Rassisten raus! Rassisten raus!“ Die Sprechchöre einer Gruppe von Studenten, die vor dem Rednerpult standen, tönten 1977 durch den Hörsaal der Universität von Melbourne. Wegen der aggressiven Atmosphäre verzichtete Hans Jürgen Eysenck darauf, den angekündigten Vortrag über Persönlichkeitsforschung zu halten. Vier Jahre zuvor war er bei einer Veranstaltung an der London School of Economics körperlich angegriffen worden, und als er in Birmingham einen Vortrag hielt, stand an den Mauern der…
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worden, und als er in Birmingham einen Vortrag hielt, stand an den Mauern der Universitätsbibliothek die Parole: „Erhaltet die echte akademische Freiheit: Der Faschist Eysenck hat kein Recht zu sprechen!“
Was hatte diese heftigen Reaktionen ausgelöst? Eysenck war aufgrund der Ergebnisse von Zwillingsuntersuchungen und Studien mit Adoptivkindern davon überzeugt, dass Persönlichkeitsmerkmale und Intelligenz in großem Ausmaß genetisch bedingt sind. So zeigten verschiedene Forschungsarbeiten beispielsweise, dass eineiige Zwillinge in Bezug auf ihre Intelligenz einander ähnlicher sind als zweieiige Zwillinge, sogar dann, wenn sie getrennt aufwuchsen. Und der Intelligenzquotient von Adoptivkindern korreliert höher mit den Testwerten der leiblichen Eltern als mit denen ihrer Adoptiveltern. Diese Betonung der Bedeutung genetischer Faktoren entsprach nicht dem Zeitgeist der 1960er und 1970er Jahre. Die Kritik an Eysencks Auffassungen war groß, und sie wurde noch heftiger und aggressiver, als er in seinem populärwissenschaftlichen Buch Die Ungleichheit der Menschen (The inequality of man, 1973) die Auffassung vertrat, auch die Intelligenzunterschiede zwischen Weißen und Farbigen in den USA seien wahrscheinlich erblich bedingt. „Wenn man schwarze und weiße amerikanische Kinder im Hinblick auf Schulen, Wohnungen sowie den Status und das Einkommen der Eltern verglich, so konnte dies schwerlich jene IQ-Differenz von 15 Punkten zwischen den Rassen aufheben; schlimmer noch, bei einem Vergleich der Kinder von schwarzen Mittelstandseltern, die gute Schulen besuchten und in gutem Milieu lebten, mit den Kindern von weißen Arbeiterklasseeltern, die in schlechte Slumschulen gingen und in ärmlicher Umgebung hausten, schnitten die weißen Kinder immer noch in Intelligenztests besser ab.“ Und in seinem Buch Vererbung, Intelligenz und Erziehung, das 1975 erschien, vertrat er die Ansicht, dass die „amerikanischen Neger“ genetisch bedingt „unbegabter“ seien als Weiße.
Distanzierung von rassistischen Ideologien
Wegen solcher Äußerungen wurde Eysenck von linken Gruppen als Rassist und Faschist beschimpft. Diese Vorwürfe erbitterten ihn, den heftigen Gegner des Nationalsozialismus, und er verglich die Studenten, die ihn attackierten, mit Hitlers Sturmtruppen, die Vorlesungen jüdischer Professoren gestört hatten. Nationalistische Gruppierungen betrachteten dagegen seine Aussagen über genetisch bedingte Intelligenzunterschiede als Bestätigung der eigenen Position.
Es war zweifellos ein schwerwiegender Fehler von Eysenck, dass er der Veröffentlichung von Interviews und Aufsätzen in rechtsextremen Zeitschriften wie der National-Zeitung zustimmte. Allerdings distanzierte er sich 1978 in einem Leserbrief an die Times klar von rassistischen Ideologien und von der Fehlinterpretation seiner Forschungsergebnisse als Unterstützung für diese Ideologien. Die Intelligenztestwerte verschiedener ethnischer Gruppen überlappten sich; es sei unsinnig und moralisch nicht vertretbar, Menschen wegen der Zugehörigkeit zu einer Rasse abzuwerten und zu diskriminieren.
In seiner Autobiografie Rebel with a Cause schildert Hans Jürgen Eysenck seine Kindheit und Jugend, seine wissenschaftliche Karriere und die Kontroversen, die er durch seine Veröffentlichungen auslöste. Er wurde am 4. März 1916 in Berlin geboren. Seine Eltern, deren Ehe nicht lange hielt, waren Schauspieler. Zu beiden Eltern hatte er ein eher distanziertes Verhältnis. Sehr viel enger als zu den Eltern, die er nicht oft sah, war sein Kontakt zur Großmutter, bei der er lebte und die sich liebevoll um ihn kümmerte. Angeblich erfuhr er erst später, dass seine Großmutter, eine gläubige Christin, aus einer jüdischen Familie stammte. Eysenck war zutiefst erschüttert, als er nach dem Krieg die Nachricht erhielt, dass sie in einem Konzentrationslager gestorben war.
Die Schule langweilte ihn, und er tat nur das Nötigste; als hochbegabtes Kind war er in einer normalen Klasse unterfordert. Wegen seiner Sympathien für sozialistische Ideen hatte er Konflikte mit den nationalistisch eingestellten Lehrern und Schülern auf dem Gymnasium. Trotz seiner rebellischen Art konnte er eine Klasse überspringen und bestand das Abitur 1934. Ein Buch über Atomphysik begeisterte ihn so, dass er sich vornahm, Physik zu studieren. In Berlin wäre dies nach seinen Angaben aber nur dann möglich gewesen, wenn er in die SS eingetreten wäre. Sein Hass auf die Nazis und ihre Ideologie war jedoch so stark, dass er nach England emigrierte. Möglicherweise ahnte er auch, dass er wegen der jüdischen Vorfahren seiner Mutter als „Mischling“ diskriminiert worden wäre.
In London besuchte Eysenck Kurse zur Vorbereitung auf die Universität. Als er sich 1935 zum Physikstudium anmelden wollte, erfuhr er, dass er nicht die dafür nötigen Kurse belegt hatte. Voller Verzweiflung fragte er, was er denn nun tun solle, und er erhielt die Auskunft, er könne Psychologie studieren. Während er anfangs sehr enttäuscht war, meinte er später, das Fach Psychologie habe seinen speziellen Fähigkeiten und seiner Persönlichkeit gute Entfaltungsmöglichkeiten geboten.
Im Psychologiestudium in London spielten statistische Methoden eine wichtige Rolle. Professor Cyril Burt war von Eysencks Fortschritten in diesem Bereich beeindruckt und förderte ihn. Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Eysenck als Deutscher zum „feindlichen Ausländer“ und musste befürchten, interniert zu werden. Es gelang ihm aber, dies zu verhindern und seine Doktorarbeit über experimentelle Ästhetik erfolgreich zu beenden.
Bedeutsam für seine weitere berufliche Laufbahn war, dass er an einer Klinik eingestellt wurde, mit dem Auftrag, psychologische Forschungen durchzuführen. Eysencks erstes Buch Dimensions of Personality, in dem er die Ergebnisse faktorenanalytischer Studien vorstellte, erschien 1947. Drei Jahre später wurde er zum Leiter der Abteilung für Psychologie am Maudsley Hospital ernannt. Er hatte hier die Möglichkeit, in größerem Umfang empirische Untersuchungen anzuregen und auszuwerten. Außerhalb von Fachkreisen wurde Eysenck durch seine populärwissenschaftlichen Bücher über psychologische Themen bekannt. Es fiel ihm leicht, Texte über psychologische Themen zu schreiben. Sorgfältiges Korrekturlesen lag ihm nicht, und dies beeinträchtigte manchmal die Qualität seiner Veröffentlichungen. 1955 wurde er Professor an der Universität London; bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1983 leitete er die Abteilung für Psychologie am Maudsley Hospital. Auch nach seiner Emeritierung arbeitete er rastlos weiter. Seine Bücher, die er zum Teil gemeinsam mit Koautoren verfasste, beschäftigten sich mit Themen wie Rauchen und Gesundheit, Kriminalität und Persönlichkeit, Astrologie, Parapsychologie und Kreativität. Am 4. September 1997 starb er im Alter von 81 Jahren an einer Krebskrankheit.
Die wichtigste Aufgabe eines Wissenschaftlers beschrieb Eysenck folgendermaßen: „Es fördert nicht die Beliebtheit, aber ich denke, der Wissenschaftler hat gegenüber der Öffentlichkeit vor allem eine Verpflichtung, nämlich aufrichtig die Wahrheit so zu sagen, wie er sie sieht.“ Da er seine Sichtweise zu wissenschaftlichen und praktischen Problemen nicht diplomatisch, sondern sehr pointiert und unverblümt äußerte, führte dies zu einigen heftigen Kontroversen.
Der neue Therapieansatz führt zu hasserfüllten Reaktionen
In einem Artikel, der sehr viel Aufsehen erregte, gab Eysenck 1952 einen Überblick über alle damals vorliegenden Untersuchungen zur Wirksamkeit der Psychotherapie. Er verglich die Prozentsätze der Besserungen von neurotischen Patienten durch Psychotherapie mit den Besserungsraten bei Patienten, die keine psychotherapeutische Behandlung erhalten hatten. Bei beiden Gruppen wurden innerhalb von zwei Jahren im gleichen Ausmaß deutliche Besserungen gefunden. Eysencks Schlussfolgerung: Es gibt keine Beweise für die Wirksamkeit von Psychotherapie. Mehrere Kritiker wiesen auf methodische Unzulänglichkeiten der verglichenen Untersuchungen hin. Dies gab ihm die willkommene Gelegenheit zu Erwiderungen: In dem Aufsatz hatte er nicht behauptet, Psychotherapie sei unwirksam, sondern nur, es gebe keine Beweise für ihre Effektivität. Seine Kritik gab den Anstoß für eine differenziertere Psychotherapieforschung, bei der behandelte Gruppen mit Kontrollgruppen verglichen werden.
Auch Eysencks Einsatz für lerntheoretisch fundierte Therapiemethoden führte zu heftigen Kontroversen. In den fünfziger Jahren unterstützte er Versuche von Mitarbeitern seiner Abteilung, Patienten mit Phobien oder Tics mit solchen Verfahren zu behandeln. Er korrespondierte mit dem Psychiater Joseph Wolpe, der in Südafrika auf Lernprinzipien basierende Methoden entwickelt hatte, insbesondere die systematische Desensibilisierung von Ängsten. 1958 hielt Eysenck die Zeit für gekommen, um offensiv den neuen Therapieansatz, den er Behaviour Therapy nannte, in einem Vortrag darzustellen und deutlich von psychoanalytischen Ansätzen, die er als unwissenschaftlich und unwirksam kritisierte, abzugrenzen. Dieser Vortrag führte bei einer psychiatrischen Tagung zu heftigen hasserfüllten Reaktionen. Eysenck ließ sich dadurch nicht beirren und propagierte in Vorträgen, Aufsätzen und Sammelbänden den neuen Therapieansatz. Zusammen mit Stanley Rachman, der früher mit Wolpe zusammengearbeitet hatte, veröffentlichte er ein Lehrbuch der Verhaltenstherapie, das auch ins Deutsche übersetzt wurde.
Die Autoren stellen die Grundprinzipien der Verhaltenstherapie in der Abgrenzung von der Psychoanalyse folgendermaßen dar: Während die Theorie Freuds neurotische Symptome als „sichtbare Entladungen unbewusster Ursachen“ interpretiere, betrachte die Verhaltenstherapie neurotische Symptome als erlernte Gewohnheiten. Plakativ formulieren sie: „Man beseitige das Symptom, und man hat die Neurose zum Verschwinden gebracht!“ Allerdings erwähnen sie, dass es nicht ausreicht, motorische Symptome (wie Tics oder Vermeidungsverhalten) zu beseitigen; nur wenn auch die konditionierten autonomen Reaktionen gelöscht würden, sei dies eine vollständige Behandlung.
Besonders intensiv beschäftigte sich Eysenck mit dem Gebiet der Persönlichkeitsforschung. Bereits in den vierziger Jahren beschrieb er zwei grundlegende Persönlichkeitsdimensionen, die durch Fragebögen oder Verhaltensbeobachtungen erfasst werden, nämlich Extraversion versus Introversion und Neurotizismus (emotionale Labilität versus Stabilität). Extravertierte Personen sind aktiv und gesellig, es fällt ihnen leicht, mit anderen Menschen Kontakte anzuknüpfen und sich zu unterhalten; andererseits sind sie oft unzuverlässig und langweilen sich schnell. Personen mit einem hohen Ausmaß an Neurotizismus haben ein geringes Selbstwertgefühl und wenig Selbstvertrauen, sie sind pessimistisch, leiden unter Ängsten und Schuldgefühlen und machen sich viele Sorgen. Eine weitere Persönlichkeitsdimension, die Eysenck Psychotizismus nannte, umfasst Eigenschaften wie Aggressivität, emotionale Kälte, Egozentrik, Impulsivität und fehlende Empathie.
„Einer der großen Visionäre des 20. Jahrhunderts“
Eysenck gab sich nicht mit der Klassifizierung von Persönlichkeitsmerkmalen zufrieden, sondern untersuchte auch ihre biologischen Grundlagen und führte dazu eine Reihe von Laboruntersuchungen durch. Ein ausgeprägter Neurotizismus beruht nach seinem Konzept auf einer starken Labilität des autonomen Nervensystems, das heißt, neurotische Personen reagieren schneller und stärker auf schmerzhafte und plötzliche Reize. Extravertierte Menschen haben nach Eysencks Theorie ein niedrigeres kortikales Erregungsniveau als introvertierte. Daher suchen sie stärker soziale Kontakte, aufregende Erfahrungen und Abwechslung, um Langeweile zu vermeiden und ein optimales Erregungsniveau zu erreichen. Introvertierte Personen haben dagegen die Tendenz, ein überhöhtes Erregungsniveau zu verhindern, indem sie stark erregende Reize vermeiden und sich häufiger zurückziehen.
Nach Eysencks Einschätzung wurde seine Persönlichkeitstheorie durch empirische Untersuchungen überwiegend, aber nicht immer bestätigt. Der Persönlichkeitsforscher Manfred Amelang schrieb über Eysencks Umgang mit Ergebnissen, die nicht mit seinen Erwartungen übereinstimmten: „In solchen Fällen ließ er oft einen gewissen ‚Bias‘ in dem Sinne erkennen, die fremden Ergebnisse mit dem Hinweis auf ungünstige Versuchsbedingungen oder eine ungeeignete Personenstichprobe und dergleichen ‚wegzudiskutieren‘, mögliche Schwächen oder Besonderheiten der eigenen Anordnung hingegen gern zu übersehen – aber wer könnte das einem wirklich Großen des Faches nicht nachsehen?“
Durch seinen Stil der Argumentation polarisierte Eysenck sehr stark. SeineAnhänger schätzten sein umfangreiches Wissen, sein Engagement und seine großzügige Unterstützung von Mitarbeitern. Frank Farley, ein ehemaliger Schüler Eysencks, betrachtet ihn als „einen der großen Visionäre der Psychologie des 20. Jahrhunderts. … Er war führend auf dem Weg, die Struktur der menschlichen Persönlichkeit zu definieren.“ Kritiker beschreiben dagegen seinen naturwissenschaftlichen Zugang zur Psychologie als eng und betonen Fehler und fragwürdige Schlussfolgerungen in seinen Veröffentlichungen. Der australische Psychologiehistoriker Roderick Buchanan charakterisiert ihn in seiner Biografie, die sowohl Eysencks wissenschaftliche Leistungen als auch seine Schwächen und problematischen Seiten beschreibt, als einen big picture man, der dazu in der Lage war, unterschiedliche Elemente und Ideen miteinander zu verknüpfen. Eysenck habe die Wissenschaft wie ein Spiel gespielt, bei dem er gewinnen wollte, und sei sehr selektiv vorgegangen, wenn es darum ging, Beweismaterial für seinen oder gegen einen fremden Standpunkt zu präsentieren. Die Zeitschrift New Scientist nannte ihn daher 1960 in einem Artikel „den Mann, den man gerne hasst“.
Wie werden Eysencks Forschungen und theoretischen Konzepte heute eingeschätzt? In Lehrbüchern der Verhaltenstherapie wird er als ein wichtiger Pionier dieser Therapieform gewürdigt, seine theoretischen Ansätze spielen aber in der aktuellen verhaltenstherapeutischen Literatur keine bedeutsame Rolle mehr. In Bezug auf Eysencks Persönlichkeitstheorie werden vor allem die Dimensionen Extraversion und Neurotizismus von anderen Forschern als wichtig betrachtet. Das Konzept des Psychotizismus konnte sich dagegen nicht durchsetzen, da dieses Merkmal zu heterogen ist. Es gilt als gut gesichertes Wissen, dass Unterschiede bei der Intelligenz und bei Persönlichkeitsmerkmalen genetisch mitbedingt sind. Umstritten ist aber, wie bedeutsam erbliche Faktoren sind. Die Einschätzung von Eysenck, Intelligenzunterschiede seien zu 70 Prozent erblich bedingt, wird von vielen Experten kritisiert, die Umwelteinflüssen eine wesentlich größere Bedeutung zuschreiben.
Literatur
R.D. Buchanan: Playing with fire. The controversial career of Hans J. Eysenck. Oxford University Press, Oxford 2010
H.J. Eysenck: Rebel with a cause. The autobiography of Hans Eysenck. Transaction Publishers, New Brunswick 1997
H.J. Eysenck, S. Rachman: Neurosen – Ursachen und Heilmethoden. Einführung in die moderne Verhaltenstherapie. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Ost-Berlin 1967
Christof T. Eschenröder, Jahrgang 1949, arbeitet in Bremen in eigener Praxis als Psychologischer Psychotherapeut und als Seminarleiter in der psychotherapeutischen Ausbildung und Fortbildung. Er beschäftigt sich außerdem mit Themen aus der Geschichte der Psychologie.