Das kann nicht sein. Das darf nicht sein.“ Diese Sätze gingen Kathrin Schmelzer(Name geändert) durch den Kopf, als ihr befristeter Vertrag als Leiterin eines Sozialprojekts mit Schülern auslief. Die 38-Jährige konnte nicht verstehen, warum man ihr, die gut gearbeitet hatte und im Team beliebt war, beim Träger keine neue Stelle anbot. Wochenlang diskutierte sie mit ihrer Chefin, beschwerte sich bei Freunden und Kollegen über die Ungerechtigkeit. In dieser Zeit bewarb sie sich nirgendwo anders, fühlte sich…
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bei Freunden und Kollegen über die Ungerechtigkeit. In dieser Zeit bewarb sie sich nirgendwo anders, fühlte sich einfach zu gekränkt. Einige Monate war sie in der Krise, zerstritt sich mit vielen ihrer Kollegen, zog sich immer mehr zurück. Sie weigerte sich zu akzeptieren, dass ihr Vertrag nicht verlängert wurde.
So wie Kathrin Schmelzer geht es vielen Menschen immer mal wieder. Es fällt ihnen schwer, Enttäuschungen, unangenehme Gefühle oder einen Verlust zu akzeptieren. Ob es sich um eine Lebenskrise wie eine Trennung oder Kündigung handelt, um ein psychisches Problem oder um alltägliche Enttäuschungen wie einen verregneten Urlaub – die naheliegende Reaktion auf Dinge, die uns nicht gefallen oder die uns belasten, ist oft Widerstand oder Jammern, Kampf oder Aktionismus. „Situationen so anzunehmen, wie sie eben gerade sind, ist für viele einfach ungewohnt“, sagt der Psychotherapeut und Buchautor Andreas Knuf. „Wir sind heute persönlich und gesellschaftlich sehr auf Machbarkeit, Kontrolle und Selbstoptimierung ausgerichtet. Wir gehen davon aus, dass jedes Problem lösbar ist. In diesem Klima verlernt man eine akzeptierende Haltung.“
Dass eine solche offene und annehmende Haltung nicht nur für den Augenblick entlastet, sondern tatsächlich einen messbaren positiven Einfluss auf den Verlauf von schweren Krisen, Verlusterfahrungen sowie auf psychische und physische Leiden hat, ist heute vielfach belegt. Der Chemnitzer Psychotherapeut Sebastian Remmers hat etwa in einer Studie zum Thema Trauerbewältigung festgestellt, dass Akzeptanz der entscheidende Faktor für einen gelingenden Trauerprozess ist. Er befragte 66 Personen, die gerade ihren Lebenspartner verloren hatten, zu ihren Gedanken und Haltungen rund um den Verlust. Gleichzeitig erhob er die Entwicklung der depressiven Symptome im Laufe von neun Monaten. In dieser Studie zeigte sich, dass die Verarbeitung des Verlustes am besten gelang und die depressiven Symptome sich am nachhaltigsten besserten, wenn die Personen den Tod des Partners annahmen und von Anfang an zum Beispiel der Aussage zustimmten: „Ich akzeptiere, dass es passiert ist und dass nichts zu ändern ist.“ Diese Haltung hatte sogar einen größeren positiven Einfluss auf den Trauerprozess als Optimismus oder soziale Unterstützung durch andere.
Ähnlich entlastend wirkt Akzeptanz bei Menschen mit chronischem Schmerzsyndrom. Wenn Schmerzpatienten ein Akzeptanztraining durchlaufen, verringert sich schon nach einigen Wochen das Gefühl der Beeinträchtigung durch den Schmerz, und die Stimmung verbessert sich, fand die Sportpsychologin Jiaxi Lin von der Universität Freiburg heraus. Und dass die Fähigkeit zur Akzeptanz auch die alltägliche Krisenbewältigung verbessert, zeigt eine Fragebogenstudie von Psychologieprofessor Frank Bond vom Goldsmiths College an der University of London mit 229 britischen Arbeitnehmern. Die Ergebnisse seiner Untersuchung legen nahe, dass Arbeitende, die eine hohe Fähigkeit haben, Alltagsstress, Druck und die dabei auftretenden Gefühle zu akzeptieren, viel seltener an Stresssymptomen oder stressbedingten Erkrankungen leiden. Eine annehmende Haltung scheint also dabei zu helfen, die Dinge ein wenig leichter zu nehmen – und Stress und Ärger loszulassen.
Was ist Akzeptanz?
Das alles klingt nicht fremd. Denn dass es in Krisen oder bei Problemen günstig ist, wenn wir die Dinge „annehmen“, ist heute eine Binsenweisheit. Doch gerade dieses weitverbreitete Halbwissen vermittele letztlich ein falsches Bild vom psychischen Prozess der Akzeptanz, sagt Psychotherapeut Andreas Knuf: „Akzeptanz ist nichts, was wir willentlich herbeiführen können. Wer sich vorstellt, dass er ‚einfach loslässt‘ oder ‚die Dinge annimmt‘, kommt damit meist nicht weit. Viele Menschen setzen sich dann sogar zusätzlich unter Druck, weil das Annehmen nicht prompt gelingt.“ Für Knuf ist Akzeptanz ein komplexer Prozess, der sich nach und nach vollzieht und der Zeit braucht. Dabei sei der Ansatzpunkt kein willentlicher Vorsatz. „Der Dreh- und Angelpunkt, um einen ersten Zugang zur Akzeptanz zu bekommen, besteht immer in der Annahme der eigenen Gefühle“, so Knuf. Der Schmerz, der bei einer Trennung aufkommt, die Minderwertigkeitsgefühle, die eine Kündigung mit sich bringt, die Enttäuschung, die wir spüren, wenn eine andere Person uns abweist, all diese unangenehmen Gefühle gilt es zunächst einmal bewusst wahrzunehmen – und zuzulassen.
Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. In seiner Praxis erlebt Andreas Knuf häufig, dass Menschen gerade in Krisensituationen alles tun, um unangenehme Gefühle zu vermeiden oder wegzudrängen. Knuf erzählt von einer Patientin, die nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter in einem langen Trauerprozess steckte und zwar wusste, dass sie „jetzt mal traurig sein müsste“, doch alle Traurigkeit zurückdrängte und es vermied zu weinen. Und ein anderer Patient sagte ihm: „Wenn ich ein schlechtes Gefühl habe, dann muss mit mir wohl etwas falsch sein.“ Dabei ist das Gegenteil der Fall: Trauer oder andere unangenehme Gefühle wie Wut oder Angst zu spüren und auch auszudrücken sei sehr sinnvoll, so Knuf. Vor allem nach dem Weinen stelle sich oft eine gewisse Ruhe und Klarheit ein. Dass diese Empfindung nicht rein subjektiv ist, haben Emotionsforscher der Universität Tilburg um Professor Ad Vingerhoets in unterschiedlichen Studien belegt. Sie untersuchten etwa in einer Forschungsarbeit 3000 Situationen, in denen Menschen die Tränen kamen, und stellten in Befragungen fest, dass gut zwei Drittel der Versuchsteilnehmer nach dem Weinen erleichtert waren und besser gestimmt als davor. Auch physiologisch kann man ein solches Muster nachweisen: Wenn Tränen fließen, verlangsamen sich danach laut verschiedenen Laborstudien Atmung und Puls, die Weinenden kommen also messbar zur Ruhe.
Dass das Zulassen von unangenehmen oder bedrohlichen Gefühlen und Gedanken der wichtigste Schritt für den Akzeptanzprozess ist, davon ist auch der Psychotherapeut Matthias Wengenroth überzeugt. Viele Menschen hätten den Anspruch, permanent „gut drauf“ sein zu müssen, und bei dem Versuch, dies zu verwirklichen, drängten sie alles weg, was sie bedrücken oder ängstigen könnte. „Wir versuchen unsere Gefühle zu kontrollieren“, so Wengenroth. „Doch erwiesenermaßen vertieft das Krisen und Probleme nur.“
Matthias Wengenroth ist, wie auch Andreas Knuf, ein Vertreter der Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT). Diese von dem Psychologieprofessor und Therapieforscher Steven Hayes entwickelte Methode stellt verschiedene Techniken bereit, mit denen Menschen lernen können, eine Haltung der Akzeptanz einzunehmen oder, wie Hayes sagt, „eine Bereitschaft zu entwickeln, Gedanken, Gefühle und Erfahrungen, die ihnen widerfahren, offen anzunehmen“. Ein zentraler Lernprozess besteht laut Wengenroth deshalb immer darin, dass Klienten die oft unbewusst und automatisch ablaufenden Prozesse der Erlebnis- und Emotionsvermeidung erkennen und mehr Zutrauen entwickeln, auch unangenehme Gefühle anzunehmen.
Kann Kummer schmutzig sein?
Um Klienten mehr Sicherheit und Orientierung im Umgang mit den eigenen Gefühlen zu geben, trifft man in der Akzeptanz- und Commitmenttherapie eine Unterscheidung zwischen „sauberem“ und „schmutzigem“ Kummer: Solange sich ein Schmerz direkt auf die persönliche Realität und die Krise bezieht, in der eine Person steckt, ist der Kummer sauber. Das Weinen um einen Verstorbenen, die Wut und Enttäuschung angesichts eines zerplatzten Lebenstraums, all das gehört zum sauberen Kummer. Dieser ist oft stark, aber er hat auch eine wichtige Signalfunktion: Etwas Wertvolles, Kostbares ist verlorengegangen, beschädigt worden oder in Gefahr.
Der schmutzige Kummer entsteht dagegen immer dann, wenn man versucht, den sauberen Kummer zu kontrollieren und zu vermeiden. Wer nach einer Trennung seinen Schmerz in Alkohol ertränkt, nach der Kündigung mit Chefs und Kollegen Streit anfängt, der ist zwar kurzfristig von den unangenehmen Gefühlen der Angst, Ohnmacht oder Trauer befreit, erzeugt aber durch die Vermeidung für sich selbst große Folgeprobleme bis hin zu Alkoholabhängigkeit oder Zerwürfnissen – also viel schmutzigen Kummer. Vielen Klienten, erzählt Wengenroth, helfe diese Einteilung, die eigenen Gefühle zuzulassen – und den sauberen Kummer als etwas zu begrüßen, das weiterhilft oder sogar heilt.
Auch verschiedene Studien zeigen, dass das Vermeiden von Emotionen tatsächlich dazu führt, dass psychische Leiden stärker werden und sich Lebenskrisen vertiefen. In einer aktuellen Metastudie, die 24 Einzeluntersuchungen zusammenfasst, konnten die Psychologen Neharika Chawla und Brian Ostafin feststellen, dass Emotionsvermeidung bei psychischen Symptomen wie Ängsten, Depressionen oder Süchten so gut wie immer den Leidensdruck erhöht. Es gibt auch erste Erklärungsansätze, warum das so sein könnte. Einer stammt von den Psychologen Richard Wenzlaff und Daniel Wegner, die schon vor fast zwanzig Jahren in Experimenten zum Thema Reizvermeidung feststellten, dass das Unterdrücken von Gedanken, Gefühlen oder Erinnerungen oft einen sogenannten rebound effect erzeugt, dass also gerade Emotionen oder Kognitionen, die man zu unterdrücken versucht, tendenziell wieder zurückkommen, zum Teil stärker als vorher. Der Zusammenhang ist uns heute geläufig. Oft wird er ausgedrückt in der Floskel: „Versuch mal, jetzt nicht an einen rosa Elefanten zu denken.“ Und genau das gelingt dann eben nicht mehr. Offenbar ist das Gehirn also so konzipiert, dass es Dinge nicht willentlich vergessen kann. Wer Gedanken, Gefühle oder Erinnerungen aus dem Kopf bekommen will, verfolgt eine aussichtslose Strategie. Die Studienergebnisse legen deshalb nahe, dass es in psychischen Krisen oder bei psychischen Störungen eher hilft, wenn man eine akzeptierende Haltung findet, statt Symptome oder Schmerz wegzudrücken.
Mini-Enttäuschungen als Übungsfeld
Doch nicht nur in tiefen Krisen tun wir uns mit dem Thema Akzeptanz schwer. Für den Psychotherapeuten Andreas Knuf sind gerade die Mini-Enttäuschungen, mit denen jeder im Alltag zu tun hat, ein gutes Übungsfeld, um den eigenen Umgang mit Akzeptanz bewusster wahrzunehmen, zu verstehen und gegebenenfalls auch zu ändern. Sobald man sich darauf einlässt, wird man nach Erfahrung von Knuf schnell feststellen, dass man auf unangenehme Situationen oder kleine Enttäuschungen oft mit Abwehr oder Empörung reagiert – und nur selten mit einer akzeptierenden Gelassenheit. „Wir hadern im Alltag häufig mit den Dingen, die wir nicht ändern können, von denen wir aber glauben, dass wir ein Anrecht darauf haben“, sagt Knuf. „Ein verregneter Urlaub macht uns ärgerlich. Und wenn man sich in der Mittagspause auf einen schönen Cappuccino gefreut hat und dann einen abgestandenen Filterkaffee serviert bekommt, ist man ebenfalls verstimmt.“ Solche Muster der mangelnden Akzeptanz beobachtet Andreas Knuf bei seinen Klienten, in seinem Umfeld und bei sich selbst. Die Reaktion sei verständlich. Dennoch sei es wertvoll, sich für die eigene Reaktion auf solche kurzzeitigen Unbehaglichkeiten zu sensibilisieren. Denn so erfahre man nicht nur mehr über das eigene Akzeptanzverhalten, man bekomme auch mehr Gespür dafür, wann eine Situation einfach nicht veränderbar und Akzeptanz angebracht ist. Wer das sicher weiß, entwickelt auch schneller Handlungsalternativen, fängt also an, mit den nicht änderbaren Situationen umzugehen. Wer im Urlaub akzeptiert, dass es regnet, der zieht sich möglicherweise wetterfest an und geht trotzdem raus. Oder bleibt mit einem guten Buch im Hotelbett. So bahnt die alltägliche Akzeptanz auch eine zunehmende Handlungsfähigkeit in komplexeren Situationen.
Akzeptanz in der Liebe
Ein Feld, in dem Akzeptanz oft ungewöhnlich schwerfällt, sind Liebesbeziehungen. Der amerikanische Psychologe und ACT-Therapeut Russ Harris geht in seinem Buch ACT der Liebe davon aus, dass es sich gerade in Partnerschaften besonders lohnt, eine akzeptierende Haltung zu kultivieren. „Wenn Sie lernen, die Unterschiede zwischen Ihnen und Ihrem Partner wirklich zu akzeptieren, werden Sie merken, dass Ihre Frustration, Ihr Groll und Ihre Wut sich aufzulösen beginnen, so dass Sie die vielen Freuden genießen können, die eine gesunde Beziehung Ihnen bietet“, schreibt Harris.
Denn eines der zermürbendsten Themen in langen Partnerschaften sei der ewige Streit um die gleichen Kleinigkeiten und die Rechthaberei, die sich schnell einschleicht. Dass wir gerade bei unserem Liebespartner so intolerant gegenüber Macken oder Andersartigkeiten sind, hat laut Harris seinen Ursprung in unseren komplett falschen Vorstellungen von Beziehungen. In seinem Buch beschreibt er gängige Mythen über die Liebe, die uns an der Akzeptanz hindern. So denken wir zum Beispiel fast alle „Liebe sollte einfach sein“ und „Mein Partner sollte der Richtige für mich sein und möglichst perfekt“. Dabei sei das Gegenteil der Fall, sagt Harris: Liebe ist kompliziert, tut manchmal weh. Und einen perfekten Partner gibt es schlicht nicht.
Weil wir diese Tatsachen über Liebesbeziehungen aber oft nicht wahrhaben wollen, versuchen wir den Partner zu ändern und zu kontrollieren, sobald uns etwas an ihm nicht passt. Dabei würden wir übersehen, dass viele Paarkonflikte, beispielsweise über Unordnung, Verspätungen, Schweigen, letztlich auf tiefverwurzelte Charaktereigenschaften zurückgehen und kaum änderbar sind. Der bekannte Beziehungsforscher John Gottman ermittelte in einer Studie vor einigen Jahren, dass der Anteil solcher schlicht unlösbaren Differenzen in Liebesbeziehungen bei 69 Prozent liegt. Macht man sich diese Tatsache bewusst, wird es leichter, eine akzeptierende Haltung gegenüber dem Partner zu entwickeln.
Manche Streitthemen kehren immer wieder
Ein praktischer erster Schritt ist laut Russ Harris etwa, typische wiederkehrende und unfruchtbare Streitthemen einfach nicht mehr aufkommen zu lassen – indem man akzeptiert, dass es sie gibt, sie aber ansonsten links liegen lässt. Wie das gelingt? Zunächst macht man sich in einem Gespräch mit dem Partner oder auch in einer ruhigen Minute allein klar, welche ein oder zwei typischen Dauerkonflikte es gibt. Dann versieht man die immer wiederkehrenden nervenden Punkte mit einem möglichst plastischen Etikett wie „Zeitfresser“ oder „Das Verarmungsmonster“. Wenn man dann das nächste Mal verbal auf diesen sinnlosen Konflikt zusteuert, wird dieses Wort innerlich aufgerufen. Man kann es sogar laut aussprechen. Das Etikettieren führt dazu, dass man dem emotionalen Sog des Wortgefechts die Kraft raubt und mehr Distanz zum Reizthema findet. Sehr viele Paare können so ihre Streits deutlich reduzieren, hat Harris festgestellt.
Das alles bedeutet übrigens nicht, dass Akzeptanz auch noch die verfahrenste Beziehung kittet. Im Gegenteil. Laut Russ Harris steht es in jeder Beziehung gelegentlich an, dass man sich fragt, ob man bleiben oder gehen will. Es sei wichtig, dass man dies klar anschaut – um sich dann festzulegen. Hat man sich fürs Bleiben entschieden, versucht man ab diesem Punkt, sich stärker in Akzeptanz zu üben. Wenn man gehen will, führt man sich alle Negativpunkte noch mal vor Augen – und zieht die Konsequenzen.
Doch die allermeisten Paare wollen zusammenbleiben, streiten sich paradoxerweise aber dennoch häufig. Ein Grund für dieses eigentlich widersinnige Verhalten ist vermutlich, dass das Akzeptieren von Streit- und Schwachpunkten generell kein gutes Image hat. „Etwas ruhenzulassen oder anzunehmen wird oft fälschlicherweise mit Resignation oder Kapitulation gleichgesetzt“, erklärt Psychotherapeut Matthias Wengenroth. Doch das sei ein Irrtum. Denn wer etwas akzeptiert, der entscheidet sich aktiv dafür. Er blickt den Dingen, die er am Partner nicht mag, ins Auge und lässt sie dennoch einfach stehen. Dieser Prozess ist für viele Menschen ungewohnt und entfaltet oft eine ganz eigene Dynamik. „Wenn man etwas akzeptiert, hört man auf zu kämpfen, umklammert das Problem nicht mehr so“, sagt Wengenroth. „Man hat dann mehr Energie, um etwas anderes zu tun und Verhaltensweisen zu probieren, für die man vorher vor lauter Kampf keine Kraft hatte.“
An falschen Zielen festhalten
In beruflichen Kontexten ist das Akzeptieren von Niederlagen oder Unveränderbarem oft noch aus anderen Gründen blockiert. Das Besondere an Situationen, in denen berufliche Projekte scheitern oder Karriereträume zerplatzen, ist laut einem Übersichtsartikel der Psychologieprofessoren Olaf Morgenroth und Johannes Schaller, dass man im Job häufig sehr viel leistet und Unmengen Energie und Kosten aufwendet, um gute Ergebnisse zu erzielen. Der immense Aufwand an Geld und Arbeitskraft führt dazu, dass man auch an bereits gescheiterten oder wenig aussichtsreichen Projekten oder Träumen oft übermäßig lange festhält – man will einfach nicht wahrhaben, dass die Mühe umsonst war. Dieser psychologische Mechanismus wird als „eskalierendes Commitment“ bezeichnet und ist in der Literatur im Zusammenhang mit unrentablen Investitionen und hoher unternehmerischer Risikobereitschaft oft beschrieben worden. Es sei deshalb besonders wichtig, bei hochgesteckten beruflichen Zielen das Aufkommen von Unbehagen und Zweifeln als Signal ernst zu nehmen, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte, empfehlen Olaf Morgenroth und Johannes Schaller in ihrem Artikel. Erst wenn man klar erkennt, dass man an einem nicht zu erreichenden Ziel festhält, wird es möglich, das eigene Scheitern zu akzeptieren und sich nach einer Art Trauerphase neu zu orientieren.
Auch wenn wir im Job durch ganz andere innere Mechanismen am „Annehmen“ gehindert werden als im privaten Bereich – Akzeptanzprozesse vollziehen sich letztlich immer in einem ähnlichen Muster, sagt Psychotherapeut Matthias Wengenroth. Meist bestehen sie aus drei Schritten: Im ersten geht es darum, der Situation ins Auge zu sehen und sie grundsätzlich anzunehmen. Im zweiten Schritt lässt man die dazugehörenden unangenehmen Gedanken und Gefühle zu. In diesem Prozess verändert sich dann oft die Einstellung zu sich selbst und zur Situation, man wird offen für neue Perspektiven oder einen Neuanfang. Für Matthias Wengenroth wird in dieser dritten Phase der Neuausrichtung das Thema „persönliche Werte“ besonders wichtig. Klienten rät er oft, sich im Akzeptanzprozess während einer Lebenskrise oder nach einer Niederlage mit diesen Fragen auseinanderzusetzen: „Was sind meine Werte? Und wie möchte ich diese in die Bewältigung der Krisensituation einbringen?“ So könnte man in einer Trennungssituation für sich festlegen, dass man fair sein möchte, auch wenn man voller Wut oder Schmerz ist. Und bei beruflichem Scheitern kann man sich vergegenwärtigen, welche Werte man in dem gescheiterten Projekt verwirklichen wollte, zum Beispiel Gerechtigkeit schaffen oder Kreativität ausleben. All diese Werte könne man sich bewusstmachen – und sie dann in die Gestaltung der Krise und in den Neuanfang mit einbringen. „Die Frage nach den persönlichen Werten ist zu Beginn einer Krise meist noch eine Überforderung. Aber irgendwann im Prozess wird sie für viele zum entscheidenden Schlüssel. Werte helfen, aktiv zu werden und dem eigenen Handeln eine Richtung zu geben“, sagt Wengenroth.
Mit der Ausrichtung an ihren eigenen Werten hat auch Kathrin Schmelzer, die ihren Job verloren hatte, ihre Enttäuschung überwunden. Sie machte sich klar, dass sie eigentlich ein kollegialer Mensch ist und diesen Wert auch pflegen will. Sie nahm wieder Kontakt zu den ehemaligen Kollegen und ihrer Chefin auf. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass sie die Projektstelle deshalb so schlecht loslassen konnte, weil sie dort kreativer arbeiten durfte als in früheren Jobs. Sie beschloss, sich wieder eine neue Arbeit zu suchen, bei der sie ebenfalls Gestaltungsspielräume hat. In ihrem aktuellen Projekt konzipiert sie nun zwei neue Kindertagesstätten. Obwohl die Stelle ihr gut gefällt, ist Kathrin Schmelzer manchmal noch traurig und vermisst ihre alten Kollegen. Aber sie kann das Gefühl aushalten.
Wann Akzeptanz helfen kann
Immer wieder geraten wir in Situationen, die wir nicht ändern können. Eine akzeptierende Haltung macht dann das Leben leichter. – Einige Literaturtipps für zentrale Lebensbereiche
Krisenhafte Lebenssituationen. Trennungen, Umzüge, Arbeitsplatzverlust, Naturkatastrophen und Krankheiten oder der Verlust eines geliebten Menschen sind äußere Schicksalsschläge, die wir verarbeiten müssen. Akzeptanz hilft als eine Art vermittelnde Haltung bei der Bewältigung. Wie das praktisch gelingen kann, zeigt etwa das Sachbuch von Andreas Knuf Ruhe, ihr Quälgeister. Wie wir den Kampf gegen unsere Gefühle beenden können (Arkana, München 2013)
Selbstakzeptanz. Wir hadern oft mit bestimmten Charaktereigenschaften, mit unserem Aussehen, mit der Lebenssituation, in der wir stecken oder für die wir uns entschieden haben. Um mehr Selbstakzeptanz hinzubekommen, kann man laut dem Psychotherapeuten Andreas Knuf probieren, sich mehr in Selbstliebe und Selbstmitgefühl zu üben. Dabei helfen in einem ersten Schritt Trainings für Selbstmitgefühl oder auch für Achtsamkeit. Ein lohnendes Sachbuch zum Thema: Erik van den Brink, Frits Koster: Mitfühlend leben (Kösel, München 2013).
Andere akzeptieren. Unsere Eltern, unsere Kinder, unsere Partner oder engen Freunde sind oft Quelle unserer Freude, aber auch für Schmerz und Enttäuschung. Wir kritisieren andere deshalb häufig. Je nach Situation kann das angemessen sein oder vollkommen überzogen – weil es nur die eigenen überhöhten Erwartungen spiegelt. Einige gute Ansätze, wie man mehr Akzeptanz in wichtigen Beziehungen und Partnerschaften hinbekommt, vermittelt das Buch ACT der Liebe des Psychotherapeuten und ACT-Therapeuten Russ Harris (Arbor, Freiburg 2015).
So ist das Leben. Jeder muss lernen, damit umzugehen, dass er nicht alles haben kann, dass er scheitert, dass er im Leben immer mal wieder leidet, dass er alt wird und irgendwann stirbt. Solche Lebensprinzipien anzunehmen fällt manchen Menschen schwerer, als etwa Krisen zu managen. Wem es an Akzeptanz in diesem Bereich fehlt, dem kann eine tiefere Auseinandersetzung mit der Akzeptanz und ihren Gesetzen helfen, etwa mit dem Buch von Matthias Wengenroth Das Leben annehmen. So hilft die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (Hogrefe, Bern 2016). Eher für Fachleute geeignet ist sein Buch Therapie-Tools, Akzeptanz- und Commitmenttherapie (Beltz, Weinheim 2017).