​ Essen verbindet, Essen trennt

Gemeinsames Essen verbindet – doch Verzicht kann einsam machen.

Die Illustration zeigt zwei Gabeln, die miteinander verbunden sind und doch individuell sind
Die Anordnung des Bestecks – für Eingeweihte ein Erkennungsmerkmal und ein Selektierer zugleich. © Joni Majer

Einer kann kein Gluten zu sich nehmen und bestellt Salat – aber alle anderen am Tisch ordern Pasta. Manch einer isst gern Gemüse, Nüsse oder Nudeln, weil er oder sie vegan lebt, doch der Partner brät sich gern mal ein Rindersteak und isst sein Müsli mit Kuhmilch. Gar kein Alkohol? Das versteht nicht jeder, besonders unter jungen und feiernden Erwachsenen. Es gibt zahlreiche Gründe, sich beim Essen einzuschränken und nicht das zu sich zu nehmen, was andere gerade verzehren.

Verzicht auf bestimmte…

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und nicht das zu sich zu nehmen, was andere gerade verzehren.

Verzicht auf bestimmte Lebensmittel ist nichts Neues. Aber es wird häufiger, dass Menschen dauerhaft beim Essen eingeschränkt sind. Neben den gesundheitlichen Notwendigkeiten bilden sich neue Trends, vom Flexitarier bis zur Paleodiät. Ihnen ist gemeinsam, dass die Auswahl der erlaubten Lebensmittel beschränkt ist. Ein Teil dieser Trends verschwindet wieder, andere werden einflussreicher.

Das alles hat psychologische Folgen, denn Essen ist eine kulturell wichtige soziale Aktivität, darauf weisen die Psychologinnen Kaitlin Woolley und Ronghan Michelle Wang von der Cornell University sowie Ayelet Fishbach von der University of Chicago hin. Gemeinsam essen verbindet, und zwar vor allem wenn Menschen an einem Tisch das Gleiche oder etwas Ähnliches essen. Der Grund dafür: Wir sehen in dem ähnlichen Essen eine Möglichkeit, uns darüber mit anderen zu verbinden, mit ihnen darüber zu sprechen – oder vielleicht einfach nur sich durch die Gemeinsamkeit des ähnlichen Essens verbunden zu fühlen, wortlos und angenehm. Diese Möglichkeit entfällt, je häufiger und längerfristiger wir Unterschiedliches essen. Und desto mehr können Gefühle der Einsamkeit die Folge sein, zeigen sieben Studien der Psychologinnen.

Ob freiwillig oder Zwang

Wie wirkt es sich im konkreten „Essensfall“ und alltäglich aus, wenn jemand beschließt (wie beim Veganismus) oder gezwungen ist (wie bei einer Allergie oder Unverträglichkeit), dauerhaft auf bestimmte Lebensmittel zu verzichten? Nicht so gut, zeigen die Studien, die Woolley und ihre Kolleginnen konzipiert haben. Es sind die ersten, die ganz konkret die Frage untersuchen, ob anders essen einsam machen kann, und zwar schon bei Kindern. Die Antwort lautet: Ja. Durchgängig zeigte sich bei den Teilnehmern, dass sie sich einsamer fühlten, wenn sie selbst verzichten wollten oder mussten. Es fehlte ihnen die Möglichkeit, sich über ähnliche Lebensmittel miteinander zu verbinden und sich einander nah zu fühlen.

Die Forscherinnen gingen der Frage mithilfe mehrerer Methoden nach: Sie befragten erstmals zu diesem Thema mehrere hundert Erwachsene. Außerdem erkundigten sie sich bei Lehrern von mehreren hundert Schulkindern über deren Probleme mit abweichender Ernährung. Die drei Psychologinnen werteten zudem ­die Daten von mehr als 35000 Kindern des US-amerikanischen National Health ­Interview Survey aus, einer national repräsentativen Stichprobe.

In einem Computerspielexperiment untersagten die Wissenschaftlerinnen einem Teil der Probanden, ein Glas Wein zu trinken, während der Versuchsleiter, der vermeintliche Spielpartner, dies durfte. Außerdem befragten die Forscherinnen jüdische Teilnehmer während und nach dem Passahfest, das den Verzehr von gesäuerten Lebensmitteln verbietet. Sie erfassten außerdem die Persönlichkeitseigenschaften ihrer Probanden auf der Grundlage der Big Five-Skala und erhoben, wie einsam sich diese fühlten.

Der Fokus der Befragungen und des Experiments lag auf dem „anders“, nicht auf der Art der verschiedenen Essgewohnheiten. Darüber hinaus untersuchten die Wissenschaftlerinnen, ob diejenigen, die auf bestimmte Lebensmittel verzichteten, sich darüber Gedanken machten, wie das von anderen wahrgenommen werde, ob es etwa negativ bewertet werden könnte (food worries). In einer der Studien drehten die Psychologinnen den Spieß um: Sie fragten nicht nach der Einsamkeit, sondern ließen Menschen mit und ohne Ernährungseinschränkungen berichten, wie es sich für sie anfühle, etwas Ähnliches wie andere zu essen.

Sie sind einsam – ohne dass es ihnen bewusst ist

Generell bestätigten sich zunächst Vermutungen, dass in den USA der Anteil der Menschen steigt, die in ihrer Ernährung eingeschränkt sind. Zugleich zeigte sich durchgehend der Zusammenhang zwischen Ernährungseinschränkungen und Einsamkeitsgefühlen. Er ließ sich von anderen Einflussfaktoren auf Einsamkeit wie Einkommen oder Beziehungsstatus statistisch unterscheiden. Auch berichteten die erwachsenen Probanden von ihren Sorgen darüber, andere Menschen in ihrem Umfeld fänden es nicht gut, dass sie sich einschränkten, sie erlebten es also, dass ihr abweichendes Essverhalten nicht sehr positiv aufgenommen wurde.

Die Auswertung des National Health Interview Survey, bei der Daten aus vier Jahren verwendet wurden, bestätigte, wie sehr Kinder leiden: Lebensmittelunverträglichkeiten oder Allergien machten die im Durchschnitt 10-jährigen Befragten einsamer und gingen mit emotionalen und Beziehungsproblemen der Kinder einher.

Das Computerspielexperiment bestätigte, dass der Zusammenhang zwischen abweichendem Essen und Einsamkeit auch kausal sein kann: Einige Probanden erfuhren vor der Teilnahme an dem Computerspiel, dass sie keinen Wein trinken durften, während ihr Spielpartner Wein eingeschenkt bekam. Es handelte sich also nur um eine vorübergehende kurze Einschränkung – dennoch führte sie dazu, dass die unfreiwillig Alkoholfreien nach dem Versuch von mehr Einsamkeit berichteten.

Die Forscherinnen kommen zu dem Schluss, dass das Thema bisher unterschätzt werde. Zum einen bestätigten die Studien, welche Probleme betroffene Kinder damit haben können und wie sie sich isoliert und ausgegrenzt fühlen. Zum anderen zeigten sie erstmals, dass es auch Erwachsenen so gehe, was vielen aber gar nicht bewusst sei. Schließlich machen die Psychologinnen darauf aufmerksam, dass gesundheitsbedingte Einschränkungen beim Essen oft auch ein Problem älterer Menschen sein können. Ihnen werde es dadurch womöglich erschwert, sich anderen beim Essen nahe zu fühlen. Zugleich hätten sie vielleicht kaum noch weitere Möglichkeiten, andere kennenzulernen und sich ihnen verbunden zu fühlen.

Kaitlin Woolley u.a.: Food restriction and the experience of social isolation. Journal of Personality and Social Psychology, online first publication, November 2019. DOI: 10.1037/pspi0000223

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2020: Persönlichkeit: Histrionisch