Herr Professor Born, das Mysteriöse am Gedächtnis ist seine Zwitterstellung zwischen bewusst und unbewusst. Einerseits hat das Gedächtnis eine Schlüsselfunktion unseres Bewusstseins: Ohne es könnten wir kein Gesicht erkennen, keinen Satz formulieren, kein Vorhaben umsetzen. Umso verwunderlicher ist, dass unser Gedächtnis im Schlaf geformt wird, und zwar ausgerechnet in jenen Schlafphasen, in denen wir nicht bei Bewusstsein sind. Wie erklären Sie sich dieses Paradox?
Erstaunlich, nicht wahr? Warum das so ist…
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nicht bei Bewusstsein sind. Wie erklären Sie sich dieses Paradox?
Erstaunlich, nicht wahr? Warum das so ist – darüber können wir momentan nur Vermutungen anstellen. Im Schlaf wird das, was tagsüber frisch im Gedächtnis abgelegt wurde, nicht bloß abgerufen und gefestigt, sondern es wird auch bearbeitet. Aus den ungeordneten Eindrücken des Tages werden „Invarianten“ herausgefiltert: das, was unser Gehirn als regelmäßig und wesentlich erkennt. Und diese Ordnungsarbeit kann es vielleicht am besten erledigen, wenn es sich aus dem Strom von Stimulation und Sinneseindrücken herausnimmt, dem wir tagsüber ständig ausgesetzt sind. Ich vermute, dass wir am Tage all diese Eindrücke sammeln und in einem Puffer ablegen, und nachts gehen wir dann sozusagen offline und vergleichen die Dinge in diesem Puffer auf Ähnlichkeiten und Gesetzmäßigkeiten. Die entdeckten Invarianten werden dann abgespeichert und bilden den Erfahrungsschatz unseres Langzeitgedächtnisses.
Woher weiß man eigentlich, dass wir den Schlaf brauchen, damit frisch Gelerntes gut im Gedächtnis haften bleibt und so bearbeitet werden kann, wie Sie das eben geschildert haben?
Dass Schlaf das Gedächtnis festigt, ist lange bekannt. Das haben Schüler des deutschen Gedächtnispsychologen Hermann Ebbinghaus schon vor mehr als 100 Jahren experimentell nachgewiesen: Wenn man eine Liste sinnloser Silben lernt und sich danach schlafen legt, kann man sie danach besser aufsagen, als wenn man wach bleibt. Meine Arbeitsgruppe und andere Forscher haben aber inzwischen nachgewiesen, dass im Schlaf mehr stattfindet als nur das Festigen der Gedächtnisspur. Wir haben unseren Probanden zum Beispiel eine Problemlöseaufgabe gestellt: Ihnen wurden Zahlenreihen vorgelegt, die sie nach bestimmten Regeln, die wir ihnen zuvor erläutert hatten, bearbeiten sollten. Was die Probanden nicht wussten: Diese Zahlenreihen waren nach einer verdeckten Struktur aufgebaut. Erkennt der Proband diese Struktur, weiß er auf einen Blick die Lösung zu jeder Zahlenreihe – und kann die zeitraubenden Regeln, die wir ihm beigebracht haben, vergessen. Kaum jemand durchschaute diese Lösungsstruktur schon im ersten Durchlauf. Doch wenn die Teilnehmer anschließend eine Nacht darüber schlafen durften und dann erneut getestet wurden, dann erkannten sie – verglichen mit Teilnehmern, die wach blieben – viel häufiger diese versteckte Struktur in den Zahlen.
Weil sie durch den Schlaf ausgeruhter waren?
Nein. Diesen Einfluss haben wir im Experiment kontrolliert. Es lag nicht am Ausgeruhtsein, sondern tatsächlich daran, dass die Probanden im Schlaf die Struktur der Zahlenreihen durchdrungen hatten.
Gilt das auch schon für Kinder?
Besonders Kinder scheinen beim Lernen von Schlaf zu profitieren. In einem Versuch haben wir zehnjährige Mädchen und Jungen vor ein großes Brett gesetzt, auf dem Knöpfe angebracht waren. Nun leuchtete immer einer der Knöpfe auf, und die Kinder hatten schlicht die Aufgabe, so schnell wie möglich mit der Hand auf diesen Knopf zu hauen. Wiederum folgte die Reihenfolge, in der die Knöpfe aufblinkten, einem verborgenen Muster, das nicht auf Anhieb erkennbar war. Und erneut stellten wir fest, dass Kinder, die eine Nacht darüber geschlafen hatten, am nächsten Tag auf einmal bewusst benennen konnten, nach welchem Muster die Knöpfe angingen. Kinder profitierten dabei deutlich mehr von dem Schlaf als ihre Eltern, die wir ebenfalls testeten. Ich habe den Eindruck, dass Kinder solche Strukturen völlig mühelos über den Schlaf lernen. Man kann sich das damit erklären, dass sie einen höheren Anteil an langwelligem Tiefschlaf haben als Erwachsene – also jenen Schlafphasen, in denen das Gedächtnis geformt wird.
Wie kann man sich das Festigen einer Gedächtnisspur im Schlaf vorstellen? Reißt da ein Archivar die Postfächer auf und schaut nach, was tagsüber frisch angeliefert wurde? Wenn er all das katalogisieren wollte, was da an Eindrücken angefallen ist, würde er das wohl kaum in seinen kurzen Nachtschichten schaffen.
Ganz sicher werden nachts nicht alle einzelnen Reize und Eindrücke des Tages bearbeitet. Das Gehirn geht bei der Gedächtnisbildung großflächiger vor. Unsere These ist, dass nachts komplexe Szenen aus dem episodischen Gedächtnis verarbeitet werden, also Episoden des Tages, die alle eine Art Plot, ein kleines Drehbuch haben. Der Abruf dieser Szenen wird über den Hippocampus gesteuert, die Schaltzentrale des episodischen Gedächtnisses.
Aber das episodische Gedächtnis hat doch mit persönlichen Erlebnissen zu tun, in denen man selbst als Akteur vorkommt. In Ihren Experimenten mussten die Probanden nun aber ziemlich abstrakte Aufgaben bearbeiten – was ja nur schwerlich als erinnernswertes persönliches Erlebnis durchgeht.
Ich vermute, dass unsere Versuchspersonen dieses Aufgabenlösen tatsächlich im Gedächtnis zu einer Episode machen. Auch wenn man Zahlenreihen bearbeitet oder mit einer Reaktionszeitaufgabe beschäftigt ist, läuft das episodische Gedächtnis die ganze Zeit mit: Man ist ja als Person in diese Aufgabe involviert, bildet Hypothesen, möchte gut abschneiden. Und diese Episode wird dann im Schlaf wieder abgerufen und neu prozessiert – mitsamt den zugehörigen Wahrnehmungen und Bewegungsabfolgen.
Da sind wir wieder bei der Eingangsfrage: Solche Episoden – erinnerte Erlebnisse – sind ja gerade das, was unser Ich-Bewusstsein ganz wesentlich ausmacht. Und diese Bewusstseinsepisoden sollen nun ausgerechnet im Tiefschlaf wieder aufgerufen und bearbeitet werden. Völlig unbewusst?
Ja, im Tiefschlaf gibt es kein Bewusstsein. Da bin ich ganz radikal.
Aber wie können denn Episoden aus unserem Leben unbewusst aufgeführt werden?
Sagen wir lieber: reaktiviert. Das ist eine interessante Frage: Wenn neuronal solch eine episodische Sequenz reaktiviert wird, müsste es eigentlich auch wieder zu demselben Bewusstseinseindruck kommen wie seinerzeit im Wachzustand. Das ist aber nicht der Fall. Irgendetwas fehlt also gegenüber dem Original. Was das ist, darüber kann ich nur spekulieren. Es könnte zum Beispiel eine Frage der Geschwindigkeit sein. Der Replay, das „Abspielen“ der Episode, ist im Schlaf bis zu zehnmal schneller als im Wachzustand. Diese Kompression der Zeit könnte verhindern, dass bewusste Eindrücke generiert werden. Oder es könnte damit zu tun haben, dass im Tiefschlaf übergeordnete Mechanismen ausbleiben, die für Bewusstsein nötig sind. Im Tierversuch, aber auch bei Menschen sieht man bei konzentrierten Tätigkeiten im EEG typische Thetawellen. Platt ausgedrückt: Je mehr dieses System im Thetarhythmus schwingt, desto bewusster wird in diesem Moment etwas wahr- und aufgenommen und in das episodische Gedächtnis hineingepumpt. Im langwelligen Tiefschlaf kommen nun aber überhaupt keine Thetawellen vor, und vielleicht kann deshalb dort kein Bewusstsein stattfinden.
Wie weiß der Archivar in unserem Kopf, welche der vielen Tagesepisoden er nachts abrufen und bearbeiten soll?
Schon tagsüber, direkt beim Abspeichern, werden behaltens- und bearbeitenswerte Episoden offenbar besonders gekennzeichnet, wobei die besagten Thetawellen als Markierung zu dienen scheinen. Diese Markierung teilt dem Hipocampus mit: „Hier, das ist wichtig! Aktiviere diese Episode später im Schlaf!“ Wir haben das in einer Studie sehr schön zeigen können. Einem Teil der Probanden haben wir kurz nach dem Vokabellernen gesagt: „Diesen Stoff werdet ihr brauchen, weil ihr später noch einmal abgefragt werdet!“ Den anderen Teilnehmern hingegen haben wir gesagt: „Beim nächsten Termin kommt etwas ganz anderes dran.“ Tatsächlich haben wir dann aber alle Probanden abgefragt, wobei sich herausstellte: Diejenigen, die vorher wussten, dass sie den Stoff noch einmal brauchen würden, behielten ihn auch besser. Und genau diese Probanden profitierten auch besonders davon, wenn sie vor der Abfrage schlafen konnten. Unser präfrontales, planendes Gehirn scheint also Erlebnisse mit einem Gedächtnissiegel zu versehen, indem es sie für wichtig erklärt. Die zweite Markierungsmethode für Behaltenswertes sind Emotionen: Erlebnisse, die mit starken Gefühlen verbunden sind, werden im Schlaf ebenfalls bevorzugt bearbeitet und bleiben besser haften.
Was passiert mit den Tageseindrücken, die nicht mit einer Wichtigkeitsplakette versehen werden und deshalb nachts nicht im Gedächtnis festgeklopft werden? Ist dieses Material für immer verloren? Oder bleibt selbst davon irgendeine tief verborgene Spur zurück? In Krimis ist das ja eine beliebte Erzählfigur: Unter Hypnose oder durch sonst einen Kniff kann sich die Zeugin plötzlich an ein entscheidendes Detail des Verbrechens wieder erinnern.
Früher habe ich mir über diese spannende Frage nicht so viele Gedanken gemacht, weil ich angenommen habe: Was nicht im Gedächtnis verstärkt wird, zerrinnt einfach und ist irgendwann verschwunden. Es könnte aber auch sein, dass dieses Material nicht zerfällt, sondern überlagert wird von all dem frischen Gedächtnismaterial, das ständig hinzukommt. In diesem Fall wäre es prinzipiell denkbar, die überlagerte Gedächtnisspur durch irgendwelche Tricks wieder hervorzuzaubern. Ich persönlich habe zum Beispiel den Eindruck, jetzt, im fortschreitenden Alter, mehr Dinge aus meiner relativ frühen Kindheit spontan zu erinnern, als dies im Alter zwischen 20 und 40 der Fall war. Manche Wissenschaftler sind tatsächlich der Meinung, dass nichts, was wir als Episode in unserem Gedächtnis gespeichert haben, jemals verlorengeht, sondern tief unter all den darüberliegenden Schichten vergraben ist – und dass man dieses Material im Prinzip wieder heben kann. Es gibt ja Menschen mit der neurologischen Besonderheit, dass sie sich an jeden Tag in ihrem Leben erinnern und zum Beispiel genau angeben können, wo sie heute vor 23 Jahren waren und was sie damals gemacht haben. Vielleicht funktioniert bei diesen Menschen das Ausblenden für unwichtig erachteter Gedächtnisspuren nicht so wie bei uns anderen. Ich gehe davon aus, dass in dem Moment, in dem wir eine frische Gedächtnisspur verstärken, normalerweise eine andere, bereits vorhandene Spur aktiv unterdrückt wird. Das wäre eine Art aktives Vergessen. Aber das nachzuweisen wird schwierig – das ist ein Projekt, das ich mir für die nächsten zehn Jahre vorgenommen habe.
Sie interessiert dabei besonders die „infantile Amnesie“, also das Phänomen, dass wir uns an Ereignisse vor unserem dritten Lebensjahr nicht erinnern können. Wie erklären Sie sich das?
Am Abspeichern liegt es nicht. Man hat nachgewiesen, dass kleine Kinder durchaus in der Lage sind, Episoden einige Tage oder Wochen lang im Gedächtnis zu behalten. Doch wenn sie dann älter werden, vergessen sie das alles. Ich erkläre mir das damit, dass Kinder in den ersten Lebensjahren darauf angewiesen sind, Grundsätzliches über die Welt zu lernen. Sie müssen daher ihre Erinnerungen als Steinbruch nutzen und sie im Schlaf zu abstrakten Informationen verarbeiten – und darüber gehen die Episoden selbst, die konkreten Details ihrer Erlebnisse verloren.
Zurück zu den Erwachsenen: Sie haben mit Ihrer Arbeitsgruppe in faszinierenden Experimenten im Schlaflabor gezeigt, dass man dem Bearbeiten von frisch Gelerntem während des Tiefschlafs von außen „nachhelfen“ kann.
Das erste Experiment, das wir dazu gemacht haben, ist mittlerweile mehrfach wiederholt und bestätigt worden: Studenten hatten die Aufgabe, sich die Kartenpositionen in einem Memory-Spiel zu merken. Während des Lernens haben wir die Probanden einem Rosenduft ausgesetzt – und die Episode damit „markiert“. In der Nacht haben wir den Studenten dann während des Tiefschlafs erneut diesen Geruch vorgegeben – Geruchsreize haben den Vorteil, dass sie die Schläfer nicht so leicht wecken, aber direkt vom Hippocampus verarbeitet werden. Und tatsächlich muss der Geruch dort die entsprechende Gedächtnisepisode reaktiviert haben. Denn die Probanden, die nachts dem Rosenduft ausgesetzt waren, hatten die Positionen der Memory-Karten am nächsten Tag sehr viel besser in Erinnerung als die Kontrollgruppe, die nachts nicht beduftet wurde.
In einem anderen Versuch haben Sie den Teilnehmern nachts rhythmische Geräusche vorgespielt.
Dabei zielten wir auf einen anderen Mechanismus ab. Es ging uns darum, die langsamen Wellen zu verstärken, wie sie für den Tiefschlaf typisch sind. Diese Wellen werden in der vorderen Hirnrinde gebildet und setzen sich bis in den Hippocampus hinein fort. Mit diesem Rhythmus signalisiert die Hirnrinde dem Hippocamus: „Ich bin bereit, jetzt kannst du deine Gedächtnisepisoden reaktivieren und mir das Material zum Bearbeiten überspielen.“ Es ist tatsächlich möglich, diese langsamen Wellen von außen mit elektrischen Impulsen zu verstärken – oder auch mit Tönen, wie wir gezeigt haben. Man kann sich diese Wellenbewegung wie eine Schaukel vorstellen: Die Schwingungsbewegung kann man verstärken, indem man ihr im richtigen Moment einen Schubs gibt. Analog sind wir in unserem Experiment vorgegangen: Wir spielten den schlafenden Probanden immer genau in der richtigen Phase der Wellenbewegung einen kurzen Ton auf den Kopfhörer. Und wie sich herausstellte, verstärkten wir damit, ganz wie gewünscht, auch wirklich die Amplitude, also die Höhe der langsamen Wellen. Außerdem verlängerten wir mit unserem „Anstoßen“ der Wellen das Zeitintervall, in dem sie auftraten. Offensichtlich unterstützte dies die Gedächtnisarbeit, denn die Versuchsteilnehmer konnten sich am nächsten Morgen besser an die zuvor gepaukten Vokabeln erinnern.
Könnte man so eine Tiefschlafunterstützung nicht auch im Alltag gut gebrauchen? Zumal Tiefschlaf ja nicht nur gut fürs Gedächtnis ist, sondern auch als sehr erholsam gilt.
Ich glaube schon, dass diese Technik für die Praxis interessant sein kann. Denn die vorherrschende Methode, Schlaf zu verstärken, ist der pharmakologische Holzhammer – mit all den Nebenwirkungen.
Für fast alles gibt es heute Apps. Wird es bald auch eine App geben, die das, was Sie im Experiment mit Ihren Versuchsteilnehmern anstellen, automatisiert?
Ich weiß in der Tat von einigen Firmen, die daran sind, etwas Ähnliches zu entwickeln. Das ist heutzutage kein großes Problem mehr. Man braucht ein System, das man am Kopf befestigt, um das EEG zu messen, verbunden mit einem Taktgeber, zum Beispiel am Smartphone. Ich würde mal optimistisch schätzen, dass man in den nächsten zehn Jahren mit solch einer Anwendung rechnen kann.
Kann man mit solchen Tricks beliebig viel Stoff im Gehirn verankern, oder gibt es da eine Grenze?
Es gibt enge Grenzen. Wir haben Probanden am Abend zum Beispiel 40, 120 oder 300 Vokabeln lernen lassen. Bei einer mittleren Vokabelmenge führte der anschließende Schlaf zu einer deutlich verbesserten Behaltensleistung. Aber bei einer sehr großen Vokabelmenge brachte der Schlaf gar keinen Gedächtniseffekt mehr – da macht das System wohl einfach dicht. Und auch bei einer optimalen Lernmenge haben wir durch anschließenden Schlaf eine Gedächtnisverbesserung in der Größenordnung von etwa zehn Prozent, viel mehr geht nicht – summiert über viele Nächte ist das allerdings schon eine erhebliche Menge, zumal durch Schlaf unterstützte Gedächtnisinhalte gerade langfristig besser hängenbleiben. Indem man den langwelligen Schlaf zusätzlich gezielt von außen unterstützt, kann man die Gedächtnisleistung um weitere zehn bis 15 Prozent verbessern. Doch auch da gibt es Grenzen: Die Wellen lassen sich nicht beliebig verstärken, weil das Gehirn ab einem bestimmten Punkt gegenreguliert – wahrscheinlich um Krampfanfällen vorzubeugen.
Menschen waren schon immer fasziniert von der Idee eines „Nürnberger Trichters“: Der Lernstoff wird einem ohne Anstrengung irgendwie implantiert, am besten unter einer Haube, wie beim Friseur. Könnte diese Utopie irgendwann Wirklichkeit werden?
Um eine gewisse Anstrengung beim Lernen wird man wohl nicht herumkommen. Aber man könnte das, was man sich einprägen will, beim Lernen etwa mit einem Geruchsreiz markieren, mit dem man dann in der Nacht die Verankerung des Gelernten verstärkt, so wie in unserem Versuch. Dann kommt man womöglich mit weniger Lernanstrengung zum selben Effekt.
Kann man Erinnerungen im Schlaf statt verstärken, auch löschen – etwa Ängste?
Forschergruppen ist es in der Tat gelungen, über den Schlaf zum Beispiel einen konditionierten Furchtreflex zu löschen. Man gab den Probanden am Tage leichte Elektroschocks, die immer von einem Ton angekündigt wurden. Sie reagierten daraufhin nach einigen Durchgängen schon auf den Ton allein mit einer aversiven Reaktion. Dann spielten die Forscher den Probanden im Tiefschlaf erneut mehrmals den Ton vor – aber diesmal ohne Schock. Das Ergebnis: Der erlernte Furchtreflex war am nächsten Tag verschwunden.
Sie haben jetzt im Fachjournal Science ein neues Experiment amerikanischer Forscher kommentiert, die bei ihren Probanden mithilfe von Schlaf Vorurteile manipuliert haben.
Ja, diese Forschung ist jetzt ziemlich en vogue. Die Untersucher zeigten den Teilnehmern unter anderem Köpfe von Frauen, was unterschwellig – auch gegen den Willen und besseres Wissen – stereotype Assoziationen wie „mathematisch unbegabt“ hervorruft. Die Probanden hatten in dem Experiment nun aber aktiv gegengelernt: Sie sollten beim Anblick der Frauenköpfe immer „mathematisch begabt“ assoziieren und so rasch wie möglich einen entsprechenden Knopf drücken. Immer wenn sie eine „richtige“ Antwort gaben, hörten die Teilnehmer einen bestimmten Ton. Im Tiefschlaf wurden ihnen diese Töne dann wieder vorgespielt, was die Lernepisode im Gedächtnis reaktivierte. Der Reaktionstest am nächsten Tag zeigte dann tatsächlich, dass die „unerwünschten“ Assoziationen überlernt worden waren. Die Frage ist allerdings, ob sich auf solch simple Weise unterschwellige Vorurteile wirklich dauerhaft verändern lassen. Bei diesem Überlernen wird die ursprüngliche Reaktion, das Vorurteil, ja nicht ausgelöscht, sondern nur unterdrückt. Und nach einer Weile taucht die alte, peinliche Assoziation wahrscheinlich von selbst wieder auf.
Jan Born ist Psychologieprofessor und Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen. Der renommierte Schlaf- und Gedächtnisforscher wurde 2010 mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.