Eine Bekannte hörte überrascht, wie ihr Nachbar erklärte, der Holocaust habe nicht stattgefunden. Der Kollege eines Freundes befand, der Islam „unterwandert die deutsche Gesellschaft“. Ein älterer Verwandter empfahl seinem 16-jährigen Enkel ein Buch aus einem Verlag, der ein wegen Volksverhetzung verbotenes Werk veröffentlicht hatte. Bei einem Ehepaar, beide mit akademischem Hintergrund, engagiert sich einer der Partner seit längerer Zeit bei der AfD und kandidiert für das kommunale Parlament.
Seit einigen…
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kandidiert für das kommunale Parlament.
Seit einigen Jahren werden rechtslastige, populistische Meinungen von einer wachsenden Minderheit bis in die Mitte der Gesellschaft hinein immer offener geäußert, schreiben die Psychologin Beate Küpper, Professorin für soziale Arbeit an der Hochschule Niederrhein, und der Sozialpsychologe Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, in einem Aufsatz. Die Forscher beziehen sich dabei auf die sogenannte „Mitte-Studien“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, die seit 2006 und zuletzt 2016 politische Einstellungen der Bevölkerung untersucht. Rechtspopulistisch zu argumentieren, so die Studie, sei „salonfähiger“ geworden. Es kann also häufiger passieren, dass man auch dort auf rechtspopulistische Äußerungen stößt, wo man nicht damit rechnet: in der eigenen Familie und dem eigenen Freundes- und Bekanntenkreis. Wie reagiert man darauf am besten?
Unterschiedliche Moralvorstellungen
Zunächst ist es hilfreich zu verstehen, warum politische Diskussionen in Familien oder unter Freunden schneller in Konflikte münden können als Gespräche etwa über den Beruf. Der Psychologe Tobias Rothmund, Juniorprofessor an der Universität Koblenz-Landau, sieht beim Thema „Politik in der Familie“ eine Forschungslücke. Aber die Prinzipien aus der psychologischen Einstellungsforschung ließen sich vermutlich auf die Situation in Familien übertragen. Demnach kommt es in politischen Diskussionen besonders schnell zu Kontroversen, weil es immer auch um die unterschiedlichen moralischen Weltbilder von Linksliberalen und Konservativen geht. Linksliberale legten mehr Wert auf soziale Gerechtigkeit und körperliche Unversehrtheit für alle Menschen und plädierten deshalb beispielsweise dafür, Geflüchtete aufzunehmen. Dagegen sähen Konservative, die viel Wert auf Loyalität zur eigenen Gruppe legten, in der Aufnahme von Geflüchteten eher ein Sicherheitsrisiko.
Diese unterschiedlichen moralischen Vorstellungen führten dazu, dass Linksliberale und Konservative oft wenig Verständnis für die Meinungen der anderen hätten, so Rothmund. Konservative unterstellten Linksliberalen, sie seien moralisch überheblich, Linksliberale hielten Konservative wiederum häufig für moralfrei. Konservative hätten laut Studien eine höhere Sensibilität für „Bedrohungsreize“. Sie fungierten ein wenig wie das „Alarmsystem“ einer Gesellschaft.
Rechtspopulismus und neue Rechte
Für die Frage, wie man mit rechtspopulistischen Äußerungen umgeht, ist es außerdem wichtig zu wissen, wie Rechtspopulisten kommunizieren. Rothmund beschreibt sie als desillusioniert und gegenüber Eliten stark misstrauisch. Außerdem glaubten sie an eine homogene Gesellschaft, zu der Geflüchtete aus ihrer Sicht nicht gehörten. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass sie, wie der Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer in seinem Buch Neue Rechte, altes Denken erklärt, häufig Begriffe wie „das Volk“ verwenden, dem dann ein Kartell von Eliten gegenübergestellt wird, etwa „die Politik“, „die Lügenpresse“ oder „die Wirtschaft“. Dieses Denkmuster – „das Volk“ versus „die Eliten“, die dem Volk schaden wollen – ist auch ein typisches Muster von Verschwörungstheorien.
Rechtspopulisten sind der Tendenz nach antidemokratisch. Sie wünschen sich eine unmittelbare Demokratie mit Volksentscheiden, aber diese unterlaufen das Prinzip der Gewaltenteilung und verzichten auf den Schutz von Minderheiten, so Politikwissenschaftler Hufer. Die meisten Rechtspopulisten hätten kein geschlossen rechtsextremes Weltbild, der Holocaust werde nicht geleugnet, aber verharmlost. Hufer unterscheidet Rechtspopulismus von der sogenannten neuen Rechten. Die neue Rechte besteht demnach aus einem Netzwerk verschiedener Bewegungen und Gruppen, etwa der „identitären Bewegung“ als einer der bekanntesten. Vertreter der neuen Rechten überschreiten laut Hufer in ihrer Kommunikation „bewusst die Grenzen des Sagbaren mit der Absicht, dass das zur Gewohnheit wird und ein Umdenken stattfindet“. Das Weltbild der neuen Rechten bezieht sich auf den historischen Nationalsozialismus, die Übergänge zwischen Rechtspopulismus und der neuen Rechten seien jedoch fließend.
Haltung zeigen
Die Soziologin Lisa Hempel leitet die vom Bundesfamilienministerium geförderte „Fachstelle Rechtsextremismus und Familie“, deren Aufgabe es ist, Fachkräfte aus Kindertagesstätten, aus Kinder- und Jugendämtern oder Erziehungsberatungsstellen sowie betroffene Angehörige darin zu schulen, mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus umzugehen. Ihre Empfehlung bei feindseligen und diskriminierenden Äußerungen („Bald laufen hier alle mit Kopftuch herum“) lautet: Haltung zeigen und eine Strategie für kritische Momente entwerfen. Das heißt, die eigene Position unmittelbar wiedergeben, also etwa sagen: „Ich sehe das anders als du, für mich sind alle Menschen gleich viel wert, egal welcher Herkunft.“
Wie Lisa Hempel außerdem erklärt, legen einige Rechtspopulisten und stärker noch Vertreter der neuen Rechten Wert darauf, dass ihnen Redefreiheit zugestanden werde. Dem könnte man entgegenhalten, dass es auch Grenzen der Meinungsfreiheit gibt, wie das Diskriminierungsverbot der deutschen Verfassung. Bei der Holocaustleugnung kann man auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1994 verweisen: Demnach ist diese nicht von der im Grundgesetz garantierten Meinungsfreiheit gedeckt. Überdies können auch Verschwörungstheorien rassistische, sexistische oder antisemitische Inhalte haben. Ist man damit konfrontiert, gibt es gute Gründe, nicht darüber zu reden, „weil man nicht akzeptieren möchte, dass die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschoben werden“, sagt Michael Butter, der an der Universität Tübingen zu solchen geschlossenen Weltbildern forscht.
Es geht nicht ohne Fakten
Der Journalist und Buchautor Toralf Staud schreibt in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung über Diskussionen mit Vertretern des rechten Spektrums über das typische Dilemma, das dabei auftreten kann: „Zu den Prinzipien eines demokratischen Umgangs gehört, dass man miteinander redet und etwaige Konflikte verbal austrägt.“ Doch in Diskussionen mit Rechtspopulisten oder Vertretern der neuen Rechten komme es häufig zum „Parolenspringen“: Populisten werfen Parolen in den Ring, die Gesprächspartner reagieren mit einer anderen Parole. Wer das nicht mitmachen wolle, gerate in die Lage, Parolen mit komplexen Antworten und Fakten widerlegen zu müssen – das koste Zeit und gehe ohne inhaltliche Vorbereitung kaum. Dies lässt dann die Vertreter des gemäßigten politischen Spektrums schnell schlecht aussehen: Ignoriert man die zweifelhaften Äußerungen oder lässt Gesprächspartner ins Leere laufen, steht man als undemokratisch und unhöflich da, da die verbale Auseinandersetzung zu den zentralen Prinzipien des demokratischen Umgangs gehört.
Höflich und ruhig bleiben
Auch wenn die Standpunkte sehr konträr sind, plädieren Wissenschaftler dafür, mit Familienmitgliedern im Gespräch über Politik zu bleiben. Die Psychologin Caroline Vaile Wright, Forscherin beim amerikanischen Psychologenverband APA, rät beispielsweise dazu, sich zu überlegen, welches Ziel wir in kontroversen Diskussionen im Normalfall verfolgen: „Wollen Sie die Meinung des Gegenübers verändern? Oder nur seine Ansichten kennenlernen und auf diese Weise auch einige Informationen erhalten?“ Dies erleichtere es, den Gesprächspartnern gegenüber offenzubleiben.
Nicht ganz einfach, wenn man sich durch Begriffe wie „unser Volk“ provoziert fühlt oder ein Verwandter von „der Lügenpresse“ redet. Aber auch der Psychologe Tobias Rothmund empfiehlt, nicht sofort eine ablehnende Haltung einzunehmen und statt dessen erst einmal darauf zu achten, ob das Gegenüber bereit sein könnte, andere Meinungen wahrzunehmen und für relevant zu erachten. Gebe es eine gewisse Offenheit und Bereitschaft zu argumentieren, könne ein Austausch zustande kommen. Andernfalls machten sich rasch gegenseitige Vorwürfe, Ärger und Empörung breit.
Zu verbalen Attacken und Abwertungen sollte man sich nicht hinreißen lassen, empfiehlt Psychologin Wright: „Wir haben die Ansichten von anderen nicht zu bewerten, auch wenn sie nicht mit unseren eigenen Werten übereinstimmen.“ Es sei daher auch wichtig zu akzeptieren, dass andere die eigene Meinung nicht übernehmen. „Sie können der beste Kommunikator der Welt sein und doch nicht das erreichen, was Sie wollen.“ Kommt ein Gespräch nicht zustande oder ist es schnell beendet, hält Tobias Rothmund es für wichtig, auf etwas zu bestehen: „Schweigen über ein Thema ist nicht mit Zustimmung gleichzusetzen: Wenn man eine Position nicht teilt, sollte man das am Ende des Gesprächs artikulieren.“
Nicht jeder ist gleich ein Nazi
Ein spezielles Problem in politischen Debatten sei der Umgang mit Fakten: „Fakten werden in politischen Diskussionen gern verbogen, und zwar von Vertretern aller Richtungen“, sagt Psychologe Rothmund und nennt als Beispiel das Thema Kriminalitätsrate und Geflüchtete: So erwecke die eine Seite den Anschein, es gebe überhaupt keine Probleme. Und die anderen instrumentalisierten einzelne Schwerverbrechen, um Ängste zu schüren. Der komplexen Wirklichkeit werde beides nicht gerecht. Hier könne es sinnvoll sein, sich bei rechtspopulistisch argumentierenden Gesprächspartnern nach ihren Quellen zu erkundigen. Falls das nicht weiterhelfe, könne man fragen, welche Information das Gegenüber benötige, um sich überzeugen zu lassen.
Wenn dann keine Antwort komme, sei die Theorie des Gesprächspartners nicht falsifizierbar. Generell gebe es unter Rechtspopulisten viele, die prinzipiell nicht „überzeugbar“ seien, ergänzt Rothmund. In diesem Fall liegt die Vermutung nahe, dass sich ein verschwörungstheoretisches Denkmuster dahinter verbirgt – das als solches nicht widerlegbar ist, wie der Amerikanist Michael Butter in seinem Buch „Nichts ist, wie es scheint“ ausführt. Er rät ebenfalls davon ab, den Gesprächspartner zu stigmatisieren, und hält es nicht für sinnvoll, die „Grundannahmen des Gedankengebäudes anzugreifen“. Butter schlägt stattdessen vor, nach den Quellen für Einzelfragen oder Detailbehauptungen zu fragen.
Tobias Rothmund argumentiert, man sollte auf jeden Fall probieren, erst einmal zuzuhören, damit man sein Gegenüber zumindest besser versteht: „Manche Anliegen sind prinzipiell berechtigt, das heißt nicht, dass man sie sich zu eigen macht.“ Und nicht jeder, der Angst vor Geflüchteten habe, sei gleich ein Nazi. Aber nur wer dem anderen erst einmal zuhöre, könne einen Schritt auf ihn zugehen.
Literatur:
Toralf Staud: Soll man mit Neonazis reden? Bundeszentrale für politische Bildung, 2016, abgerufen 25. Mai 2018
Enrico Glaser, Lisa Hempel, Eva Prausner (Hrsg.): Das ist deren Privatsache… Familienberatung im Kontext von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Dokumentation der Fachtagung 2017 der Fachstelle Rechtsextremismus und Familien. Veranstalter: Amadeu Antonio Stiftung, Berlin.
Klaus-Peter Hufer: Neue Rechte, altes Denken. Ideologie, Kernbegriffe und Vordenker. Beltz Juventa, 2018
Michael Butter: „Nichts ist, wie es scheint“. Über Verschwörungstheorien. Edition suhrkamp, Berlin, 2018
Winfried Nerdinger (Hrsg.): Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945. Metropol Verlag, Berlin 2017, Publikation zur Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München