Herr Professor Benecke, Scham und Gefühle von Erniedrigung und Minderwertigkeit gelten als zentrale narzisstische Affekte. Wie ist der Zusammenhang?
Im Kern des narzisstischen Erlebens steht die feste Überzeugung, ein defizitärer, ungenügender Mensch zu sein, gewissermaßen eine „Defektvariante“. Ein Mensch, mit dem etwas ganz grundlegend nicht stimmt, so ist die Selbstsicht. Es handelt sich also um eine chronische Haltung, und sie ist immer der Ausgangspunkt, ganz gleichgültig, was passiert: „Ich bin…
Sie wollen den ganzen Artikel downloaden? Mit der PH+-Flatrate haben Sie unbegrenzten Zugriff auf über 2.000 Artikel. Jetzt bestellen
um eine chronische Haltung, und sie ist immer der Ausgangspunkt, ganz gleichgültig, was passiert: „Ich bin unwert.“ Diese Haltung ist oftmals unbewusst und extrem hartnäckig. Selbstfürsorge und Selbstmanagement, wie sie häufig empfohlen werden, reichen bei weitem nicht aus, sie zu verändern. Und auch in einer Therapie gelingt es keineswegs immer.
Nun sind wir alle bis zu einem gewissen Grad narzisstisch, das ist normal. Auch bei weniger narzisstischen Personen kann also das Selbstwertgefühl mal in den Keller rauschen. Man findet wieder heraus, kann sich selbst wieder aufbauen und sagen: „Ich hab zwar ein paar Macken, bin aber grundlegend einigermaßen in Ordnung.“ Je narzisstischer Menschen jedoch sind, desto intensiver haben sie im Kern das Gefühl, dass sie minderwertig und klein sind, das ist ihre affektive Hölle: Sie wird als vernichtend empfunden, man wird von Schamgefühlen überflutet, die man nicht bändigen kann. Dieser Affekthölle muss man ausweichen, muss sie abwehren.
Was bedeutet das?
Wenn die Abwehr zur persönlichkeitsbestimmenden Strategie wird, wird es pathologisch. Ihre Funktion lautet: „Ich muss da irgendwie rauskommen.“ Das hat oberste Priorität. Und wenn eine Person eine narzisstische Persönlichkeitsstörung entwickelt hat, gelingt es ihr auch zumeist, diese Hölle der vernichtenden Scham nicht zu spüren. Sie merkt davon nichts mehr. Die Person fühlt sich super, besser als andere, toller als alle. Alles Negative wird konsequent nach außen verlagert, in die anderen. Das sind die „Loserinnen“ und „Loser“, die nichts können, die nichts wert sind. Solange eine Person diesen Zustand einigermaßen stabil aufrechterhalten kann, wie es in der narzisstischen Persönlichkeitsstörung der Fall ist, kommt sie nicht in die Therapie.
Studien zeigen, dass narzisstische Personen schnell wütend werden und auch zu Neid neigen. Was hat das mit der Scham zu tun?
Wut lässt sich ja auch als Fähigkeit bezeichnen. Wenn ich Wut generieren kann, dann fühle ich mich in diesem Moment nicht mehr klein, doof und schwach, sondern ich habe, weil ich wütend bin, eine gefühlte Handlungsmacht. Ich habe das Gefühl, etwas tun zu können und nicht mehr ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Wut ist ein sehr wirksames Medikament gegen passiv-negative affektive Zustände, neben Scham auch Ohnmacht, Erniedrigung, Trauer oder Angst. Alles was man so gar nicht haben will – dagegen ist Wut ein gutes Mittel. Es funktioniert zwar nur kurzfristig, aber immerhin.
Neid hat ebenfalls mit Gefühlen von Minderwertigkeit und Beschämung zu tun. Wenn ich neidisch bin, glaube ich, dass es anderen besser geht als mir, dass sie es besser haben als ich oder begabter sind. Neid ist tabuisiert und ein quälendes Gefühl, also muss es abgewehrt werden. Dies tun Narzisstinnen und Narzissten, indem sie dauernd nach Bewunderung suchen.
Wenn eine Persönlichkeitsstörung vorliegt, so sagt man in der Psychoanalyse, sei unsere Fähigkeit, uns zu reflektieren – das sogenannte Strukturniveau –, sehr niedrig. Was bedeutet das für Narzisstinnen und Narzissten?
In der psychodynamischen Diagnostik gehen wir davon aus, dass Menschen verschiedene zentrale innere Konflikte haben oder genauer gesagt: Konfliktthemen. Diese definieren wir anhand basaler menschlicher Motivsysteme, also etwa Bindung, Autonomie, Kontrolle, Versorgung, Identität. Beim Narzissmus steht das Streben nach Selbstwert im Mittelpunkt. Das zentrale Motiv ist hier der Wunsch nach Anerkennung und Bewunderung. Unter einem Selbstwertkonflikt verstehen wir aus psychoanalytischer Sicht eine extreme Diskrepanz zwischen dem, wie wir sind, und dem, wie wir sein wollen, eine Diskrepanz zwischen Realselbst und Idealselbst.
Aber niemand ist doch hundertprozentig mit sich zufrieden, irgendeinen Selbstwertkonflikt hat jede und jeder.
Ja, jeder Mensch muss einen Umgang mit dem Thema Selbstwert finden. Wenn es gut läuft, hat man so ein einigermaßen verankertes Gefühl: „Ich bin in Ordnung.“ Ich habe hier und dort ein paar Macken, ich bin hier und dort nicht da, wo ich sein möchte, ich möchte mich weiterentwickeln. Aber grundlegend bin ich okay.
Es gibt ein Sprichwort: Passt der Schuh, dann vergisst man den Fuß. Wenn mein Selbstwert gut austariert ist, dann denke ich nicht darüber nach, ob ich mich gut genug finde, wie viel wert ich bin – das ist selbstverständlich. Ich kann mich und andere infrage stellen, muss aber weder mich noch andere entwerten.
Wenn der Selbstwert nicht so gut ausbalanciert und daher ein inneres Thema ist, ist das Strukturniveau entscheidend dafür, wie mit diesem inneren Thema umgegangen werden kann. Das Strukturniveau beschreibt, wie gut ganz basale psychische Fähigkeiten wie Selbstreflexion, Empathie, Impuls- oder Affektregulierung einem Menschen verfügbar sind.
Bei einem guten Strukturniveau stelle ich dann vielleicht fest, dass ich eine kleine akzentuierte Neigung habe, mehr Anerkennung zu brauchen als andere, oder dass mir leichter etwas peinlich ist. Ein paar Situationen vermeide ich vielleicht aus diesem Grund. Aber ich kann es ertragen, wenn die anderen eben nicht dauernd sagen: „Das war ja toll.“ Ich ecke auch nicht laufend an und sorge für Ärger bei anderen, weil ich Bewunderung einfordere. Auf einem ausreichenden Strukturniveau kann ich mich selbst und andere Personen angemessen wahrnehmen und es besteht keine Notwendigkeit, sie oder mich abzuwerten oder sie oder mich zu überhöhen.
Ist der Abstand zwischen dem realen und dem idealen Selbst jedoch groß, und das Strukturniveau niedrig, stellt sich das Gefühl ein: Ich schaffe es eh nicht. Dann wird man depressiv. Wenn das Real- mit dem Idealselbst verschmilzt, also im Grunde schon sein eigenes Ideal ist, sind wir dann in der narzisstischen Pathologie: Ich bin super, ich bin besser als andere.
Für narzisstische Menschen ist es also schlimmer als für andere, gekränkt zu werden?
Ja, diese Menschen verstehen Kränkung so: Die Welt versagt mir die Anerkennung meiner Besonderheit. Und je schlechter die strukturellen Fähigkeiten sind, um so mehr bin ich dann darauf angewiesen, dass die anderen „toll“ sagen, und zwar ständig. Ich will auf keinen Fall riskieren, dass ich scheitere. Die Scham darüber würde mich vernichten. Je mehr das so ist, desto „maligner“, bösartiger ist der Narzissmus. Und desto eher werden nur noch Beziehungen eingegangen, die die Funktion haben, mir meine Grandiosität zu bestätigen. Die anderen müssen das tun. Wenn nicht, bin ich extrem gekränkt. Und dann werde ich wütend und destruktiv gegenüber anderen. Der Selbstwertkonflikt wird bei pathologischem Narzissmus auf einem sehr niedrigen Strukturniveau abgehandelt.
Grandiose Narzisstinnen und Narzissten sorgen also dafür, ihr vernichtendes Schamgefühl nicht zu spüren. Wie genau gelingt ihnen das?
Ja, in der narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist der Selbstwertkonflikt im sogenannten aktiven Verarbeitungsmodus, das heißt, dass sich diese Person dann ständig im Zustand der Grandiosität befindet, sich permanent überlegen fühlt. Andere sind dafür da, das zu bestätigen.
Grandiose Narzissten sind bekannt für ihre ausgeprägte Leistungsmotivation und dafür, dass sie Wert legen auf Status und dass sie solche Situationen immer wieder aufsuchen. Sie brauchen die permanente Bewunderung und tun etwas dafür. Sie glauben: Wenn ich es geschafft habe, Professorin oder Vorstandsvorsitzender zu werden, dann kann mir niemand mehr etwas anhaben. Auf diese Weise schützen sie sich.
Dennoch bleiben sie empfindlich. Gehen Sie mal auf einen wissenschaftlichen Kongress: Zwei Gelehrte halten ihre Vorträge nacheinander und im Anschluss findet eine Fragerunde statt. Nun wollen die Kolleginnen nur von der einen Person etwas wissen, weil die zufällig das interessantere Thema hatte. Schon diese vermeintliche Kleinigkeit kann die nicht gefragte Person dermaßen stören, dass bislang freundschaftlich-kollegiale Beziehungen kaputtgehen.
Wenn das Gefühl von Grandiosität doch einmal in Gefahr gerät, erklären diese Personen sich das ausschließlich mit äußeren Umständen. Sie denken dann zum Beispiel, dass die anderen ihre Genialität einfach nicht verstanden haben, dass die anderen schlicht nicht intelligent genug seien, ihre Grandiosität zu erkennen. Aber das kann auch kippen und sie kommen mit einer schweren Depression in die Klinik – wo dann schnell wieder ihre Grandiosität zum Thema wird: Sie halten sich zum Beispiel für wirklich außergewöhnlich schwere Fälle. Es geht um das Besondere.
Aus aktuellen Forschungen wissen wir: Je aktiver der Selbstwert auf diese Weise aufrechterhalten wird, desto weniger Symptome haben diese Personen. Das spiegelt eine sehr gut funktionierende Abwehr wider. Damit kann man bis zum Lebensende durchkommen. Aber Achtung: Das heißt noch nicht, dass es „gesund“ ist. Die Welt muss ihnen schon dabei helfen, ihre Grandiosität aufrechtzuhalten, der Erfolg muss bleiben, die Gesundheit muss mitspielen. So lange haben diese Personen meist keinerlei Symptome. Es leiden dann eher die anderen: Sie wissen, dass die Person sehr schnell gekränkt ist und dass sie dauernd vorsichtig sein müssen.
Was ist mit vulnerablen Narzisstinnen und Narzissten, was ist bei ihnen anders?
Es gibt laut der psychodynamischen Diagnostik noch einen komplementären Typus. Diese Patienten kommen mit einer schweren Depression in die Klinik oder Praxis. Sie machen sich massiv schlecht, sie hassen sich. Eine Patientin formulierte schlicht: „Ich bin scheiße.“ Wenn man diese Menschen fragt, was denn konkret mit ihnen nicht stimme, dann äußern sie sich vage. Manchmal nennen sie etwas Körperliches, aber können oft nicht konkretisieren, wie sie es meinen.
Fragt man danach, wie sie sein müssten, damit sie liebenswert und nicht „defekt“ wären, dann äußern sie Größenvorstellungen, also beispielsweise: etwas ganz Besonderes leisten, außergewöhnlich schön, klug, erfolgreich, kreativ oder dergleichen sein. Mittelmaß reicht nicht, um etwas wert, um liebenswert zu sein. Aber da das illusorisch ist, dieses ganz Besondere zu schaffen, fangen sie gar nicht erst an, etwas zu tun. Dem Risiko, dass andere Menschen ihnen tatsächlich sagen: „Das war nichts“, der Möglichkeit des realen Scheiterns gehen sie aus dem Weg. Denn das wäre vernichtend für sie, sie landeten in der Affekthölle, die sie meinen, nicht überleben zu können. Das ist der passive Modus; anstatt aktiv zu werden wie die Grandiosen, „verschanzen“ sie sich in der Haltung, dass es ja eh keinen Sinn hat. Das machen sie natürlich nicht bewusst. Aber sie haben die gleiche Grundüberzeugung: Ich bin eine „Defektvariante“, mit mir stimmt etwas ganz Basales nicht. Daran bin ich selbst schuld.
Als Beziehungspartnerinnen und -partner suchen sich diese Vulnerablen gerne Personen, die ebenfalls „Defektvarianten“ sind. Eigentlich finden sie andere viel toller, aber die könnten sie ihrer Meinung nach niemals für sich gewinnen, also bemühen sie sich erst gar nicht, um sich dieses Scheitern, diese Demütigung zu ersparen.
Wir alle müssen uns der Realität stellen, nicht nur bei der Arbeit, auch in Beziehungen. Da muss ich mich hinstellen mit allem, was ich habe und bin, und sagen: „Schau mich an, kannst du mich lieben?“ Für die Vulnerablen ist das extrem gefährlich und oft von vornherein aussichtslos.
Was machen denn die Grandiosen in ihren Beziehungen?
Sie erleben ihre Partnerinnen oder Partner meistens nicht als eigenständige Personen. Ich würde eher sagen: als Funktionsaggregate. Andere Menschen sind dafür da, dass sie sie bewundern, aber man kann sie austauschen. Oft sind Trennungen für grandiose Narzisstinnen eher Kollateralschäden. Es sei denn, sie werden in einem ungünstigen Moment verlassen, in dem sie die andere Person ganz dringend brauchen. Sie werden verlassen, obwohl sie doch so toll sind. Es ist für sie nicht tolerabel, dass da plötzlich jemand so viel Macht über sie bekommt. Das kann sogar zu Ideen führen wie: „Jemand muss sterben“, und dahinter stecken Vorstellungen wie diese: „Mit dem Tod des anderen stirbt auch der Schmerz.“ Manchmal führt so etwas ja dann auch zu einer Tat.
Beide, die Vulnerablen und die Grandiosen versuchen also, das vernichtende Gefühl der Beschämung zu vermeiden, nur auf unterschiedliche Weise?
Ja, weil die Abwehr der Grandiosen „besser“ funktioniert, reagieren sie auf eine Kränkung mit Wut, werden destruktiv und werten andere ab – so stabilisieren sie sich. Vulnerable Narzissten sind in der Tat sehr viel näher an dem vernichtenden Beschämungsgefühl dran, sie kratzen sozusagen oft dicht an der Oberfläche. Eine Patientin sagte mir vor einem für sie wichtigen Bewerbungsgespräch: „Wenn das nichts wird, dann ist es der endgültige Beweis, dass ich nichts wert bin. Dann bring ich mich um.“ Mit solchen Gedanken ging sie in das Vorstellungsgespräch, das war wirklich heikel. Sie landete auf Platz zwei. Und sie kam wieder in die Therapie. So hatten wir die Möglichkeit, mit der Absage zu arbeiten. Dieses Beispiel zeigt, welches die innere Dimension ist, in der sich so etwas abspielt.
In sozialpsychologischen Studien zeigt sich immer wieder, dass narzisstische Personen zu einem sogenannten Anspruchsdenken neigen. Was ist damit gemeint?
Da sie sich für etwas Besonderes halten, glauben sie auch, dass sie eine bessere Behandlung verdient haben als andere. Wenn sie diese nicht erhalten, sind sie gekränkt und können schnell wütend werden. Bei den Grandiosen gibt es zudem noch einen paradoxen Untertypus: Um sich als etwas Außergewöhnliches zu fühlen, brauchen diese Personen weder Karriere noch Titel. Sie brechen ihr Studium ab, schreiben die Dissertation nicht fertig, kündigen den Job oder sagen: Wenn ich einen Roman schreiben würde, dann wäre das ein Weltbestseller. Unter Beweis stellen sie es nicht, das reale Scheitern vermeiden sie. Trotzdem möchten sie bewundert und bevorzugt behandelt werden.
Narzissmus beginnt in der frühen Kindheit, aber ein Kind wird ja nicht innerhalb von wenigen Monaten zur grandiosen oder vulnerablen Narzisstin.
Nein, diese narzisstischen Regulationsmechanismen entwickeln sich über die Jahre, und wir alle haben von klein auf mit dem Thema Selbstwert zu tun. Das Gehirn sucht stets nach Möglichkeiten, sich gut zu fühlen. Kinder identifizieren sich, wenn sie frustriert sind, gerne mit Figuren wie „Super Mario“ aus der gleichnamigen Videospielserie. Das hilft, die ausbleibende Anerkennung und die Enttäuschung darüber auszuhalten. Die meisten können wieder damit aufhören. „Super Mario“ dient nur kurzfristig als Ersatz.
Doch Kinder, die real sehr wenig bekommen an Interesse, Wertschätzung oder Zuwendung, denen tut es so gut, dass sich ihr Gehirn das merkt: Ein „Super-Mario-Gefühl“ hilft dann dabei, der affektiven Hölle, dem vernichtenden Schamgefühl zu entkommen. Und eines Tages ist das ein gut geölter Mechanismus. Wenn die Welt es mir ermöglicht, mich als „Super Mario“ zu fühlen, dann werde ich das weiter kultivieren. So könnte man diesen Mechanismus beschreiben. Das narzisstische Verhalten und Erleben, die Abwertung anderer, die zur Schau gestellte Grandiosität, das Gefühl von Überlegenheit sind die Endstrecke eines inneren Regulationsprozesses.
Sie sagen, dass Vernachlässigung, Kälte oder Abwertung in der Kindheit zu finden sind.
Ja, es sind Menschen, die wirklich schwer vernachlässigt und massiv entwertet wurden. Ich hatte beispielsweise eine Patientin, die felsenfest glaubte, dass ihre Mutter unfehlbar sei. Dabei hatte ihre Mutter sie emotional schwer vernachlässigt und ihr keinerlei Geborgenheit vermittelt, und ihr Vater, der alkoholkrank war, hatte sich auch um nichts gekümmert. Was macht ein Kind in einer solchen Situation? Es versucht, dem Verhalten und den Äußerungen der Eltern einen Sinn zu geben, um mit ihnen in Beziehung bleiben zu können. So entwickelte diese Patientin die feste Überzeugung, dass die Ursachen für das Verhalten der Eltern in ihr selbst liegen müssten, dass sie schwerwiegende Makel an sich habe, die das Verhalten der Eltern „rechtfertigten“. Erst in der Therapie erkannte sie nach und nach, dass sie nicht schuld am Verhalten ihrer Eltern gewesen war. Das hieß für sie aber auch, zu akzeptieren, dass sie ihr Leben unter völlig falschen Prämissen gelebt hatte. Das wiederum erforderte dann einen intensiven Trauerprozess. Um solche tief in der Persönlichkeit verankerten Dynamiken nachhaltig verändern zu können, braucht es meist lange therapeutische Prozesse.
Cord Benecke ist Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Kassel
ZUM WEITERLESEN
Stephan Doering, Hans-Peter Hartmann, Otto F. Kernberg: Narzissmus. Grundlagen – Störungsbilder – Therapie. Schattauer 2021 (2., aktualisierte und erweiterte Auflage)
Arbeitskreis OPD (Hg.): Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik – OPD-3. Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung. Hogrefe 2023
Stand: Mai 2023