Was Hänschen nicht lernt …

… lernt Hans nimmermehr, ermahnte die Großmutter. Was ist dran an alten Sprichwörtern und Redensarten? Das haben Psychologen untersucht.

„Vier Augen sehen mehr als zwei“, weiß der Volksmund – und die Alltagserfahrungen hinter dieser Redewendung haben dazu geführt, dass sich in vielen Bereichen das Vier-Augen-Prinzip durchgesetzt hat. Im Management, in der Produktion, bei der Überwachung sicherheitsrelevanter Systeme oder bei der Überprüfung ärztlicher Diagnosen sollen damit optimale Entscheidungen gefördert und das Fehler- und Missbrauchsrisiko reduziert werden. Aber funktioniert das wirklich? Bringt das Vier-Augen-Prinzip tatsächlich mehr…

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Aber funktioniert das wirklich? Bringt das Vier-Augen-Prinzip tatsächlich mehr Genauigkeit und bessere Ergebnisse? Könnte es nicht vielmehr sein, dass sich, sobald die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt ist, jeder auf den anderen verlässt und dadurch am Ende Sorgfalt und Aufmerksamkeit sogar nachlassen?

Wir nutzen Sprichwörter, um Verhaltensnormen prägnant zu kommunizieren, also klarzumachen, wie man sich in bestimmten Lebenslagen verhalten sollte. Lügen haben kurze Beine, der Lauscher an der Wand hört die eigene Schand – solche Weisheiten raten knapp, was man tun und was man besser lassen sollte. Die Erfahrungen von Generationen haben diese Wendungen geprägt. Und in vielen Situationen sind sie psychologisch tatsächlich nützlich: als Ratschlag oder Denkanstoß, als Trostspender, als einfacher Merksatz, wenn es schnell gehen muss mit einer Entscheidung oder man in einem inneren Konflikt steckt. Die meisten Sprichwörter stammen aus einer Zeit, als es weder Psychologen noch Wissenschaft gab. Doch schon damals hatten Menschen das Bedürfnis, sich das mitunter seltsame und unverständliche Verhalten der Mitmenschen zu erklären. Kaum eine Lebenslage also, für die kein Sprichwort zuständig ist.

Verstanden die Menschen damals die Zusammenhänge, oder sind es am Ende nur Phrasen? Und was ist von einander widersprechenden Sprichwörtern zu halten? Dieter Frey, Professor für Psychologie an der Universität München, wollte es genauer wissen. In einem umfangreichen Projekt ließ er Mitarbeiter und Studierende die Studienlage zu unterschiedlichen Sprichwörtern sichten (siehe Interview Seite 38).

Auch das Vier-Augen-Prinzip kam auf den Prüfstand. Hier kommen Studien zu widersprüchlichen Ergebnissen. Einerseits beobachten Kognitionspsychologen durchaus positive Effekte: Zwei Personen nehmen aus ihrer subjektiven Sicht heraus unterschiedliche Dinge wahr. Mehrere Personen können daher tatsächlich mehr Fehler entdecken. Allerdings werden diese Effekte durch sozialpsychologische Reibungsverluste gemindert. Studien zeigen nämlich auch eine geringere Leistung von Zweierteams gegenüber Einzelkämpfern, etwa beim Finden von Fehlern. Stichwort Verantwortungsdiffusion und Trittbrettfahrer: Als Teil einer Gruppe neigen Menschen dazu, sich weniger anzustrengen und ihr Denken an das der Gruppe anzupassen. So bleiben Einzelne hinter ihren Möglichkeiten zurück. „Eine doppelte Kontrolle kann manchmal sogar gefährlicher und unzuverlässiger sein als eine Einzelarbeit“, berichtet Fiona Kunz vom Münchener Projekt. Verlässt man sich auf die Leistung anderer, verringert das Vier-Augen-Prinzip die Aufmerksamkeit. Bei diesem Sprichwort gilt also: Weil viele Faktoren das Ergebnis beeinflussen, trifft die Redewendung nur dann zu, „wenn klar definierte Aufgaben vorliegen, eine förderliche Team- und Führungskultur garantiert ist sowie Kommunikations- und Interaktionsprobleme gelöst sind“.

Noch komplexer ist die Lage bei einander widersprechenden Sprichwörtern. Wäscht eine Hand die andere, oder ist jeder sich selbst der Nächste? Ist Zeit nun Geld, oder eilt man besser mit Weile? In diesen Fällen scheint guter Rat teuer. Auch in der Partnerwahl rät der Volksmund zu gegensätzlichen Strategien: „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ und „Gegensätze ziehen sich an“. An welche Maxime soll man sich halten?

Laut dem similarity-attraction effect fühlen sich Personen mit ähnlichen Eigenschaften eher zueinander hingezogen und sind in der Beziehung zufriedener. Eine Studie legt jedoch nahe, dass nur die wahrgenommene Ähnlichkeit für Anziehung sorgt und nicht die tatsächliche. Auch unterschiedliche Persönlichkeitseigenschaften scheinen manchmal von Vorteil zu sein. Der Faktor Zeit spielt ebenfalls eine Rolle: Anfangs lässt die rosarote Brille über manche Differenz hinwegsehen, die später zum Trennungsgrund wird. Und sogar kulturelle Prägungen beeinflussen, ob uns eher Ähnlichkeiten oder Gegensätze anziehen, sagt Clara Mihr vom Münchener Projekt.

Beatrice Rammstedt, Professorin am Mannheimer Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, wollte genauer wissen, wie groß die Ähnlichkeiten langjähriger Partner sind und ob sie mit der Zeit eher wachsen oder schrumpfen. Dafür durchforstete sie Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) nach den Persönlichkeitsmerkmalen von rund 7000 Paaren. Rammstedt interessierten Ähnlichkeiten bei den Big Five, den Hauptdimensionen der Persönlichkeit. Das Ergebnis: Partner zeigen deutliche Übereinstimmungen in puncto Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit. Je länger sie zusammen waren, also je stabiler die Beziehung, um so deutlicher die Übereinstimmungen. „Partnerschaften funktionieren offenbar vor allem dann, wenn sich die Partner in diesen drei Dimensionen ähneln“, erklärt Rammstedt.

Ähnlichkeiten nehmen mit der Dauer der Beziehung zu

Gewissenhafte Menschen sind ordentlich, pünktlich und leistungsstrebend. Lässt die bessere Hälfte dagegen die schmutzigen Socken herumliegen und kommt sie notorisch zu spät, gibt es Konflikte. Offene Persönlichkeiten probieren gern Neues aus, erkunden unbekannte Länder, lieben Museen und Kultur. Verbringt der Partner dagegen den Urlaub immer am gleichen Ort und hält er lieber am Bekannten fest, birgt das Zündstoff. Ein gewissenhafter Typ wird mit einem skrupellosen selten glücklich, ein Altruist kaum mit einem Egoisten. Große Unterschiede bei Ordnungssinn, Pünktlichkeit, Strukturiertheit oder Offenheit bergen Konfliktpotenzial. Je mehr Konflikte, umso instabiler die Partnerschaft. Das erklärt, warum Ähnlichkeiten zwischen Partnern mit Dauer der Beziehung zunehmen: Die unähnlichen gehen früher auseinander.

Diese Ähnlichkeiten sind von Anfang an da und entstehen nicht erst im Laufe der Partnerschaft. Dementsprechend ist für die Partnersuche eher die Strategie „Gleich und gleich gesellt sich gern“ erfolgreich als „Gegensätze ziehen sich an“. So faszinierend und prickelnd Gegensätze sein mögen – für eine stabile Beziehung taugen sie weniger.

Diesem Prinzip scheinen Singles unbewusst zu folgen, wie eine Studie der Cornell-Universität zeigte. Die Verhaltensforscher Stephen Emlen und Peter Buston befragten vor einigen Jahren rund 1000 Studenten nach den eigenen Eigenschaften und denen ihres Idealpartners. Und siehe da: Beide stimmten erstaunlich überein, woraus die Forscher schließen, dass wir ein Gegenüber mit ähnlichen Merkmalen und Einstellungen suchen. Und genau an dieser Stelle setzen Partneragenturen mit dem sogenannten Matching an. Man folgt dem Grundsatz „So viel Gleichheit wie möglich und so viel Unterschied wie nötig“.

Was aber ist mit gegensätzlichen Paaren, die trotzdem gut zusammenleben? Auch dieses Rätsel können Psychologen erklären. Nimmt man nämlich die Gegensätze genauer unter die Lupe, zeigt sich, dass Unterschied nicht gleich Unterschied ist. Gegensatz-Paare können glücklich sein, wenn sich ihre Unterschiede vor allem auf zwei Eigenschaften beschränken: Extraversion und emotionale Stabilität. Hier können gegensätzliche Persönlichkeitsstrukturen sogar besonders erfolgreich sein. Extravertierte Menschen sind gesellig, hören sich gern reden und stehen gern im Mittelpunkt. Sind aber beide Partner vom Typ „Partylöwe“, hört keiner zu, und es entwickelt sich Konkurrenz um die Aufmerksamkeit anderer. Da passt ein introvertierter Partner besser – der Gegensatz wird zur idealen Ergänzung. Emotional instabile Menschen wiederum brauchen einen stabilen Partner an ihrer Seite. Letztlich treffen also beide Sprichwörter zu, es kommt nur ganz wesentlich auf die Details an.

Manchmal scheint der Mittelweg das Beste zu sein

Ein weiteres Beispiel: „Nur unter Druck entstehen Diamanten“ versus „In der Ruhe liegt die Kraft“. Was trifft zu? Auch hier finden Psychologen für beides passende Theorien und empirische Befunde. Anspruchsvolle Ziele und ein gewisser Zeitdruck sind nötig, damit Leistungen erbracht werden. Das gilt für Einzelne, aber auch für Gruppen und ganze Organisationen. Hingegen zeigen andere Befunde, dass arbeitsbezogener Stress negative Folgen hat, und zwar sowohl für die Gesundheit als auch für das Ergebnis der Arbeit. Hier scheint also eher ein Mittelweg optimal, wie David Schnell vom Münchener Projekt aus den Daten schließt. Unternehmen müssen eine gesunde Balance zwischen Anforderungen und Rücksicht auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter finden.

Sprichwörter und Forschung liegen also durchaus oft dicht beisammen, und sie kommen letztlich zu einem ähnlichen Schluss: Es gibt keine endgültigen Wahrheiten. Trau, schau, wem – und im Zweifelsfall sehr genau hin.

Literatur

Dieter Frey (Hg.): Psychologie der Sprichwörter. Weiß die Wissenschaft mehr als Oma? Springer, Heidelberg 2017

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2017: Selbstsabotage