Herr Professor Paslakis, Essstörungen gelten als Frauenkrankheiten. Spiegelt sich das auch in der Forschung wider?
Die internationale Forschung konzentriert sich bislang ganz stereotyp auf die SWAGs, wie wir es nennen: skinny, white, affluent girls – dünne, weiße, wohlhabende Mädchen. In Studien sind die Teilnehmenden zu 90 bis 99 Prozent weiblich, heterosexuell und jung. Doch Essstörungen betreffen auch ältere Erwachsene, Menschen aus ethnisch diversen Gruppen, homosexuelle oder Transgenderpersonen – und…
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betreffen auch ältere Erwachsene, Menschen aus ethnisch diversen Gruppen, homosexuelle oder Transgenderpersonen – und eben auch Männer.
Ihre Forschungen zeigen, dass Essstörungen bei Männern seit 1990 deutlich ansteigen – und zwar mehr als bei Frauen. Was sind die Gründe?
Bei Männern stiegen die Krankheitsfälle in den letzten Jahrzehnten um 22 Prozent, bei Frauen dagegen nur um 12 Prozent. Sicherlich spielen dabei die Medien und zunehmend auch die sozialen Netzwerke eine Rolle. Sie werden von extrem muskulösen Männerkörpern überflutet. Das sind bearbeitete, völlig unrealistische Bilder. Eine solche Körperstatur können nur wenige Männer erreichen, und das auch nur mit einseitiger Ernährung und nicht ohne Nahrungsergänzungsmittel oder muskelaufbauende Medikamente.
Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass innerhalb von 25 Jahren das durchschnittliche männliche Model über fünf Kilogramm an Fett verloren und über zwölf Kilogramm Muskeln gewonnen hat.
Ist der Druck für homosexuelle Männer, einen solchen Idealkörper zu haben, womöglich noch mal größer? Denn Homosexualität gilt als Risikofaktor für eine Magersucht.
Tatsächlich kommen Essstörungen bei homosexuellen Männern im Vergleich zu heterosexuellen häufiger vor. Schwule Männer werden nach wie vor diskriminiert, und wir wissen, dass der damit verbundene Stress und die daraus resultierenden Schamfühle zusätzliche Risikofaktoren für Essstörungen darstellen. Es könnte auch sein, dass schwule Männer durch einen übermuskulösen Körper versuchen, ihre Homosexualität zu „kaschieren“.
Auch Ärztinnen und Ärzte haben Probleme, Essstörungen bei Männern zu erkennen. Wie lässt sich das ändern?
Untersuchungen zeigen, dass Ärzte und Ärztinnen bei untergewichtigen Männern eher an eine organische Erkrankung, eine Psychose oder an irgendetwas Abwegiges denken als an eine Magersucht. Mein Forschungsteam hat deshalb – gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit – eine Fortbildung für Hausärztinnen und Hausärzte entwickelt.
Zudem arbeiten wir an einem kurzen Fragebogen, mit dem die Symptome bei Männern mit Magersucht besser erfasst werden als mit den üblichen testpsychologischen Methoden. Und wir haben eine eigene Internetseite erstellt, die sich nicht nur an Fachpersonal, sondern auch an betroffene Männer und ihre Angehörigen richtet.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Männern und Frauen ist, dass Männer mit Magersucht verstärkt nach mehr Muskeln streben. Gibt es auch Unterschiede bei den anderen Störungsbildern?
Männer mit Bulimia nervosa treiben mehr Sport als Frauen; Männer übergeben sich seltener. Männer mit einer Binge-Eating-Störung erkennen die Essanfälle weniger als solche. Zudem zeigen Männer tendenziell bessere Behandlungsergebnisse, wobei es sich dabei um vorläufige Ergebnisse handelt. Warum das so ist, wollen wir in weiteren Forschungsprojekten klären.
Professor Georgios Paslakis hat seit 2021 eine Professur für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum inne. Zuvor war er ärztlicher Leiter der Essstörungseinheit am Toronto General Hospital
Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen Sie gerne auch unsere Reportage über Essstörungen bei Männern in Zu viel, zu wenig?
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