Herr Dr. Bruhn, Sie sagen, wir brauchen ein anderes Bewusstsein, um unseren Lebensstil zu verändern. Warum?
Es gibt sehr viele Ansätze, Menschen durch geschickte Marketingstrategien zu überlisten, beispielsweise faire Produkte zu kaufen, den Stromanbieter zu wechseln, weniger Plastikmüll zu produzieren. Richtig erfolgreich sind diese Ansätze aber nicht, weil sie versuchen, uns in ein ökologisches Verhalten hineinzumanipulieren. Die innere Motivation fehlt. Ich glaube, dass wir uns viel stärker mit unserer…
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Die innere Motivation fehlt. Ich glaube, dass wir uns viel stärker mit unserer geistigen Haltung beschäftigen und unsere Beziehung zu uns selbst, zu anderen und zur Erde hinterfragen sollten. Darin liegt eine große Kraft, die wir bislang noch viel zu wenig nutzen.
Zahlreiche Initiativen setzen aber doch genau an diesem Punkt an und rufen dazu auf, im eigenen Stadtteil Müll wegzuräumen und Gemüsebeete anzulegen, also sich verantwortlicher zu fühlen.
Das stimmt – aber vielfach finden die Akteure noch nicht zusammen, und das verhindert die Entwicklung. Wir haben in Deutschland eine große Nachhaltigkeitscommunity, die sich stark auf technische Lösungen wie beispielsweise die Entwicklung erneuerbarer Technologien konzentriert und auf politische Lösungen wie Gesetze zum Emissionsschutz. Und eine andere wachsende Gemeinschaft beschäftigt sich mit der Kultivierung des Geistes: Achtsamkeit und andere geistige Praktiken boomen, immer mehr Menschen meditieren, und an vielen Stellen wird über die gesellschaftliche Bedeutung von Empathie diskutiert. Meist stehen Gesundheit und Wohlbefinden dabei im Vordergrund, aber auch die Suche nach einem ressourcenschonenden Lebensstil spielt eine wichtige Rolle.
Beide Ansätze ergänzen sich wunderbar und könnten sich befruchten – es sind aber bisher zwei weitgehend getrennte Sphären. Wer einen Achtsamkeitskurs besucht, weiß deshalb noch lange nichts über praktische Möglichkeiten, weniger CO2 zu verbrauchen. Und wer in der Nachhaltigkeitscommunity von Bewusstseinsentwicklung spricht, landet leicht in der Esoterikecke. In einem Projekt am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam, das ich seit 2016 leite, fördern wir deshalb den Austausch zwischen beiden Themen und den Beteiligten.
Wie muss man sich Ihre Arbeit konkret vorstellen?
Wir betreiben einerseits klassische Forschung, um herauszufinden, welche Bewusstseinsveränderung notwendig ist für einen ökologischen Wandel. Andererseits verknüpfen wir Akteure aus den Bereichen Nachhaltigkeit und Bewusstseinswandel durch Veranstaltungen und den Aufbau einer Onlinedatenbank und Plattform mit Informationen zu relevanten Menschen, Akteuren und Publikationen. Den dritten Schwerpunkt bildet die Entwicklung neuartiger Räume, Lernformate und Curricula für Transformationsprozesse.
Das Besondere daran ist: Wir bringen Bewusstseinswandel und nachhaltiges Verhalten im Alltag zusammen. Wir leiten auch sogenannte Transformations Labs. Mit diesem Format unterstützen wir Menschen und Organisationen, inneren Wandel und wirksames nachhaltiges Verhalten zu verbinden. Wir als Team versuchen auch, die Geisteshaltung zu leben, mit der wir uns konzeptionell befassen.
Was bedeutet Bewusstseinsentwicklung und innere Veränderung in diesem Zusammenhang für Sie?
Dass ich mir klarer werde über das Wesen meiner Existenz – meine Beziehung zu mir und der Welt – und dass ich erkenne, dass beides zusammenhängt: mein innerer Zustand, der mich drängt, immer mehr aus mir und anderen rauszuholen, und mein Umgang mit dem Planeten und seinen Rohstoffen.
Warum beute ich mich selbst aus? Welche Beziehung habe ich zur Welt? Ist sie für mich wie eine Maschine? Oder ein Selbstbedienungsladen? Oder erkenne ich mich selbst als einen Teil dieser Welt? Realisiere ich, dass die Art und Weise, wie ich mit mir und meinen Grenzen umgehe, mein Verhalten beeinflusst?
Wenn die restliche Erde für mich etwas Abstraktes, von mir Getrenntes ist, lasse ich meinen Müll einfach liegen, und es ist mir egal, wie viel Strom und Kerosin ich verbrauche oder welches Leid mein Fleischkonsum verursacht. Wenn mich der Zustand der Erde wirklich berührt, weil ich mich als Teil von ihr fühle, kann ich nicht mehr einfach so weitermachen, sondern bemühe mich, stimmige Beziehungen zur Welt zu entwickeln.
Sie haben Ihr Projekt A Mindset for the Anthropocene genannt. Warum?
Der Begriff des Anthropozäns beschreibt die Tatsache, dass die Menschheit zum ersten Mal in unserer Zivilisationsgeschichte als globales Kollektiv die Funktionsweise des gesamten Erdsystems prägt und damit auch die Lebensgrundlagen aller Lebewesen. Wir haben damit eine ganz andere Verantwortungsrolle als noch vor 200 Jahren: Das Wohlbefinden allen Lebens und die Stabilität des gesamten Erdsystems sind davon abhängig, wie wir mit unserem Planeten umgehen. Unsere Denkweisen und Geisteshaltungen entscheiden darüber, wie wir den Herausforderungen begegnen – deshalb der Begriff Mindset.
Viele Menschen haben aber den Eindruck, nur ein kleines Rädchen zu sein, das nicht viel gegen den Klimawandel bewirken kann.
Genauso ging es mir auch, bevor ich an unser Institut kam. Und ich fühle mich immer noch regelmäßig eingeschüchtert von der schieren Größe der Herausforderungen, vor denen unsere Welt steht. Ich erlebe oft, dass Menschen sagen: „Es nützt nichts, wenn ich mich ändere, erst muss sich das System ändern.“ Im Gegensatz dazu sagen mir Vertreter „des Systems“ in scheinbar einflussreichen Positionen aber auch: „Das System wird sich nicht ändern, bevor sich nicht die Menschen ändern.“ Diese Diskussion führt letztlich zu nichts. In meinen Augen gibt es diese Trennung nicht.
Ich sehe die Zusammenhänge der Welt eher wie ein neuronales Netzwerk, bei dem jede Zelle in Beziehung steht mit dem Gesamtsystem. Natürlich bin ich mir bewusst, dass ich als einzelne Zelle nur sehr klein bin, aber gleichzeitig bin ich auch Teil des Gesamtsystems und viel stärker mit allem verbunden, als es mir manchmal scheint. Und meine Geisteshaltung ist damit auch prägender Bestandteil des Gesamtsystems.
Wie kommen wir unserer Geisteshaltung auf die Spur?
Die entscheidende Frage dabei ist für mich: Was treibt mich an? Wo kann ich in meinem Umfeld etwas verändern? Ist mir mein Anliegen wichtig genug, dass ich mich von der Opferrolle emanzipiere, oder finde ich es vielleicht sogar ganz bequem, fremdbestimmt zu sein und darüber zu jammern? Ich begreife unser Projekt auch als einen Ermutigungsprozess für jeden Menschen, der dieses Potenzial in sich suchen möchte.
Welches Mindset ist dabei hilfreich?
Das Ziel unseres Projekts ist nicht, zu sagen: So musst du denken, fühlen und handeln. Das wäre in meinen Augen vermessen und übergriffig. Wir suchen nicht nach dem ultimativen Ansatz, sondern wir wollen aufzeigen, was bereits möglich ist. Dafür müssen wir aber nichts neu erfinden, wir bringen Menschen und Prozesse miteinander in Kontakt, die bisher an verschiedenen Enden des Problems arbeiten.
In Workshops starten wir mit konkreten Nachhaltigkeitsproblemen wie zu viel Plastik, CO2-Ausstoß oder Kerosinverbrauch. Wir regen die Teilnehmer aber auch an, ihre eigenen mentalen Muster und Weltanschauungen zu reflektieren. Erst zum Schluss entwickeln wir konkrete Ansätze, wie sich beispielsweise die Erkenntnis „Ich bin ein Teil der Erde“ in nachhaltiges Verhalten im eigenen Unternehmen übersetzen lässt. Wenn sich die innere Haltung nicht verändert, passiert nichts.
Können Sie ein praktisches Beispiel nennen?
Eine Politikberaterin hatte den Eindruck, dass die in der Beratung übliche Vorgehensweise, eine Studie zu präsentieren, ein Briefing zu machen und ein paar Schlüsselbotschaften herüberzubringen, bei ihrem Gegenüber nichts anrührte. Nur mit Fakten konnte sie keinen Politiker dazu bewegen, sich für Nachhaltigkeit zu engagieren, und das hat sie frustriert.
Wir haben sie in Kontakt gebracht mit dem Netzwerk Mindful Nation UK. Diese Initiative in Großbritannien organisiert unter anderem Achtsamkeitskurse für Politiker, die so aufgebaut sind, dass Fragen zu sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in die Meditationspraxis integriert sind. Das hat der Frau ganz neue Ideen gegeben, wie sie erfahrungsbasierte Lernprozesse oder auch emotionale Aspekte in ihre Arbeit integrieren kann.
Nur zu verstehen verändert also offenbar nichts Was braucht es darüber hinaus?
Wir bombardieren uns gegenseitig mit noch mehr Zahlen, wie hoch der CO2-Ausstoß durch fleischintensive Ernährung ist, aber das führt nur zu Informationsmüdigkeit. An Informationen haben wir ohnehin eher einen Overkill. Wissen ist das eine, sich berühren lassen das andere. Kontemplation, also ein tieferes, betrachtendes Einlassen ermöglicht eine Verbindung auf der emotionalen, intuitiven Ebene. Wir im Team pflegen eine regelmäßige Achtsamkeits- und Mitgefühlsmeditation als einen von vielen Zugängen zu innerer Transformation unserer ethischen Orientierungen und Weltanschauungen.
Führt eine regelmäßige Meditationspraxis denn tatsächlich zu einem veränderten Lebensstil?
An der Technischen Universität Berlin forschte bis vor kurzem ein interdisziplinäres Team zu der Frage, ob und – wenn ja – wie sich Achtsamkeit auf den Konsum auswirkt. Das sogenannte BiNKA-Projekt zielte darauf ab, Menschen zu nachhaltigem Konsum zu befähigen und die Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und tatsächlichem Verhalten zu überwinden. Und tatsächlich hilft Meditation demnach, sich wirklich berühren zu lassen und mehr Verantwortung zu spüren. Man darf aber daraus nicht den Kurzschluss ziehen: Wenn wir alle schön meditieren, sind wir vorbildlich ökologisch. Ich kann auch einen Achtsamkeitskurs besuchen und danach mit dem SUV zum Einkaufen fahren.
Unbestritten ist: Die Achtsamkeitspraxis ermöglicht etwas, das herkömmliche Informationspolitik nicht schafft. Das Bewusstsein für Zusammenhänge kann anders haften bleiben, es ist nicht nur eine kognitive Information, die abgespeichert wird. Die Teilnehmer lassen sich berühren und identifizieren sich mehr mit ihrem Wunsch, anders zu leben.
Das allein reicht aber nicht.
Leider nein. Sensibel für das eigene Konsumverhalten zu werden ist ein wichtiger Schritt. Aber es braucht natürlich auch Informationen: Was kann ich tatsächlich tun? Wo habe ich Einflussmöglichkeiten? Technokratische Aspekte sind ebenfalls wichtig.
Auf der Onlineplattform FindingSustainia zum Beispiel stellen sich die Teilnehmer jeden Monat einer neuen Aufgabe. Etwa: vier Wochen lang sozio-fair einkaufen, vier Wochen lang emissionsarm leben, plastikfrei leben. Die Idee ist, sich eine Sache vorzunehmen und sie durchzuhalten. Vielleicht traue ich mich nicht, mit meinem Einmachglas in den Supermarkt zu gehen und zu sagen: „Packen Sie mir die Oliven bitte hier rein.“ Dann lese ich von anderen, die beim dritten Mal von der Verkäuferin angestrahlt wurden, mache es auch und stelle fest, dass es kein Problem ist, wenn ich das selbstbewusst vertrete. Und immer einen wiederverwertbaren Coffee-to-go-Becher dabei zu haben ist auch nicht so schwer.
Information, Sensibilisierung, Reflexion, praktische Befähigung – das gehört unbedingt zusammen. Aber natürlich gerate auch ich selbst dabei immer wieder an meine Grenzen.
Inwiefern?
Ich lebe in einer Altbauwohnung mit Gasetagenheizung. Mein Jahresfußabdruck, den ich allein durch meine Heizung produziere, misst mindestens zweieinhalb Tonnen CO2. Das ist mein theoretisches Jahresbudget, ohne etwas gegessen oder Strom bezogen zu haben. Ich habe einen Ökostromanbieter und fliege wenig, das schafft einen kleinen Ausgleich. Aber mein eigenes Verhalten ist inkohärent, und darunter leide ich auch.
Auch im Team stoßen wir an Grenzen. Wir verstehen uns als lebendes Labor. Wir überlegen, welche Konferenzen wirklich wichtig sind, und fliegen nur dorthin. Wir kochen zweimal in der Woche mit Gemüse, das auf unserer Dachterrasse wächst. Es geht nicht so schnell voran, wie wir das gerne hätten, aber ich habe ein großes Vertrauen in langsame Prozesse.
Nachhaltig leben
Es beginnt im Geiste, sagt Thomas Bruhn. Er rät, regelmäßig innezuhalten und sich ehrlich und in Ruhe folgende Fragen zu stellen:
• Warum kaufe ich gerade diesen Gegenstand? Welches Bedürfnis steht dahinter? Benötige ich ihn wirklich? Wenn nicht, welche andere Funktion erfüllt er für mich?
• Was halte ich für wirklich bedeutsam in dieser Welt und diesem Leben? Fördere ich durch mein Handeln das, was mir wichtig ist?
• Bevor ich aus dem Affekt heraus auf irgendetwas reagiere: Schaffe ich es, kurz bewusst zu atmen und mir darüber klarzuwerden, was ich im nächsten Moment tun oder sagen möchte?
• Sehe ich meine Umgebung hauptsächlich unter dem Aspekt ihrer Nützlichkeit für mich? Oder sehe ich in den Dingen und Menschen um mich herum ihren eigenen Wert, einfach nur weil sie existieren?
• Kann ich mir die Welt, in der ich gerne leben möchte, vorstellen? Und handele ich so, wie ich in dieser von mir gewünschten Welt handeln würde? Falls nicht, warum ist das so?
Dr. Thomas Bruhn ist Physiker. Er arbeitet seit 2012 am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam. 2016 hat er die Leitung des Projekts A Mindset for the Anthropocene übernommen