Berauscht vom Beifall

Warum waren und sind so viele gefeierte Musiker süchtig? Liegt es am Stress des Ruhms? Oder speist die Suche nach dem Kick ihre Kreativität?

Nicht nur Amy Winehouse besang mit "Rehab" ihre Versuche, sich einem Entzug zu unterziehen © Daniel Balzer

Eric Clapton ist in diesem Jahr 73 Jahre alt geworden. Wenn man seine Biografie liest, ist das durchaus verblüffend. In einem Interview sagte er: „Wenn Sie jung sind, haben Sie coole Vorbilder. Meine waren Ray Charles, Charlie Parker, Billie Holiday. Alles Genies. Und alle auf Heroin. Ein dummer junger Mensch mit meiner Familiengeschichte rutscht da in eine Kausalität hinein. Ich habe gedacht, Ray Charles sei ein Genie, weil er auf Heroin war. Konsequenz: Ich bin ein guter Gitarrist – aber um ein Genie zu…

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Ich bin ein guter Gitarrist – aber um ein Genie zu sein, muss ich mir die Rübe wegsaufen und dann eine Nadel setzen.“ Die Jünger seiner Musik sprayten „Clapton is God“ an Londoner Hauswände. Sein Leben ähnelte bis zum totalen Zusammenbruch eher einem Trip durch die Hölle.

Die Liste berühmter alkohol- und drogenabhängiger Musiker ist schier endlos. Miles Davis, Chet Baker, Elvis Presley, Janis Joplin, Ringo Starr, Keith Richards, Marvin Gaye, Kurt Cobain, Elton John, Udo Lindenberg, Billy Joel, Whitney Houston, Robbie Williams, Amy Winehouse sind nur einige wenige von ihnen. Manche überlebten, viele starben an den Folgen der Sucht, andere setzten ihrem Leben selbst ein Ende.

Und es sind nicht nur die Stars des Rock und des Jazz, die auf diese Weise von sich reden machten. Auch bei Wolfgang Amadeus Mozart, Robert Schumann, Franz Schubert oder Modest Mussorgski, um wieder nur einige zu nennen, weiß man um ihren übermäßigen „Konsum von Substanzen“.

Viele dieser Künstler haben für uns unvergessliche Momente geschaffen. Wir sind ergriffen von ihrer Ausdruckskraft, fühlen uns im Innersten berührt, können viele Jahre später noch erinnern, wann wir einen Song zum ersten Mal gehört haben, welche Gefühle uns in einem Konzert überwältigten. Wir sind hingerissen vom Charisma der Stars, bewundern sie für ihre Genialität, sind fasziniert von ihrem Glamour und Reichtum. Wie passt das zu dem Abgrund von Sucht, Einsamkeit, Verzweiflung und Scheitern, der sich im Leben gefeierter Musiker oft auftut? Gibt es einen inneren Zusammenhang zwischen dem umjubelten Starleben auf der Bühne und dem Elend dahinter?

Opiate gegen das Lampenfieber

Fest steht: Musiker sind eine Risikogruppe für Suchtstörungen. Bei einer aktuellen Befragung von 2000 amerikanischen Orchestermusikern sagten fast 30 Prozent, dass sie regelmäßig Betablocker nähmen, und jeder Fünfte bekannte sich zu einem Alkoholproblem. Vor allem Künstler mit großem Talent und kreativem Potenzial sind gefährdet. Vielleicht liegt es in ihrer Persönlichkeit, dass sie eher bereit sind, Grenzen zu überschreiten, im Denken, Fühlen und Handeln. Sie sind prädestiniert, Neues auszuprobieren und Experimente zu wagen. Und diese Bereitschaft kann dazu verleiten, der Kreativität mithilfe von Drogen einen zusätzlichen Schub zu geben.

Michael Klein, Professor für klinische Psychologie und Suchtforschung an der Katholischen Hoch­schule Nordrhein-Westfalen, äußert sich besorgt über aktuelle Entwicklungen: „Derzeit sind synthetische Substanzen wie Ecstasy oder synthetisches Cannabis in Form von Spice mit einer hohen Wirkstoffpotenzierung auf dem Markt, sie wirken viel stärker als früher gängige Drogen.“

Die Substanzen haben verschiedene Funktionen. Sie helfen dabei, spezifische Belastungen des Lebens im Rampenlicht erträglicher zu gestalten. Opiate und Alkohol reduzieren den Stress und wirken gegen Angst, etwa das Lampenfieber. „Lampenfieber ist für alle Künstler, die auftreten, eine spezielle Herausforderung“, berichtet Michael Klein. Auch in eigener Praxis therapiert er Musiker, die vor jedem Auftritt mit ihrer Angst zu kämpfen haben. „Lampenfieber ist in der Therapie relativ gut behandelbar, aber ich muss mich dieser Situation stellen. Wenn ich das freilich kein einziges Mal tue, dann werde ich es nie lernen, dann wird es immer schwieriger.“ Und der Ausweg Alkohol zur Routine.

Kreativer Push

Alkohol dämpft die Angst, Kokain oder Amphetamine dagegen putschen auf, Halluzinogene wie LSD versprechen den kreativen Push. „Bei manchen Musikstilen gehört der Drogenkonsum praktisch zur Basis der Performance“, sagt Klein. „Beim Reggae etwa ist es verbreitet, dass die Musiker mithilfe von Cannabis in einen bestimmten Zustand kommen, bei Techno sind es synthetische Substanzen, Amphetamine etwa. Als Psychologe würde ich das ein drogeninduziertes Flow-Erlebnis nennen.“

Bildkräftig erzählt Konstantin Wecker davon, wie er seine Kunst unter Drogen erlebte. „Meistens befand ich mich beim Konzert auf zwei verschiedenen Bewusstseinsebenen gleichzeitig. Ich spielte makellose Soli, manchmal von ungeahnter improvisatorischer Kraft, wie mir meine Musiker bestätigten, ein anderer Teil meines Ichs befand sich in einer Art Traumzustand, in dem mich die heftigsten Fantasien bestürmten. Es gibt eine Plattenaufnahme, da spielte ich ein Solo im wahren Sinne des Ausdrucks im Schlaf. Meine Musiker mussten mich nach der Aufnahme aufwecken, die Einspielung allerdings war so gut, dass wir uns entschieden, sie auf der CD zu belassen.“

Die Verbindung zwischen künstlerischen Höchstleistungen und dem Risiko der Abhängigkeit von Alkohol und Drogen führt auch über die Persönlichkeit. Viele große Künstler haben besonders akzentuierte Züge, nicht selten eine Persönlichkeitsstörung. Und es ist nicht selten gerade diese Störung, die sie so besonders faszinierend wirken lässt und ihren Ruhm begründet. Die Kehrseite sind oft heftige emotionale Turbulenzen, die wiederum die Kreativität beflügeln: „Keiner kann tiefen Schmerz, Kummer, Leid, Hass und Wut ergreifender und authentischer ausdrücken als Menschen, die selbst ständig Seelenqualen leiden“, sagt Borwin Bandelow, Professor für Psychiatrie an der Universität Göttingen und Autor des Buches Celebrities.Vom schwierigen Glück, berühmt zu sein.

Die Angst, nicht anerkannt zu werden

Vor allem ein ausgeprägter Narzissmus prädestiniere für eine Bühnenkarriere. „Um eine Musikerkarriere zu absolvieren, braucht man eine unglaubliche Entschlossenheit und den unbändigen Drang, nach vorne zu kommen“, so Bandelow. Die Energie dafür gewinne man aus einer „überstarken narzisstischen Motivation. Das Kerosin, das den Raketenmotor Narzissmus antreibt, besteht aus Angst. Die unerklärliche Furcht, von anderen nicht anerkannt zu werden, wenn man nicht der Beste ist.“

Die Geschichte von Charlie Parker, einem der größten Jazzmusiker aller Zeiten, illustriert dies eindrucksvoll. Wie viele afroamerikanische Musiker kam er aus ärmlichen Verhältnissen. Geboren 1920 in Kansas City, war Parker neun, als seine Eltern sich trennten. Die Mutter nahm eine Arbeit als Putzfrau an und versuchte jeden Wunsch ihres Sohnes zu erfüllen. Als er 13 Jahre alt war, schenkte sie ihm ein Altsaxofon. Es war verrostet, die Klappen funktionierten nur mithilfe von Gummibändern, aber das tat der Leidenschaft keinen Abbruch. Bei einer Jamsession wurde der 15-jährige Charlie dann von einem Schlagzeuger gedemütigt, der ein Becken nach ihm warf. Eine schwere narzisstische Kränkung, die den Musiker zu schier übermenschlichen Anstrengungen trieb.

In einem Interview erzählte er: „Ich übte elf bis 15 Stunden pro Tag. Über einen Zeitraum von drei bis vier Jahren. Unsere Nachbarn drohten meiner Mutter, dass wir ausziehen müssten.“ Künstlerisch lohnten sich die Mühen. Parker wurde berühmt und gilt noch heute als unerreichter Virtuose. Seine Anhänger, die ihn liebevoll „Bird“ nennen, teilen die Geschichte des Jazz in zwei Epochen: vor Parker und nach Parker. Aber der Preis, den er für seinen Erfolg als Musiker zahlte, war enorm. Alkohol, Heroin und Aufputschmittel ruinierten ihn innerhalb weniger Jahre. Als er, bereits tot, ins Krankenhaus eingeliefert wurde, schätzten Pathologen sein Alter auf 50 bis 60 Jahre. Tatsächlich war er nur 34 Jahre alt geworden. Der Exzess, der sein Leben war, hatte ihn zerstört.

Psychiatrische Probleme

Der physiologische Grund für das Verlangen vieler Musiker nach Bestätigung wie auch nach psychoaktiven Substanzen liege im Stoffwechsel, erläutert Borwin Bandelow, genauer: im Endorphinsystem. „Jeder Mensch hat diese Wohlfühlhormone in seinem Gehirn, und sie werden beim Essen oder beim Sex ausgeschüttet. Das Endorphinsystem wird auch durch Aufmerksamkeit aktiviert, etwa wenn ein Baby von der Mutter in den Arm genommen wird. Musiker erleben das schöne Gefühl der Endorphinausschüttung, wenn das Publikum ihnen zujubelt. Aber diese Ausschüttung kann man auch auf andere Weise bekommen: durch Drogen, Alkohol, Extremerfahrungen wie Bungeejumping und sogar bei ausgelebten Aggressionen.“

Bestimmte Persönlichkeitsstörungen, vor allem die Borderlinestörung, sind mit einem quälenden Mangel an Endorphinen verbunden. Diese Menschen versuchen daher häufig, für einen Kick alle Mittel auszuschöpfen, auch die antisozialen, ungesunden und illegalen: beständige Partnerwechsel, Selbstverletzungen, Drogen oder Gewalt. So entsteht die Dreieinigkeit von „Sex & Drugs & Rock’n’Roll“, wie sie viele Borderliner auslebten, Marvin Gaye etwa, Kurt Cobain oder Amy Winehouse.

Unter berühmten Künstlern sind psychiatrische Probleme ohnehin weit verbreitet. Angsterkrankungen beeinträchtigen zwar ihre Lebensqualität stark, so Borwin Bandelow, sie liefern aber zugleich die Kraft für besondere künstlerische Leistungen. Bei einer Untersuchung von tausend Künstlerbiografien stellte der amerikanische Psychiater Arnold Ludwig fest, dass Musiker und Entertainer sowie Bühnenschauspieler im Vergleich zu Malern oder Schriftstellern häufiger mit Abhängigkeiten von Drogen und Alkohol, psychischen Krankheiten, Depressionen und Suizidalität zu kämpfen haben. Möglicherweise brauchen etwa Bühnenstars mit narzisstischen Zügen immer wieder den Jubel des Publikums, um ihr seelisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Als Schriftsteller, dessen Arbeit im Stillen stattfindet, könnte ein Narzisst hingegen nicht auf diese permanente Selbstbestätigung zählen.

Es ist ein Teufelskreis: „Die Exzessivität eines Künstlers, dieses Über-Grenzen-Gehen, ist schon fast eine notwendige Voraussetzung für eine heutige Karriere“, sagt Michael Klein. „Eine extreme Persönlichkeit, die sich in einer Persönlichkeitsstörung zeigt, begünstigt Kreativität, begünstigt aber auch den Exzess.“

Massive psychische Probleme

Und dann greifen die gnadenlosen Mechanismen des Showgeschäfts. Ein großes Risiko ist die schnelle Berühmtheit. Der Erfolg kommt, heute auch dank YouTube, sehr früh, ohne dass die jungen Musiker dafür hätten kämpfen müssen. „Da besteht die Gefahr“, warnt Klein, „dass die Künstler diese Erfahrung ihrem besonderen Charisma zurechnen und nicht einem glücklichen Zufall. Wenn es dann wieder bergab geht, sind sie schwerstens frustriert und gekränkt und bekommen massive psychische Probleme.“ Dann drohen Einsamkeit, Stress, Depression und Angst, geschürt von Selbstzweifeln: Wer mag mich wirklich? Wer mag mich nur wegen meiner Prominenz oder wegen meines Geldes?

Schutz bietet eine gefestigte Persönlichkeit. Und die ist entgegen dem Bild, das exzentrische Stars vermitteln, bei Künstlern keineswegs selten, so Borwin Bandelow: „Es gibt eine große Gruppe von Musikern, die nicht ganz oben auf der Leiter stehen, aber durchaus erfolgreich und prominent sind. Die habe ich mit sich selbst im Reinen erlebt, sie sind hochzufrieden mit dem, was sie machen. Sehr sympathische Leute, die gerne im Rampenlicht stehen, aber eben auch loslassen können.“ Das wird offenbar mit zunehmendem Alter begünstigt. Der Drang nach Endorphinen lässt bei den meisten Menschen mit den Jahren nach.

Für jene Künstler allerdings, die weniger gefestigt und deren Ausfälle auf der Bühne, im Studio oder in der Öffentlichkeit nicht mehr tolerierbar sind, führt der Weg in die Therapie. Sehr oft nicht freiwillig, sondern nach einem Zusammenbruch: Es geht einfach nicht mehr weiter. Michael Klein erlebt dann in Klinik und Praxis „ganz normale Menschen, denen es unheimlich guttut, mal die Fassade fallenlassen zu können, keine Rolle mehr spielen zu müssen, weil das im Alltag für sie so prägend ist. Dieses Rollenspiel ist perfekt einstudiert, deswegen braucht es mitunter viele Sitzungen, bis sie es aufgeben. Angst ist eine überaus präsente Emotion im Leben dieser Musiker – vorm Versagen, vor Auftritten, auch irreale Ängste. Sie sind gestresst von der permanenten Öffentlichkeit und wünschen sich eine Auszeit.“

Wenn die Fassade fällt

Doch viele werden getrieben von dem Gedanken: „Wenn ich mal eine Pause mache, bin ich verloren! Dann ist alles vorbei!“ Meist ist es nicht Einsicht, sondern der Körper, der sie irgendwann aus dem zerstörerischen Kreislauf zwingt. Und nun besteht die Chance, eine Veränderung einzuleiten, zumeist in einer Klinik, wo die Prominenten diskret behandelt werden.

Bei Konstantin Wecker allerdings war der Absturz alles andere als diskret. Auf den Tipp eines Dealers hin wurde er verhaftet, kam ins Gefängnis und machte zwangsweise einen Entzug. Er habe instinktiv geahnt, sagte er später, dass er sonst womöglich nur noch einige Wochen zu leben gehabt hätte. „Trotz der Qualen des wahrlich unvorbereiteten Entzugs war etwas in mir dankbar und froh.“ Im Interview resümierte er: „Für mich war es offenbar notwendig, in ein tiefes Loch zu stürzen. Ich will damit sagen: Die Drogen sind zwar ein wichtiger Punkt in meiner Biografie. Aber eine schwere Krankheit hätte vermutlich zu ähnlichen Erkenntnissen geführt. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich habe mir meine Krankheit durch die Drogensucht selbst zugeführt. Es war eine ganz schwere, lebensbedrohliche Krise. Und die zu überwinden hat eine Verwandlung bewirkt. Keine Läuterung. Eine Verwandlung.“

Die Aufgabe, so schwer sie sein mag: durch Achtsamkeit als Person wachsen. Die Chancen dafür stehen besser, wenn Künstler nicht zu narzisstisch sind, denn die narzisstische Störung bedeutet eine extreme Anfälligkeit für Scheinwelten, wie sie das Showbusiness erzeugt. Michael Klein: „Der Künstler, der diesen Zusammenhang erkennt, der sich seine Lust an der Kreativität auch im Kleinen bewahren kann, hat gute Chancen, seine Karriere heil zu überstehen.“

Und manche Musiker haben eine innere Stärke, die es ihnen irgendwann erlaubt, sich dem Schicksal entgegenzustemmen. Bei allem Stress, den sie erleben, dem extremen Kontrast zwischen dem Hype um ihre Person und der Tristesse leerer Hotelzimmer, überfüllter Flughäfen, endloser Tourneen in Bandbussen, begleitet von dem allfälligen Substanzkonsum: Irgendwo in ihnen lauert der Widerstand und mündet schließlich in eine Reflexion dieses zerstörerischen Lebenswandels.

Dafür ist Eric Clapton ein gutes Beispiel. Er hat nicht nur seine Drogen- und Alkoholsucht überlebt und den dramatischen Tod seines vierjährigen Sohns künstlerisch verarbeitet. Er hat auch ein sehr ehrliches Buch über sein Leben geschrieben und ein Entzugshospital gestiftet: die Crossroads-Klinik auf der Karibikinsel Antigua. „Neulich“, so erzählte er in einem Interview, „sagt mir ein Musiker: ‚Eric, ich bin nur groß, wenn ich auf Heroin bin.‘ Ich habe ihm gesagt: Wenn du nur auf Heroin ein großer Musiker bist, dann such dir einen anderen Job!“

Literatur

Konstantin Wecker: Das ganze schrecklich schöne Leben. Die Biografie. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2017

Eric Clapton: Mein Leben. Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2009

Geoff Dyer: But Beautiful. Ein Buch über Jazz. Argon, Berlin 2001

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2018: Geschwister