Herr Greif, in Märchen und im Film hat die Schwiegermutter oft kein so gutes Image. Was haben Ihre Nachforschungen ergeben?
In der Tat haben Schwiegermütter manchmal den Ruf, sich in die Paarbeziehung der Kinder zu sehr einzumischen und sie zu stören. Nach unserer Forschung ist das ein unfaires und ungerechtfertigtes Bild. Richtig ist aber: Schwiegermütter und Frauen im Allgemeinen sind unseren Befragungen zufolge immer noch zentral in der Familie.
Sie sind mehr in die Erziehung und Pflege und die…
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Befragungen zufolge immer noch zentral in der Familie.
Sie sind mehr in die Erziehung und Pflege und die emotionalen Belange einbezogen. Männer, ob Schwiegersöhne oder Schwiegerväter, stehen eher in der Peripherie des Familiensystems. Und es ist ganz natürlich, dass jemand, der sich mehr einbringt, mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht und eher unter Beschuss geraten kann.
Das heißt, reibungsfrei sind die Schwiegerbeziehungen manchmal nicht. Wie lassen sich diese charakterisieren?
Ein faszinierendes und belastbares Ergebnis unserer Forschung ist, dass sich Schwiegermütter und -väter ihrer Schwiegertochter und ihrem Schwiegersohn näher fühlen als umgekehrt. Ein Drittel der Schwiegermütter gab beispielsweise ein sehr enges Verhältnis zur Schwiegertochter an. Aber nicht mal jede fünfte Schwiegertochter bestätigt, dass sie ihre Schwiegermutter bewundert und gerne mit ihr Zeit verbringt. Auch beim Vertrauen sehen wir dieses Ungleichgewicht: Doppelt so viele Schwiegermütter vertrauen ihrer Schwiegertochter wie umgekehrt.
Wie lässt sich dieser positivere Blick der Schwiegereltern auf die Schwiegerkinder erklären?
Wir vermuten, dass es sich um Wunschdenken handelt. Zum einen erfüllt es eine soziale Norm, wenn man als Schwiegermutter sagen kann, ein gutes Verhältnis zur Schwiegertochter zu haben. Das erzählt man gerne seinen Freunden. Zum anderen ist es so, dass die Frauen, sobald Kinder da sind, mehr in die Erziehung eingebunden sind. Für die Schwiegereltern gelingt der Zugang zu den Enkelkindern dann oft nur mit der und manchmal sogar ausschließlich über die Schwiegertochter. Ein positives Bild der Schwiegertochter hilft bei dem Zugang zu den Enkeln.
Das wäre also eine Art Wohlwollen aus Abhängigkeit?
Ja. In dieses Bild passt, dass Schwiegermütter sehr häufig angeben, dass sie wie auf rohen Eiern gehen, wenn sie bei ihren Schwiegertöchtern sind. Sie schildern, dass sie aufpassen müssen, was sie sagen, obwohl sie ja angeben, die Schwiegertochter zu bewundern.
Und wie nehmen Schwiegertöchter ihre Schwiegermütter wahr?
Die Schwiegertochter versucht, die Beziehung mit ihrem Partner oder Mann und die Beziehung zur Schwiegermutter auszubalancieren – wir können in diesem Verhältnis den Mann nicht ausblenden. Gelangt die Schwiegertochter dabei zu dem Schluss, dass die Schwiegermutter ihrem Mann keine gute Mutter war, dann sorgt das für emotionale Distanz. Wenn sie aber findet, dass sie ihn gut aufgezogen hat und Sohn und Mutter sich gut verstehen, wird ihr Verhältnis in dieser Hinsicht nicht belastet sein.
Mit welchen Ergebnissen hatten Sie so nicht gerechnet?
Der stereotypen Rollenverteilung. Nämlich dass der Vater nicht so bedeutsam für das emotionale Gefüge in der Familie ist und das im 21. Jahrhundert fortbesteht.
Das hätten wir nicht erwartet, weil doch die Rolle der Frauen in der Arbeitswelt gewachsen ist und Männer an sich zu Hause genauso viel Zeit verbringen können. Aber die emotionale Zuwendung geht nach wie vor primär von der Mutter aus. Das zeigen uns die Antworten auf unsere Befragungen.
Wie sind Sie vorgegangen, um diese Einsichten zu gewinnen?
Es ist kompliziert, die Schwiegerverhältnisse zu erforschen. In der ersten Phase haben meine Studierenden Schwiegereltern und deren Schwiegerkinder in einer Familie befragt, die sie kannten. So haben wir 300 bis 400 Personen umfassend interviewt. Dann haben wir mithilfe eines Onlineforschungsinstituts unsere Befragung über das Internet fortgesetzt.
So kamen zusätzlich 350 Schwiegermütter und jeweils 250 bis 300 Personen aus den anderen Gruppen zusammen. Allerdings handelte es sich dabei nicht um das Quartett einer Familie, sondern um jeweils eine Person aus einer Familie. Und wir haben uns dann auch auf eine Beziehung fokussiert, weil Probanden in Onlinebefragungen nicht unbegrenzt Zeit aufwenden. Wir wählten die Verhältnisse zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter sowie zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn.
Was haben Sie die Teilnehmerinnen und die Teilnehmer beispielsweise gefragt?
Wichtig war uns, die Beziehung gut zu charakterisieren. Dafür fragten wir sieben Dimensionen ab, etwa: Genießen Sie es, Zeit mit der Schwiegermutter zu verbringen, und wie nahe fühlen Sie sich ihr? Indem wir beides wissen wollten, konnten wir erfahren, ob die Schwiegertochter gerne bei der Schwiegermutter ist, aber ihr nicht nahe ist, etwa weil sie an getrennten Orten leben und sich selten sehen. Wir erkundigten uns auch, ob Schwiegertöchter ihre Schwiegermutter meiden und ob problematische Konflikte bestehen. Wir fragten, ob sie ihr vertraut und sie um Rat fragt. Dieselben Fragen stellten wir in allen vier Gruppen.
Wie gut verstehen sich denn die Schwiegerväter und -söhne miteinander?
Es ist schon interessant: Die meisten Menschen fühlen sich offenbar der Mutter näher als dem Vater. Sogar die Söhne sagen, dass sie der Schwiegermutter näher sind als dem Schwiegervater. Das bedeutet, dass die Beziehung zwischen diesen beiden Männern viel distanzierter und weniger emotional ist. Und so verwundert es nicht, dass die Antworten der Männer generell viel gleichmütiger sind.
Ihre Gefühle sind weniger stark ausgeprägt, sowohl in die positive wie in die negative Richtung. Schwiegerväter und -söhne haben auch viel seltener problematische Konflikte miteinander: Das gab nur einer von acht Befragten an. Schwiegermütter beklagen dagegen in einem von drei Fällen einen solchen Streit.
Wie sind die Schwiegerverhältnisse zwischen den Geschlechtern, also vom Schwiegersohn zur Schwiegermutter und zwischen Schwiegertochter und Schwiegervater?
Schwiegermütter sind traditionell das Ziel von Witzeleien der Schwiegersöhne. Aber wir haben, wie gesagt, den Eindruck, dass die Schwiegersöhne zu ihrer Schwiegermutter zumindest einen engeren Draht haben als zu ihrem Schwiegervater. Schwiegertöchter ziehen dagegen ihre Schlüsse über den Schwiegervater aus dem Verhalten des Ehemanns. Es kommt vor, dass sie ihren Mann ermutigen, mit seinem Vater Kontakt aufzunehmen. Sie können im Falle einer Wiederannäherung zwischen Sohn und Vater eine Rolle als Mittlerinnen spielen. Das ist eine Funktion, die Schwiegersöhne selten einnehmen: Sie setzen sich in der Regel nicht aktiv dafür ein, dass ihre Frau ein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter, von der Frau aus gesehen also zur Schwiegermutter hat.
In Ihrem Buch betonen Sie immer wieder, dass es Ausnahmen von den allgemeinen Trends gibt. Welche sind das?
Es gibt zum Beispiel auch Frauen, die uns sagten: „Meine Schwiegermutter ist das Beste, was mir im Leben passiert ist.“ Dann kann es sein, dass die Beziehung zur eigenen Mutter gut ist und diese Frau einfach Raum in ihrem Leben hat, eine enge Beziehung mit ihrer Schwiegermutter aufzubauen. Es kann aber auch sein, dass diese Frauen ein schlechtes Verhältnis zur eigenen Mutter haben, dann füllt die Schwiegermutter diese Lücke.
15 Prozent der Schwiegertöchter sind immerhin derart angetan von ihrer Schwiegermutter. Dann haben wir die anderen 15 Prozent, die möglichst wenig mit ihr zu tun haben wollen, mitunter weil der Mann ein Problem mit seinen Eltern hat. Die meisten Befragten haben aber eine mittelmäßige Beziehung, nicht überragend, aber auch nicht stark belastet.
Beeinflusst es die Verhältnisse, wenn das Paar schwul oder lesbisch ist?
Wir haben uns diese Frage aus verschiedenen Perspektiven angeschaut. Wir haben die Eltern von homosexuellen Kindern befragt – auch nach ihrem Verhältnis zum Schwiegerkind. Alle Eltern mussten erst einmal akzeptieren, dass ihr Kind homosexuell ist, und dann mit einer Hochzeit klarkommen, was eine größere öffentliche Prüfung für sie bedeutete. Die meisten Eltern schafften das, obwohl sie vielleicht einen Freund, eine Kirchengemeinde oder ein Familienmitglied „verloren“, weil deren Wege sich aufgrund der sexuellen Orientierung der Kinder entzweiten.
Ich erinnere mich an einen besonderen Fall: Ein Elternpaar war aufgebracht, dass ihr anderer Sohn den Partner seines homosexuellen Bruders nicht akzeptierte. Aber als dieser Sohn sich von seiner Ehefrau trennte, die Homosexualität abgelehnt hatte, und eine neue Frau heiratete, verbesserten sich alle Eltern-Kind- und Schwiegerverhältnisse.
Sie arbeiten in Ihrer Forschung auch heraus, dass sich die Verhältnisse neu sortieren, wenn bestimmte Lebensereignisse eintreten. Was ändert sich denn im Verhältnis der Eltern zu ihren Schwiegertöchtern oder -söhnen, sobald das Paar verheiratet ist?
Für viele Menschen ist die Hochzeit ein Tor in die Familie. Erst wenn der Freund die Tochter heiratet, ist er Schwiegersohn und wird als Teil der Familie angesehen. Erst dann beziehen sie den Schwiegersohn zu hundert Prozent oder zumindest mehr als zuvor in Familienangelegenheiten ein. Wir wissen auch aus der Forschung zu Familiengeheimnissen, dass die Leichen im Keller den Schwiegerkindern oft erst anvertraut werden, wenn sie verheiratet sind. Allerdings variiert das von Familie zu Familie. Manche nehmen den Freund schon wie einen Teil der Familie auf, wenn die Tochter sich ein paar Mal mit ihm verabredet hat.
Kann man also sagen, dass sich das Verhältnis nach einer Hochzeit vertieft?
Wenn sich Schwiegereltern und -kinder vorher nicht gut gekannt haben, gibt es manchmal auch unschöne Überraschungen. Nach dem Motto: „Jetzt, wo ich ihn besser kennenlerne, finde ich, dass er viel zu egozentrisch und zu geizig ist.“ Wenn sich alle vor der Hochzeit gut kannten, ist diese Gefahr aufkeimender Antipathien geringer.
Wie verändert die Geburt eines Kindes das Beziehungsgeflecht?
Einer der wichtigsten Faktoren für das Schwiegerverhältnis ist, wie gut beide Seiten in Erziehungsfragen übereinstimmen. Wenn Schwiegereltern und -kinder ähnliche Vorstellungen haben, harmonieren sie gut zusammen. Es gibt weniger Konflikte. Wenn sie aber sehr unterschiedliche Erziehungsstile gutheißen, prallen Welten im Umgang mit den Kindern aufeinander. Die einen geben den Enkeln Süßigkeiten, die anderen finden das unverantwortlich. Die einen finden Computerspiele völlig normal, die anderen ertragen den Anblick kaum.
Solche Unterschiede sind aber doch der Normalfall. Was passiert dann?
Dann gibt es Ärger und Probleme, die nicht leicht aufzulösen sind. Ich habe es selbst erlebt: Es hat mich richtig aufgebracht, als mein Schwiegervater vorgeschlagen hat, dass ich besser dieses oder jenes mit meinen Töchtern machen solle. Ich dachte reflexartig: „Was weißt du denn? Ich weiß doch am besten, was ich mit meinen Kindern mache.“ Genauso heikel wie die Erziehung sind übrigens Fragen der Pflege von Angehörigen, des Umgangs mit Besitzstand und Erbe in der Familie.
Was kann man tun, wenn es bei Themen wie diesen zu Auseinandersetzungen kommt?
Die Ehepaare sollten sich jeweils beratschlagen, also die Schwiegertochter und ihr Mann und die Schwiegermutter mit ihrem Mann und so weiter. Sie müssen überlegen, was sich in der Vergangenheit bewährt hat und wie man Kompromisse schließen konnte. Dabei muss man sich auf den positiven Teil des Austausches fokussieren.
Vielleicht haben sich einfache Regeln schon früher bewährt, etwa dass im Haus der Eltern diese über die Menge an Süßigkeiten entscheiden und im Haus der Schwiegereltern eben jene. Oder vielleicht kann man so gut miteinander sprechen, dass man sich gemeinsam auf ein Limit der Süßigkeiten verständigen kann.
Viele Befragte haben uns allerdings gesagt, dass man Probleme möglichst ignorieren solle. Ich teile diese Auffassung nicht. Man sollte auch bedenken, dass mit einer tragfähigen Lösung künftige Probleme verhandelt werden können, etwa mit dem Unser-Haus-euer-Haus-Arrangement.
Warum ignorieren viele die Probleme zwischen den Schwiegerparteien?
Familie kann man sich nicht aussuchen. Und wenn ein Streit eskaliert, können die Gräben gewaltig werden. Diese Situation wollen viele vermeiden. Und oft prallen in Familien unterschiedliche Kommunikationsstile und ein unterschiedliches Verständnis von Offenheit aufeinander. Es gibt die einen, die alles auf den Tisch bringen und besprechen. Und es gibt die anderen, die lieber lächeln und es aussitzen. Wenn Kommunikationsstil A mit Kommunikationsstil B verheiratet ist, wird es schwierig.
Aber das wäre doch wohl kein Grund für eine Trennung. Was können Schwiegerkinder und -eltern dann tun?
Wahrzunehmen und anzuerkennen, dass die Kommunikationsstile verschieden sind, ist der Anfang. Und dann geht es darum, einen gangbaren Mittelweg zu finden, der die Stile respektiert. Die Person, die sehr offen ist und alles besprechen möchte, muss lernen, sich zurückzuhalten. Die Person, die sehr reserviert ist, muss sich ein bisschen öffnen. Das kann gelingen.
Sie haben erwähnt, dass auch die Offenheit der Familie insgesamt eine Rolle spielt. Können Sie das erklären?
Wenn ein Kind jemanden heiratet, ändert das die Familie fundamental – und zwar für immer. Wer daran festhält, dass alles so sein müsse wie vorher, blockiert das neue Schwiegerkind und das frische Ehepaar. Im Sinne des Wohlergehens aller Familienmitglieder muss man sich dafür öffnen, dass sich die Verhältnisse ändern. Dabei spielen Botschaften, mit denen wir aufgewachsen sind, eine große Rolle.
Wenn jeder Fremde, der zur Tür hereinkam, mit Misstrauen beäugt wurde, fällt uns das schwerer, als wenn wir neuen Menschen offener gegenübertreten. Für mich war das eine große Veränderung: Ich war der einzige Mann in der Familie, bis meine beiden Töchter Männer geheiratet haben. Diesen Männern Raum zu geben war eine Aufgabe.
Welche Strategien empfehlen Sie, um Konflikten zwischen den Schwiegerparteien vorzubeugen?
Einige Konflikte entstehen etwa bei großen Familienfesten, wenn jeder sich unter Druck fühlt, alles in kurzer Zeit besonders großartig zu machen. Lange Besuche sind eine andere spannungsgeladene Zeit. Zwischenräume einzuplanen, getrennt voneinander, ist dann wichtig. Ich empfehle auch, einen tiefen Atemzug zu nehmen, ehe man antwortet – und weniger Erwartungen zu haben.
Diese Strategien helfen dabei, dass es nicht zum Streit über Nichtigkeiten kommt. Mit dem Partner zu sprechen und um Unterstützung zu bitten kann den Stress lindern, damit man sich nicht gemeinsam gegen die andere Partei in Rage redet. Und man muss sich im Klaren sein: Man ist nur für das eigene Verhalten verantwortlich, nicht für das der übrigen Familienmitglieder.
Geoffrey Greif ist Beziehungspsychologe an der University of Maryland. Er hat die Verhältnisse zwischen Schwiegereltern und -kindern als einer der Ersten erforscht. Gemeinsam mit Michael Woolley verfasste er das Buch In-Law Relationships. Mothers, Daughters, Fathers, and Sons.