Frau Dr. Horowitz, während der aktuellen Pandemie haben viele Menschen darüber nachgedacht, sich einen Hund anzuschaffen. Warum gelten Hunde als so gute Partner in der Krise?
Sich in dieser Situation einen Hund zuzulegen, wie es viele gemacht haben, kann ich sehr gut nachvollziehen. Hunde sind zu einem Ersatz für menschliche Kontakte geworden, von denen wir abgeschnitten waren oder noch sind. Jeder weiß, dass sie gute Gefährten sind. In einer Situation, in der wir auf die Gesellschaft von anderen Menschen…
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dass sie gute Gefährten sind. In einer Situation, in der wir auf die Gesellschaft von anderen Menschen verzichten müssen, wird die Gesellschaft von Hunden noch mehr geschätzt.
Außerdem ergänzen Hunde, obwohl sie ihre eigenen Ansprüche haben, unser Sozialleben auf relativ anspruchslose Weise: Sie freuen sich, uns zu sehen, und wollen mit uns zusammen sein; sie neigen nicht dazu, sich zurückzuziehen, um ihr eigenes Ding zu machen. Diese fröhlichen Begleiter scheinen also eine perfekte Ergänzung zum Leben in Quarantäne zu sein.
Bei vielen Familien haben die langen gemeinsamen Tage zu Hause zu Spannungen geführt. Haben Hunde niemals genug von ihren menschlichen Partnerinnen und Partnern?
Doch, auch sie wollen mal allein sein, und das lassen sie einen dann auch wissen. Ich denke, das hat vor allem damit zu tun, dass sich der Stress, den wir fühlen, auf sie übertragen kann. Wenn wir Angst haben, merken sie das, und manche Hunde werden dann selbst gestresst.
Insgesamt ist es für unsere Hunde aber eine großartige Entwicklung, dass wir so viel zu Hause sind. Normalerweise müssen sie für einen Großteil des Tages auf eine soziale Gefährtin oder einen sozialen Gefährten verzichten. Dabei liegt es in ihrem Wesen, diese haben zu wollen.
In Ihrem jüngst auf Deutsch erschienenen Buch Gemischtes Doppel schreiben Sie, dass wir, wenn wir einen Hund bei uns aufnehmen, eine Verbindung eingehen, die uns und den Verlauf unsres Lebens verändern wird. Inwiefern?
Das Leben verändert sich zunächst einmal auf ganz pragmatische Weise. Wenn man bislang noch keinen Hund hatte, ist die Vorstellung davon, was es heißt, einen zu bekommen, oft sehr abstrakt: der lächelnde Begleiter mit Fell. Aber wenn Hunde dann tatsächlich zu unserem Leben gehören, erkennt man, wie abhängig sie von uns sind, sehr ähnlich wie Kinder. Man ist verantwortlich für alle Elemente ihres Lebens: Spazierengehen, Gesundheit, Beschäftigung, Kameradschaft. Es ist eine Verantwortung, die niemals nachlässt.
Wenn wir mit einem nichtmenschlichen Wesen zusammenleben, das noch dazu sehr feinfühlig auf menschliche Bewegungen, Emotionen und Aktivitäten reagiert, erleben wir aber auch eine Art existenzielle Veränderung. Ich glaube nicht, dass jeder mit einem Hund leben muss, aber ich denke schon, dass diese Erfahrung die Sichtweise eines Menschen radikal wandeln kann. Kameradschaftlich Seite an Seite mit diesem sehr anderen Tier zu leben macht einen empathischer für andere Lebewesen, menschliche und nichtmenschliche.
Inwiefern unterscheidet sich die Bindung zwischen Mensch und Hund von den Beziehungen zu anderen Haustieren?
Wie Hunde auf Menschen ansprechen, ist ungewöhnlich. Alle Spezies von domestizierten Tieren reagieren in der einen oder anderen Form auf uns, doch Hunde tun das schneller, leichter und auf eine uns vertrautere Weise. Schon ein sehr junger Hund reagiert auf Leute, die er trifft, und bildet ein Band mit Menschen, das den Bindungen zwischen Kind und Eltern sehr ähnelt.
Hunde nehmen zudem Blickkontakt mit uns auf – etwas das auch Menschen tun, insbesondere jene, denen wir sehr nahestehen. Kein anderes Tier macht dies so durchgängig. Hunde sind einzigartig in der Fähigkeit, menschlich genug zu sein, dass wir sie wirklich als Familienmitglieder empfinden, und das sehr schnell.
Können Sie das menschenähnliche Verhalten noch genauer beschreiben?
Das In-die-Augen-Schauen bildet das Gerüst für andere wichtige Verhaltensweisen, denn es gibt dem Hund eine Vorstellung davon, wo sich unsere Aufmerksamkeit gerade befindet. Ein Hund kann beispielsweise der Richtung folgen, in die wir zeigen. Er kann auch seinen eigenen Blick einsetzen, um uns etwas zu zeigen. Dies sind frühe Elemente sozialer Kognition, die auch Kinder lernen.
Eine andere Besonderheit ist, dass Hunde uns genau beobachten und uns deshalb sehr gut kennen. Das macht es ihnen leicht, zu erkennen, was wir als Nächstes machen werden. Viele Hundebesitzerinnen und -besitzer kennen das: Hunde scheinen zu wissen, dass wir einen Spaziergang oder einen Ausflug machen wollen, lange bevor wir glauben, ihnen einen Hinweis gegeben zu haben. Das gibt uns das Gefühl, dass der Hund versteht, wer wir sind.
Wenn man Ihre Bücher liest, wird offensichtlich, dass Sie Hunde nicht nur erforschen, sondern auch lieben. Wie hat sich diese Liebe entwickelt?
Ich glaube, ich habe Hunde geliebt, seitdem meine Eltern den ersten Hund angeschafft haben, da war ich noch ein kleines Kind. Wir haben dann immer einen Hund gehabt. Wenn einer verstarb, kam der nächste ins Haus. Mit jedem von ihnen fühlte ich mich auf kindliche Weise eng verbunden, obwohl ich mich auch für andere Tiere interessierte.
Als ich zum College ging, adoptierte ich eine eigene Hündin. Zu Pumpernickel, so hieß sie, habe ich eine besonders starke Beziehung entwickelt. Ich war nun erwachsen und verantwortlich für sie, und als Single liebte ich sie stärker, weil sie meine hauptsächliche Gefährtin war. Als ich anfing, Hunde zu erforschen, lebte ich noch mit Pumpernickel zusammen. Durch diese Arbeit hat sich meine Sichtweise auf Hunde noch einmal verändert: vom Menschen, der mit Hunden zusammenlebt, zu jemandem, der mit gewisser Distanz beobachtet, welche Besonderheiten, Fähigkeiten und Grenzen sie haben. Das hat meine Bewunderung für sie weiter verstärkt.
War Ihnen auf dem College denn schon klar, dass Sie Hundeforscherin werden wollten?
Nein. Ich war kein Kind, das von der Arbeit mit Tieren träumte. Für meinen Bachelor habe ich Philosophie studiert. Das Feld, in dem ich jetzt bin, die Erforschung der Hundekognition, gab es damals noch gar nicht.
Wie sind Sie dann in diesem Bereich gelandet?
Für mein Promotionsstudium wählte ich Kognitionswissenschaften. Ich wollte erforschen, wie man etwas über den Verstand von Tieren lernen kann, da sie uns nicht verbal mitteilen können, was sie wissen. Also beschäftigte ich mich mit ihrem Spielverhalten. Eines Tages, als ich mit Pumpernickel rausging, fragte eine Kollegin: Warum schaust du dir nicht Hunde an? Zunächst habe ich die Idee verworfen. „Andere reisen in die Ferne, um langwierige Feldstudien über Gorillas zu machen, da kannst du doch nicht Hunde erforschen, die überall herumlaufen“, dachte ich. Aber dann schienen sie mir gerade durch die Tatsache, dass sie so verfügbar und vertraut sind, als eine natürliche Wahl.
Das scheint eine gute Entscheidung gewesen zu sein.
Ja. Nachdem ich mich einige Jahre mit Hunden beschäftigt hatte, wurde mir klar, wie wenig untersucht sie waren. Das haben auch andere gemerkt, Forscher in den USA, in Ungarn und Großbritannien, die ebenfalls anfingen, sich mit den Kognitionen von Hunden zu befassen. So ist in den vergangenen 20 Jahren aus einem Rinnsal von Studien ein regelrechter Strom geworden.
Sie beschäftigen sich auch mit den Hundebesitzerinnen und -besitzern. In einer Studie haben Sie per Twitter gefragt, wie Menschen den Namen für ihren Hund ausgewählt haben. Innerhalb weniger Tage erhielten Sie tausende Antworten. Warum liegt den Leuten so daran, ihre Geschichte zu erzählen?
Ich denke, das kommt daher, dass sie stolz auf die Beziehung zu ihrem Hund sind und sich für ihn so interessieren, wie man sich für das eigene Kind interessiert. Die Studie, die zugegebenermaßen sehr informell war, nur ein Fragebogen eigentlich, zeigte, wie sorgfältig Menschen bei der Namenssuche vorgingen, manchmal auch auf spielerische oder sogar alberne Weise, und wie wichtig sie es fanden, den genau richtigen Namen zu finden. Sie haben unglaublich viel investiert, so wie man es bei einem Baby tut.
Früher hatten die Hunde typische Hundenamen wie Rex oder Struppi. Heute scheint die Namenswahl komplexer zu sein.
Oft resultierte der Name des Hundes aus einer Kombination von Dingen, die für die Mitglieder der Familie oder des Paares wichtig waren. Sie verehrt beispielsweise die Schriftstellerin Zelda Fitzgerald, und er liebt Zelda aus dem gleichnamigen Videospiel – also nannten sie ihren Hund Zelda. Dies zeigt, welche Bedeutung die Menschen ihrem Hund beimessen. Sie legen in seinen Namen etwas, das mit ihnen zu tun hat – für mich die perfekte Art, ein wichtiges neues Mitglied in die Familie aufzunehmen.
In einem anderen Projekt belauschten Sie, wie Menschen beim Gassigehen mit ihren Hunden reden. Auch das war überraschend.
Es gibt dabei ein paar Überschneidungen mit der Art, wie wir mit Kindern sprechen, aber es ist nicht das Gleiche. Letztlich handelt es sich um eine eigene Form der Sprache. Sie erinnert mich daran, wie man mit sich selbst redet. So, als würde man mit dem Hund als Adressaten laut artikulieren, was einem im Kopf herumgeht. Ich fand das irgendwie wunderbar, denn in vielerlei Hinsicht ist der Hund eine Verlängerung von uns; sie spiegeln etwas über uns wider.
Ein großer Teil Ihrer Arbeit dient dazu, besser zu verstehen, wie es ist, ein Hund zu sein. Dies könne auch die Beziehung zu unseren Hunden verbessern, schreiben Sie. Wie das?
Ich denke, wenn Menschen darüber nachdenken, wie sie mit einem Tier umgehen sollten, gehen sie oft von sich selbst aus. Sie nehmen an, dass Tiere so sind wie wir, nur kleiner und haariger. Das kann zu vielen Fehltritten führen. Denn wenn ich davon ausgehe, dass mein Hund im Grunde das gleiche Erleben hat wie ein Mensch und vielleicht nur etwas weniger hoch entwickelt ist, werde ich Dinge übersehen, die sehr wichtig sind für dieses Tier, das in mancherlei Hinsicht ganz anders ist als wir.
Welche sind das zum Beispiel?
Eines der markantesten Dinge, die übersehen werden, ist, wie sehr ein Hund die Welt über Gerüche versteht. Ich öffne morgens die Augen und sehe meine Umgebung; bei einem Hund, der aus dem Schlaf erwacht, sind es die Nasenlöcher, die sofort arbeiten. Wenn ich mit meinen Hunden in einem nahegelegenen Wald spazieren gehe, sehe ich die Bäume; meine Hunde schnüffeln an den Baumstämmen und erhalten Informationen darüber, welche Tiere – Kaninchen, Kojoten, andere Hunde – hier vorbeigekommen sind. Sie erkennen uns und sich untereinander an den Gerüchen. Aber viele Menschen verbringen viel Zeit und Geld damit, sie weniger „nach Hund“ riechen zu lassen.
Menschen missverstehen ihre Hunde auch in Bezug auf Gefühle wie Schuld und Eifersucht, wie Ihre Forschung zeigt.
Ich habe eine Studie über den „schuldbewussten Blick“ durchgeführt, den Hunde manchmal aufsetzen – gesenkter Kopf, abgewandte Augen und zurückgelegte Ohren. Für uns sieht das so aus, als hätten sie Schuldgefühle. Dieser Eindruck wird besonders bestätigt, wenn wir diesen Blick sehen und auch etwas finden, das der Hund getan hat, das „falsch“ war – wenn er etwa auf die Küchentheke gestiegen ist und unser Abendessen verzehrt hat, den Mülleimer umgeworfen oder ein Stück Polsterung aus der Couch gezogen hat. In meiner Studie habe ich jedoch gezeigt, dass dieser Blick genauso häufig auftritt, wenn Hunde etwas tun, wofür sie sich schuldig fühlen könnten, als wenn sie nichts „Unrechtes“ getan haben.
Was beeinflusst, ob ein Hund diesen Blick aufsetzt?
Hunde zeigen ihn vermehrt, wenn ihre Besitzerin oder ihr Besitzer sie fragend ansieht oder wütend wird. Hunde mögen sich schuldig fühlen, aber dieser Blick beweist es nicht.
Wenn Hunde sprechen könnten, wie würden sie eine bessere Beziehung zum Menschen beschreiben?
Ich vermute, dass sie sich mehr Aufmerksamkeit wünschen würden, aber auch mehr Freiheit, die Dinge zu tun, die wir ihnen oft verbieten. Beispielsweise erlauben viele Leute ihrem Hund nicht, Artgenossen zu beschnuppern, weil es manchmal als unhöflich gilt. Oder die Hunde dürfen nicht so schnell und weit laufen, wie sie wollen, weil sie an der Leine sind. Sie dürfen nicht fressen, was sie wollen, und sie sind oft die meiste Zeit des Tages drinnen. Wir beschränken sie praktisch an jeder Ecke.
Ich denke, wenn Hunde ihre Wünsche artikulieren könnten, würden sie sich weiter für ein Leben mit Menschen entscheiden, aber mit weniger Restriktionen – die wir ihnen oft nur auferlegen, weil es für uns bequemer ist oder weil wir nicht darüber nachgedacht haben, was sie wollen.
Glauben Sie, dass die Coronapandemie längerfristige Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Menschen und ihren Hunden haben wird?
Ich denke, die Leute haben in den letzten Monaten so viel mehr Zeit mit ihren Hunden verbracht, dass sie gemerkt haben, dass die Bedürfnisse der Tiere etwas größer sind, als sie vorher vielleicht gedacht hatten. Wenn die Dinge wieder in eine vertrautere Gangart zurückgehen, denke ich, werden die Menschen eher versuchen, ihre Hunde mit zur Arbeit zu nehmen oder sicherzustellen, dass tagsüber jemand bei ihnen ist. Ich glaube, viele Hundebesitzer haben ihre vierbeinigen Gefährten in dieser schwierigen Zeit mehr schätzen gelernt, und das wird sich positiv auswirken.
Dr. Alexandra Horowitz ist Professorin am Barnard College in New York, wo sie das Dog Cognition Lab leitet. Über ihre Forschung hat die Psychologin mehrere Bücher veröffentlicht. Kürzlich bei Kynos erschienen ist Gemischtes Doppel. Unsere Hunde und wir.