Verflucht!?

Therapiestunde: Die Pechsträhne des Klienten kann aus seiner Sicht kein Zufall sein. So bittet er seine Therapeutin um die „Beseitigung des Fluches“.

Die Illustration zeigt einen Mann, der sich selbst mit Nadeln durchsticht und aussieht wie eine Vodoopuppe
Herr P. war ein richtiger Pechvogel. Alles lief schief in seinem Leben. Nun ist er überzeugt: Ein Flucht liegt auf ihm und er braucht Hilfe. © Michel Streich

Herr P. kontaktierte mich, weil er viel Geld auf dem Esoterikmarkt losgeworden war. Etwas beschämt berichtete er, er habe bei diversen Anbietern die Beseitigung eines Fluches in Auftrag gegeben. Den belastenden Fluch sei er nicht losgeworden, dafür jedoch 8000 Euro. Und so kamen wir ins Gespräch.

Herr P. war ein richtiger Pechvogel. Alles, aber auch wirklich alles lief schief in seinem Leben. Erst kam der Bandscheibenvorfall mit nur 45 Jahren, dann trennte sich seine Frau von ihm, und auch die zwei…

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45 Jahren, dann trennte sich seine Frau von ihm, und auch die zwei gemeinsamen Kinder wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Dazu ein Berg Schulden, das gemeinsame Haus konnte Herr P. nicht halten, denn mittlerweile hatte er auch noch seinen gutbezahlten Job verloren. Die Pechsträhne wollte nicht abreißen. In der Zweizimmerwohnung, die er nach der Scheidung bezogen hatte, bildete sich Schimmel, er bekam Probleme mit der Lunge.

Auch in der nächsten Wohnung war es kaum besser – ein Rohrbruch. Herr P. legte mir bei unserem ersten Treffen eine Liste vor mit den Dingen, die allein in den letzten zwei Jahren aus unerfindlichen Gründen kaputtgegangen waren. Die Liste war drei Seiten lang, startete mit dem Toaster und endete beim Laptop.

Das könne kein Zufall sein

Nicht nur die Ex-Frau, auch die eigene Mutter nannte Herrn P. einen Versager und Taugenichts. Als nun auch noch beim Dating reihenweise vielversprechende Kandidatinnen kein Interesse an einer Beziehung bekundeten, wurde es Herrn P. zunehmend suspekt. Schon eine ganze Weile hatte er den Eindruck, in seinem Leben gehe es nicht mit rechten Dingen zu. So viel Pech könne kein Zufall sein. „Ein Fluch liegt auf mir. Und ich brauche jemanden, der mir den wegmacht. Ich habe wirklich alles versucht…“

Normalerweise wenden sich Menschen wie Herr P. nicht an Therapeutinnen oder Therapeuten. Denn diese bieten in der Regel nicht den expliziten Service einer „Fluchbeseitigung“ an. Dafür jedoch buhlen zahlreiche zwielichtige Anbieterinnen und Anbieter des Esoterikmarktes mit verlockenden Angeboten zur Entfernung von Flüchen jedweder Art. Meist hilft dies den Verfluchten nicht weiter und schadet überdies noch ihrem Geldbeutel.

Ich bin der Meinung, dass die meisten Therapeutinnen hervorragendes Handwerkszeug zur Entfernung von Flüchen in ihrem Methodenrepertoire haben, da sie sich meist sehr gut auf die Kunst der Entschlüsselung von Symbolhaftem und Bedeutungsvollem verstehen und Methoden zur kognitiven Umstrukturierung kennen. Seitens der Verfluchten besteht eine große Skepsis, wenn die Anregung, es doch mal mit einer Psychotherapie zu versuchen, ins Spiel kommt. Diese Vor­urteile Therapeuten gegenüber treibt Menschen, denen eigentlich von dieser Zunft gut geholfen werden könnte, scharenweise auf den Esoterikmarkt.

Gefangen in der Opferrolle

Ich ging im Geist die anderen Verfluchten durch, mit denen ich im Laufe meiner Karriere schon gesprochen hatte. Berichten Menschen davon, verflucht zu sein, lohnt es sich zunächst, genauer hinzuschauen. Solche magischen Erklärungskonzepte können auf den ersten Blick therapeutische Verdauungsbeschwerden bereiten, allerdings macht es auch vor dem Hintergrund einer religions- und kultursensitiven Beratung oder Therapie Sinn, sich auf die Glaubensvorstellungen der Klientinnen und Klienten einzulassen.

In vielen Kulturen stellt der Fluch eine Form der sozia­len Sanktionierung dar und wird meist als Strafe für ein geschehenes Unrecht ausgesprochen. Ein Fluch, der zu Unrecht ausgesprochen wird, so der Volksglaube, fällt auf den Verfluchenden zurück, frei nach dem Bumerangprinzip.

Herr P. erinnerte sich nicht, dass jemand einen Fluch gegen ihn ausgesprochen hätte. Und trotzdem war er felsen­fest davon überzeugt, das Unglück, das ihm seit seiner Scheidung widerfahren war, sei nur mit einem Fluch zu erklären. Ich war ratlos, denn wenn ihn niemand verflucht hatte, greifen auch Erklärungen wie zum Beispiel die der selbsterfüllenden Prophezeiung nicht.

Herr P. kam zu weiteren Gesprächen, allerdings hatte ich das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Er passte ganz eindeutig in das Schema des „Klagenden“, er zeigte kaum Veränderungswillen und fühlte sich offenbar gar nicht so unwohl in seiner Opferrolle. Schuld waren grundsätzlich immer die anderen, in seinem Fall der Fluch. Ich versuchte es mit Wahrnehmungsübungen, wir implementierten ein Glückstagebuch, wir turnten uns durch die hohe Kunst der systemischen Fragetechniken. Aber es nützte nichts.

Erhalt des Selbstwertgefühls

Menschen, die wie Herr P. davon ­berichten, an einer chronischen Pechsträhne zu leiden, weisen einige Gemeinsamkeiten auf: Meist wird eine Verkettung von negativen Umständen beschrieben, deren Ursache fremdattribuiert wird. Herr P. vertrat mit großer Vehemenz die Überzeugung, dass nicht er verantwortlich sei für das, was schief­lief in seinem Leben, sondern der Fluch. Je mehr ich Herrn P. kennenlernte, desto deutlicher wurde mir, dass das Konzept des Fluches für ihn eine wichtige selbstwerterhaltende Funktion erfüllte.

Schon in seiner frühen Kindheit hatte Herr P. von der Mutter zu hören bekommen, dass er zwei linke Hände habe und ein Taugenichts sei. Im Schatten seiner erfolgreichen Brüder hatte er sich oft minderwertig und wertlos gefühlt. Und trotzdem hatte Herr P. es geschafft, eine Familie zu gründen, sich eine gute Position im Job zu erarbeiten und ein Häuschen zu kaufen. Als dann all dies zusammenbrach, war das zu viel. Er hätte sich nun in und Selbstverurteilungen stürzen können, doch stattdessen wählte er unbewusst eine Strategie, die es ihm erlaubte, den angeknacksten Selbstwert stabil zu halten.

Gefangen im Teufelskreis

Alles, was schieflief, führte er auf den Fluch zurück. Denn an mangelnder Attraktivität und Eloquenz konnte es in seinen Augen nicht liegen, dass die Datingpartnerinnen nicht an einer Beziehung mit ihm interessiert waren. Der Riss, der zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung klaffte, wurde durch das Konzept „Fluch“ immer gewaltiger. Irritierende und negative Erfahrungen mehrten sich, was wiederum den Glauben an die Wirkung des Fluches verstärkte. Ein perfekter Teufelskreis.

Irgendwann sprach Herr P. über seine negativen Kindheitserfahrungen, seine Minderwertigkeitskomplexe, und nach einigen Sitzungen kamen wir noch einmal auf den Fluch zu sprechen. Er habe nachgedacht, sagte Herr P. Er sei sich nun sicher, wer ihn verflucht habe. Es sei wohl seine Ex-Frau gewesen.

Sühne für Betrug

Ich fragte ihn, welcher Grund seine Ex-Partnerin wohl dazu veranlasst haben könnte, ihn zu verfluchen. Herr P. wurde still. „Es ist mir sehr unangenehm, Ihnen das zu erzählen. Ich habe meine Frau über viele Jahre betrogen. Ich war regelrecht süchtig nach der Anerkennung anderer Frauen. Ich glaube, ich habe sie damit sehr verletzt.“ Insgeheim empfand Herr P. den Fluch zumindest bis zu einem gewissen Grad als gerechtfertigte Strafe für sein Fehlverhalten und hatte den Eindruck, auf diese Weise zu sühnen.

Ein paar Wochen später telefonierten wir. „Ich habe den Fluch gebrochen. Die Pechsträhne ist vorbei“, sagte Herr P. „Ich habe meiner Ex-Frau einen langen Brief geschrieben und mich bei ihr entschuldigt für all das, was ich in unserer Ehe falsch gemacht habe.“

Herr P. hatte sich seinen Schuldgefühlen gestellt, er ist selbst aktiv geworden. Dies war ein allererster Schritt auf einem langen Weg. Und manchmal, wenn Herr P. wieder das Gefühl hat, jemand verfluche ihn, dann überlegt er, ob es vielleicht etwas zu klären gibt mit diesem Menschen. Übrigens behauptet er, dass die Dinge nun nicht mehr so oft kaputtgehen – vielleicht liegt das aber auch daran, dass er nicht mehr so darauf achtet.

Dr. Sarah Pohl, Diplompädagogin, systemische Paar- und Familienberaterin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, arbeitete acht Jahre in der ­Parapsychologischen Beratungsstelle Freiburg und ist jetzt Vorstandsmitglied der Zentralen Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen des Landes Baden-Württemberg. Ihr Buch Einführung in die Beratung von Menschen mit außergewöhnlichen Erfah­rungen ist 2020 bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 9/2021: Erfüllter leben