Frau Oettingen, wer in den vergangenen Jahren aufgepasst hat, weiß, dass man immer schön positiv in die Zukunft schauen sollte. Sie sind nicht einverstanden, warum?
Von vielen Seiten hört man, dass man negatives Denken nicht zulassen soll, und oft ist es ja auch sehr angenehm, von einer besseren Zukunft zu träumen. Aber positives Denken ist kein Allgemeinrezept für Glück und Erfolg. Unsere Befunde aus 20 Jahren Forschung zeigen, dass positive Zukunftsträume uns sogar im Weg stehen können, gerade dann, wenn…
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20 Jahren Forschung zeigen, dass positive Zukunftsträume uns sogar im Weg stehen können, gerade dann, wenn wir uns einen Wunsch erfüllen wollen, der Anstrengung und komplexen Denkens bedarf. Um uns solche Wünsche zu erfüllen, ist es wichtig, unsere Zukunftsträume mit den Hindernissen der Realität anzureichern. Das nennen wir mentales Kontrastieren.
Wie funktioniert das?
Beim mentalen Kontrastieren steht am Beginn das Träumen von einer positiven Zukunft. Sie beginnen, einen Wunsch zu formulieren, der Ihnen sehr am Herzen liegt. Dann stellen Sie sich das Schönste vor, das Sie mit der Erfüllung des Wunsches verbinden. Es ist wichtig, das in Gedanken richtig zu durchleben: Wie schön wäre es, den Konflikt mit meinem Mitbewohner gelöst zu haben, die Präsentation nächste Woche richtig gut ausgearbeitet zu haben oder auch meinen Job zu wechseln? Das Erleben der Träume gibt die Richtung des Handelns vor. Aber danach sollten Sie sich fragen: Was hält mich eigentlich zurück? Was ist das Hindernis in mir, das der Erfüllung meines Wunsches im Weg steht? Ist es vielleicht meine Trägheit oder gar meine Angst vor Unruhe oder vor Neuem? Sobald Ihnen Ihr persönliches Hindernis klar ist, bekommen Sie die Energie, es zu bewältigen.
Sie haben einen kurzen Begriff für das mentale Kontrastieren gefunden: WOOP. Wofür stehen diese vier Buchstaben?
Als ich anfing, mentales Kontrastieren zu unterrichten, wurde mir klar, dass ich einen besseren Namen brauchte. WOOP fiel mir und meinen Kollegen mehr oder weniger zufällig ein. W steht für Wunsch, das erste O für Outcome, also die Erfüllung des Wunsches, das zweite O steht für Obstacle, das Hindernis, und P für Plan. Der Plan spezifiziert, wie man reagiert, wenn das besagte Hindernis auftritt. Das kann beispielsweise so aussehen: Wenn ich Angst vor den Veränderungen durch einen neuen Job spüre, werde ich mir vergegenwärtigen, dass ich Umstellungen in meinem Leben doch schon öfter gut gemeistert habe und mich ganz gut auf mich verlassen kann.
Laufen wir nicht Gefahr, uns mit dem zweiten O unsere Träume auszureden?
Ganz im Gegenteil, das Hindernis energetisiert uns. Wenn wir uns nicht die Hürden auf dem Weg zur erwünschten Zukunft vorstellen, werden wir nicht loslaufen. Denn zum Loslaufen brauchen wir nicht nur Richtung, sondern auch Energie.
Wie gehe ich damit um, wenn ich zu viele Möglichkeiten und Probleme sehe?
Mentale Kontrastierung hilft, zwischen den vielen Möglichkeiten zu entscheiden. Ich nehme die Wunscherfüllung und die Hindernisse in meinen Gedanken vorweg, was mir erlaubt, an den Hindernissen zu arbeiten, bevor mich die Situation überfordert. Manchmal ist es nicht ganz leicht, die Hürden zu sehen. Oft sind es Gefühle, irrationale Annahmen oder festgefahrene Meinungen. Mein Hindernis mag sein, dass ich keine Zeit habe, eine Bewerbung zu schreiben – aber warum habe ich eigentlich keine Zeit? Das liegt oft an mir! Sobald sich die wahren Hürden offenbaren, fällt mir meist auch ein Mittel ein, mit ihnen zurechtzukommen. Ich kann den Wunsch dann adjustieren oder ihn auch aufgeben, weil mir beispielsweise klarwird, dass ich eigentlich nicht bereit bin, für das Finden eines neuen Jobs meine Zeit mit der Familie zu opfern. Beim Woopen wird klar, was ich wirklich will, was sich realisieren lässt und wofür es sich zu kämpfen lohnt. Alles andere kann dann in Ruhe abgelegt werden. Ein Rucksack voll diffuser Wünsche beschwert nur. Das mentale Kontrastieren bringt Struktur ins Leben und hilft uns, unsere Ziele auf kluge Weise zu verfolgen.
Dennoch erfüllt sich nicht jeder noch so gut gewoopte Traum.
Das stimmt, das mentale Kontrastieren ist keine Wunscherfüllungsgarantie, sondern eher ein guter Freund im Alltag, der mir den Weg erleichtert. Selbst wenn mein gewoopter Wunsch einmal nicht in Erfüllung geht, entsteht aus dieser Situation ja wieder ein neuer Wunsch. Ich sehe zum Beispiel am Abend, dass der Bericht nicht fertig geworden ist, den ich abschließen wollte. Aber ich habe angefangen und vielleicht gemerkt, dass der Arbeitsaufwand größer ist als gedacht. Dann kann ich meinen Wunsch für den nächsten Tag anpassen und planen, drei Seiten zu schreiben. So hilft uns WOOP, immer weiter zu kommen.
Was spielt sich dabei im Unterbewusstsein ab?
Während der WOOP-Übung wird eine sehr enge Verbindung zwischen positiver Zukunft, Realität und möglichen Mitteln zur Überwindung der Schwierigkeiten geknüpft. Auch die Bedeutung der Realität wird verändert. Die Feier am Samstagabend ist dann zum Beispiel keine lustige Party mehr, sondern das Hindernis auf meinem Weg zu einem erfolgreichen Vorstellungsgespräch am Montag. Wir gehen mit ganz anderer Energie und Direktheit auf Situationen zu, WOOP involviert uns ins Leben.
Info: Woop gibt es auch als App: www.woopmylife.org
Gabriele Oettingen, geboren 1953, ist Professorin für Psychologie. Sie arbeitete unter anderem am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, am Medical Research Council in Cambridge, England sowie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Oettingen forscht und lehrt zudem seit vielen Jahren an der Universität Hamburg und der New York University.