Tatort: Was soll das Psychiater-Bashing?

In der Krimireihe „Tatort“ wurde der „verrückte Psychiater“ zum Täter. Dieses Narrativ richte großen Schaden an, findet Psychoanalytiker Volker Münch.

Das Foto zeigt mehrere Bücher, die auf einem Regalbrett stehen. Die Buchrücken ergeben zusammen eine Maske mit ausdruckslosem Blick.
Psychiaterinnen und Psychiater sind mehr als das eindimensionale, verzerrte Bild, dass der „Tatort“ von ihnen zeichnet. © Andrea De Santis / Unsplash

Das war nun doch etwas zu viel. Nach zwei Sonntagabend-Tatorten mit je einem verrücktgewordenen Psychiater fragt man sich, welches Bild Drehbuchautoren und -autorinnen von Neurotikern, Psychotikern und ihren Helfern haben und welches Bild Hilfsbedürftige damit vermittelt bekommen. Zugegeben, Fiktion ist Fiktion und nicht die Realität, aber in Zeiten, in denen das eine mit dem anderen auch in öffentlichen Diskursen zuweilen zu verschmelzen scheint, besteht doch zumindest eine größere Verwechslungsgefahr.

Vor…

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scheint, besteht doch zumindest eine größere Verwechslungsgefahr.

Vor dem Hintergrund eines immer drastischer werdenden Mangels an niedergelassenen Psychiatern, die dem Ansturm von Patientinnen und Patienten nicht mehr gerecht werden können, schlechten Bedingungen für den Nachwuchs wegen vergleichsweise schlechterer Bezahlung gegenüber anderen Facharztgruppen und einer nebenbei bemerkt seit 26 Jahren nicht überarbeiteten Abrechnungsordnung für private Patienten, sollten vielleicht mal die sich aus dieser Misere ergebenden Konflikte und Nöte dramaturgisch zu Darstellung kommen. Also vielleicht: Psychiater läuft Amok wegen immer geringerer Bezahlung?

Verzerrtes Bild: Psychiater als Sonderling

Doch im Einzelnen: Egal, ob die jeweilige Psychiater-Figur in einer Klinik oder in einer Einzelpraxis niedergelassen ist - viele Darstellungen zeichnen den Psychiater als gefühlslabilen, selbst hilfsbedürftigen Sonderling, dem in der Realität niemand Vertrauen entgegen bringen würde.

Der am Sonntag, 16. Oktober 2022, ausgestrahlte Frankfurter Tatort „Leben Tod Ekstase“ nahm sich die immer einmal wieder in der Presse erwähnten „Psycholyse“-Seminare zur Zielscheibe einer verheerenden Kritik. Die meisten der Teilnehmerinnen einer solchen Sitzung sind denn auch bereits am Anfang der Handlung im Jenseits angekommen.

„Psycholyse“ ist der seit den 60er-Jahren immer wieder unternommene Versuch, mit Hilfe von psychotropen Substanzen schnelle Heilerfolge bei psychisch Kranken zu erzielen. Stichworte sind etwa Timothy Leary und LSD. Gerade derzeit sind in einem strengen Forschungssetting solche Ansätze wieder im Fokus ernsthafter wissenschaftlicher Arbeit. „Psycholyse“ hat trotz der naheliegenden Assoziationen im Übrigen nichts gemein mit dem anerkannten Therapieverfahren „Psychoanalyse“, das im deutschen Kassensystem als „analytische Psychotherapie“ angewandt wird.

Im Pakt mit dem Teufel

Während der Tatort-„Psycholyse“-Doktor also als Verschnitt aus erlösungsseligem Schwurbelguru und rhetorischem und emotionalem Vollnazi gezeichnet wird, nahm es der Kollege im Wiener Tatort in der Folge „Das Tor zur Hölle“ vor wenigen Wochen nicht nur mit dem verdrängten Unbewussten, sondern gleich mit dem Teufel höchstpersönlich auf. In Undercover-Teufelsaustreibungen sollte er befinden, wann es sich um einen Wahn und wann um tatsächliche Besessenheit handelte. Als könnte man das differentialdiagnostisch herausfinden.

Der Schaden, den eine bemühte und sehr engagierte Berufsgruppe mit ihrem Image bezahlt, um stereotype Vorurteile zu bedienen und damit mühsam konstruierten Handlungssträngen mehr Drive zu geben, ist vielleicht nicht messbar. Schade dennoch, dass die zweifellos oft interessant und vielschichtig, ja zuweilen auch eigenwillig wirkenden Persönlichkeiten aus diesem Fachgebiet so eindimensional bleiben.

Eine Psychiaterin ist keine Psychotherapeutin

Auch die Verwechslungsgefahr für Laien bleibt erheblich: Die meisten Psychiaterinnen und Psychiater arbeiten weniger psychotherapeutisch, haben oft weniger Zeit für Gespräche. In den Filmen werden sie jedoch meist als Analytiker dargestellt, sehr wohlhabend, entsprechend mit unendlich viel freier Zeit, mit merkwürdigen Vorstellungen von sich und anderen.

Psychotherapeuten aber verrichten eine sehr wenig spektakuläre Arbeit im Stillen. Vielleicht beunruhigt das so sehr, dass man sich immer wieder einmal ausmalen muss, wie verrückt sie eigentlich sein müssen, sich den ganzen Tag mit ihren Patienten und deren Sorgen beschäftigen zu müssen.

Volker Münch ist Diplompsychologe, psychologischer Psychotherapeut und ­Psychoanalytiker. Er ist am C.-G.-Jung-Institut München und bei der Münchner ­Arbeitsgemeinschaft für ­Psychoanalyse als Lehranalytiker, Dozent und Supervisor ­tätig.