Vor Jahren kam die Familie der aus Russland stammenden Schriftstellerin Alina Bronsky nach Deutschland – mit nichts. Ihre Eltern mussten bei null anfangen, berichtet Bronsky in einem Interview. Daraus hat die Autorin eine Schlussfolgerung gezogen: „Menschen brauchen Ruhe und Geld“, meint sie. Was von beiden ist ihr wichtiger? „Ganz ohne Geld ist es schwierig, ruhig zu bleiben. Wer keine Ressourcen hat, wird eher unruhig.“ In ihrer Familie, erzählt Bronsky, spiele Geld stets eine Rolle, wenn auch…
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Ressourcen hat, wird eher unruhig.“ In ihrer Familie, erzählt Bronsky, spiele Geld stets eine Rolle, wenn auch unterschwellig: Geld sei „auf eine Art präsent“, ohne dass es direkt angesprochen werde: „Wir vergleichen nicht unsere Kontostände, aber wenn man über Erlebnisse oder Entscheidungen spricht, wird das Thema Geld indirekt tangiert.“
Dass Geld in Bronskys Familie ist allen Gesprächen mitschwingt, könnte an der Mangelerfahrung liegen. Aber Silvia Breier, ehemalige Investmentbankerin und Coach, sagt: „Ob wir viel oder wenig davon haben, wir werden alle unbewusst vom Geld beherrscht. Unser ganzes Leben ist davon beeinflusst, was wir über Geld denken und welche Gefühle wir damit verbinden.“ Was Breier damit meint, arbeitet sie in ihrem Buch Geld Macht Gefühle heraus. Wie sieht unser persönliches Verhältnis zu Geld genau aus, und wie hat es sich entwickelt?
Was wir vom Leben wollen
Der Frankfurter Psychologe Rolf Haubl arbeitet in einem Beitrag in dem Buch Die phantastische Macht des Geldes folgende These aus: In der Art und Weise, wie Menschen mit Geld umgehen, kommt unsere individuelle „Persönlichkeit mit allen unbewältigten lebensgeschichtlichen Traumata und Konflikten zum Ausdruck“. Aus der Sicht des Psychologen spiegelt sich im Geldstil einer Person unter anderem, wie sie ihre Entwicklungsaufgaben löst, etwa sich eines Tages den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, erfolgreich zu sein, sich sicher zu fühlen und ihre Träume zu verwirklichen. Unser Umgang damit zeige, was wir vom Leben wollen und welche Wünsche wir haben, ob wir sie uns erfüllen können oder nicht. Damit sei stets eine spezifische Psychodynamik verbunden, beispielsweise verschaffe Geld Macht – aber nicht jeder, der faktische Macht habe, fühle sich tatsächlich mächtig.
Latente Beziehungskonflikte
Dabei gehe es nicht nur um uns selbst, sondern auch darum, wie wir uns anderen Menschen gegenüber verhalten, so Haubl und ergänzt: „Geld strukturiert hinterrücks alle unsere Beziehungen.“ Eine Folge davon ist beispielsweise, dass Finanzthemen in Partnerschaften zur Konfliktursache Nummer eins werden können. So unterschätzen Paare häufig, dass über Geld latente Beziehungskonflikte ausgetragen werden. Und selbst wenn ein Paar einen Weg gefunden hat, wie es mit Geld umgehen möchte – dieses Modell kann an seine Grenzen kommen und zu Pattsituationen führen. Haubl erzählt von einer seiner Klientinnen, die nach der Geburt ihrer Tochter freiwillig ihren Beruf aufgegeben hatte, vom Geld des Ehemanns lebte und unzufrieden damit wurde. Ihr Mann wiederum schlug vor, der Ehefrau ein Taschengeld auszuzahlen, was diese ablehnte. Beide seien aber auch nicht bereit gewesen, Teilzeit zu arbeiten, weil dann das Gesamteinkommen gesunken wäre.
Andererseits schaffe auch die vollständige Trennung aller Besitzstände mitunter Probleme, so Haubl. Denn selbst wenn sich Partner gegenseitig finanzielle Autonomie zusicherten, könnten sie doch in eine Situation geraten, in der einer nicht mehr in der Lage sei, für sich selbst zu sorgen. Das Modell zeige, dass die Partner die Abhängigkeit vom anderen fürchteten, und sichere beiden emotionale Autonomie zu – solange bis einer von beiden nicht mehr arbeiten könne oder erkranke.
In Partnerschaften stehen immer wieder Entscheidungen an, die am Geld scheitern, wenn einer nicht zustimmt: wenn etwa nur ein Partner eine Immobilie kaufen möchte und der andere lieber Mieter bleiben will, wenn das Wunschauto des einen dem anderen zu teuer ist oder wenn einer glaubt, der andere gebe zu viel Geld für sein Hobby aus und spare zu wenig. Nach einer Trennung, so Silvia Breier, werde das Geld manchmal sogar „zur Waffe“.
Geld wird durch unsere Projektionen zum Instrument
Warum sagt das Geld so viel über uns aus und hat sogar das Potenzial, unsere Beziehungen zu unterminieren? Es liege zum einen an seiner Neutralität, meint der Psychoanalytiker Werner Pohlmann in einem Aufsatz in Die phantastische Macht des Geldes. Der Autor stellt unter Berufung auf den einflussreichen Soziologen Georg Simmel die These auf, dass Geld ohne die Bedeutungen, die wir ihm verleihen, sozusagen völlig neutral sei. Wie auf ein leeres Blatt Papier oder in eine leere Datei können wir demnach Gefühle, Gedanken und unsere Wünsche ins Geld projizieren. Zur Wirkung komme es nur im „Medium“ des Seelischen. Nur in unserer Wahrnehmung und nur durch unsere emotionalen Projektionen wird Geld zu einem quasi virtuellen Instrument, mit dem wir uns Wünsche erfüllen können und das uns hilft, persönliche Ziele zu erreichen, das eingesetzt werden kann, um andere zu erfreuen und zu unterstützen, aber auch, um ihnen zu schaden oder sich an ihnen zu rächen. Geld wird überdies auch deshalb als „virtuell“ beschrieben, weil die weitaus größte Geldmenge weltweit nicht in Form von Bargeld vorhanden ist.
Geld schützt vor Enttäuschungen
Bei unserem Verhältnis zum Geld gehe es – anders als viele denken – immer um immaterielle Wünsche, so der Philosoph Christoph Türcke in Die phantastische Macht des Geldes. „Wer Geld begehrt, begehrt etwas anderes als Geld: Trost, Genugtuung, Geborgenheit, Genuss, Potenz – lauter Dinge, die Geld nur verheißen, aber nicht verschaffen kann. Geld ist Ersatz. Sich mit Ersatz zu begnügen ist oft unvermeidlich und besser als gar nichts.“ Kommt es überhaupt vor, dass es uns tatsächlich auch einmal „nur“ ums Geld geht und emotionale Verstrickungen wirklich gar keine Rolle spielen? Nein, denn auch dann, wenn es so wirkt, als gehe es nur ums Geld, steckt etwas dahinter, denn offenbar lässt es sich auch nutzen, um unerwünschte Gefühle abzuwehren. Der Psychoanalytiker Pohlmann schreibt dazu: „Wer also wirklich und definitiv nur Geld will, sichert sich gegenüber Enttäuschungen und Überraschungen ab.“ Dem Geizigen sei der Genuss der Dinge gleichgültig, aber bei denjenigen, die Geld mit vollen Händen ausgeben, sei es ähnlich: Die Dinge, die sie kaufen, interessierten sie oft nicht wirklich, so Pohlmann. Geld als Enttäuschungsprophylaxe also.
Im Geld spiegeln wir uns
Geld kann uns den Spiegel vorhalten, und das lässt sich nutzen. Silvia Breier rät zur Introspektion. Denn die Neutralität oder, wie Silvia Breier es nennt, „Charakterlosigkeit“ des Geldes heiße, dass wir selbst mitreden können und nicht ausgeliefert sind. Die ehemalige Bankerin empfiehlt, zunächst die aktuellen eigenen pekuniären Botschaften herauszufinden und die Frage zu beantworten, ob diese überhaupt noch zu unserem Leben passen. Man solle sich fragen, welche Redensarten über das Geld uns gelegentlich in den Sinn kommen und welche wir äußern, vielleicht: „Mir rinnt das Geld durch die Finger“ oder „Zeit ist Geld“ oder „Geld stinkt nicht“? Oder „Geld allein macht nicht glücklich“? Woher kommen diese Sätze, warum fällt einem gerade jetzt dieser Satz ein? Stimmt man selbst den Redensarten überhaupt noch zu? Wenn nicht, warum hält man daran fest, was würde passieren, wenn man die unpassenden Glaubenssätze aufgibt?
Silvia Breier meint: „Ob wir nun für mehr Geld an unsere Grenzen gehen würden und bereit wären, einen hohen Preis zu zahlen, oder ob uns Geld nicht so wichtig ist: Entscheidend ist zu wissen, was unser wirkliches Ziel ist.“ Und bei diesem Ziel handle es sich in der Regel in der Tat um ein Gefühl. Wer sich beispielsweise mehr Geld wünscht, um sich sicherer zu fühlen, der sollte sich genau fragen, ob der Preis für den Aufwand, es zu verdienen, zu hoch ist – sei es, dass man sich durch zu viel Arbeit von der Familie entfremdet oder die Gesundheit leidet. Wichtig sei außerdem, von sich selbst zu erfahren: Nach welchem Gefühl strebe ich tatsächlich? Lässt sich dieses Ziel mit mehr Geld auch wirklich erreichen? Der Aufwand, das herauszufinden, lohne sich, meint Breier. Auch wenn viele es vielleicht gern einfacher hätten, wie in einem Zitat aus Russland, das die Schriftstellerin Alina Bronsky erwähnt: „Sag mir nicht, wie ich zu leben habe, hilf mir lieber materiell.“
Anbetung oder Vermeidung?
Beim Umgang mit Geld leiten uns bestimmte Überzeugungen, legen psychologische Befunde nahe. Allerdings gibt es noch nicht allzu viele Untersuchungen zum Thema, so der britische Psychologe Adrian Furnham in seinem Buch The New Psychology of Money. Furnham zitiert folgende Typologie:
Geldvermeider: Sie sehen im Geld etwas Negatives. Es bereitet ihnen Angst und Empörung. Deshalb verhalten sie sich widersprüchlich: Sie sabotieren eigenen finanziellen Erfolg, tätigen notwendige Anschaffungen nicht oder geben Geld aus der Hand, um möglichst keins zu haben, auf das sie aufpassen müssten.
Geld-Status-Typen: Menschen, die der Meinung sind, viel Geld sei gleich hoher Status, sind stark bestrebt, mehr zu verdienen als andere.
Geldanbeter: Oft sind es US-Amerikaner, die glauben, dass Geld die Dinge besser macht, so denken sie beispielsweise, ein höheres Einkommen löse ihre persönlichen Probleme. Damit kann problematisches Verhalten einhergehen, wie das Eingehen zu großer Risiken, pathologisches Spielen, zu hohe Spenden, Impulskäufe.
Geldvernachlässiger: Ob sie viel oder wenig haben, für manche ist Geld eine Quelle der Scham, etwas, das sie verbergen möchten. Dies kann dazu führen, dass vorhandenes Geld nicht angelegt, zu wenig für die Zukunft vorgesorgt oder das Thema generell vernachlässigt wird. SAC
Achtsam an der Börse
„Was, so viel Gewinn hast du gemacht? Wie hast du das geschafft?“ Es kann neidisch machen, wie souverän manche Menschen als privater Anleger mit Aktien handeln. Wer das auch gerne möchte, braucht mehr als finanzielles Wissen – und sollte im Auge behalten, dass unser Gehirn dafür eigentlich ungeeignet ist. Der Frankfurter Managementberater Roland Ullrich erklärt: „Es ist von Natur aus einfach nicht dafür geschaffen, mit komplexen Geldvorgängen zurechtzukommen.“ Ullrich nutzt die Erkenntnisse der Neurowissenschaften, um seine Kunden aus der Finanzbranche zu beraten und für sie Wertpapierhändler und Fondsmanager weiterzubilden.
Die Aussicht auf schnelle Gewinne oder drohende Verluste weckt starke Emotionen wie Gier oder Angst in uns, die zwei Urinstinkte auslösen: Kampf oder Flucht. Geht es auf den Finanzmärkten turbulent zu, werden manche zu „Hasardeuren“: „Sie kämpfen und kämpfen und wollen partout gewinnen“, sagt Ullrich, „aber wer mit Aktien zu tun hat, muss wissen: Das kann nicht gutgehen. Im Endeffekt hat die Börse immer recht. Es ist sinnlos, gegen die Märkte zu kämpfen. Die einzig sinnvolle Strategie ist, Verluste frühzeitig zu begrenzen und Gewinne laufen zu lassen.“ Andere wiederum sind zu zögerlich. Wenn es hektisch wird, erstarren sie oder schauen weg - was auch nicht gut ist. Man müsse Risiken und Unruhen in einem gewissen Maß aushalten und schnell entscheiden können, erklärt der Finanzexperte. In beiden Fällen seien Verstand und Emotionen nicht im Gleichgewicht.
Als Gegenmittel setzt Ullrich bei seinen Klienten auf Achtsamkeit. Einfach sei das nicht, wie so vieles im Leben müsse das geübt werden. Aber wer Achtsamkeit gelernt habe, schaffe es besser, sich nicht vom eigenen Gehirn ins Bockshorn jagen zu lassen und Verstand und Emotionen in der Balance zu halten – ob nun bei der Investition in Aktien oder beim ganz normalen Einkaufen.
Quellen und Literatur
Silvia Breier: Geld, Macht, Gefühle. Wie Geld unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Springer, Heidelberg, 2017
Ingo Focke, Mattias Kayser, Uta Scheferling (Hrsg.): Die phantastische Macht des Geldes. Ökonomie und psychoanalytisches Handeln. Klett-Cotta, Stuttgart, 2013
Adrian Furnham: The new psychology of money. Routledge, 2014
Claudia Hammond: Erst denken, dann zahlen. Die Psychologie des Geldes und wie wir sie nutzen können. Klett-Cotta, 2017.
Elizabeth Dunn, Michael Norton: Happy Money. The New Science of Smarter Spending. Oneworld Publications, London, 2013
Gisela Kaiser: Geld oder Leben? Wie Geld unsere Beziehungen und Gefühle beeinflusst. Koehlers, 2017
Eva Jonas u. a.: Psychology of money and finances. In: International Encyclopedia of the social & behavioral Sciences, 2nd edition, Volume 15, 2015. DOI: 10.1016/B978-0-08-097086-8.22011-4