Können sich Meditierende besser konzentrieren?

Meditation dient nicht nur der Entspannung. Sie hilft vor allem dabei, Störendes auszublenden. Wer regelmäßig übt, erwirbt einen wirksamen Schutz gegen Ablenkungen

Bis in die 1970er Jahre hat sich die Wissenschaft kaum mit Meditation beschäftigt. Damals sagten manche Psychiater, Meditieren sei nicht nur exotisch, sondern gefährlich, dem LSD nicht unähnlich. Andere waren neugieriger, allen voran der Harvardmediziner Herbert Benson, der die transzendentale Meditation des indischen Hindugurus Maharishi Yogi systematisch ­überprüfte. Er fand heraus, dass sie eine typische Entspannungsreaktion auslöst, bei der viele körperliche und mentale Parameter messbar…

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auslöst, bei der viele körperliche und mentale Parameter messbar heruntergeregelt sind.

Da lag die Idee nahe, Meditation könne generell Stress reduzieren. Der amerikanische Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn entwickelte, zunächst für Schmerzpatienten, ein achtwöchiges Gruppenprogramm namens mindfulness-based stress reduction (MBSR). Inzwischen haben Hunderte wissenschaftliche Studien belegt, dass es gegen viele Gesundheitsprobleme hilft, seelische wie körperliche. Auch wer nicht MBSR betreibt, sondern ganz klassisch meditiert, hat oft Gesundheit im Sinn. Dabei zielt buddhistische Meditation höchstens indirekt auf Gesundheit. Eigentlich geht es eher um das, was in der Palisprache des buddhistischen Kanons samatha und vipassana heißt, Ruhe und Einsicht.

Psychologisch fällt das eher in die Sparte Kognition. Praktisch übt man, aus dem Zustand der Ruhe heraus konzentriert oder aufmerksam zu sein, ohne zu werten. Das beschreiben Meditierende als „Beobachtungsmodus“, wie die Chemnitzer Psychologin Juliane Eberth in ihrer Doktorarbeit berichtet. Eberth hat in vielen Facetten untersucht, was psychologisch geschieht, wenn Menschen meditieren.

Unaufgeregt und konzentriert, in entspannter Aufmerksamkeit

Heute gehört es zwar zum Lehrbuchwissen, dass Meditation vor allem entspannt, doch alles ist das nicht. Ido Amihai und Maria Kozhevnikov aus Singapur und Harvard etwa haben in mehreren Studien die elektrische Grundaktiviertheit des Gehirns bei der Meditation gemessen, die tonic alertness. Die wird durch Meditation zwar oft gedämpft, das ist gewöhnliche Entspannung. Sie kann aber auch intensiver werden. Dann ist das Individuum wacher und aufmerksamer – unaufgeregt und konzentriert, in entspannter Aufmerksamkeit.

Wissenschaftliche Studien zur Meditation beschäftigen sich neuerdings häufig mit solchen kognitiven Fragen. Etwa: Können sich Meditierende besser konzentrieren? Sind sie aufmerksamer, denken sie flexibler oder lösen sie Probleme kreativer? Und wenn ja: Wie lange hält das vor? Will man diese Fragen sinnvoll beantworten, muss man das experimentell tun. Dafür halbiert man eine Gruppe, die eine Hälfte meditiert eine Zeitlang mehrfach, die andere tut etwas anderes. Am Anfang und am Ende bearbeiten beide Gruppen psychologische Tests.

So ging ein Team um Ludwig Grepmair in Simbach am Inn vor. Ihre Probanden rekrutierten die Forscher aus einer Berufsgruppe, bei der es ganz besonders auf aufmerksames Zuhören und Einfühlen ankommt: Psychotherapeuten. Wie sich herausstellte, therapierten sie erfolgreicher, nachdem sie meditiert hatten: Ihre Patienten erholten sich besser. Und das, obwohl den Therapeuten die Meditation nur „verordnet“ worden war, indem man sie als Bestandteil der Ausbildung deklarierte. Da beide Gruppen streng nach Vorgabe gearbeitet hatten, schlossen die Autoren: Die Meditierenden mussten ihren Patienten aufmerksamer zugehört haben. Sie selbst hatten das nicht bemerkt.

Nun ist ein Therapiegespräch keine Alltagssituation. Werden Menschen auch im Alltag aufmerksamer, wenn sie meditieren? 51 gute Studien mit mehr als 2500 Probanden haben Juliane Eberth und ihr Doktorvater Peter Sedlmeier dazu gefunden und sie einer Metaanalyse unterzogen. Das Ergebnis: Wer in Meditationssitzungen reine Achtsamkeit übt, erzielt im Anschluss deutlich bessere Leistungen bei diversen Aufmerksamkeitstests als zu Beginn, ganz im Gegensatz zu Kontrollgruppen jeder Art.

Die drei Netzwerke der Aufmerksamkeit

Ein Team um Lena Wimmer aus Essen untersuchte gezielt eine Komponente der Meditation, nämlich „die eigene Aufmerksamkeit regulieren und immer wieder auf die aktuelle Erfahrung lenken“. Die Psychologie unterscheidet drei „Netzwerke“ der Aufmerksamkeit, und auch das berücksichtigten die Wissenschaftlerinnen. Das aktivierende Netzwerk ermöglicht, dass man überhaupt wach und reaktionsbereit ist. Das orientierende Netzwerk wählt gewissermaßen aus, auf welchen Gegenstand man die Aufmerksamkeit richtet. Das exekutive Netzwerk sorgt dafür, dass man Überflüssiges ausblenden kann.

Wimmer und ihre Mitstreiterinnen meditierten nicht mit Erwachsenen, sondern mit Kindern. Zehn der 34 jungen Probanden gingen einfach nur in die Schule. Acht durchliefen zusätzlich ein standardisiertes Konzentrationstraining. Die übrigen 16 erhielten außerdem noch 25 Einheiten eines Meditationstrainings, das in Inhalt und Dauer dem Alter angepasst war.

Die Kinder bearbeiteten sechs Tests, einmal zu Beginn des ersten gymnasialen Schuljahres und ein zweites Mal gut vier Monate später. Jeder Test zielte nur auf eines der drei Aufmerksamkeitsnetzwerke. Was das Steuern der Aufmerksamkeit angeht, so zeigte sich kein nennenswerter Unterschied zwischen den drei Gruppen: In allen drei lösten die Kinder die Flexibilitätstests nach vier Monaten besser als zu Beginn. Bei der Daueraufmerksamkeit waren die Kinder der beiden aktiven Gruppen besser als die anderen. Doch in zwei Punkten übertrafen die Kinder, die meditiert hatten, alle anderen: Sie konnten neue Informationen unvoreingenommener, offener und frischer verarbeiten, ihr vorhandenes Wissen stand ihnen weniger im Weg. Und sie konnten es leichter ausblenden, wenn sich aufdringliche Informationen in den Vordergrund drängten, während sie mit einer anspruchsvollen Aufgabe beschäftigt waren. Kognitive Hemmung nennt man diese Fähigkeit; sie ist unerlässlich, damit jemand, zum Beispiel in der Schule oder im Beruf, hochkonzentriert am Ball bleiben kann.

Dass Erwachsene kognitiv von Meditation profitieren, haben vor sieben Jahren der Neurobiologe Fadel Zeidan und seine Kollegen nachgewiesen. Ihre Probanden hatten gerade mal vier Tage meditiert. Doch schon nach so kurzer Zeit konnten sie, auch im Vergleich zur Kontrollgruppe, länger bei einer Sache bleiben als zuvor, ohne gedanklich abzuschweifen.

Soeben hat Sara Gallant aus Toronto die zwölf besten Studien zu der Frage analysiert, wie Meditation „höhere“ kognitive Funktionen beeinflusst. Die sind eng verknüpft mit Intelligenz und heißen auch „exekutiv“. Regulieren der eigenen Konzentration zählt dazu, ferner Planen, Entscheiden oder flexibel Denken. Solche exekutiven Aufgaben lösen Erwachsene besser, die einige Wochen oder Monate regelmäßig meditiert haben. Sie werden allerdings nicht intelligenter, sondern sie sind einfach fokussierter. Die Leistung steigt laut Gallant vor allem deshalb, weil Meditierende irrelevante Informationen ausblenden können, weil sie sich weniger von Ereignissen ablenken lassen, die mit der Aufgabe nichts zu tun haben.

Aufmerksamkeit kann man mit psychologischen Tests beurteilen. Man kann sie aber auch indirekt am Elektroenzephalogramm (EEG) ablesen, das die elektrische Aktivität der Gehirnoberfläche misst. Je weniger langsame Wellen in einem EEG erscheinen, umso wacher oder „alerter“ ist die Person, umso aufmerksamer kann sie sein. Es müsste sich also im EEG abbilden, wie sich die Aufmerksamkeit verändert, wenn Menschen meditieren, und wie sie sich entwickelt, wenn sie das länger tun. Genau das hat Willoughby Britton, Schlafforscherin an der Brown University in den USA, mit ihrer Gruppe in mehreren Studien untersucht.

Demnach unterscheiden sich Anfänger und langjährig Meditierende erheblich. Wer als Anfänger meditiert, wird relativ schnell müde. Das Gehirn arbeitet dann elektrisch langsamer, teilweise produziert es sogar Schlafwellen. Das hält bis in die Nacht an, was dazu führt, dass die Betreffenden besser und tiefer schlafen. In der Folge werden sie dann tagsüber wacher – und aufmerksamer. Das ist ein Beleg dafür, dass Meditation zunächst einmal entspannt, und es wird genutzt, um Menschen zu helfen, die unter Schlafstörungen leiden.

Mit der Erfahrung beim Meditieren scheint sich aber einiges zu ändern. Britton beschreibt die entspannte Wachheit oder relaxed alertness als eines der langfristigen Ziele von Meditation. Genau so etwas hat ihr Team im EEG Meditationserfahrener gefunden. Bei ihnen sieht die Aktivität schon während der Meditation wacher aus, sie produzieren keine Wellen, die Dösen oder Schlaf anzeigen. Sich zu konzentrieren scheint weniger anstrengend für sie, und sie lassen sich auch weniger ablenken. Es gibt sogar Hinweise, dass sie nachts etwas weniger schlafen und sich trotzdem besser erholen – die kognitiven Testergebnisse sind besser.

Ist Meditation also ein Weg zur kognitiven Leistungssteigerung? Oder gar einer, mit weniger Schlaf auszukommen? Das interessiert die Arbeitspsychologen brennend, und auch sie beginnen, das zu untersuchen. Doch regelmäßige Meditation kostet mehr Zeit, als sie an Schlaf einsparen könnte. Viel mehr! Als schnelles Dopingmittel taugt sie nicht.

Literatur

Amithai I, Kozhevnikov M: The influence of Buddhist meditation training on the autonomic system and attention. BioMed Research International, 2015, online dx.doi.org/10.1155/2015/731579

Britton WB, Lindahl JR, Cahn BR und andere: Awakening is not a metaphor: the effects of buddhist meditation practices on basic wakefulness. Annals of the New York Academy of Sciences. 1307 (2014), 64–81

Eberth J: Wirkungen und Wirkmechanismen achtsamkeitsbasierter Meditation: Entwicklung eines Modells über die durch buddhistische Meditation ausgelösten psychischen Veränderungen im Alltag. Dissertation, Chemnitz 2016

Gallant SN: Mindfulness meditation practice and executive functioning: Breaking down the benefit. Consciousness and Cognition 40 (2016), 116–130

Grepmair L, Mitterlehner F, Loew T und andere: Promoting mindfulness in psychotherapists in training influences the treatment results of their patients: A randomized, double-blind, controlled study. Psychotherapy and Psychosomatics, 76 (2007), 332–338

Good DJ, Lyddy CJ, Glomb TM und andere: Contemplating mindfulness at work: An integrative review. Journal of Management, 41, Nr. 1 (2016), 114–142

Sedlmeier, Peter: Die Kraft der Meditation. Was die Wissenschaft darüber weiß. Rowohlt, Reinbeck 2016

Wimmer L, Bellingrath S, von Stockhausen L: Cognitive effects of mindfulness training: Results of a pilot study based on an theory driven approach. Frontiers of Psychology, 2016, 7:1037. DOI: 10.3389/fpsyg.2016.01037

Zeidan F, Johnson SK, Diamond BJ und andere: Mindfulness meditation improves cognition: Evidence of a brief mental training. Consciousness and Cognitition, 19 (2010), 597–605

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 6/2017: Konzentrieren Sie sich!