Die Trennung traf Wolfgang Krüger unvorbereitet. Als der Psychotherapeut mit Mitte 40 das Institut verließ, an dem er zuvor etwa zehn Jahre tätig gewesen war, ahnte er nicht, dass er mit dem Schritt in die Selbständigkeit auch seine beiden besten Freunde verlieren würde. Zusammen waren sie durch Höhen und Tiefen gegangen, hatten sich gegenseitig während Therapieausbildung und Doktorarbeit unterstützt. „Wir waren nicht nur Kollegen am selben Institut, sondern führten unendlich intensive Gespräche über unsere…
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„Wir waren nicht nur Kollegen am selben Institut, sondern führten unendlich intensive Gespräche über unsere Partnerschaften, die Familie, unsere Ziele“, sagt Wolfgang Krüger. Fast täglich hätten sie Sport miteinander getrieben, sich gegenseitig nach Hause eingeladen. „Diese Freundschaften haben mein Leben ausgemacht. Wir waren wie eine Familie.“
Am gemeinsamen Arbeitgeber hatte Krüger mit der Zeit immer mehr missfallen, deshalb wollte er beruflich eigene Wege gehen und eine Praxis eröffnen, Bücher schreiben. Die Gespräche mit seinen Freunden ließen von heute auf morgen nach, erinnert er sich. „Ich wurde zwar noch eingeladen, doch plötzlich redeten sie mit mir nicht mehr über ihre Gefühle. Und dass ich eine andere Meinung hatte als sie, ließen sie nicht zu.“ Den Entschluss zur Selbständigkeit habe man ihm furchtbar übel genommen. „Er war wie ein Verrat an gemeinsamen Idealen – und wurde mir nie verziehen.“
Die vertrauensvolle Basis der einst so innigen Beziehungen war unwiederbringlich zerstört. Denn der Psychotherapeut vermisste bei seinen einstigen Freunden etwas, das Freundschaft ausmacht: sich aufeinander verlassen können, sich angenommen fühlen, egal was passiert.
Ein Fels in der Brandung
Psychologen definieren Freundschaften als positive Beziehungen, die auf Wechselseitigkeit und Freiwilligkeit beruhen. „Wir suchen jemanden, der uns zuhört, uns weitestgehend versteht und dem wir alles sagen können“, erklärt Wolfgang Krüger, der sich nach seiner schmerzhaften Erfahrung eingehend mit Freundschaften beschäftigt hat und auch ein Buch zum Thema schrieb. „Der Freund sollte im Strudel des Lebens zuverlässig für den anderen da sein.“ Ein sicherer Fels in der Brandung, auf den man bauen kann und der einen unterstützt – emotional oder ganz praktisch, indem er in schwierigen Zeiten seine Hilfe anbietet.
„Freunde verdoppeln die Freude und halbieren das Leid“, schrieb der englische Philosoph Francis Bacon im 17. Jahrhundert, einer Zeit, in der Freundschaften besonders romantisiert wurden. Wie gut der Kontakt zu unseren Freunden uns tatsächlich tut, zeigen wissenschaftliche Studien. So ergab etwa eine großangelegte Befragung von mehr als 24 000 Personen in Kanada, dass Freundschaften uns nicht nur glücklich, sondern auch gesund machen: Wer seine Freunde häufig traf, fühlte sich wohler, hatte mehr Vertrauen in sein Umfeld und empfand weniger Stress. Der niederländische Psychologe Jaap Denissen und seine Kollegen fanden heraus, dass gute Beziehungen unseren Selbstwert steigern können. Und sogar auf unseren beruflichen Erfolg scheinen Freunde Einfluss zu nehmen, wie eine Studie mit Versicherungsmitarbeitern aus den USA nahelegt: Je persönlicher die Teilnehmer mit ihren Kollegen vernetzt waren, desto bessere Leistungen erzielten sie in ihrem Job.
Empfinden Menschen, die mehr Freunde haben, also auch mehr Lebensglück? So einfach ist die Gleichung nicht. „Menschen unterscheiden sich stark darin, wie viele Freunde sie brauchen, um sich wohlzufühlen“, sagt Cornelia Wrzus, Juniorprofessorin für Persönlichkeitspsychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. „Schon ein oder zwei Freundschaften können uns reichen, sofern wir zufrieden mit ihnen sind.“ Eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts Splendid Research unter mehr als 1000 Deutschen im Januar 2017 ergab: Im Schnitt betrachten wir tatsächlich nur drei Menschen als unsere wahren Freunde. Der britische Psychologe Robin Dunbar meint sogar, zu mehr als fünf engen Freundschaften sei unser Gehirn gar nicht fähig. In den 1990er Jahren verglich er die Größe des Neocortex von Säugetieren sowie jenen von Menschen mit der Größe ihrer jeweiligen sozialen Gruppe. Aus seinen Berechnungen schloss er: Unsere kognitive Kapazität reicht nur für ein soziales Netzwerk von rund 150 Menschen aus – Freunde, Familie und Bekannte.
Nun lernt jeder Mensch im Laufe seines Lebens weit mehr als 150 Menschen kennen. Unsere Kontakte unterliegen entsprechend einem mehr oder minder steten Wandel. Grundsätzlich schrumpft unser Freundeskreis über die Zeit. Kindern fällt es meist nicht schwer, freundschaftliche Kontakte zu knüpfen, sei es in der Schule oder in der Nachbarschaft. Und auch im Jugendalter haben wir in der Regel einen großen Kreis an Vertrauten, dann auch durch ein gemeinsames Hobby oder die Ausbildung. Freunde erfüllen in dieser Zeit eine wichtige Funktion, sagt Cornelia Wrzus: „In der Adoleszenz helfen sie uns dabei, uns vom Elternhaus zu lösen und die eigene Identität zu finden.“ Bis zum Alter von Mitte 20 bauen wir uns dann ein immer umfangreicheres Netzwerk auf. Im jungen Erwachsenenalter können Freundschaften als Vorbild für spätere Paarbeziehungen dienen. Durch sie lernen wir, Vertrauen aufzubauen und Konflikte zu lösen.
Ab Anfang 30 wird unser Freundeskreis dann stetig kleiner, fand Wrzus durch eine Analyse von 277 Studien mit insgesamt etwa 180 000 Teilnehmern heraus. Die Zu- und Abnahme unseres sozialen Netzwerks verläuft demnach parallel zu besonderen Lebensereignissen in bestimmten Altersphasen. So führen Schulbeginn, Pubertät oder der Eintritt ins Berufsleben eher zu einer Erweiterung des Freundeskreises. Elternschaft, Berentung oder Krankheit verkleinern das Netzwerk dagegen. Obwohl uns im höheren Alter nur noch wenige Freunde bleiben, fühlen wir uns diesen jedoch häufig besonders stark verbunden. Ein Grund dafür könnten die vielen gemeinsamen Erfahrungen über die Lebensspanne sein: Je mehr wir zusammen erlebt haben, desto besser kennen wir den anderen. So entsteht emotionale Nähe.
Streit, Neid, Missverständnisse
Doch was genau führt dazu, dass wir uns von einem Freund trennen – oder er sich von uns? Einige Beziehungen verlaufen sich, zum Beispiel wegen eines Wohnortwechsels (siehe Kasten). Andere zerbrechen durch Streit, Neid oder Missverständnisse und hinterlassen Wunden. Als man für eine US-Studie Studenten nach einer besonders schmerzvollen Zeit in ihrem Leben fragte, nannten sie als Auslöser für ihren Kummer am häufigsten einen engen Freund, noch vor dem eigenen Partner.
Die Sozialpsychologen Michael Argyle und Monika Henderson von der Universität Oxford beschrieben bereits in den 1980er Jahren sechs informelle Regeln der Freundschaft: Wichtig ist demnach, dass der Freund auch in unserer Abwesenheit für uns einsteht, dass er uns emotional unterstützt und uns Hilfe anbietet, wenn wir sie brauchen, dass wir ihm vertrauen, uns mit ihm über Erfolge freuen können – und dass der andere glücklich ist, wenn wir mit ihm zusammen sind.
Bei Wolfgang Krüger und seinen Freunden aus der Ausbildungszeit wurden diese Regeln gleich mehrfach verletzt. Anstatt ihn bei seinem Start in die Selbständigkeit zu unterstützen, ihm vertrauensvoll zur Seite zu stehen und sich mit ihm über seinen Mut und seine neuen Ziele zu freuen, wie er es sich gewünscht hätte, kehrten ihm die anderen den Rücken zu. Der Therapeut blieb allein zurück, gekränkt und wütend.
Psychologen sehen den Knackpunkt für das Scheitern einer Freundschaft in der wahrgenommenen Wechselseitigkeit, auch Reziprozität genannt. „Geben und Nehmen sollten sich die Waage halten“, erklärt der Persönlichkeitspsychologe Franz J. Neyer, Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (siehe das Interview unten). Mehr oder weniger unbewusst rechnen wir unsere eigene Investition in die Beziehung und den Einsatz des anderen gegeneinander auf. Meldet er sich so häufig bei mir wie ich mich bei ihm? Lädt er mich ähnlich oft zum Kaffee ein? Kann ich ihm so vertrauen, wie er mir vertrauen kann? Ist sein Interesse an den Dingen, die ich erzähle, vergleichbar mit der Aufmerksamkeit, die ich seinen Themen schenke?
Ein Geben und Nehmen
In Familien tolerieren wir ungleiche Beziehungen, Eltern investieren zum Beispiel mehr in ihre Kinder als umgekehrt. Eine Freundschaft dagegen leidet, wenn die Bilanz nicht stimmt – und mit ihr Körper und Seele. Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass negative oder ambivalente soziale Verbindungen mit einem erhöhten Risiko für Erkrankungen wie Bluthochdruck, Infektionen und Depression einhergehen. Auch das allgemeine Sterblichkeitsrisiko steigt mit einem schlechten sozialen Netzwerk. Ein Grund könnte in einer stärkeren Alterung unserer Zellen liegen: Je mehr ambivalente Beziehungen zu Freunden, Eltern und Bekannten jemand pflegt, desto kürzer sind seine Telomere, stabilisierende Strukturen an den Enden unserer Chromosomen, ergab eine Studie der University of Utah. Frauen zeigten sich besonders anfällig für den schädlichen Einfluss enger Bezugspersonen. Schlechte Freunde können uns also tatsächlich gefährlich werden.
„Wir unterscheiden uns jedoch alle stark darin, was wir als reziprok empfinden“, sagt Persönlichkeitspsychologin Cornelia Wrzus. „Zu Beginn einer Beziehung achten wir zudem ganz besonders auf ein ausgeglichenes Verhältnis.“ Nach dem Kennenlernen, wenn die Freundschaft enger wird, kalkulieren wir dagegen auch Phasen ein, in denen der andere vorübergehend mehr Unterstützung braucht als wir. In höherem Alter achten wir zudem weniger auf die Wechselseitigkeit einer Freundschaft als in mittleren Jahren, hat eine Studie ergeben. „Etablierte Freundschaften geraten erst in eine Krise, wenn die Ungerechtigkeit zu stark wird“, sagt Wrzus. Entweder die Freunde können den Konflikt dann klären und wieder zueinanderfinden. Oder die Beziehung ist so unbefriedigend, die Verletzung so groß, dass ihre Wege sich trennen und sie auseinandergehen.
Ein harter Schnitt ähnlich einer Trennung vom Lebenspartner folgt jedoch selten. Viel häufiger halten wir an schlechten Freundschaften fest, „weil wir wissen, was wir schon in die Beziehung investiert haben“, sagt Cornelia Wrzus. Die gemeinsam verlebte Zeit und die Erinnerungen wirken dann wie eine Art Klebstoff, der zwei Menschen zusammenhält, obwohl sie immer weniger Gutes miteinander teilen. „Meist findet ein langsames Ausschleichen der Freundschaft statt, indem man zum Beispiel weniger Zeit für den Freund hat – tatsächlich oder nur vorgeschoben, um ihn nicht treffen zu müssen.“ So schaffen wir Platz für andere Menschen – im Herzen und im Terminkalender –, die nach und nach den früheren Freund ersetzen.
Manchmal ist es auch die Angst vor dem Alleinsein, die uns an der Verbindung festhalten lässt. Je älter wir werden, desto weniger Beziehungen bleiben uns durchschnittlich. Während wir im Alter von 20 Jahren im Schnitt pro Monat mit 20 Menschen telefonischen Kontakt haben, sind es mit über 80 nur noch fünf Menschen. Jede Trennung bedeutet daher ein erhöhtes Risiko für Einsamkeit.
Freundschaft zu sich selbst
Hinzu kommt, dass etwa ein Viertel der Deutschen Probleme damit hat, neue Freunde zu finden, wie eine weitere Umfrage von Splendid Research ergab. Erwartungsgemäß fällt es extravertierten Menschen leichter als introvertierten, Kontakte zu knüpfen. „Sie sind beliebter, weil sie mehr reden, lockerer und witziger sind“, sagt Cornelia Wrzus. Schüchterne Personen müssen sich dagegen jedes Mal überwinden, wenn sie auf andere zugehen wollen. Sogar in sozialen Onlinenetzwerken knüpfen sie weniger Kontakte als Extravertierte. „Viele Menschen haben Angst, sich anderen aufzudrängen“, sagt Psychotherapeut Wolfgang Krüger. „Man sollte sich daher fragen: Inwiefern stelle ich für den anderen eine Bereicherung dar? Welche positiven Eigenschaften machen mich aus?“ Vor der Freundschaft zu anderen steht die Freundschaft zu sich selbst.
Wer neue Kontakte sucht, sollte aktiv Gelegenheiten für den Kontakt zu anderen Menschen schaffen, indem er zum Beispiel ein neues Hobby aufnimmt. Gemeinsame Interessen und Vorlieben, ähnliche Werte und Sehnsüchte sind wichtig für das Gefühl der spontanen Sympathie, zeigte eine amerikanische Studie mit knapp 700 Teilnehmern. Dabei kommt es stärker darauf an, wie ich den anderen sehe, als auf das, was diese Person wirklich denkt und fühlt: Der Persönlichkeitspsychologe Jaap Denissen konnte in einer Studie zeigen, dass die wahrgenommene und nicht die tatsächliche Ähnlichkeit zweier Menschen vorhersagen kann, ob diese Freunde werden.
Allerdings seien die Effekte der Ähnlichkeit im wahren Leben erstaunlich klein, gibt Cornelia Wrzus zu bedenken: „Was genau dazu führt, dass sich zwei Menschen tatsächlich anfreunden, können wir nach wie vor nur schwer erklären.“ Wir können lediglich die Voraussetzungen verbessern, dass wir uns mit anderen anfreunden – und hoffen, dass der Funke dann auch wirklich überspringt.
Wolfgang Krügers Tipp lautet schlicht: „Bleiben Sie neugierig!“ Als er seine Freunde aus dem Ausbildungsinstitut verloren hatte, stürzte er nach vorn, statt sich zu verkriechen. „Ich wollte verhindern, dass mich meine Erfahrung emotional beschädigt und ich überhaupt kein Vertrauen zu anderen mehr aufbauen kann“, sagt er. Also nahm er die unfreiwillige Einsamkeit als Herausforderung an und veranstaltete zunächst ein großes Fest – in der Hoffnung, von seinen Gästen im Nachhinein ebenfalls eingeladen zu werden und so viele neue Menschen kennenzulernen. „Das hat geklappt.“ Bis heute ergreift der 69-Jährige gerne die Initiative und verabredet sich zu einem persönlichen Treffen, wenn er jemandem mit ähnlichen Interessen begegnet. Aber: „Meiner Erfahrung nach entsteht nur bei jedem zehnten solcher Treffen auch eine halbwegs freundschaftliche Bindung.“ Vertrautheit brauche Zeit. Letztlich müsse man beständig bleiben, auch in fortgeschrittenen Jahren. „Das Alter kann eine Blütezeit der Freundschaft sein, weil wir besser zuhören können, mehr Humor haben, weniger egozentrisch und narzisstisch sind“, meint er.
Krüger intensivierte nach dem schmerzhaften Bruch mit seinen besten Freunden den Kontakt zu einem langjährigen Bekannten. Inzwischen verabreden sich die beiden jedes Wochenende, um sich auszutauschen. „Wenn wir uns nicht treffen, haben wir regelrecht Entzugserscheinungen“, sagt er. „Ich weiß, dass ich mich auf diesen Freund absolut verlassen kann. Einen Verrat wie mit den anderen Freunden werde ich mit ihm nicht erleben.“ Seine Erfahrung zeigt: Manchmal kann ein Verlust im Nachhinein auch ein Gewinn sein.
Wir erwarten von Freunden häufig sehr viel
Laut dem Persönlichkeitspsychologen Franz J. Neyer neigen wir dazu, Freundschaften zu idealisieren
Herr Prof. Neyer, was wünschen wir uns von unseren Freunden?
Im Alltag haben Menschen eine stark idealisierte Vorstellung von Freundschaften. Sie stellen sich ein Band vor, das sehr eng geknüpft ist. Ein Freund sollte zuverlässig sein und mir in Notsituationen helfen. Die Wissenschaft betrachtet Freundschaften dagegen nüchterner. Zumindest sollten Freunde sich gegenseitig mögen. Noch viel wichtiger ist aber die wahrgenommene Reziprozität, also Wechselseitigkeit im Geben und Nehmen.
Was genau geben und nehmen wir denn?
Zum Beispiel soziale Unterstützung im Alltag, also Hilfestellungen im Haushalt, bei Umzügen, Reparaturen oder der Kinderbetreuung. Dies sind eher instrumentelle Aspekte einer Freundschaft. Hinzu kommt die emotionale Unterstützung im Sinne von wechselseitigem Zuhören und einem Interesse daran, was in dem anderen vorgeht.
Wenn einer ununterbrochen über sich redet und ständig jammert, tut das auf Dauer keiner Freundschaft gut.
Erwarten Frauen und Männer von ihren Freunden das Gleiche?
Im Grunde ja. Allerdings wissen wir, dass Frauen dazu tendieren, emotional engere Beziehungen zu führen als Männer und ihre Beziehungen differenzierter zu bewerten. Es könnte sein, dass Frauen an ihre Freunde auch höhere Ansprüche stellen, insbesondere emotional. Bei Männern dürften dagegen eher instrumentelle Ziele im Vordergrund stehen. Die individuelle Vielfalt, also die Unterschiede in der Persönlichkeit, ist hier aber sicher bedeutsamer als Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Was passiert, wenn die Erwartungen verletzt werden?
Dann entsteht ein Konflikt. Die Freundschaft hört nicht automatisch auf. Es kommt vielmehr darauf an, wie man damit umgeht, wenn die Balance gestört ist oder das Vertrauen verletzt wurde. Und wie viel man schon in die Beziehung investiert hat und bei einer Trennung verlieren würde. Diese Investition muss man sich weniger materiell oder monetär vorstellen, sondern vor allem emotional, weil man zum Beispiel Vertrauen aufgebaut hat. Das errechnen wir nicht bewusst im Sinne eines social bookkeeping, einer sozialen Buchführung, sondern ganz automatisch.
Je oberflächlicher Freundschaften sind, je weniger Gemeinsamkeiten bestehen, je weniger die Freunde im Leben teilen, je seltener der Kontakt, desto höher ist das „Trennungsrisiko“. Entscheidend sind auch die Alternativen, also wie viele andere Freunde mir noch bleiben.
Interview: Nele Langosch
Prof. Dr. Franz J. Neyer ist Inhaber des Lehrstuhls für Differentielle Psychologie, Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er forscht seit mehr als 20 Jahren zu sozialen Beziehungen
Entfernung, Zeit, Partnerschaft
Was Freundschaften gefährdet – und wie wir sie retten können
Die heutige Arbeitswelt stellt hohe Anforderungen an Beschäftigte: Möglichst flexibel sollen sie sein, vor allem bei der Wahl des Wohnorts. 83 Prozent würden laut einer Umfrage des Personaldienstleisters ManpowerGroup für ihren Traumjob pendeln oder sogar umziehen. Doch während die Mobilität in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zugenommen hat, sind unsere Freundschaftsnetzwerke in dieser Zeit geschrumpft, so das Ergebnis einer Metaanalyse von Cornelia Wrzus.
Schon Schulabgängern, die für ihre Ausbildung in eine neue Stadt ziehen, fällt es schwer, die emotionale Nähe zu den alten Freunden zu erhalten, fand der Psychologe Robin Dunbar heraus. Und Freundschaften unter Kollegen leiden bereits, wenn einer von beiden in eine andere Abteilung versetzt wird. Häufig schläft der Kontakt langsam ein – bis er ganz abbricht. Die Ursache ist simpel: Man sieht sich weniger als zuvor. „Dahinter steckt nicht nur ein Zeitproblem“, sagt Psychotherapeut Wolfgang Krüger. „Manchmal nehmen wir Freundschaften einfach nicht wichtig genug.“
Wer die Beziehung bewahren möchte, sollte sie aktiv pflegen. Krüger empfiehlt, sich einen Abend pro Woche bewusst seinen Freundschaften zu widmen, um sich zum Beispiel am Telefon auszutauschen. Das könnte Robin Dunbar zufolge besonders Frauen helfen. Männer dagegen sollten sich so oft wie möglich besuchen und etwas gemeinsam erleben – das schweißt zusammen. Auch Onlinenetzwerke wie Facebook können dabei helfen, Kontakt zu halten. Ein Trost, wenn die Freundschaft die räumliche Trennung trotzdem nicht übersteht: Der Neustart in der Fremde lässt uns offener auf andere zugehen. Das erhöht die Chance auf neue Kontakte.
Auch ein neuer Partner kann für Freundschaften zur Gefahr werden. Sobald zwei Menschen beginnen, sich ineinander zu verlieben, nimmt die Anzahl ihrer freundschaftlichen Kontakte ab. So haben wir in einer engen Partnerschaft im Schnitt vier enge Freunde, Singles dagegen fünf, so Robin Dunbar. Ein möglicher Grund: Im jungen Erwachsenenalter übernimmt der Partner einige Funktionen der Freunde, etwa emotionalen Rückhalt zu geben. Teilweise gleicht die neue Liebe dann also den Verlust der Freundschaft aus. Spätestens wenn zwei Partner zusammenziehen, lernen sie dann die Freunde des anderen kennen, so dass sich ihre Netzwerke mehr und mehr überlappen. Zu den eigenen „besten Freunden“ werden die ursprünglichen Freunde des Partners jedoch selten.
Wie man neue Freunde findet
So erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, gute Kontakte zu knüpfen
1. Suchen Sie in Ihrer Nähe
Freundschaften entstehen durch Gelegenheiten. Räumliche Nähe steigert also die Wahrscheinlichkeit. In einer vielzitierten Studie des Psychologen Mitja Back aus dem Jahr 2008 freundeten sich Studenten umso eher miteinander an, desto näher sie in einer Einführungsveranstaltung im ersten Semester beieinander saßen. Die Plätze waren zuvor ausgelost worden. Überlegen Sie, welche Kontakte aus Ihrem unmittelbaren Umfeld Sie vertiefen könnten, etwa zu Nachbarn, im Sportverein oder in der Kirchengemeinde.
2. Schließen Sie sich einer Gruppe an
Neue Freunde findet man am ehesten unter Menschen, die man als ähnlich wahrnimmt. Ob beim Sport, im Literaturkreis, in der Umweltinitiative oder bei einer Tanzveranstaltung: Hier treffen Sie Personen mit gleichen Interessen. Nun gilt es, sich zu einem persönlichen Treffen zu verabreden. Ergreifen Sie die Initiative.
3. Treffen Sie die Freunde Ihrer Freunde
Je älter wir werden, desto mehr Menschen lernen wir über bereits bestehende Kontakte kennen, ergab eine Studie der Psychologen Cornelia Wrzus und Franz Neyer. Nutzen Sie Feste Ihrer Freunde, um deren Vertraute zu treffen, oder laden Sie selbst ein und bitten Sie Freunde darum, jemanden mitzubringen, der Ihnen bisher nicht oder nur wenig bekannt ist.
4. Investieren Sie Zeit
Freundschaften wachsen mit geteilten Erlebnissen. Frauen pflegen ihre Kontakte eher, indem sie häufig miteinander reden, Männer setzen auf gemeinsame Unternehmungen, ergab eine Untersuchung des Psychologen Robin Dunbar. Entscheidend ist für beide Geschlechter, dass wir der Beziehung ausreichend Zeit widmen, um sie zu vertiefen. Geben Sie also nicht gleich auf!
Soziale Medien können helfen, eine Beziehung zu intensivieren. Laut Studien empfinden zwei Menschen ihre Freundschaft als umso vertrauter, je häufiger sie über Onlinenetzwerke wie Facebook miteinander kommunizieren.
5. Zeigen Sie sich offen und interessiert
Wer etwas von sich preisgibt, kann leichter verletzt werden, erhöht aber auch die Wahrscheinlichkeit für gute Kontakte. Denn Offenheit ist besonders entscheidend dafür, ob sich zwei Menschen sympathisch finden. Erzählen Sie von sich selbst, hören Sie jedoch auch aufmerksam zu und stellen Sie interessierte Nachfragen. So lernen Sie sich gegenseitig immer besser kennen.
Quellen zum Beitrag „Wenn Freundschaften zerbrechen“ in Heft 6
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