Mentales Unbehagen

Die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie zeigt: Verschwörungsmentalität und Aberglauben spielen beim Umgang mit der Pandemie eine wichtige Rolle.

Seit 2002 untersuchen Sozialwissenschaftler alle zwei Jahre in der Leipziger Autoritarismus-Studie die Entwicklung autoritärer und rechtsextremer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung. Die Ergebnisse der aktuellen Studie, die jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, zeigen: Der Glaube an Verschwörungsmythen ist seit 2018 gestiegen. Dies ließ sich auch anhand der Zustimmung zu Verschwörungsaussagen zur Pandemie dokumentieren: Aussagen wie „Die Hintergründe der Corona-Pandemie werden nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen“ stimmten 47,8 Prozent aller Befragten in Ost- und Westdeutschland „sehr stark“ zu. Zudem befürworteten 33 Prozent aller Befragten diese Aussage: „Die Corona-Krise wurde so groß geredet, damit einige wenige davon profitieren können.“ Für die aktuelle Studie im Jahr 2020 waren Fragen zur Coronapandemie aufgenommen worden.

Die Ergebnisse spiegeln, dass die allgemeine Bereitschaft, in der Welt Verschwörungen wahrzunehmen, wieder zugenommen habe, berichten die Forscherinnen und Forscher. Sie sei bei 45,8 Prozent aller Befragten latent vorhanden und bei etwas mehr als 20 Prozent sehr ausgeprägt. Auch abergläubische Vorstellungen seien insgesamt verbreitet. Gut 52 Prozent stimmten zu, dass die „Natur mit den gegenwärtigen Krisen die Menschheit ermahne“. 13,9 Prozent gaben an, an Glücksbringer, Wahrsager, Wunderheiler und Astrologie zu glauben. In ihrer Studie erfassen die Autorinnen seit ein paar Jahren neben den rechtsextremen Einstellungen auch Verschwörungsüberzeugungen sowie esoterisch-abergläubische Neigungen. 

Eine generelle Verschwörungsmentalität übte laut der Ergebnisse nachweislich Einfluss auf rechtsextreme Haltungen bei Befragten aus. Ein weiteres prägendes Element ist der Aberglaube. Die Studie zeigt, dass Aberglaube allein nicht zwingend mit Verschwörungsmentalität und rechtsextremen Einstellungen einhergeht, aber es sehr wohl gemeinsame psychologische Mechanismen gibt, die schnell zu einer Nähe führen können – nämlich dann, wenn Verschwörungsmentalität und Aberglauben zusammentreffen.  

Das Unbehagen weghaben wollen

Beide Elemente, Verschwörungsmentalität und Aberglauben nennen die Autoren „projektiv“, womit gemeint ist, dass sie beide dem gleichen Mechanismus unterliegen. Das heißt: Menschen nutzen ihren Glauben an Verschwörungen oder an eine übernatürliche Macht dazu, ihre Probleme und ihr mentales Unbehagen zu „lösen“. Anders als Aberglaube sei aber Verschwörungsmentalität deutlich stärker mit Parteipräferenz, mit politischer Selbstverortung im links-rechts-Spektrum und mit Rechtsextremismus assoziiert. Bei Demonstrationen gegen Covid-19-Maßnahmen treffe dann Aberglaube auf Verschwörungsmentalität. Das berge ein Risiko, schreiben die Forscherinnen: Das „geteilte Unbehagen“ werde regressiv und autoritär bearbeitet und es bilde sich eine „Querfront“. Dabei würden zunächst Verschwörungsgrundüberzeugungen geteilt: „Nichts ist es wie scheint“, „nichts passiert durch Zufall“ oder „alles ist miteinander verbunden“. Diese könnten politisch aufgeladen werden und antidemokratisch, rechtsextrem oder antisemitisch verstanden und interpretiert werden.

Autoritäre Aggression

Die Ergebnisse der Studie werfen ein Licht auf die komplexe und widersprüchliche psychische Verfassung und die Einstellungen von Menschen, die in der Pandemie und anderen Ereignissen eine Verschwörung sehen. Sie hielten Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht oder den Bundestag häufig nicht für legitim und außerdem für „schwach“, weil dort demokratische Prozesse aufwändig mit verschiedenen Akteuren verhandelt werden. Zudem finde sich bei Verschwörungsdenkern eine Mischung zweier Elemente, die ihre psychische Verfassung ebenfalls prägen: zum einen der „Konventionalismus“. Sie fürchteten sich davor, dass bewährte Verhaltensweisen in Frage gestellt werden (wie es in der Pandemie passiert) und sie könnten sich schlechter an Veränderungen anpassen.

Zum anderen die autoritäre Aggression. Ihr Einfluss schlug sich in den Studienergebnissen beispielsweise statistisch nieder in der Befürwortung esoterischer und verschwörerischer Ideen wie etwa der, ein „gesundes“ Immunsystem“ und die alternative Medizin reichten zur Abwehr des Coronavirus aus. Dies umfasse auch die Idee, Alte würden „ohnehin bald sterben“ und es sei „unnatürlich“, sie „künstlich“ am Leben zu erhalten. Die Autoren schreiben dazu: „Hier greifen also Ungleichheitsvorstellungen, und die autoritäre Aggression richtet sich – klassisch – gegen schwächere Gruppen.“ Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es weder besonders demokratisch, noch besonders rebellisch, unkonventionell oder friedlich und auch nicht antiautoritär sei, zu glauben, Covid-19 sei eine Verschwörung.

Für die zehnte Welle der Leipziger Autoritarismus-Studie wurden zwischen dem 2. Mai und dem 19. Juni 2020 bundesweit 2.503 Menschen befragt.  

Oliver Decker, Elmar Brähler (Hrsg.): Autoritäre Dynamiken, alte Ressentiments – neue Radikalität. Gießen, Psychosozial, 2020

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