Luxus ist mehr als Protz

Luxus ist weder an Dinge noch an Handlungen gebunden, sagt Philosoph Lambert Wiesing. Er kann sogar eine Form von Widerstand sein.

Das Foto zeigt Modedesigner Domenico Dolce bei einer seiner Shows.
Schwelgen im Luxus: Modeschöpfer Domenico Dolce bei einer seiner Shows. © Dina Litovsky/Redux/laif

Herr Professor Lambert, der Begriff Luxus ist ganz schön komplex. Ein Pelzmantel von Gucci kann Luxus sein, aber eben auch ein freier Sonntag, an dem man ausschlafen und im Bett frühstücken kann.

Dieselbe Irritation hatte ich auch, als ich begann, mich mit dem Luxusbegriff zu befassen. Es ist in der deutschen Sprache ja selten der Fall, dass ein Wort so unterschiedliche Bedeutungen hat und dann noch von einer Gruppe als Tadel und von einer anderen Gruppe als Kompliment verwendet werden kann. Ich merkte dann,…

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einer Gruppe als Tadel und von einer anderen Gruppe als Kompliment verwendet werden kann. Ich merkte dann, dass der Luxus bisher in der Philosophie eigentlich kein Thema war und ist. Man findet ausschließlich kurze Überlegungen, meistens Kritiken oder Apologien des Luxus. Doch meine Forschungsrichtung ist die Phänomenologie, in der es darum geht, ein Phänomen erst mal zu beschreiben, bevor wir es in einem späteren Schritt dann vielleicht bewerten. Wenn ich die Situation richtig einschätze, könnte mein Buch das erste philosophische Buch zum Thema sein, das den ausschließlichen Anspruch hat, Luxus zu beschreiben und dadurch zu definieren.

Wie definieren Sie denn Luxus?

Luxus ist ein übertrieben aufwendiger Gegenstand, der im Besitzen mit einem bestimmten Gefühl, Erlebnis oder einer bestimmten Erfahrung verbunden wird. Der Gegenstand ist also immer nur für denjenigen Luxus, der diese Erfahrung macht. Man kann schließlich nicht messen, welche Funktion ein Luxusgegenstand für jemanden erfüllt: Sie können Ihr Armband zum Juwelier bringen, ihn aber nicht fragen, ob das Armband Luxus ist. Der Juwelier prüft nur, ob es aus Gold ist, aber nicht, ob es Luxus ist. Der entscheidende Punkt für das Luxuserlebnis ist, dass der Besitzer selbst den Gegenstand als zu aufwendig beurteilt und ihn dann aber trotzdem besitzt und verwendet. Anders gesagt: Um etwas als Luxus erleben zu können, muss man selbst der Meinung sein, dass die Sache in ihrer Machart nicht zweckmäßig, sondern übertrieben und verschwenderisch ist.

Wann ist ein Gegenstand aus Ihrer Sicht denn übertrieben aufwendig?

Bezüglich der Frage, was noch zweckmäßig und was schon übertrieben ist, sind die Meinungen sehr unterschiedlich. Aber es bleibt, dass Luxus nur erfahren werden kann, wenn jemand mit seiner Meinung, was angemessen ist, bricht. Der eine hat bei einem bestimmten Kleidungsstück das Gefühl, das ist Luxus und viel zu viel Aufwand. Der andere würde sagen, nein, diese Kleidung ist für mich gerade mal angemessen, vielleicht meint er sogar, sie ist für ihn notwendig, aufgrund seines Status oder seines Berufs. Diese Person bricht dann nicht mit ihren Angemessenheitsvorstellungen und kann deshalb die Sache nicht als Luxus erfahren. Das heißt auch: Wer keine Vorstellung von Angemessenheit hat, vielleicht aufgrund von Gewöhnung an Reichtum oder auch aufgrund von Größenwahn, kann keinen Gegenstand als Luxus erfahren. Man benötigt für die Luxus­erfahrung ein Bild davon, wie Menschen leben sollten, denn nur wer ein solches hat, kann damit durch ein Zuviel an Aufwand brechen. Luxus ist ein Bruch mit einer Lebensform, aber ein Bruch, der weder moralisch noch strafrechtlich verboten ist.

Eigentlich assoziiert man mit Luxus ja einen hohen materiellen Wert. Aber wenn die Luxus­erfahrung so subjektiv ist, dann müsste ein Luxusgegenstand ja nicht zwingend hochwertig sein, oder? Eine Schallplatte zum Beispiel ist heute absolut nicht zweckmäßig, trotzdem sammeln viele Leute Vinyl. Wäre eine Schallplatte nach Ihrer Definition ein Luxusgegenstand?

Eine Schallplatte ist nicht per se Luxus. Kein Gegenstand ist per se Luxus. Aber in der Tat kann eine Schallplatte für jemanden ein Luxusgegenstand sein, wenn sie in einer bestimmten Weise besessen wird, nämlich mit dem Bewusstsein, hier etwas nicht Zweckmäßiges zu machen. Das Hören von Musik per Schallplatte kann mit dem Erlebnis verbunden sein, sich nicht dem Diktat der effektivsten Lösung zu unterwerfen, etwa einer MP3-Datei. Dann wäre es Luxus. Wenn jemand aber meint, die Platten klingen besser oder er benötige sie als DJ zum Scratchen, dann erlebt er sie nicht als Luxus, sondern als zweckmäßig für das, was er möchte. Von außen lässt sich aber oft kaum erkennen, warum jemand einen übertriebenen, irrationalen Aufwand betreibt. Man weiß ja auch nicht, warum jemand eine Goethe-Gesamtausgabe im Regal stehen hat: Schätzt er die Literatur, oder möchte er den Kanon des Bildungsbürgertums bedienen, also sich mit den Dingen darstellen? Wenn mit meinen Überlegungen zum Luxus eine moralische Dimension verbunden sein sollte, dann also die Aufforderung, bitte etwas zurückhaltender im Urteil zu sein, warum jemand etwas macht.

Häufig werden Luxusgegenstände dennoch mit einem hohen materiellen Wert und damit auch mit Protz verbunden. Wo zieht man denn die Grenze zwischen der Luxuserfahrung und der Angeberei?

Die Phänomene mögen vermischt auftreten, doch die Begriffe sind klar unterscheidbar. In der Alltagssprache wird der Luxusbegriff ja leider häufig mit zwei Begriffen gleichgesetzt, zum einen mit Komfort und zum anderen mit Protz. Nun bin ich der Allerletzte, der bestreiten will, dass es dieses ostentative Phänomen der ästhetischen Selbstdarstellung mit Protz gibt: Man zeigt zum Beispiel seine Kaufkraft. Aber die Luxuserfahrung auf Protz oder auch Prestige zu reduzieren ist aus meiner Sicht falsch und eine Reduktion des Facettenreichtums menschlicher Erlebnismöglichkeiten. Bei Protz sind wir im Selbstdarstellungsbereich, bei Luxus im Selbsterfahrungsbereich. Mit Protz zeige ich mich, mit Luxus erlebe ich mich. Luxuserfahrungen können ja auch ganz allein im Privaten gemacht werden. Es gibt Orte, an die kaum jemand anderes hinkommt, mit denen man sich also nicht darstellen kann, die aber dennoch von ihrem Besitzer als Luxus erlebt werden können; man denke an Gärten und Bäder.

Aber woher wissen wir, ob ein Porsche 911 für den Besitzer ein Luxus- oder ein Prestigeobjekt ist?

Das wissen wir nie, es gibt nur Indizien, die für bestimmte Gründe und bestimmte Erfahrungen sprechen. Derselbe Wagen kann von derselben Person aus unterschiedlichen Gründen zu unterschiedlichen Zeiten geschätzt werden. Vielleicht ist der Autobesitzer eher ein Designliebhaber und vorrangig an der ästhetischen Formgebung und Gestaltung interessiert, Protz und Luxus interessieren ihn nicht. Möglicherweise findet er den Wagen aber auch nur praktisch, weil er schnell ist; dann stehen der Komfort und das sinnliche Erlebnis im Vordergrund. Vielleicht ist ihm aber auch das Prestige, einen solchen Wagen zu fahren, sehr wichtig. Vielleicht will er mit dem Auto angeben, vielleicht will er auch provozieren. Die Motive können sich überlagern und je nach Situation schwanken. Eben weil unsere Erlebniswelt so vielfältig, uneindeutig und ambivalent ist, brauchen wir präzise Begriffe, um die unscharfen Erfahrungen in ihren verschiedenen Facetten zu beschreiben.

Wenn Sie die Luxuserfahrung aber so klar von der ästhetischen Designerfahrung, der Komforterfahrung und der Prestigeerfahrung abgrenzen, dann frage ich mich, worin genau die Luxus­erfahrung bestehen könnte, einen Porsche 911 zu fahren.

Aller Wahrscheinlichkeit nach weiß der Fahrer eines solchen Autos, dass der Wagen viel zu kompliziert und aufwendig ist, um damit nur in die Stadt zu fahren oder die Kinder zum Kindergarten zu bringen. Er weiß, dass er einen nichtzweckmäßigen Wagen fährt – aber er setzt sich über diese Vernunftgebote des Effektiven trotzig hinweg. Es gibt Menschen, die spüren in genau diesen Momenten, dass sie Menschen sind, weil sie die Regeln brechen, um so ihren Eigensinn zu spüren. Ich würde dies als eine Form von Dadaismus des Besitzens bezeichnen. Kurt Schwitters hat es mal so auf den Punkt gebracht: Es liegt ein Sinn im Unsinn. Luxus kann man nicht als etwas Vernünftiges oder Sinnvolles beschreiben. Doch wer eine Luxuserfahrung macht, handelt bewusst nicht angemessen, sondern verschwenderisch und irrational – und das Eigenwillige ist, dass genau das den Luxus für einige Menschen so attraktiv und sinnvoll werden lässt, weil die Gefahr eines durch und durch rationalen Lebens darin besteht, dass der Mensch immer mehr wie eine determinierte Maschine funktioniert.

Ist Luxus also eine Art von Protest?

Vielleicht nicht Protest, aber Ausdruck von Widerspenstigkeit und Unangepasstheit. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Regeln immer stärker implementiert werden. Die Soziologen der Frankfurter Schule, etwa mein Kollege Hartmut Rosa, haben ja schon umfassend diagnostiziert, dass in unserer Gesellschaft eine starke Zweckrationalität um sich greift. Alles soll immer schneller, zweckmäßiger und effektiver werden. Diese Veränderungen bewirken aber eben auch Gegenreaktionen. Menschen suchen nach Bereichen, in denen sie Autonomieerfahrungen machen können. Hier gibt es viele Gebiete: sicherlich die Kunst, sicherlich auch den Sport, sicherlich die Bildung, doch eben auch den Luxus. Für Adorno ist der Luxus – ganz im Gegensatz zum Protz – ein Produkt der „Sehnsucht, der Sklaverei der Zwecke zu entfliehen“, und für ihn in genau dieser Hinsicht der Kunst sehr verwandt. Hier teile ich seine Meinung. Insofern kann man das Suchen nach einer Luxus­erfahrung eben als eine Form von Widerständigkeit gegen die Tendenz einer zunehmend durchrationalisierten Gesellschaft verstehen.

Aber gab es die Sehnsucht nach Luxus und ­Luxuserfahrungen nicht schon immer?

Das weiß man nicht. In der Philosophie haben wir eine lange Tradition, in der beschrieben wird, dass Menschen ihr eigenes Menschsein spüren wollen oder, wie Kant sagt, ein „Lebensgefühl“ suchen. Die Orte oder Momente, in denen man dieses Menschsein erlebt, wo man dieses Lebensgefühl vielleicht findet, sind aber in hohem Maße zeit-, vielleicht sogar modeabhängig. Schiller war der Meinung, dass man das Menschsein nur im Zustand des Spiels erleben könne, allerdings blieb immer unklar, was genau er unter Spiel verstand. Der frühe Ernst Jünger setzte ganz auf die Kriegserfahrung, er meinte – unglaublich, aber doch allen Ernstes –, dass man erst im Schützengraben spüre, was es heiße, ein Mensch zu sein. Später, in den 1960er Jahren, setzte er dann ganz auf die Drogenerfahrung, genau wie viele andere seiner Zeit. Heidegger hingegen war der Meinung, dass man in der Langeweile und in der Angst das Sein des Daseins spüre. Heute liefert die von den Soziologen vielbeschriebene Durchrationalisierung unserer Gesellschaft einen guten Hintergrund und vielleicht auch eine Erklärung dafür, warum die Luxuserfahrung für viele Menschen derzeit so interessant zu sein scheint.

Könnte man die Luxuserfahrung nicht auch kritisch sehen, im Sinne eines eskapistischen oder unpolitischen Verhaltens angesichts gesellschaftlicher Unstimmigkeiten?

Auf jeden Fall, man sollte übrigens immer kritisch sein – doch das ändert nichts an den phänomenalen Qualitäten eines Erlebnisses, also daran, wie es ist, etwas als Luxus zu erfahren. Nun kann man niemandem vorwerfen, bestimmte Erlebnisse zu haben, schon aber, auf welchem Wege er versucht, dieses Gefühl zu realisieren. Das Phänomen Luxus lässt sich also auf eine sympathische und auch auf eine widerliche Weise ausleben. Für beides fallen einem schnell Beispiele ein. Aber das gilt uneingeschränkt für jede ästhetische Erfahrung – Menschen suchen auch Schönheitserlebnisse auf Arten, von denen einige zu begrüßen und andere abzulehnen sind.

Was ist denn Luxus für Sie persönlich?

Ha, auf die Frage habe ich gewartet! Aber das sage ich nicht. Meine persönlichen Luxuserfahrungen gibt es, aber sie sind ganz privat.

Lambert Wiesing ist Professor für Philosophie und Inhaber des Lehrstuhls für Bildtheorie und Phänomenologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sein Buch Luxus ist 2015 bei Suhrkamp erschienen

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2019: Zwischen Liebe und Pflichtgefühl