Anfangen und dranbleiben

Viele Menschen interessieren sich für Meditation, wissen aber nicht, wie sie anfangen sollen. Sylvia Wetzel gibt Antworten auf häufige Fragen

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Was ist Meditation?

Im weitesten Sinn bedeutet Meditation, wir machen uns „aktiv vertraut“ mit etwas, was guttut und heilsam oder heilend ist, für uns und andere. So weit fasst der tibetische Buddhismus den Begriff der meditativen Übung, goms. Im engeren Sinn kann man Meditationsübungen in drei Gruppen einteilen: Sammlung, Einsicht, Hingabe.

Mit manchen Übungen lernen wir, unsere Aufmerksamkeit auf eine Sache auszurichten, und so schulen wir unsere Konzentration und lernen, uns zu sammeln. Sammlung

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wir unsere Konzentration und lernen, uns zu sammeln. Sammlung beruhigt, entspannt und – spart Energie. Wir schalten sozusagen um in einen Energiesparmodus, wenn wir uns für zehn, zwanzig Minuten einer Sache widmen.

Andere Übungen sind eher aufdeckend. Wir halten für zehn, zwanzig Minuten mithilfe einfacher Übungen inne und achten auf körperliche und emotionale Prozesse und auf Gedanken. Oder wir schauen uns eine angenehme oder unangenehme Erfahrung im Nachhinein in aller Ruhe und systematisch an und entdecken vielleicht, wie Auslöser oder Aufhänger unsere aktuelle Verfassung, Erwartungen und alte Muster unsere Erfahrungen beeinflussen.

In einer dritten Gruppe von Übungen lassen wir uns auf einen bestimmten Ablauf ein, den wir wertschätzen – Singen, Rezitieren, Imaginieren, eine meditative Bewegung und so weiter –, und wiederholen ihn so lange, bis wir eins werden mit dem Ablauf. Das ist Hingabe.

Eine Faustregel besagt: Wem es schwerfällt, sich zehn, zwanzig Minuten still hinzusetzen, sollte eher mit Bewegungsübungen wie Gehmeditation oder Yoga anfangen. Wer gerne stillsitzt, findet vermutlich leicht Zugang zu einer schlichten Sammlungsübung wie der Atemmeditation oder dem stillen Sitzen. Wer gerne nachdenkt, kann angenehme oder unangenehme Erfahrungen mit gezielten Fragen genauer erforschen.

Braucht man eine Begleitung?

Einige einfache Übungen kann man aus Büchern lernen. Aber wie beim Klavierspielen oder beim Yoga empfiehlt es sich, irgendwann einen Kurs zu besuchen, in dem uns eine erfahrene Person bestimmte Übungen zeigt und mit der wir Fragen besprechen können. Man begegnet dort Menschen, die auch meditieren oder es lernen wollen, und häufig reicht schon ein kurzes Gespräch mit Gleichgesinnten, wenn Fragen auftauchen oder man keine Lust mehr hat, regelmäßig zu üben. Es unterstützt die Übung aber sehr, wenn man ab und zu, ein-, zweimal im Jahr, mit einer kompetenten Person des Vertrauens über seine Übungen sprechen und Fragen stellen kann. Solange Sie keine geeignete Begleitung gefunden haben, empfehle ich Ihnen, sich zumindest mit einer Person, die auch meditiert, regelmäßig, das heißt ein-, zweimal im Monat, auszutauschen.

Wie lange braucht das Gehirn, um sich neu einzustellen?

Einige Hirnforscher gehen davon aus, dass regelmäßiges Üben das Gehirn verändern kann. Das gilt für Klavierspielen, Joggen – und für Meditation. Allerdings muss man eine Übung oder einen neuen Ablauf etwa drei Monate lang regelmäßig durchführen, damit sie zu einer guten Gewohnheit wird. Neulingen rate ich: „Macht die Übung, die euch inspiriert, drei, vier Monate lang vier-, fünmal die Woche für zehn bis dreißig Minuten.“ Dann bekommt man ein Gefühl für die Übung und erlebt Momente, in denen man weiß: „Jetzt stimmt es.“

Wie stoppe ich den Machergeist?

Der Machergeist nimmt von allein und mühelos ab, wenn wir merken, dass es beim Meditieren nicht so sehr auf das Ergebnis ankommt, sondern auf den Prozess selbst. Es gibt viele Prozesse, die nicht besser werden, wenn man sie beschleunigt: essen, singen, tanzen, spielen, miteinander über wesentliche Dinge reden und so weiter. Bei diesen Abläufen geht es immer um den Prozess, das Tun selbst, und nicht um das Ergebnis. Wenn es mehrere Bereiche in unserem Leben gibt, die uns interessieren und bei denen Beschleunigung keinen Sinn macht, entdecken wir auch das Geheimnis der Meditation. Wir tun diese Dinge einfach oder lassen sie geschehen. In Analogie zu sportlichen Wettkämpfen mit dem Motto „Dabei sein ist alles“ könnte man sagen: „Da sein ist alles.“ Darum geht es. Wenn wir „da sind“, vergessen wir den Machergeist, denn wir finden ihn belanglos.

Wann kann ich mit ersten Veränderungen rechnen?

Auch da kommt es darauf an, was man erwartet. Die schlechte Nachricht zuerst: Wir werden keine anderen Menschen. Unsere Biografie verschwindet nicht, auch wenn wir jahrzehntelang mit Hingabe meditieren. Auch werden uns mit Meditation nicht alle Menschen immer mögen, und es wird weiterhin Probleme geben. Wir können krank werden und leiden, wenn Dinge schieflaufen. Wir bleiben Menschen in einer komplexen Welt, die wir nie völlig in den Griff bekommen. Und nun die gute Nachricht: Durch regelmäßiges Meditieren – am besten mit kompetenter Begleitung und im regelmäßigen Austausch – lernen wir uns selbst besser kennen. Und wir lernen, das Beste aus unseren Bedingungen zu machen, den biografischen und kulturellen, politischen und sozialen.

Wenn wir nach der Anfangsbegeisterung dranbleiben, können wir schon nach einem Jahr regelmäßiger Übung kleine Veränderungen erkennen: Wir können uns leichter entspannen, unsere Emotionen etwas besser regulieren, haben mehr Humor – und fühlen uns insgesamt stabiler. Das hat vor allem mit einem freundlicheren Blick auf uns und die Welt zu tun, und daraus folgt auch eine freundlichere Haltung, in guten und in schlechten Zeiten. Wenn sich nach einem Jahr Meditieren nichts verändert, passt die Übung nicht zu uns. Was wir als Veränderung anerkennen, hat natürlich vor allem mit unseren Erwartungen zu tun.

Welche Übung passt zu mir?

Allen, die nicht wissen, wie und womit anfangen: Probieren Sie zunächst jeden Tag eine neue Übung aus und üben Sie dann die, die Ihnen zusagt, vier-, fünfmal die Woche für die nächsten drei Monate, jeweils für 5 bis 20 Minuten. Dann wissen Sie genauer, was zu Ihnen passt. Zwei Grundübungen als Beispiel:

Den Atem spüren

Setzen Sie sich aufrecht und entspannt auf einen Stuhl, und achten Sie mit etwa zehn Prozent Ihrer Aufmerksamkeit auf den natürlichen Atemfluss. Sie können die Atemzüge einfach spüren, ohne Worte. Sie können auch beim Einatmen „ein“ und beim Ausatmen „aus“ oder im Rhythmus des Atems „ja – danke“ sagen. Tun Sie das für 5 bis 10 Minuten, und wenn Sie damit etwas vertraut sind, auch 20 bis 30 Minuten.

Gehen

Gehen Sie 5 bis 10 Minuten oder auch länger 10 bis 20 Schritte hin und her. Und sagen Sie dabei innerlich „ja – danke“ im Rhythmus der Schritte. Sie können ab und zu das Tempo wechseln und mal schneller oder langsamer gehen. Wenn Sie damit vertraut sind, können Sie auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen, zum Bus oder zur Bahn im Normaltempo gehen und im Rhythmus der Schritte einige Minuten innerlich „ja – danke“ sagen. So können Sie lästige Gedankenschleifen mit der Zeit unterbrechen und spüren, dass das Leben nicht nur anstrengend oder langweilig ist, sondern auch ein Geschenk und ein Wunder.

Sylvia Wetzel ist Publizistin und buddhistische ­Meditationslehrerin, Schülerin von Lama Thubten ­Yeshe (1935–1984). Wetzel ist Mitbegründerin des Aryatara-Instituts, des Diamant-Verlags, der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg, des internationalen buddhistischen Netzwerks für Frauen Sakyadhita und des International Network of Western Buddhist Teachers. Dieser Text ist ein Auszug aus Wetzels aktuellem Buch Meditieren – aber wie? Krisen in der Meditation überwinden, das am 10. März 2018 im Verlag ­Klett-Cotta, Stuttgart erscheint

Illustration zeigt meditierende Frau im Lotussitz
Meditieren? Ja gerne! Aber wie findet man nur den Einstieg?

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2018: Heilkraft Meditation