Voller Leidenschaft

Ob Tanzen, Gärtnern oder Gitarrespielen: Was gibt es Schöneres im Leben, als sich einer Leidenschaft hinzugeben? Doch sie hat eine Kehrseite.

In seinem Film Bauernopfer inszeniert Edward Zwick den Wettkampf zweier Schachgenies um die Weltmeisterkrone. Hier der Russe Boris Spasski, Titelträger, dort der Amerikaner Bobby Fischer, Herausforderer. Auf den ersten Blick gleicht einer dem anderen wie ein Abziehbild: Beide schachbegeisterte Ausnahmetalente, die schon als Halbwüchsige Großtitel anhäuften, beide mit einer hemdsärmeligen, offensiven Interpretation des Spiels. Doch tatsächlich sind sie ziemlich verschieden:Spasski, der Lebemann, ist ein…

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sie ziemlich verschieden:Spasski, der Lebemann, ist ein geselliger, weltzugewandter, liebenswürdiger Mensch, der viel Schach, aber nicht nur Schach im Kopf hat und die Turniervorbereitung auch mal etwas laxer angeht; wegen nachvollziehbaren Zweifeln an seiner Linientreue wird er von der Sowjetführung misstrauisch beäugt. Fischer, der Fanatiker, seit der Einschulung auf Schach und sonst nichts fokussiert, ist einzelgängerisch, exaltiert, narzisstisch, paranoid, ein Psychopath, der sich an der Verzweiflung seiner Gegner weidet, wenn er sie in die Enge getrieben hat.

Was Fischer und Spasski verbindet, ist ihre Leidenschaft, ihre brennende Begeisterung für das Schachspiel. Für beide ist diese Leidenschaft prägend, sie werden von ihr mitgerissen. Doch den einen, Fischer, deformiert sie, während sich der andere, Spasski, von ihr tragen, aber nie vereinnahmen lässt.

Spasski und Fischer, das ist der Januskopf der Leidenschaft. „Nichts Großes in der Welt geschieht ohne Leidenschaft“, schrieb Hegel. „Das Unvermögen des Menschen, seine Leidenschaften zu bändigen und zu beherrschen, nenne ich Knechtschaft“, schrieb Spinoza. Robert Vallerand, Psychologieprofessor an der Université du Québec im kanadischen Montreal, gibt beiden Philosophen recht. Er unterscheidet zwei widerstreitende Arten von Leidenschaft: eine gute, gelassene, erfahrungsoffene Variante, die sich harmonisch in die Persönlichkeit einfügt und von der ein Mensch profitiert; und eine verbissene Form, die mit dem sonstigen Lebenswandel in Konflikt tritt und Schaden anrichtet. Erstere nennt Vallerand „harmonische“, letztere „obsessive“ Leidenschaft.

Leidenschaft ist eine zentrale psychische Kraft. Sie „durchdringt alle Aspekte des Lebens“, so der Psychologe aus Kanada. „Sie umgibt uns.“ Von Romeo und Julia bis zur Twilight-Trilogie: In Tausenden von Stücken, Romanen und Filmen wurde die Leidenschaft besungen. Nur die Psychologie hatte lange wenig zu diesem Thema zu sagen. Robert Vallerand hat mit inzwischen mehr als hundert Befragungen und Experimenten ein Forschungsfeld wiederbelebt, das ein Dreivierteljahrhundert lang brachgelegen hatte: Was ist Leidenschaft, und was bewirkt sie in der Psyche und im Leben von Menschen?

Es begann mit einer Initialstudie im Jahr 2003, die deutlich machte, dass Leidenschaft keine elitäre Erscheinung ist, die nur Schachweltmeister, Erfinder oder rastlose Unternehmensgründer heimsucht. „Eine Passion zu haben ist nicht auf einige wenige Glückliche beschränkt, sondern es charakterisiert die meisten Menschen“, schreibt Vallerand. 84 Prozent der von seinem Team befragten 539 jungen Frauen und Männer nannten mindestens eine Leidenschaft. Für 35 Prozent war das ein Individualsport wie Joggen, Radfahren oder Schwimmen, für 25 Prozent ein Teamsport wie Basketball, Fußball oder Tanzen, 15 Prozent frönten einer passiven Passion wie Musikhören oder Filmegucken, 10 Prozent machten selbst Musik, 5 Prozent betrachteten sich als leidenschaftliche Leser, 4 Prozent malten oder fotografierten, 3,5 Prozent steckten ihren Enthusiasmus in die Arbeit, und 2 Prozent waren leidenschaftlich gern mit anderen Menschen zusammen.

Wohlgemerkt: Hier ist nicht von bloßen Interessen, Hobbys und Freizeitbeschäftigungen die Rede. Fünf Kriterien muss eine Aktivität erfüllen, damit sie für Vallerand als Leidenschaft durchgeht:

1. Ich widme ihr eine Menge Zeit, und zwar nicht erst seit kurzem.

2. Ich liebe diese Tätigkeit über alles, und sie interessiert mich im höchsten Maße.

3. Sie erscheint mir bedeutsam und wichtig.

4. Ich bin emotional sehr beteiligt und fühle mich lebendig, wenn ich ihr nachgehe.

5. Sie ist etwas, das mich ausmacht, ist Bestandteil meiner Identität.

Ich bin, was ich mit Hingabe tue

Leidenschaft ist nichts Flüchtiges, keine heftig, aber kurz aufwallende Emotion. Sie ist ein fortbestehendes, mit hoher Energie und Ausdauer betriebenes Engagement. Sie besteht darin, „zu tun, was man liebt“, schreibt die Psychologin Angela Duckworth in ihrem Buch Grit. The Power of Passion ans Perseverance. Doch Leidenschaft sei nicht allein, „sich in dieses Tun zu verlieben, sondern verliebt zu bleiben“. Leidenschaft ist beharrliche Hingabe.

Es ist diese die Jahre und manchmal das ganze Leben überdauernde Hingabe, die eine Leidenschaft zu einem immer fester verankerten Kernstück unserer Identität macht, zu einer Quelle von Selbstbestätigung und Wohlbefinden: Darin bin ich gut, darin gehe ich auf, das macht mich aus! Die Aktivität, der unsere Leidenschaft gilt, wird „selbstexpressiv“, sie wird zum Lebensausdruck der eigenen Person: Immer wenn wir ihr nachgehen, fühlen wir uns ganz nah bei uns selbst. „Wer sind Sie?“, wird die von Natalie Portman gespielte Protagonistin des Films Black Swan von einem Unbekannten gefragt. Statt ihren Namen zu nennen, antwortet sie ohne Zögern: „Ich bin eine Balletttänzerin.“ Das Tanzen ist für sie zum zentralen Element ihrer Persönlichkeit geworden.

„Das könnte erklären, warum manche leidenschaftlichen Performer wie Künstler oder Athleten sich nie zur Ruhe setzen oder, wenn sie es tun, wieder aus der Versenkung auftauchen“, meint Vallerand, „sogar mit mehrfacher Wiederholung wie etwa bei der Basketballlegende Michael Jordan oder dem Sänger Charles Aznavour.“ Kaum eine Rockband, die ihrer „definitiv letzten“ Abschiedstournee nicht irgendwann eine weitere hinterhergeschickt hätte. Ohne das, was sie schon immer mit Hingabe getan haben, fühlen sich leidenschaftliche Könner auf ihrem Gebiet oft leer, als fehlte ihnen ein Stück ihrer selbst. „Wenn du damit aufhörst, ist es, als ob du stirbst“, sagte der ehemalige Profifußballer Éric Cantona.

Warum versenken wir uns derart intensiv in ein Hobby, eine Arbeit, ein Interessenfeld, dass wir darin aufgehen und manchmal auch daran haften? Humanistische Psychologen wie Abraham Maslow oder Carl Rogers hoben hervor, dass wir Menschen unser ganzes Leben hindurch das Bestreben haben, die Talente, die in uns stecken, zu entfalten und dabei als Persönlichkeit zu wachsen. Nach der „Selbstbestimmungstheorie“ von Edward Deci und Richard Ryan, die auf dieser Idee aufbaut, werden Menschen von drei Grundbedürfnissen angetrieben:

Autonomie: Wir wollen selbst initiativ sein, nicht von anderen gesteuert und bevormundet werden.

Kompetenz: Wir wollen effektiv sein, eine Fertigkeit oder ein Wissensgebiet beherrschen.

Soziale Verbundenheit: Wir brauchen einen guten Draht zu Menschen, die uns und denen wir wichtig sind.

Wo sonst könnte man diesen Basisbedürfnissen besser gerecht werden als auf einem Feld, das man zu seiner Leidenschaft erkoren hat: Man geht seiner Passion autonom nach, wann immer man Zeit und Lust hat. Man hat es dabei durch Talent sowie viel Übung und Erfahrung mit den Jahren zu einiger Könnerschaft gebracht. Und in der Regel trifft man auf diesem Weg auch noch Seelenverwandte, die für die gleiche Sache brennen.

Stellen wir uns einen nicht sonderlich bewegungsaktiven Teenager vor, der plötzlich seine Leidenschaft für Basketball entdeckt. Er trainiert nun wie besessen und empfindet das ganz und gar nicht als Anstrengung, zu der er sich überwinden müsste. Schon bald kann der Junge mehrere Kilometer am Stück rennen, ohne außer Atem zu kommen. Er hat mehr Muskeln als die meisten Gleichaltrigen. Zudem ist er in einen Verein eingetreten, hat dort neue Freunde kennengelernt, kommt viel herum. All das hat auch seinem Selbstbewusstsein einen Schub gegeben. Und er hat eine wegweisende Lebenserfahrung gemacht: Wenn ich mich im Basketball so stark verbessern kann, dann wird mir das auch auf anderen Gebieten gelingen!

Hinzulernen können wir durch jede Erfahrung. Aber bei etwas, das wir mit Leidenschaft betreiben, ist die Chance viel größer. Wir sind dabei oft so konzentriert am Werke, dass wir in einen Flow geraten, in diesen Zustand selbstvergessenen Glücks beim Tun. Was wir mit Enthusiasmus und höchster emotionaler Beteiligung betreiben, bleibt besser im Gedächtnis haften und wird im persönlichen Erfahrungsschatz verankert. Vor allem dann, wenn wir dieser Tätigkeit so regelmäßig nachgehen und so viel Zeit in sie investieren, wie das der Fall ist, sobald wir sie mit Leidenschaft betreiben.

Wichtig dabei ist, dass wir dem freiwillig nachgehen, aus eigenem Antrieb, in unserem eigenen Tempo, ohne dazu gedrängt oder animiert werden zu müssen, etwa von den Eltern, dem Partner, dem Vorgesetzten – oder von uns selbst. Wir müssen uns nicht eigens dazu motivieren, keinen inneren Schweinehund überwinden. Die Motivation kommt von allein, und in ihrem Gefolge kommen Konzentration und Ausdauer. Dann wird die schwierige Passage beim Geigenspiel eben zum fünfzigsten Mal geprobt, ohne dass Überdruss oder Langeweile einkehren!

Wenn die Passion zum Zwang wird

Leidenschaft ist gut fürs Ego, doch darin liegt auch eine Gefahr: Es ist verführerisch, sie auf Knopfdruck abzurufen. Wenn wir unglücklich oder frustriert sind, wenn wir einen Rüffel erhalten haben oder uns etwas misslungen ist, wenn wir gerade eine schwierige Lebensphase durchmachen, dann steht die Leidenschaft als Tröster und Blender bereit. Dann tun wir das, was wir meistern und was uns Befriedigung verschafft: greifen zur Gitarre, steigen aufs Mountainbike, kämpfen uns im Computerspiel zum höchsten Level durch. Nicht einmal, sondern ständig. „Leidenschaft kann eine unflexible, rigide Persistenz entwickeln“, schreibt Vallerand.

Dies meint er mit der „obsessiven“ Variante der Leidenschaft, im Unterschied zur „harmonischen Leidenschaft“, die uns befeuert, ohne uns zu vereinnahmen (siehe den Kasten links). Letztere steht in einem einträchtigen Verhältnis zu den anderen Elementen, die unsere Identität ausmachen: Ja, ich bin Gitarrenspielerin, aber ich bin auch Lehrerin und Mutter, ich wandere für mein Leben gern, und ich kann auch mal abschalten und nichts tun.

Eine obsessive Leidenschaft hingegen dominiert alles. Sie lässt keine anderen Interessen und Verpflichtungen neben sich gelten. Wird eine Leidenschaft obsessiv, dann ist man ihr passiv unterworfen. Man spürt ein unkontrollierbares Verlangen, ihr nachzugehen. Sie ist kein Ausdruck von innerer Freiheit, sondern von Unsicherheit. Man braucht sie, um sich gut zu fühlen, weil man sich in seinem sonstigen Leben eben nicht so gut fühlt.

Für Vallerand ist obsessive Leidenschaft eine defensive Strategie, um mit Misserfolgserlebnissen und Spannungen im Alltag umzugehen: Man tut, was man gut kann, um sich wieder aufzubauen. Doch da die Leidenschaft als Notnagel, als Mittel zum Zweck dient, läuft man Gefahr, dass man ihr auf schematische, rigide Weise nachgeht: Man holt sich ein kalkuliertes Erfolgserlebnis ab. Auf der Strecke bleibt das Spielerische. Man riskiert dann auch nichts Neues – keine innovative Wurftechnik, keinen unvertrauten Riff –, aus Angst, sich ein weiteres Frusterlebnis einzufangen. Man stagniert, lernt nichts dazu.

Betreibt man seine Passion auf eine solch instrumentelle und defensive Art, dann droht die so geliebte Tätigkeit mit der Zeit selbst frustrierend zu werden. Harmonische Leidenschaft erwies sich in Studien als Indiz für Vitalität und Lebensfreude („Ich begrüße jeden neuen Tag“). Obsessive Leidenschaft hingegen stand in Verbindung mit Burnout („Ich fühle mich erschöpft von den mentalen und körperlichen Anforderungen“).

Eine allzu verbissene Leidenschaft ist nicht zuletzt ein Mühlstein für jede Partnerschaft. Die Beziehung selbst kann – siehe Romeo und Julia – natürlich ebenfalls zum Gegenstand der Leidenschaft werden, und wie jede Passion kann auch diese einen eher harmonischen oder eher zwanghaften Charakter annehmen. Nach einer Studie von 2013 führten junge Paare, die einander in harmonischer Leidenschaft zugetan waren, in jederlei Hinsicht eine glücklichere Beziehung als solche, die einander obsessiv verhaftet waren. Erstere waren deutlich zufriedener in ihrer Partnerschaft, sie empfanden sie als intimer, sie vertrauten einander stärker, investierten mehr in die Beziehung, ja sogar die Liebe und der Sex schnitten in ihrer Bewertung besser ab. Liebte hingegen auch nur einer der beiden auf eine obsessive Weise, so ging dies nicht nur zulasten seiner eigenen Beziehungszufriedenheit, sondern auch jener des Partners. Zum Beispiel drosselte die obsessive Leidenschaft des Mannes die Zufriedenheit der Partnerin mit ihrem Sexleben!

Also: Hier die harmonisch-leidenschaftlichen Menschen, dort die obsessiven Charaktere? Im Alltag sind harmonische und obsessive Leidenschaft oft nicht so typengerecht getrennt, wie Vallerand einräumt. Oft gehen sie Hand in Hand, und man findet beide Anteile in derselben Person vor, bloß in unterschiedlichem Mischungsverhältnis. Harmonische und obsessive Leidenschaft, so Vallerand, „können als zwei Seiten derselben Medaille gesehen werden“.

„Zwei Seiten derselben Medaille“ – so haben auch Julia Moeller, Melanie Keiner und Robert Grassinger von den Universitäten Yale, Erfurt und Augsburg ihre Studie überschrieben, in der sie 1149 Jugendliche und junge Erwachsene aus Deutschland und Brasilien nach Art und Heftigkeit ihrer Passionen befragten. Wie sich herausstellte, verbanden die meisten mit ihrer Lieblingsbeschäftigung (etwa: Fußball, Tanzen, Judo) beides, also sowohl harmonische als auch obsessive Leidenschaft. Und, so erläutert Julia Moeller: „Je höher die Leidenschaftswerte werden, desto stärker nehmen auch die obsessiven Aspekte zu.“ Sie fürchtet daher, „dass hohe Leidenschaft grundsätzlich mit einem gewissen Risiko einhergeht und dass es vielleicht eher die moderaten Leidenschaften sind, die dem Wohlbefinden dienen“.

Ein Leben ohne Leidenschaft

Allzu sehr sollte man seine Leidenschaften aber besser nicht unterkühlen, sonst bleibt am Ende nichts von ihnen übrig. Sowohl Moeller als auch Vallerand stießen in ihrer Forschung auf Menschen, denen jede Leidenschaft fehlte, sei sie nun harmonisch oder obsessiv. Diese Leute konnten sich für nichts in ihrem Leben wirklich begeistern. Ihren Bevölkerungsanteil schätzt Vallerand auf 15 bis 25 Prozent.

Über diese Leidenschaftslosen ist wenig bekannt, sie rücken erst jetzt in den Fokus der Forscher. Was man bislang weiß, spricht nicht dafür, dass ein Leben ohne Leidenschaft erstrebenswert ist: Diese Menschen erleben weniger angenehme und euphorische Gefühlszustände als andere, und sie geraten selten oder nie in einen Flow, „dieses scheinbar schwerelose Erleben einer Aktivität“, wie Julia Moeller es ausdrückt, bei der man „alles um sich herum vergisst“. Leidenschaftslose Personen berichten laut Vallerand über ein eher geringes Wohlbefinden, das zudem im Lauf der Jahre kontinuierlich zu sinken scheint. Ohne Leidenschaft fehlt dem Leben offensichtlich die Würze, es dümpelt fad vor sich hin.

Die Preisfrage lautet daher: Wie bringt man Leidenschaft in sein Dasein (zurück)? Auch darüber weiß die Forschung wenig Gesichertes, aber wir haben Robert Vallerand und Julia Moeller um einige persönliche Empfehlungen gebeten. Am Anfang steht für Vallerand der Imperativ auf dem Apollotempel von Delphi: „Erkenne dich selbst!“ Um schlummernde Leidenschaften zu wecken, sollte man sich also fragen: „Wer bin ich? Was mag ich? Was sind meine Stärken als Person, und welche Aktivitäten könnten zu diesen Stärken passen?“

Julia Moeller empfiehlt, bei dieser Suche dem nachzuspüren, was einem Freude bereitet: „Finden Sie heraus, in welchen Momenten Sie Glücksgefühle empfinden, und versuchen Sie, diese Momente öfter zu erleben.“ Und im Fortgeschrittenenkurs steht Training auf dem Lehrplan: „Leidenschaft lässt sich entwickeln, wenn Sie die notwendige Geduld und Übung aufbringen“, sagt Moeller. „Übung führt nicht nur zum Meister, sondern erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, die Belohnungsmomente des Flow zu erleben. Solange Sie beim Wellensurfen ständig vom Brett fallen, bevor die Welle Sie wegtragen kann, ist es eher unwahrscheinlich, dass Sie Flow erleben. Lassen Sie sich davon aber nicht entmutigen, sondern suchen Sie sich erfahrene Trainer, die Sie durch die Durststrecke hindurchbringen können.“

Und wenn Sie nun partout nichts finden, für das Sie sich begeistern können? Dann, rät Vallerand, schauen Sie doch mal in Ihrer Kindheit nach: „Welchen Dingen galt Ihre Leidenschaft, als Sie ein Teenager waren? Zu oft geben wir Aktivitäten auf, die wir geliebt haben, weil wir denken, dass wir sie als Erwachsene nicht mehr brauchen. Das ist keine weise Entscheidung, denn wir schneiden dann etwas ab, das uns am Herzen liegt und das zu unserem Wohlbefinden beitragen könnte.“ Also: „Suchen Sie in Ihrem Inneren, die Antwort ist dort irgendwo verborgen!“

Literatur

  • Robert J. Vallerand: The psychology of passion. A dualisticmodel. Oxford University Press, New York 2015

  • Julia Moeller u. a.: Two sides of the same coin: Do the dual “types” of passion describe distinct subgroups of individuals? Journal for Person-Oriented Research, 1/3, 2015, 131–150

  • Angela Duckworth: Grit. The power of passion and perseverance. Simon & Schuster, New York 2016

Ist Ihre Leidenschaft harmonisch oder obsessiv?

Robert Vallerand und sein Teamentwickelten diese passion scale, um harmonische und obsessive Leidenschaft voneinander abzugrenzen. Setzen Sie für „x“ jeweils die Tätigkeit ein, der Sie mit Leidenschaft nachgehen, also zum Beispiel Gärtnern, Kochen, Fotografieren, Pokern oder Gedichteschreiben – vorausgesetzt, Sie lieben diese Tätigkeit, widmen ihr viel Zeit, und sie scheint Ihnen wichtig und bedeutsam. Welche Seite der Leidenschaft ist bei Ihnen stärker­ ausgeprägt?

6 Indizien für harmonische Leidenschaft:

1. x fügt sich harmonisch in die anderen Aktivitäten meines Lebens ein.

2. All das Neue, das ich kennenlerne, während ich x praktiziere, führt dazu, dass ich es umso mehr mag.

3. x bildet die Vorzüge ab, die ich an mir mag.

4. x erlaubt mir, im Alltag abwechslungsreiche Erfahrungen zu machen.

5. x ist gut in mein Leben integriert.

6. x ist in Harmonie mit anderen Dingen, die ein Teil von mir sind.

6 Indizien für obsessive Leidenschaft:

1. Mir fällt es schwer, mein Verlangen nach x zu kontrollieren.

2. Ich muss fast zwanghaft an x denken.

3. x ist das einzige, was mich wirklich anturnt.

4. Wenn ich könnte, würde ich ausschließlich x machen.

5. x ist so aufregend, dass ich manchmal die Kontrolle darüber verliere.

6. Ich habe den Eindruck, dass x mich kontrolliert.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 9/2016: Ich und glücklich?