Ich möchte mit Ihnen über Neid sprechen, merke aber, dass es ganz schön unangenehm ist, über die eigenen Neidgefühle nachzudenken. Warum ist das so?
Weil der Neid vom Vergleich lebt. Er entsteht aus der Wahrnehmung, dass jemand etwas besitzt, was ich nicht haben kann. Oder etwas ist, was ich selbst gern wäre. Ich fühle mich dann schmerzlich ausgeschlossen von dem, was ich begehre. Neid weist also auf einen eigenen Mangel hin. Viele empfinden es als beschämend, dass ihnen dieser Mangel so viel ausmacht.…
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eigenen Mangel hin. Viele empfinden es als beschämend, dass ihnen dieser Mangel so viel ausmacht. Gleichzeitig entsteht aber oft ein Berechtigungsgefühl, also die Wahrnehmung, einen Anspruch auf das Beneidete zu haben. Deshalb hat man auch schnell den Impuls, das Beneidete zu zerstören. Dann kommen aber die Schuldgefühle hinzu, das macht es schließlich ganz schwer, den Neid anzugehen.
Wird der Neid deshalb so gern verdrängt?
Ja, Neid ist oft unbewusst, weil er eben häufig mit Scham oder Schuldgefühlen einhergeht. Aber er ist durchaus bewusstseinsfähig – in der Therapie geht es ja oft darum, den Neid überhaupt bewusstzumachen.
Wenn der Neid noch unbewusst ist, was passiert dann mit ihm – wie äußert er sich?
Es gibt verschiedene psychische Abwehrmechanismen, mit denen wir den Neid ganz oder teils unbewusst halten. Oft kann der Neid dann gar nicht mehr identifiziert werden. Eine ganz häufige Abwehrform ist zum Beispiel die Verleugnung, also die Abspaltung. Unser neidisches Gefühl wird dann nicht mehr wahrgenommen und äußert sich vielleicht stattdessen in der Entwertung des beneideten Objekts: Aus dem Kollegen mit den tollen Fähigkeiten wird dann ein inkompetenter Angeber, man macht sich über ihn lustig, da bleibt also nichts mehr übrig, was beneidet werden könnte. Ein anderer Abwehrmechanismus ist die Projektion von Neid; der Neid wird dann in die anderen hineinverlegt, es entsteht also das Gefühl, dass man selbst gar nicht neidisch ist, aber um einen herum nur Neider sind.
Kann Neid nicht auch dazu führen, dass man sich selbst ganz klein und wertlos fühlt?
Ja, wir nennen das Wendung gegen sich selbst. Das ist die typische Abwehrform bei Depression. In der Depression werden aggressive Impulse nicht nach außen getragen, sondern gegen das Selbst gerichtet. Und Neid ist eine Variante von Aggression. Im Vergleich zum beneideten Menschen fühlt man sich dann gleich völlig wertlos oder stempelt sich als Versager ab.
Ist Neid also überwiegend ein destruktives Gefühl?
Es gibt eine destruktive und eine konstruktive Variante des Neids. Die destruktive Variante entsteht aus Resignation, aus dem Gefühl, das Begehrte nie erreichen zu können. Man denkt: Ich schaffe das nie, ich erreiche das nie. In dieser Situation kann der Impuls entstehen, das Beneidete zu verderben oder im Extremfall den beneideten anderen zu vernichten, damit der aus diesem quälenden Vergleich entstehende Schmerz der Selbstabwertung aufhört. Aber natürlich muss der Neider dafür einen hohen Preis bezahlen, etwa Schuld und Schamgefühle oder auch Ängste: etwa die Angst vor Liebesverlust der eigenen sozialen Gruppe und natürlich auch Angst vor Vergeltung.
Und die konstruktive Variante?
Neid kann eben auch Wünsche anregen oder kreative Kräfte mobilisieren. Ich kann zwar neidisch sein, aber zugleich das Gefühl haben, dass es mir irgendwann möglich sein wird, das Gewünschte zu erreichen. Dafür kann ich mich dann anstrengen. Die Frage ist, ob es eine Resignation angesichts des Neids gibt oder ob er mich zu Ehrgeiz und Tatengeist anspornt. In vielen Kulturen, etwa der osteuropäischen, ist deshalb die Rede vom schwarzen und weißen Neid.
Wie schafft man es denn, dieses tabuisierte Gefühl in eine Ressource umzuwandeln?
Letztendlich nur über die Anerkennung des Neides, also indem man sich seines Neides bewusstwird! Wenn man das hinbekommen hat, kann ein Weg gesucht werden, sich mit den quälenden Unterschieden und Vergleichen auseinanderzusetzen, ohne gleich mit Entwertung, Verleugnung oder Zerstörung reagieren zu müssen. Man kann dann schauen: Wo will ich eigentlich hin, was brauche ich? Und kann sich von da aus auf den Weg machen, etwas im Leben zu betrauern und dann zu verändern. Um das zu schaffen, muss man nicht unbedingt in Therapie gehen. Manchmal hilft dabei schon der direkte und persönliche Austausch mit beneideten Menschen oder Gruppen. Man erkennt dann vielleicht, dass die eigenen Gefühle doch eine Projektion waren. Manchen Menschen gelingt diese Auseinandersetzung aber tatsächlich nur mit therapeutischer Unterstützung, weil der Neid eben häufig tief sitzt und unbewusst verarbeitet wird.
Woher kommt der Neid eigentlich? Ist er ein angeborenes Gefühl?
Leider wissen wir beim Thema Neid nicht so genau, worüber wir reden, es fehlt bislang eine präzise wissenschaftliche Definition. Der Neid gehört auf jeden Fall nicht zu jenen Affekten, die in der Emotionsforschung als kulturunabhängige Basisgefühle verstanden werden, wie etwa Freude, Wut oder Ekel. Aber im täglichen Leben und auch in der Psychotherapie haben wir ohnehin eher mit Mischgefühlen zu tun, also mit zusammengesetzten Affekten. Neid besteht meiner Meinung nach oft aus einer Mischung aus Angst, Wut und Traurigkeit.
Manche Menschen scheinen aber mehr mit Neid zu kämpfen zu haben als andere. Entsteht Neid durch bestimmte Entwicklungsprobleme oder Beziehungsdynamiken?
Die Psychoanalyse geht davon aus, dass die Fähigkeit, Liebesgefühle und auch destruktive Regungen zu entwickeln, zu einem gewissen Grad angeboren ist. Für die Intensität dieser Regungen sind aber von Anfang an äußere Bedingungen einflussreich. Insbesondere die Beziehung zur primären Bezugsperson ist wichtig, das ist ja meistens die Mutter. Denn das Baby erwirbt in dieser frühen Beziehung seine Fähigkeit, emotionale Spannungen zu verarbeiten. Je nachdem, wie gut sich die Mutter ahnungsvoll in das Baby einfühlen und ihm bei der Bewältigung seiner Affekte helfen kann, lernt es also auch das Kind. In der Psychoanalyse nehmen wir an, dass das Kind, umso älter es wird, umso mehr gewahr wird, dass es eine tiefe Abhängigkeit von der Mutter hat. Das führt dann im Erleben des Kindes unweigerlich zu einem Herausfallen aus einem ursprünglichen Gefühl der Einheit mit der Mutter. Das Gefühl einer narzisstischen Allmacht geht verloren, das Gegenüber – also die Mutter – besitzt dann das, was ich selbst dringend brauche. So entsteht Neid. Dem Neid geht also immer eine Liebes- und Bewunderungsphase voraus.
Wenn die Beziehung zur Bezugsperson gut ist, schafft es das Kind aber vermutlich, besser damit zurechtzukommen?
Genau, die schockierende Erkenntnis der eigenen Abhängigkeit und die große existenzielle Angst, die daraus erwächst, ist gemildert, wenn es einen guten und einfühlsamen Kontakt gibt. Wenn es umgekehrt aber Verwahrlosung und Vernachlässigung oder Nichteinfühlung gibt, dann ist der Neid auf jemanden, der unabhängig ist, viel größer. Der Neid an sich löst dann auch wieder Angst aus. Insofern kann man sagen: Ganz viel hängt von der frühen Beziehung ab.
Welche psychischen Störungsbilder können daraus erwachsen?
Neid ist eine wesentliche Begleiterscheinung bei sehr vielen Krankheitsbildern. Vor allem bei einem bestimmten Typus von Narzissten spielt Neid eine wichtige Rolle. Diese Narzissten haben eine misstrauische Grundhaltung und sind sadistisch und aggressiv, Neidgefühle können bei ihnen zu schweren Straftaten bis hin zu Mord führen. Der Gegenpol wäre die Depression, wo es eine Hemmung gibt, den Neidschmerz nach außen zu richten, und die Aggression gegen sich selbst gerichtet wird. In der Anorexie wiederum wird eine Autarkie angestrebt, um Neidgefühle zu vermeiden, die Betroffene braucht dann gar nichts, von niemandem, sogar kein Essen. Im Bereich der Straftaten haben wir aber viel mit Neid zu tun. Ich denke in diesem Zusammenhang auch immer an islamistische Attentäter.
Sind auch sie von Neid getrieben?
Wenn wir uns die Täterprofile von Attentätern anschauen, kann man ja schnell feststellen, dass den islamistischen Begründungskonstruktionen der Täter etwas Aufgesetztes anhaftet. Sie sind oft erst kurz vor der Tat erworben worden. Dem ging offenbar häufig ein gescheiterter Versuch voraus, in einem westlichen Land Fuß zu fassen. Ich habe ja schon erklärt, dass dem Neid immer eine Liebes- und Bewunderungsphase vorausgeht, das kann in diesem Fall auf die unglaublichen Glückversprechungen unserer westlichen Kultur bezogen werden. Wenn dann die riesige Diskrepanz zwischen den eigenen Erwartungen und dem, wie es hier in Europa tatsächlich ist, klarwird, wird das narzisstische Gleichgewicht der Täter stark gestört.
Der Neid führt dann in die Gewalt?
Genau, jetzt wird dem Neidschmerz auf zwei Schritten begegnet: Die westliche Kultur wird als verdorben entwertet und die eigene neue Identität als islamistischer Märtyrer aufgewertet. Das rechtfertigt dann den mitleidlosen terroristischen Akt, mit dem unschuldige Menschen in den Tod gerissen werden. Bei Anis Amri, dem Attentäter vom Breitscheidplatz in Berlin im Jahr 2016, war das nicht anders. Er war bis kurz vor der Tat noch mit westlichen Werten identifiziert und hat sogar mit Drogen gehandelt, was ja im Islam streng verboten ist. Der Wandel kam dann ganz plötzlich.
Wird der Neid im Laufe des Lebens weniger drängend? Die meisten Menschen werden mit zunehmendem Alter ja gelassener und reifer.
Wenn das Leben gut läuft, werden wir im Laufe des Lebens tatsächlich reifer und weiser. Aber das ist kein Automatismus, man kann auch in bestimmten Konflikten hängenbleiben. Es gibt in den verschiedenen Lebensabschnitten sehr unterschiedliche Themen, an denen sich der Neid festmachen kann. Kleine Kinder sind oft neidisch auf ihre Betreuungspersonen oder Geschwister. In der Jugend spielt Neid in der Peergroup eine wichtige Rolle, da geht es um Anerkennung und Attraktivität. Im Erwachsenenalter können beruflicher Erfolg, Wohlstand oder gesellschaftlicher Status Neid auslösen. Im Alter ist der Neid auf Jüngere, denen das Leben noch offensteht, vorherrschend. Ganz sicher ist ein Aspekt einer reifen Persönlichkeit aber die Fähigkeit, den eigenen Neid anzuerkennen und zu bewältigen. Also zu sagen: Okay, ich bin neidisch, ich weiß darum, ich kann das vielleicht sogar betrauern, muss das aber nicht ausagieren.
Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigte letztes Jahr, dass die 45 Superreichen in Deutschland genauso viel besitzen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Ist der Ärger darüber dann aber Neid?
Nein. Politisches Engagement für gerechtere Güterverteilungen kann nicht pauschal als Neid bezeichnet werden. In der Tat ist aber oft die Rede von der Neidgesellschaft, wenn Gewerkschaften oder andere politische Gruppen Forderungen stellen. Damit werden diese Forderungen dann gleich abgewertet. Neid würde nur dann vorliegen, wenn ich selbst auch einer der Superreichen werden will. Aber das kann man den meisten Menschen, die sich für mehr Gerechtigkeit engagieren, ja nicht unterstellen. Allerdings ist es in der Geschichte der Menschheit oft genug vorgekommen, dass die neuen Machthaber sich sofort bereicherten und dann plötzlich auch zu den besonders Privilegierten gehörten.
Welche Rolle spielt Neid heute in der Politik?
Eine riesige. Donald Trump bedient den Neid auf Migranten, indem er eine Mauer nach Mexiko bauen will. Dabei wird völlig übersehen, dass er selbst einer der Privilegierten ist. Aber auch bei uns in Deutschland und Europa spielt der Neid auf Geflüchtete eine wichtige Rolle in der Politik, es gibt eine große Angst, dass die Geflüchteten etwas bekommen könnten, was die Einheimischen nicht bekommen, dass sich Mutter oder Vater Staat also anderen Subjekten zuwenden und man selbst benachteiligt wird. Gerade hinter fremdenfeindlichen Einstellungen steckt häufig Neid.
Müsste der Neid nicht stärker enttabuisiert werden, damit er bewusster wahrgenommen werden kann? Dann bräuchten die Menschen ihn nicht über andere Themen abwehren oder ausagieren.
Das würde ich mir auch wünschen. Gesellschaftliche Diskurse würden erheblich erweitert werden, wenn Neid nicht mehr in dem Maße verleugnet werden müsste. Aber nicht nur deshalb. Es kann auch einfach sehr entlastend sein, den eigenen Neid zu erkennen und sich zuzugestehen, dass man etwas vielleicht nicht in dem Maße kann oder erreichen wird, das man sich wünscht. So ist nun mal das Leben.
Eine Welt ohne Neid ist ja auch keine Option.
Aus psychoanalytischer Sicht kann es gar keine Welt ohne Neid geben. Es wird immer etwas geben, um das ein Mensch einen anderen beneidet, Freud spricht in diesem Zusammenhang von Ungerechtigkeiten, gegen die es keine Abhilfe gibt. Neid, verbunden mit dem Gefühl, Unrecht erlitten zu haben, kann also nur anerkannt und bewältigt werden. Aber der Neid an sich wird nie ganz verschwinden.
Eckehard Pioch ist niedergelassener Psychoanalytiker, Lehranalytiker und Vorsitzender des Psychoanalytischen Instituts Berlin
Zum Weiterlesen
Ingo Focke, Eckehard Pioch, Sylvia Schulze (Hg.): Neid. Zwischen Sehnsucht und Zerstörung. Klett-Cotta, Stuttgart 2017