Frau Professor Vohs, was sagt Ihnen der Slogan Yes we tan?
Ein Spottwort auf Barack Obama und sein Motto Yes we can. Es kam auf, als der Präsident kürzlich im Weißen Haus vor die Öffentlichkeit trat, um neue Erkenntnisse über den Terror der IS-Milizen im Irak mitzuteilen. Er trug dabei einen hellen Sommeranzug, der seinen Teint unterstrich, also den tan, und der überhaupt sehr nach Urlaub aussah. Vielleicht nicht ganz passend, okay, aber die Medien überschlugen sich vor Empörung. Als gäbe es nichts…
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Vielleicht nicht ganz passend, okay, aber die Medien überschlugen sich vor Empörung. Als gäbe es nichts Wichtigeres zu kommentieren als diesen kleinen Fehlgriff …
Fühlen Sie sich verantwortlich?
Sollte ich?
Haben Sie nicht dem Präsidenten bei der Auswahl seiner Kleidung geholfen?
Ich habe vor einiger Zeit einen Artikel veröffentlicht, in dem ich die Befunde aus meinem Labor zusammenfasse zu einem Phänomen, das ich decision fatigue nenne, also Entschlussmüdigkeit. Sie belegen, dass nach einer Reihe von Entscheidungen unsere Energie für weitere Entschlüsse nachlässt; stellen Sie sich das etwa so vor wie bei einem Muskel, der nach starker Beanspruchung nicht mehr seine volle Leistung bringt. Irgendwie hat der Text seinen Weg ins Weiße Haus gefunden. Jedenfalls bezog sich der Präsident ganz explizit auf Forschungsergebnisse wie unsere, als ein Reporter ihn fragte, was sich in seinem Privatleben durch das Amt geändert habe. Obama gab zur Antwort, dass er Alltäglichkeiten wie die Wahl der Kleidung oder des Speiseplans seither anderen überlässt, um seine Kraft auf die wichtigen Entscheidungen seines Amtes zu konzentrieren. Aber glauben Sie deshalb bitte nicht, dass ich ihm seine Anzüge herauslege!
Immerhin, der Präsident der USA reagiert auf den Rat der Psychologie. Aber ist es nicht ein Zeichen von Schwäche, wenn er sagt, er könne sich bei all den Anforderungen an sein Amt nicht auch noch Gedanken um seine Anzüge machen?
Im Gegenteil! Es ist Ausdruck einer geradezu weisen Einsicht in die Grenzen unserer Möglichkeiten. Wir reden hier von einem Aspekt der Selbstkontrolle, der viel zu wenig bekannt ist. Die meisten kennen Techniken wie die Zähne zusammenbeißen oder gute Miene zum bösen Spiel machen, um die Emotionen im Zaum zu halten. Oder die Kontrolle eigener Gedanken und Impulse: Ich versuche, nicht an leckeres Essen zu denken, wenn ich eine Diät mache; ich vermeide es, mich an eine Bar zu stellen, wenn ich weiß, dass ich da zu Übertreibung neige. Wir konzentrieren uns sehr gezielt, wenn wir einen trockenen Vortrag hören, oder geben uns einen Ruck, um unser Fitnessprogramm umzusetzen. Aber nur wenige gehen bewusst sparsam und rücksichtsvoll mit ihrer Energie für Entscheidungen um. Dabei gilt es auch da, hauszuhalten und Selbstkontrolle zu üben.
Kommt es bei Entscheidungen nicht vielmehr auf Kognitionen an als auf eine ominöse Kraft, die versiegen kann wie Wasser in der Wüste? Sind es also nicht vor allem Konzepte, Pläne, Überzeugungen, Gewohnheiten und Erwartungen, die meine Auswahl und Initiative stimulieren?
Völlig einverstanden. Aber es bedarf bei solchen Prozessen auch einer Energie, die wie jede Form von Energie aufgebaut und geschont werden muss oder die, wenn nicht nachhaltig damit umgegangen wurde, auch mal erschöpft sein kann. Mein Kollege Roy Baumeister hat den Begriff willpower dafür wiederentdeckt, „Willenskraft“. Den hatten viele schon fast vergessen, weil er so antiquiert erscheint. Ich denke da etwa an ein Experiment, zu dem wir Menschen in unser Labor eingeladen haben, die ihren Appetit immer wieder durch Diätprogramme zu zügeln suchen.
Um sie in Versuchung zu führen …
Wir wollten sehen, wie viel Kraft dieser ständige Widerstand tatsächlich kostet. Das Labor war eingerichtet wie ein Wohnzimmer: ein bequemer Sessel, ein Fernsehgerät, Zimmerpflanzen. Dazu hatten wir ein paar Häppchen auf Tellern angerichtet. Sehr appetitlich. Für die eine Gruppe von Teilnehmern standen sie an der anderen Seite des Raums, für die andere griffbereit gleich neben ihrem Sessel. Wir baten unsere Gäste dann, noch für ein paar Minuten auf das eigentliche Experiment zu warten, und ließen sie allein mit einem Film über kanadische Dickhornschafe. Ohne Ton, ohne Handlung: das Langweiligste, was man sich vorstellen kann. Nach einer Weile erlösten wir die Probanden, baten sie in einen anderen Raum und gaben ihnen eine besonders kniffelige Aufgabe aus dem Bereich der Geometrie, eine Figur, die in einem Strich nachzuzeichnen war – unlösbar, aber unsere Instruktion gab vor, dass hier so etwas wie praktische Intelligenz gemessen werde. Und siehe da: Die ersten, die ihre Arbeit an der vermaledeiten Zeichnerei hinwarfen, waren die, denen wir die Verlockung zuvor direkt vor die Nase gestellt hatten.
Was, bitte, haben leckere Häppchen und geometrisches Vorstellungsvermögen miteinander zu tun?
Nach unserem Modell sind die Ressourcen zur Selbstkontrolle generalisiert; sie beziehen sich also nicht auf eine spezifische Situation und einen Stimulus, sondern auf ein breites Band von Verlockungen und Zielen. Wir fanden ganz ähnliche Resultate auch im Zusammenhang mit dem persönlichen Auftreten und dem Image, das einer von sich erzeugen will – etwa als kompetent oder liebenswert. Und wir fanden sie ebenso in Experimenten, in denen wir den vernünftigen Umgang mit Geld auf die Probe stellten.
Shopping ist ja bekannt als Methode, sich selbst zu trösten, als Belohnungsritual, unabhängig vom gekauften Objekt. Als Shopper sind wir alle nur durch sehr effektive Selbstkontrolle im Zaum zu halten. Aber das hemmungslose Shopping ist auch eine tragende Säule unserer Wirtschaft.
Impulsives Einkaufen bringt dem Handel viel Geld ein, ganz klar. Aber es erweist sich immer wieder auch als Ursache von Privatinsolvenzen und finanziellem Kollaps – und das in einem Ausmaß, das uns Sorgen machen sollte, ökonomisch, sozial und politisch. Zu erkennen ist daran auch, welche Kraft es kostet, solche Impulse bei sich selbst einzudämmen. In der Forschung lässt sich die Situation natürlich nur simulieren, in kleinem Maßstab. Aber auch bei den Probanden aus unserem Experiment zeigte sich klar: Wenn zuvor ein hohes Maß an Selbstkontrolle gefordert war, dann waren die zehn Dollar Belohnung schnell wieder ausgegeben für ein paar hübsche Nutzlosigkeiten, die wir im Labor zu diesem Zweck arrangiert hatten. Der Befund bestätigt also unsere generelle Annahme: Wer sich wacker widersetzt, der wird sich anschließend verletzlicher zeigen, auch in ganz anderen Zusammenhängen. Die Willensressourcen erschöpfen sich.
Nun sind Sie zwar Sozialpsychologin, lehren aber an der Carlson School of Management, also an einer Abteilung der University of Minnesota, in der vor allem angehende Geschäftsleute und Ökonomen studieren. Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?
Immer auf der des Verbrauchers! Unser Fach nennt sich consumer behavior, und wir studieren das Verhalten von Konsumenten, um ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen – zu Wohlbefinden, Gesundheit, Sinn, sogar zu einem langen Leben. Wir gehen aber davon aus, dass all das auch im Interesse der Unternehmen ist. In einem offenen Markt nämlich können Unternehmen die Verbraucher nicht dauerhaft ausnutzen– weil die sich dann abwenden. Am Ende des Tages ziehen beide am gleichen Strang. Aber Gegenstand meiner Seminare ist immer zuerst der Verbraucher: the psychology of being a consumer, also Verbraucherpsychologie.
Aber immer noch und immer wieder bestätigt die Marktforschung den Befund: Zwei Drittel oder ein noch größerer Teil aller Waren, die im Einkaufswagen vor die Kasse geschoben werden, haben nie auf einem Einkaufszettel gestanden. Wie verträgt sich das mit Ihren Ansprüchen?
Das ist noch nicht der Beleg für impulsives Einkaufen. Es kommt ja vor, dass ein Kunde sich erinnert fühlt: Ach ja, wir brauchen auch noch Tomaten!
Und die verlockend arrangierten Auslagen in einer Boutique, die dreihundert Sorten Käse im Supermarkt oder die ständig aufspringenden Werbebanner im Internet dienen als fürsorgliche Erinnerungsstütze?
Natürlich ist es irre, wie viele Dinge aus reinem Impuls gekauft werden. Ich denke aber: Wer so etwas forciert und ausnutzt, der vergisst die Frage nach langfristigen Auswirkungen. Irgendwann kommen die Kunden solchem Spiel auf die Schliche und entziehen dem Händler das Vertrauen. Dann ist der Kontakt abgebrochen – und das wäre der GAU fürs Geschäft.
Wie können Sie uns Verbraucher lehren, Versuchungen zu widerstehen?
Sie können sich entziehen. In einer Studie zur Persönlichkeit von Konsumenten etwa gelang meinen Kollegen und mir der Nachweis, dass Menschen mit einem hohen Maß an Selbstkontrolle zufriedener sind und weniger Stress haben – eben weil sie sich von Versuchungen fernhalten.
Und wie tun sie das?
Sie gehen einfach nicht in Geschäfte, in denen sie schwach werden. Sie gehen nicht in eine Bar, wenn sie nicht trinken wollen. Sie begehen keinen Selbstbetrug. Und sie halten sich fern von Menschen, von denen sie sich anstecken oder mitreißen lassen könnten. Es ist eine Kompetenz, und wer sie besitzt, dem gelingt es einfach, sich vielen Versuchungen zu entziehen.
Das klingt nach einem asketischen Leben.
Sie werden sehr schnell merken, dass Ihnen nichts entgeht. Wenn Sie einen Teil Ihrer Entscheidungen im Voraus planen, kostet es nicht annähernd so viel Energie, wie diese unendliche Kette von Zweifel und Kampf in jedem Augenblick erfordern würde.
Wenn Sie sich einmal auf einen Plan eingelassen haben, dann haben Sie nicht mehr diese Schlachten zu schlagen: Soll ich es tun? Soll ich es lassen? Sie bleiben bei Ihrem Vorsatz und freuen sich, wie einfach das geht. Sie verzetteln sich nicht in Zögerlichkeit. Wenn Sie einen Plan machen und ihn befolgen, dann bleiben Ihnen solche Störungen erspart. Und Zielkonflikte kosten nun mal eine Menge Kraft.
Aber was ist mit Menschen, für die Entscheidungen zu treffen ein Merkmal ihres Berufs ist? Also mit Präsidenten, Managern, Führungskräften, Künstlern, Kreativen, Personalchefs oder Piloten– sie können es sich einfach nicht leisten, von Entscheidungsmüdigkeit gebremst zu werden.
Ein erster Rat wäre, sich in seinen Entscheidungen zu konzentrieren: Machen Sie nicht parallel zu allem anderen auch noch eine Diät, die Sie zwingt, stets wach und widerstandsfähig gegenüber Versuchungen zu sein. Brechen Sie keine Streitigkeiten vom Zaun, nehmen Sie sich keinen Marathonlauf vor. Konzentrieren Sie Ihre Energie auf das, was Vorrang hat und getan werden muss. Wenn Ihr Beruf viele wichtige Entscheidungen verlangt, dann geben Sie denen Priorität. Sortieren Sie Entscheidungen nach ihrer Dringlichkeit, und zwar rigoros. Schränken Sie deren Zahl ein, sonst überfordern Sie sich. Ein zweiter Rat wäre, so viele Pläne und Routinen zu definieren wie möglich – etwa: Ich esse nur zu festgelegten Zeiten. Oder: Ich meide Süßigkeiten. Oder: Ich beschränke mich auf eine überschaubare Zahl von Einkaufsmöglichkeiten. Ich halte mir die Verführer vom Hals.
Sind solche Pläne nicht ein brüchiges Instrument zur Strukturierung des Alltags?
Fest steht, dass solche Verknüpfungen die Ermüdung von Selbstkontrollmechanismen nachhaltig verringern können. Sie können es auch Barack Obama nachtun – das wäre ein dritter Rat – und einen Teil der täglichen Entscheidungen anderen Menschen übertragen: Outsourcing. Müssen Sie wirklich alle Kunden oder Kollegen selbst treffen? Wollen Sie sich wirklich den Kopf darüber zerbrechen, welchen Kaffee Sie trinken möchten? Nehmen Sie einfach den, den Sie gestern hatten. Der war doch okay. Verschwenden Sie keine Energie auf Nebensächlichkeiten. Schaffen Sie Prioritäten, entscheiden Sie die Dinge, die wichtig sind, und lassen andere sich um den Rest kümmern.
Sie bilden Menschen aus, die Unternehmen führen oder Führungskräfte beraten. Was würden Sie tun, wenn Sie selbst eine Firma oder eine Organisation zu leiten hätten und decision fatigue vermeiden wollten?
Oh, da gibt es eine Menge Maßnahmen, um Entscheidungen zu strukturieren und zu erleichtern. Ganz simpel: Man könnte die Mitarbeiter ihr Essen in der Kantine vorher bestellen lassen, vielleicht für einen ganzen Monat. Dann müssten Sie sich nicht jeden Tag neu damit befassen. Sie könnten die Kollegen auch erinnern: Gestern oder letzten Dienstag haben Sie das Hühnchen gewählt. Das sind Kleinigkeiten, aber sie machen das Leben einfacher. Gleiches gilt für die Organisation der Arbeit: Viele Arbeitnehmer verhalten sich, als wären für ihre Vorgesetzten alle Leistungen gleich wichtig. Wenn der Chef aber deutlich macht: Dies sind die Dinge, die in den nächsten Tagen erledigt werden müssen, dies jene, die erledigt werden sollten, und hier sind noch ein paar Aufgaben, die schon mal in Angriff genommen werden könnten, wenn Zeit und Energie ausreichen – das wäre toll! Denken Sie nur daran, wie leicht den Mitarbeitern dann die Entscheidung fiele: Was muss jetzt getan werden? Was kann noch warten?
Spielen nicht die Erziehung, die vorherrschenden Glaubenssätze, die Modelle in der Umgebung – kurz: spielt nicht die Kultur eine ganz entscheidende Rolle dabei, wie hartnäckig einer seine Ziele verfolgt?
Es ist spannend zu beobachten, wie viele Forscher in unterschiedlichen Kulturen unser Modell überprüft haben und wie erfolgreich es ist. Dazu drei Bemerkungen – erstens: Das Muster ist stets das Gleiche. Der Einsatz von Selbstkontrolle schwächt die Fähigkeit zur Kontrolle in nachfolgenden Situationen, auch wenn die sich deutlich von der Ausgangssituation unterscheiden. Zweitens: Es bleibt methodisch schwierig, den Betrag der Veränderungen zu erfassen; das würde so etwas wie eine Parallelisierung von Kulturen erfordern. Und drittens: Menschen aus kollektiv strukturierten Kulturen, in denen mehr Gewicht auf Gemeinschaft, Rücksichtnahme und Kooperation gelegt wird, scheinen eher starke Mechanismen zur Selbstkontrolle ausgebildet zu haben. Sie zeigen auch ein geringeres Maß an Ermüdung dieser Mechanismen im Vergleich zu Menschen aus sehr individuell orientierten Kulturen.
Ich möchte aber noch hinzufügen: Neben allen Unterschieden in den Kulturen oder Gewohnheiten einer Gemeinschaft dürfen wir die individuellen Differenzen in Bezug auf decision fatigue nicht aus den Augen verlieren. Sie können erheblich sein.
Wir reden von einer Kraft, die sich erschöpfen kann, wenn sie vorher stark strapaziert wurde. Wie lässt sie sich neu aufbauen?
Machen Sie ein paar Schritte ins Grüne. Das entspannt. Tatsächlich zeigen unsere Befunde, dass nicht nur eine Strukturierung von Gewohnheiten und Anforderungen positive Auswirkungen auf eine effiziente Selbstkontrolle hat, sondern dass auch die konkrete Gestaltung der Umwelt eine wichtige Rolle dabei spielt. Natur ist wichtig. Manchmal kann sogar ein Bildschirmschoner mit einem Abbild von Natur auf dem Computer die Ressourcen wieder auffüllen. Der Blick ins Grüne ist angenehm; er signalisiert, dass für ein paar Augenblicke keine Regel zu befolgen, keine Entscheidung zu fällen ist. Wir sind in unseren Untersuchungen aber auch andere Wege gegangen – haben etwa Probanden gebeten, eine Liste von Werten aufzustellen, die ihnen wirklich wichtig sind, und dann beobachtet, dass sie anschließend bessere Selbstkontrolle ausüben können. Leider gibt es eine Einschränkung dabei: Der Effekt war nicht sehr stabil. Am Ende hilft nur eine Phase der Ruhe, eine Pause vom Zwang, sich selbst und die Umgebung zu regulieren. Oder Sie gönnen sich eine kleine Süßigkeit …
Wie bitte? Zucker, um die Selbstdisziplin wieder hochzukriegen? Und wo bleibt die mühsam aufrechterhaltene Diät?
Glukose ist wichtig. Es gibt einen Berg von Befunden dazu, dass Glukosemangel im Kreislauf die Fähigkeit zur Selbstkontrolle herabsetzt, bei Diabetikern, bei Straftätern, in allen möglichen Personenkreisen. Und Labore in aller Welt haben nachgewiesen, dass ein Schluck Saft oder Limonade die Energie wieder auffrischt – vorausgesetzt, es ist Zucker drin und nicht Süßstoff. Manchmal muss man eben einen Schritt zur Seite tun, um besser voranzukommen