Es war nicht Verzweiflung, die sie auf die Internetseite des Onlinedatingportals geführt hatte. Sondern eher Neugier darauf, wie diese Art der Kontaktsuche funktionierte und welche Typen von Männern dort wohl unterwegs sein würden. Mit Mitte dreißig war Nina Kramer schon länger Single und fand, dass es langsam Zeit würde, an Familiengründung zu denken.
Nina Kramer suchte nach einem Partner – nicht um jeden Preis, aber schon mit Interesse. Obwohl sie einen großen Freundeskreis hatte, war ihr der Richtige…
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hatte, war ihr der Richtige einfach noch nicht über den Weg gelaufen. „Ich dachte mir, ich kann es ja mal im Internet probieren“, erzählt sie, „und war dann ziemlich überrascht, dass neben einigen schrägen Typen anscheinend auch viele ganz normale Männer auf der Suche waren. Ich habe mich nur mit drei Männern getroffen, der dritte von ihnen war Robert.“
„Derzeit findet eine beispiellose Veränderung darin statt, wie man seinen Partner kennenlernt“, schrieb 2018 der renommierte Soziologe und Datingforscher Reuben Thomas im britischen Magazin The Economist. In den USA begännen mittlerweile 70 Prozent aller gleichgeschlechtlichen Beziehungen online, bei heterosexuellen Paaren 30 Prozent. Laut der Onlinepartnervermittlung Parship hat auch in Deutschland jeder fünfte Bundesbürger seinen Partner im Internet kennengelernt. Derzeit suchen rund achteinhalb Millionen Deutsche in kostenlosen und kommerziellen Onlineangeboten nach einem Partner oder einer Partnerin.
Das Kennenlernen im Netz ist anders – wirkt sich das auch auf die Art der Beziehung aus? Tatsächlich legen erste Forschungen nahe, dass es Unterschiede zwischen Paaren gibt, die sich online kennengelernt haben, und solchen, die sich im „realen Leben“ getroffen haben.
Heiraten und Kinder kriegen: schnell entschieden
Der 2018 verstorbene Psychologieprofessor und Einsamkeitsforscher John Cacioppo, der an der University of Chicago lehrte, legte vor ein paar Jahren die erste größere Studie zu der Frage vor. Für sie waren rund 19000 US-amerikanische Paare befragt worden, von denen sich ein Drittel über eine Onlinepartnervermittlung oder ein Datingportal gefunden hatte. Das Ergebnis: Die Onlinepaare hatten richtungsweisende Entscheidungen wie Heiraten und Kinderkriegen schneller getroffen.
Weitere Hinweise erhält man aus einer Umfrage der Onlineplattform Parship aus dem Jahr 2012. An ihr hatten 3000 Paare aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teilgenommen, die sich innerhalb der vorherigen elf Jahre entweder bei Parship oder außerhalb des Internets kennengelernt hatten. Hier bestätigte sich ein Ergebnis der Studie von Cacioppo: Die befragten Onlinepaare hatten nach durchschnittlich 14 Monaten einen gemeinsamen Haushalt gegründet, die Offlinepaare hingegen waren erst nach 22 Monaten zusammengezogen. Die Internetpaare bekamen nach zweieinhalb Jahren ihr erstes Kind, Offlinepaare erst nach 3,75 Jahren.
Bei der Bewertung der Ergebnisse dieser Umfrage ist jedoch zu bedenken, dass das kommerzielle Unternehmen Parship, dessen Geschäftsmodell die Onlinevermittlung von Paaren ist, die Studie in Auftrag gegeben hatte.
„Wir wollten einfach, dass es klappt“
Nina Kramer und ihr Mann Robert erinnern sich, dass es bei ihnen ähnlich war. Schon bald nach dem ersten Treffen ging es beiden um die Frage, ob sie zusammenbleiben wollten. Robert erinnert sich: „Wir haben nicht lange um den heißen Brei herumgeredet. Wir haben gleich abgecheckt: Können wir uns Kinder vorstellen? Welche Lebensvorstellungen haben wir? Wie sieht eine gute Partnerschaft für uns aus?“
Solange diese Fragen nicht geklärt waren, liebten die beiden noch mit angezogener Handbremse. „Das hört sich jetzt viel unromantischer an, als es war“, sagt Nina, „wir waren schon verliebt. Aber uns war auch die gemeinsame Perspektive wichtig. Wir wollten einfach, dass es klappt.“ Heute sind die beiden seit sieben Jahren verheiratet und haben zwei Kinder.
Funktionieren „gematchte“ Paare über die Jahre besser als Paare, die sich bei der Arbeit oder auf Partys kennengelernt haben? Oder haben sie vielmehr mit spezifischen Konflikten zu kämpfen, die sich aus dem eher rationalen und pragmatischen Ansatz der gemeinsamen Beziehungsplanung ergeben? Oder ist es – so eine andere Theorie – für den Verlauf einer Partnerschaft völlig unerheblich, wie und wo das Paar sich kennengelernt hat?
Andere Konfliktbereiche
Klar ist: Konflikte kommen vor, egal wie und wo man sich kennengelernt hat. Aber es scheinen andere Konflikte zu sein, wie Beobachtungen von Paartherapeuten zeigen. Der Berliner Fabian Lenné arbeitet in seiner Praxis häufig mit Onlinepaaren: Bei seinen Klienten unter 35 Jahren habe sich fast jedes zweite Paar im Internet kennengelernt, die Paare über 40 seien meist über die Arbeit oder im Freundeskreis zusammengekommen. Lenné beobachtet, dass sie oft unterschiedliche Arten von Konflikten zu lösen haben.
Die Paare kämen meist zu ihm, wenn die Kinder noch sehr klein seien und die Eltern sich im Stress zu entfremden drohten oder wenn das jüngste Kind in der Pubertät sei und klar sei, dass das Paar bald wieder allein sein werde. Der Unterschied: „Die Onlinepaare sind dann häufig reflektierter und haben einen genaueren Plan davon, was sie in ihrer Partnerschaft verändern wollen“, berichtet Lenné. „In Bezug auf das Emotionale sind sie dann allerdings oft rationalisierender, manchmal auch abgebrühter. Sie haben meist einen größeren Kontrollwunsch in Beziehungen.“
Die Offlinepaare hingegen seien zwar romantischer, aber auch schneller enttäuscht, wenn es zu Konflikten komme. „Aus meiner Sicht haben sie einen stärkeren Abhängigkeitswunsch und eher das Gefühl, dass die Beziehung auch von allein klappen muss.“
Dazu passt die Beobachtung des Paartherapeuten, dass Onlinepaare insgesamt größere Probleme mit Intimität hätten. Es falle ihnen oft nicht leicht, Nähe auszuhalten oder gar zu genießen: „Onlinepaare haben tendenziell öfter Angst vor Abhängigkeit und fürchten das Verschmelzen.“ Offlinepaare hingegen leiden laut Paartherapeut Lenné eher an ihrer Unterschiedlichkeit und sind schneller enttäuscht, wenn in der Partnerschaft „nicht alles romantisch und nicht alles eins ist“.
Langfristig zufriedener
Warum dies so ist, lässt sich aus den Beobachtungen nicht ablesen. Ob beispielsweise schlechte Erfahrungen mit früheren Beziehungen und Bindungsängste hinter der Scheu vor zu großer Nähe stecken und ob Menschen, die im Internet nach einem Partner suchen, so etwas öfter erlebt haben, ist anhand der Studienlage nicht zu klären.
Auf lange Sicht sind Onlinepaare offenbar zufriedener mit ihren Partnerschaften als die Offlinepaare, dies ist ein weiteres Ergebnis der großen Studie des Forschers Cacioppo. Auch drei Viertel aller Parshippaare, aber nur die Hälfte der hier befragten Offlinepaare gaben an, mit ihrer aktuellen Beziehung sehr zufrieden zu sein.
Der Paarforscher Guy Bodenmann vom Psychologischen Institut der Universität Zürich, der bei der Konzeption der Parship-Studie mitgewirkt hat, zeigt sich überrascht von diesen Ergebnissen: „Sie deuten auf einen klaren Zusammenhang zwischen der Art des Kennenlernens und der Beziehungsqualität hin“, so der Paartherapeut. Er sagt: „Bei allen untersuchten Variablen zeigten sich Unterschiede zwischen On- und Offlinepaaren. ‚Gematchte‘ Paare bringen insgesamt bessere Voraussetzungen für eine glückliche Partnerschaft mit als Paare, die sich zufällig über Freunde, in Bars oder am Arbeitsplatz begegnen.“
Alter, Körpergröße, Haustier oder nicht?
Onlinepaare zeigten sich in den Befragungen insgesamt nicht nur zufriedener mit ihren Ehen als die Offlinepaare, sondern ihre Ehen hielten – zumindest im Verlauf der Studie – auch länger. Cacioppo führte dies unter anderem darauf zurück, dass die Matchmaking-Algorithmen tatsächlich eine gewisse Rolle beim Erfolg der langfristigen Beziehungen spielen könnten. Denn unter den online gestifteten Ehen erwiesen sich diejenigen als stabiler, die nicht auf Bekanntschaften in sozialen Netzwerken, sondern auf Vermittlung in kommerziellen Partnerschaftsportalen zurückgingen, bei denen also vorher die jeweiligen Profile auf ein bestimmtes Maß an Übereinstimmung geprüft worden waren.
Liegt der Grund für die größere Zufriedenheit und längere Haltbarkeit von online initiierten Beziehungen also darin, dass die Partnervermittlungen sozialpsychologische Erkenntnisse nutzen und uns somit eine größere Zahl potenziell passender Kandidaten vorschlagen können? Forschungen der Psychologie bestätigen schon lange, dass „Gegensätze sich anziehen“, aber Beziehungen zweier sehr unterschiedlicher Menschen auf lange Sicht nicht gut funktionieren. Kommerzielle Partnervermittlungen haben selbst psychologische Tests entwickelt, die auf wissenschaftlichen Fragebögen basieren. Jeder Kunde muss sich einem solchen Test unterziehen, bevor er Vorschläge zugeschickt bekommt.
Anhand der Ergebnisse werden dann aus den Profilen der anderen Kunden diejenigen Eigenschaften und Interessen ausgefiltert, die mit denen des Suchenden die größte Übereinstimmung zeigen: Wünsche an den zukünftigen Partner oder die Partnerin bezüglich Alter, Körpergröße, Raucher oder Nichtraucher, Haustier oder nicht, Freizeitinteressen und anderes mehr werden berücksichtigt.
Gebildeter und etablierter
Es fließen aber auch Testergebnisse zu den Persönlichkeitseigenschaften mit ein, ebenso zu Erwartungen, welche die Kunden der Datingportale hinsichtlich ihrer künftigen Beziehung hegen. Welche Rolle diese Übereinstimmungen tatsächlich spielen, lässt sich anhand der bisherigen Studien aber nicht direkt nachweisen – zumal Partnersuchende in der Werbephase ihre negativen Eigenschaften vermutlich eher weglassen oder nicht in den Vordergrund stellen dürften.
Darüber hinaus kann es an den Partnersuchenden selbst liegen, dass online geschlossene Partnerschaften von größerer Zufriedenheit geprägt sind. John Cacioppo und sein Team stellten fest, dass Onlineehepaare im Durchschnitt gebildeter und beruflich etablierter waren als Offlinepaare und auch dies womöglich zum langfristigen Erfolg der Beziehungen beitrug.
Andere Herangehensweise
Denn diese Paare gehen womöglich schon vor dem Kennenlernen anders an die Partnersuche heran und setzen sich schon lange vor dem Dating ernsthaft damit auseinander, was ihnen an einem Partner und in einer Partnerschaft wichtig ist. Dies wiederum könnte die Chancen erhöhen, dass Paare in Internetbeziehungen zufriedener sind. Vielleicht sind sich die gebildeteren und beruflich etablierteren Paare der möglichen Herausforderungen einer neuen Beziehung eher bewusst und gehen deshalb etwas realistischer und vorsichtiger in eine solche Partnerschaft. Viele Internetsuchende haben vermutlich Beziehungen und Trennungen hinter sich und sind mit spontanen Begegnungen vorsichtiger geworden.
Welche Rolle könnten die Algorithmen also spielen? Nimmt ein Algorithmus den künftigen Partnern das Kennenlernen quasi ab? Das würde heißen: Was andere Partner offline erst nach und nach herausfinden müssen, nämlich wer und wie der andere wirklich ist und welche Unterschiede es gibt, wird online von Algorithmen bereits im Vorfeld erledigt.
Ob das so funktioniert, fragte sich der Soziologe und Datingforscher Kai Dröge und berichtet in einem Arbeitspapier des Instituts für Sozialforschung an der Universität Frankfurt aus dem Jahr 2012 über die Ergebnisse von 25 Tiefeninterviews mit Onlinepartnersuchenden. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass Beziehungswünsche nach Romantik, Nähe und Intimität mit dem eher rationalen Effizienzdenken der Onlinesuche kollidieren könnten.
Wenn der Alltag beginnt
In der Praxis scheint es komplizierter zu sein: Bei reinen Onlinekontakten – und ganz am Anfang sind alle Onlinebeziehungen ausschließlich online – könne durchaus eine starke emotionale Nähe entstehen, lautet ein Fazit. Onlinekontakte böten eine besondere Mischung aus Flüchtigkeit, weil sie leicht kündbar seien, und aus Intimität, weil man sich einer fast unbekannten Person offenbare, schreibt Dröge. Manche Befragte erzählten davon, dass sie sich schon vor dem ersten realen Treffen verliebt hätten.
Aber die Interviews zeigten auch, dass es bei den Paaren trotz der Vorauswahl durch Algorithmen nach den ersten realen Dates Enttäuschungen gab. Die online entstandene Nähe und Vertrautheit war erst einmal vorbei. Algorithmen können also, wie diese Studie nahelegt, offenbar das Kennenlernen beschleunigen, machen müssen die Partnersuchenden dann aber selbst, und Enttäuschungen gehören dazu.
Nina Kramer glaubt, dass der Matchmaking-Algorithmus eine gewisse Rolle bei ihrer glücklichen Partnerwahl gespielt hat. „Aber nur eine kleine“, sagt sie. „Der Algorithmus hat vielleicht das Kennenlernen einfacher gestaltet und beschleunigt. Aber letztendlich wird es in einer Partnerschaft ja immer dann interessant, wenn die Phase des Verliebtseins vorbei ist und es ans Eingemachte geht. Im ganz normalen Alltag also. Und da lernt man seinen Partner dann doch noch mal neu kennen. Und sich selbst irgendwie auch.“
Trotz aller von einem Computerprogramm errechneten Kompatibilitäten zeigte sich bei Nina und Robert nämlich doch recht schnell die Unterschiedlichkeit der beiden. Robert war im Alltag eher sparsam und auf Sicherheit bedacht, Nina etwas spontaner und wagemutiger. Er brauchte viel Ruhe, sie ein bisschen mehr Action. Er wollte bei der Planung des Wanderurlaubs in den Bergen lieber zwei Wochen in einem ruhigen Bergdorf Quartier nehmen, sie lieber eine Hüttentour mit vielen Gipfelbesteigungen machen. „Unsere Kombi kann schon gelegentlich in hitzigen Diskussionen enden“, sagt Robert. „Aber man muss sich einfach daran gewöhnen und damit umgehen lernen. Ist doch immer so, wenn zwei Menschen aufeinandertreffen.“
LITERATUR
John T. Cacioppo u.a.: Marital satisfaction and break-ups differ across on-line and off-line meeting venues. Proceedings of the National Academy of Sciences, 110/25, 2013. DOI: 10.1073/pnas.1222447110
Fabian Lenné: Vom Umgang mit der Liebe. Ein Entwicklungs-Buch für Paare in der Krise. CreateSpace Independent Publishing 2013
Michael J. Rosenfeld, Reuben J. Thomas: Searching for a mate: The rise of the internet as social intermediary. American Sociological Review. 77/4, 2012, 523–547
Quellen und Literatur Liebe im netz, Psychologie Heute 4/2020
John Cacioppo u. a.: “Marital outcomes from on-line meetings.” Proceedings of the National Academy of Sciences, 110/25, 2013. DOI: 10.1073/pnas.1222447110
Fabian Lenné. Vom Umgang mit der Liebe: Entwicklungs-Buch für Paare. CreateSpace Independent Publishing, 2013.
Michael J. Rosenfeld, Reuben J. Thomas. 2012. “Searching for a Mate: The Rise of the Internet as Social Intermediary.” American Sociological Review. 77,4, 2012
Kai Dröge. http://romanticentrepreneur.net/
https://www.parship.de/parship-studien/parship-paarbefragung-2013/