würfels entscheiden, müssten ihre Wahl aber erst nach dem Wurf offenlegen. Dies schaffte einen Anreiz, unehrlich zu sein. Zeigte der Würfel beispielsweise eine Eins auf der Ober- und somit eine Sechs auf der Unterseite, konnte ein Spieler behaupten, er habe vorab die Unterseite gewählt, auch wenn das Gegenteil stimmte, und so den sechsfachen Betrag einstreichen.

Nach der Einführung wurden die Teilnehmer zufällig in eine hochdotierte und eine weniger ertragreiche Gruppe eingeteilt, wobei der Betrag pro Würfelauge in der ersten zehnmal so hoch war wie in der zweiten. An dieser Stelle kam der zweite Kniff: Manchen aus der weniger lohnenden Gruppe bot der Assistent an, gegen ein Schmiergeld in die lukrativere Gruppe wechseln zu dürfen, was zwar unzulässig sei, aber vom Studienleiter nicht entdeckt werden könne, wie er versicherte.

Insgesamt unterzogen sich die 349 Teilnehmer drei Versionen dieses Tests. Das Resultat: Probanden, denen ein unlauterer Gruppenwechsel angeboten worden war, verhielten sich im nachfolgenden Würfelspiel deutlich unehrlicher als Teilnehmer, die keine Offerte erhalten hatten (14 Prozent unehrlicher als Teilnehmer der unlukrativen Gruppe, die kein Wechselangebot erhalten hatten, 9 Prozent unehrlicher als Teilnehmer der lukrativen Gruppe). Jene, die es abgelehnt hatten, ein Schmiergeld zu zahlen, also eigentlich ehrliche Zeitgenossen waren, schummelten später mehr als Probanden, die gar kein Betrugsangebot erhalten hatten.

In- und Out-Group-Mechanismen

Dem unehrlichen Verhalten von anderen ausgesetzt zu sein hat also eine abträgliche Wirkung auf die eigene Moral, wie diese Studie zeigt, und führt dazu, dass Menschen sich selbst unehrlicher verhalten. „Unsere Arbeit legt nahe, dass sich Korruption wie eine Krankheit ausbreiten kann; und je mehr sie sich ausbreitet, desto schwieriger ist es, sie zu kontrollieren“, erläutert Ximena Garcia-Rada. „Dies ist besorgniserregend, denn Korruption hat vielfältige Auswirkungen auf die Gesellschaft: Sie schwächt Institutionen, schädigt die Demokratie und unterwandert das Vertrauen der Menschen in Regierungsbeamte.“ Auch wirtschaftliche Aktivitäten würden von ihr beeinflusst, warnt sie.

Wie läuft die Ausbreitung genau ab? Korruption, argumentieren die Forscher, beeinflusst soziale Normen, also die ungeschriebenen Gesetze über akzeptiertes Verhalten in einer Gesellschaft. „Wenn die Leute glauben, dass Bestechung akzeptabel ist, werden sie weniger überrascht sein, wenn jemand sie auffordert, ein Schmiergeld zu zahlen, und sind eher bereit, eine solche Zahlung zu leisten“, so Garcia-Rada.

Der Einfluss scheint denn auch besonders groß zu sein, wenn ein Betrüger zum eigenen Kreis gehört. Wie eng der Zusammenhang zwischen Gruppenzugehörigkeit und Unehrlichkeit ist, belegt eine frühere Studie von Ariely und Kollegen: Darin zeigten sie, dass Studenten, die beobachtet hatten, dass ein Kommilitone ihrer Universität bei einem Test schummelte, plötzlich ebenfalls mehr betrogen.

Kam der Schummler dagegen von einer anderen Uni, verhielten sich die beobachtenden Studenten sogar ehrlicher. Die Erklärung der Forscher: Wenn man ein Mitglied der eigenen Gruppe beim Betrügen beobachtet, schließt man daraus, dies sei die Norm und es sei in Ordnung, sich unehrlich zu verhalten. Einen „fremden“ Schummler dagegen betrachtet man eher als „schwarzes Schaf“, das Normen bricht, und verhält sich deshalb eher gegensätzlich.

Dan Ariely, Ximena Garcia-Rada: Corruption is contagious. Scientific American, September 2019, 63 bis 66

Heather Mann u.a.: Cut from the same cloth: Similarly dishonest individuals across countries. Journal of Cross-Cultural Psychology, 47/6, 2016. DOI: 10.1177/0022022116648211.

Francesca Gino u.a.: Contagion and differentiation in unethical behavior: The effect of one bad apple on the barrel. Psychological Science, 20/3, 2009. DOI: 10.1111/j.1467-9280.2009.02306.x

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2020: Ruhe im Kopf