Auf den Therapeuten kommt es an!

Für 30 bis 50 Prozent der Hilfesuchenden ist eine psychotherapeutische Behandlung nicht so hilfreich wie erhofft. Ihre Beschwerden lindern sich nicht. Das kann am Verhalten des Therapeuten liegen

Psychotherapie ist wirksam. Das hat die Forschung der letzten Jahrzehnte nachgewiesen. Dennoch bessern sich bei 30 bis 50 Prozent der Patienten während der Zeit, in der sie Psychotherapie in Anspruch nehmen, die Beschwerden nicht. Trotz der Einführung zahlreicher neuer Therapieverfahren ist dieser Anteil während der letzten Jahrzehnte im Wesentlichen unverändert geblieben. Wie ist das zu erklären?

Ein genauerer Blick auf die Ergebnisse der Forschung zeigt, dass nicht nur der Einfluss von Patienten- und…

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Ein genauerer Blick auf die Ergebnisse der Forschung zeigt, dass nicht nur der Einfluss von Patienten- und außertherapeutischen Faktoren, sondern auch der Einfluss der therapeutischen Beziehung ebenso wie derjenige des Therapeuten selbst weithin unterschätzt wurde. Neueren Metaanalysen zufolge haben diese Faktoren einen deutlich größeren Einfluss auf den Behandlungserfolg als zum Beispiel die Therapiemethode. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was ­einen „ausreichend guten“ Therapeuten ausmacht. Mit diesem Begriff, der auf ­­Donald W. Winnicott zurückgeht, der von der „ausreichend guten Mutter“ gesprochen hat, soll angedeutet werden, dass ein Therapeut in seinen Möglichkeiten begrenzt ist und es um seinen Umgang mit dieser Begrenzung gehen muss.

Studien, die sich mit dem Einfluss der Person der Therapeuten und Therapeutinnen auf das Behandlungsergebnis befassen, zeigen übereinstimmend, dass ­einige konstant bessere Leistungen aufweisen als andere – unabhängig von Diagnose, Alter, Medikationsstatus und Krankheitsschwere des Klienten. Vergleicht man die Gruppe der effektivsten und diejenige der am wenigsten effektiven Therapeuten, dann zeigt sich: Die Patienten der erfolgreichen Therapeuten weisen eine um 50 Prozent höhere Besserungs- und eine um mindestens 50 Prozent niedrigere Abbrecherrate auf – im Vergleich zu den Patienten der am wenigsten effektiven Therapeuten.

Zuversicht, Vertrauen, Offenheit

Welche Verhaltensweisen und Persönlichkeitseigenschaften von Therapeuten beeinflussen das Therapieergebnis? Mit dieser Frage hat sich eine begrenzte Zahl von Studien befasst. So ist bekannt, dass es den Therapieerfolg fördert, wenn Therapeuten ihren Patienten Zuversicht, Hoffnung und Optimismus vermitteln und wenn sie den von ihnen vertretenen Behandlungsansatz, welcher es auch sei, überzeugend präsentieren.

Befragungen von Patienten ergaben, dass Therapeuten, die von Patienten als flexibel, erfahren, ehrlich, respektvoll, vertrauenswürdig, zuversichtlich, interessiert, wach, freundlich, warm und offen wahrgenommen wurden, eher als andere in der Lage waren, eine gute therapeutische Beziehung herzustellen. Den Patienten war es besonders wichtig, wie ein Therapeut auf sie reagiert hatte, ob er ihre Reaktionen auf das, was er gesagt hatte, ernst genommen und ob er sein Vorgehen geändert hatte, wenn die Situation oder der Kontext dies erforderten. Responsivität, Flexibilität, Akzeptanz und Präsenz waren die Schlüsselmerkmale, mit denen Patienten einen guten Therapeuten beschrieben.

Ungünstige Therapeuteneinflüsse sind offenbar Dominanz des Therapeuten, negative Gefühle gegenüber dem Patienten zu Therapiebeginn, subtile feindselige interpersonelle Botschaften in den Interventionen und ein unsicherer Bindungsstil des Therapeuten, zumindest bei Patienten mit schweren psychischen Problemen. Überraschend ist, dass Berufserfahrung und Umfang der Psychotherapieausbildung nur einen geringen Einfluss auf das Behandlungsergebnis haben.

Therapeuten brauchen nicht perfekt zu sein; Patienten verzeihen ihren Behandlern offensichtlich vieles, wenn sich mit ihnen über die unvermeidlichen Missverständnisse und Unzulänglichkeiten ein Verständnis herstellen lässt. So wurden ausgesprochen positive Effekte auf die therapeutische Beziehung beobachtet, wenn sich Missverständnisse auflösen ließen, wenn Patienten ihre negativen Emotionen mitteilen konnten und ihre Therapeuten nicht defensiv, sondern offen und akzeptierend darauf reagierten. Ungünstige Effekte auf die Therapeut-Klient-Beziehung wurden berichtet, wenn Patienten ihre negativen Emotionen vor den Therapeuten verbargen und diese nichts davon bemerkten oder wenn Therapeuten mit Irritation, vorzeitigen Deutungen und anderen defensiven Verhaltensmustern auf sie reagierten.

Vorsicht vor schnellen Deutungen

Negativ auf das Therapieergebnis wirkte es sich auch aus, wenn Patienten ihren Therapeuten als rigide, unsicher, ausbeuterisch, kritisierend, distanziert, angespannt oder abgelenkt erlebten. Als besonders ungünstig wurden Deutungen erlebt, die zwar die Beziehung des Patienten zum Therapeuten zum Inhalt hatten, aber nicht auf dem Boden einer tragfähigen Beziehung formuliert wurden. Nach Meinung der befragten Patienten sollten Therapeuten solche Deutungen nur einsetzen, wenn sie von einer guten, warmherzigen Beziehung zu ihren Patienten ausgehen können und nicht persönlich negativ auf sie reagieren.

Wichtig für eine gute therapeutische Allianz ist auch die Übereinstimmung zwischen Therapeut und Patient hinsichtlich der Aufgaben und Ziele der Therapie. Außerdem müssen sich Klienten verstanden und angenommen fühlen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickeln können.

Psychotherapeuten erkennen oft nicht, dass Patienten keine Fortschritte machen, sich verschlechtern oder sich mit dem Gedanken tragen, die Therapie abzubrechen. In einer Studie identifizierten die untersuchten Therapeuten aus insgesamt 550 Fällen nur einen von 40 Patienten, die sich während der Therapie verschlechtert hatten. In einer anderen Untersuchung gingen 25 Prozent der Psychotherapeuten davon aus, dass sich der Zustand von 90 Prozent oder mehr der Klienten gebessert hatte; 50 Prozent der Therapeuten waren der Meinung, dass der Zustand keines Klienten sich verschlechtert hatte. Niemand hielt seine Leistung für schlechter als durchschnittlich; weniger als vier Prozent der Professionellen hielten sich für durchschnittlich.

Im Einzelfall ist es für einen Therapeuten tatsächlich schwierig zu beurteilen, ob eine ausbleibende Besserung oder eine Verschlechterung der Symptomatik auf seine Behandlungsführung oder auf andere Faktoren zurückzuführen ist. Aber Therapeuten können aktiv erkunden, wie Patienten auf ihre Äußerungen reagieren, und ihre Aufmerksamkeit stärker auf beginnende Probleme lenken. Vor allem sollten sie nicht hoffen, dass Brüche in der therapeutischen Beziehung von selbst ­vorübergehen, und nicht die Therapie nach dem Prinzip „mehr desselben“ fortsetzen. Sie sollten nonverbale Signale von Skepsis und Ablehnung erkennen und die Patienten zu weiterer Erkundung ermutigen. Vor allem sollten sie lernen, fehlende Zustimmung zu den eigenen Vorschlägen und Erklärungen nicht als zu bekämpfenden Widerstand, sondern als willkommene Hinweise darüber aufzufassen, wie es anders weitergehen könnte.

Wolfgang Wöller ist Psychoanalytiker, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Neurologie und Psychiatrie. Er ist Ärztlicher Direktor der Rheinklinik Bad Honnef und Dozent unter anderem an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Der hier abgedruckte Text ist eine gekürzte Fassung eines Artikels aus dem Fachblatt Psychotherapeut, 2/3, 2016.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2016: Mut zur Unsicherheit