Heute hatte ich eine Veranstaltung in Koblenz und übernachte bei meiner Freundin Julia. Wir sind in ihrer Wohnküche, ich schneide Zwiebeln fürs Abendessen, Julia sitzt auf dem Boden vor einer Kommode, die sie noch schnell fertig streichen muss, Julia ist Tischlerin. Wir sind seit langer Zeit zum ersten Mal allein zusammen, weil Julias Mann und Kinder in Ferien sind.
Ich kenne Julia seit über zwanzig Jahren. Wir haben uns während des Studiums kennengelernt. Auf einer Exkursion saßen wir zufällig nebeneinander im Reisebus. Mit einer Zutraulichkeit, die ebenso selbstverständlich wie erstaunlich war, fingen wir ansatzlos an, uns unser bisheriges Leben zu erzählen – es gab nichts, was zu früh gesagt werden konnte. Die ganze mehrstündige Busfahrt über erzählte mal die eine und die andere hörte fieberhaft zu, dann ging es umgekehrt. Und immer wieder schien es, als habe die, die gerade erzählte, etwas Wesentliches über ihr Leben bisher nur nicht verstanden, weil sie auf die andere gewartet hatte, die es ganz meisterhaft erklären konnte.
Mit dieser Unterhaltung haben wir nie aufgehört. Wir sitzen immer noch immer wieder in diesem Bus, obwohl wir weit voneinander weg leben.
Während ich die Zwiebeln schneide und zwischendurch Julia beim konzentrierten Streichen zuschaue und ihrer vorlauten Wanduhr zuhöre, die alle halbe Stunde einen anderen Vogelgesang abspielt, denke ich darüber nach, warum unsere Freundschaft so lang so gut gelingt, warum keiner von uns im…
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